G. Eich - Traume
Grundsätzlich besteht das Gedicht “Träume” von Günter Eich aus zwei Teilen. Der erste Teil trägt den Titel “Der erste Traum:” und “Der vierte Traum”. “Der erste Traum:” führt verschiedene Verwandtschaftsbeziehungen an. “Dervierte Traum” besteht aus einer Aufzählung von zwei Vor- und einem Familien-namen. Danach fängt das eigentliche Gedicht an. In der ersten Strophe des zwei-ten Teils wird alles beschönigt und gut dargestellt, in derzweiten Strophe wird an unser Gewissen appelliert und verschieden Problemeunserer Zeit wie “Ge-fängnis und Folterung” oder die Umweltverschmutzung werden angeschnitten. Am Ende des Gedichts wird mit der Zeile “Alles wasgeschieht, geht dich an.” an die Verantwortung eines jeden Menschen in der heutigen Gesellschaft erinnert und uns bewusst gemacht, dass jede unserer Handlungen oder das Unterlassen von Handlungen Auswirkungen auf uns und auf jeden einzelnen unserer Mit-menschen hat und dass wir deswegen unser Handeln überdenken sollten. Jede Strophe besteht aus jeweils zehn Zeilen. In der ersten Strophe befinden sich nur sechzehn Nomen, während in der zweiten Strophe fünfundzwanzig Wörter dieser Wortart zu finden sind. Das Gedicht könnte ohne weiteres auch als durchgehender Text in Prosa geschrieben sein, dass mach das Lesen des Gedichts sehr flüssig und leicht. Die erste Strophe besteht aus vier Sätzen, wobei der zweite eine Aufzählung und der vierte einen, in Klammern stehenden eingescho-benen Fragesatz enthält. Der zweite Part des Gedichtteils setzt sich aus drei Sät-zen zusammen. Günter Eich schreibt eher lange Sätze, die aus einigen Gliedsät-zen, eingeschobenen Hauptsätzen und Infinitiv- bzw. Partizipialgruppen beste-hen. Die Zeilenlänge in diesem Gedicht variiert sehr stark, konventionelle Ge-dichtschemata werden nicht eingehalten. Weiters ist kein Reimschema zu erken-nen, deswegen würde ich “Träume” auch als modernen Text einstufen. Die Antithese ergibt sich aus dem Gegensatz zwischen der ersten und zweiten Strophe. Während in den ersten zehn Zeilen das Leben noch von der schönen, durch nichts zu beeinträchtigen Seite gesehen wird, ergibt sich in den darauffolgenden Zeilen insofern ein Widerspruch als die Schattenseiten unserer Gesellschaft beleuchtet und am Ende auch verurteilt werden. Im Text befinden sich keine Metaphern und gerade deshalb ist das Gedicht schon nach dem ersten lesen zu verstehen und zu deuten. Es sind nur zwei Zeilenenjambements zu fin-den: von der neunten zur zehnten und von der dreizehnten zur vierzehnten Zeile. Eich macht Gebrauch von nahezu allen Satzzeichen, nur ein Ausrufezeichen ist nicht zu finden. Auffällig sind die vielen Beistriche und die zwei Doppelpunkte, nach denen immer eine Aufzählung, zu finden in den Zeilen vier und fünf bezie-hungsweise fünfzehn, sechzehn und siebzehn, folgt. In den ersten beiden Zeilen beneidet der Dichter “alle, die vergessen kön-nen, die sich beruhigt schlafen legen und keine Träume haben”. Er meint damit all diejenigen, denen die Gefahren und die Probleme unserer Welt nicht bewusst sind und die die Augen schließen, sich zurücklehnen, vergessen und verdrängen können, die keine Angst vor der Zukunft, vor Problemen oder Gefahren haben und die, denen die Probleme wohl bewusst sind, aber nicht so beschäftigen, dass sie keinen Schlaf mehr finden können. Eine Zeile darauf beneidet sich der Dichter selbst um “die Augenblicke blinder Zufriedenheit”, die er auch schon auskosten durfte und in denen er sich nur von Glück und innerer Zufriedenheit erfüllt sah. Er führt einige Augenblicke seines Lebens an, die ihn sehr beeindruckten. Es sind dies: “erreichtes Ur-laubsziel, Nordseebad, Notre-Dame, roter Burgunder im Glas und der Tag des Gehaltsempfangs”. Diese Ereignisse sind Günter Eich in guter, freudiger Erinne-rung geblieben. In den Zeilen sechs bis zehn zweifelt der Dichter schon am reinen Glück, von dem er vorher noch überzeugt war. Er meint, dass das gute Gewissen, das man hat nicht ausreicht um alles Leid und Unheil der Welt vergessen zu können. Auch an der “Güte des Schlafes”, in dem wir uns alle wiegen, wird gezweifelt und der Dichter ist sogar der Meinung, dass man Schläfer wecken solle und ih-nen sagen solle, dass “es gut so ist”. Jegliches Glück wird hier schon in Frage gestellt. Die ersten vier Zeilen der zweiten Strophe sind als Frage für den Leser for-muliert. Gefragt wird nach dem gelegentlichen Erkennen von Problemen und Hilferufen “der Erde”. Der Dichter will damit fragen, ob auch wir von Zeit zu Zeit ein offenes Ohr für das Leid auf unserer Welt haben. Das beruhigende gute Gewissen lässt einen Augenblick nach und sofort meldet sich das schlechte Ge-wissen, das uns die Augen öffnet und uns alles so erkenne lässt, wie es wirklich ist. Die nächsten drei Zeilen, fünfzehn bis siebzehn, zählen einige Probleme unse rer Zeit an. Genannt werden “Gefängnis, Folterung, Blindheit, Lähmung, Tod in vieler Gestalt, körperloser Schmerz und Angst”. Diese Zeilen enthalten eine Aufforderung an uns, dass wir die Nöte und Sorgen unseres Erdballs erken-nen sollen. Menschenrechtsverletzungen, Seuchen, Kriege, Behinderungen und die Belastungen unseres täglichen Lebens; all das beschäftigt uns in stillen Mi-nuten, in denen wir alleine und zurückgezogen in unserem Inneren Probleme er-kennen. Die letzten drei Zeilen appellieren an unser Gewissen in einer eindringli-chen Weise. Jede einzelne unserer Aktionen hat Auswirkungen auf unser Um-feld, jede Unterlassung hat vielleicht noch einen größeren Effekt auf unsere Um-welt. Wir müssen die Verantwortung übernehmen und jeden unserer Schritte und jede unserer Handlungen genau überdenken. Es ist unsere Pflicht, dass wir alles hinterfragen und erst dann handeln, denn nur so ist es möglich für jede Aktion die Verantwortung zu übernehmen und dafür einzustehen. Günter Eich wendet sich in dem Gedicht “Träume” an unser aller Gewissen und Vernunft. Deutlich wird die Doppelmoral unserer Gesellschaft angeprangert, die einerseits auf dem Verdrängen von Problemen, andererseits auf dem Entste-hen lassen von Nöten basiert und der wir alle unterliegen. Die Sorgen der Ent-wicklungsländer sollten uns zu denken geben, denn gibt uns nur das Glück, in einem Land zu wohnen, dem es nicht so schlecht geht wie zum Beispiel Ghana, das Recht, auf die hilfsbedürftigen Menschen herabzusehen oder ihnen gar keine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Die Solidarität jedes einzelnen ist gefor-dert, nicht nur in Hinblick auf die Probleme der Entwicklungsländer, sonder auch auf die Probleme einer Welt, in der trotz Hochtechnologie und extremen medizi-nischen Fortschritts noch immer Menschen wie Tiere in Gefängnissen gefangen gehalten und gequält werden, oft sogar durch schlimmste Foltermethoden. Verschieden Hilfsorganisationen wie Amnesty International oder das Rote Kreuz versuchen zu helfen so gut es geht, aber diese Institutionen sind auf unsere Hilfe, auf unsere Spenden angewiesen. Wenn wir schon nicht aktiv mithelfen können oder wollen, dann sollten wir wenigstens unseren Obolus passiv leisten und die Organisationen finanziell unterstützen. Der einfachste Weg Problemen und Nöten anderer aus dem Weg zu gehen, ist, sie einfach nicht an sich herankommen zu lassen. Diese Haltung zeugt jedoch von geringer Sensibilität und einem schwachen Charakter, dem das Leid anderer Menschen nichts bedeutet und dem nur das Erreichen seiner eigenen Ziele wich-tig ist. Egoismus und mangelnde Solidarität gehören nicht zu den Werten, die heutzutage vermittelt werden sollten, jedoch ist es oft so, dass uns schon von klein auf gelehrt wird, dass sich nur der Stärkere durchsetzt und nur der gewinnt, der am kräftigsten nach unten tritt. In der Erziehung und im Denken der Men-schen muss wieder eine Rückkehr zu Hilfsbereitschaft, Verantwortungsbewusst-sein und Mitgefühl stattfinden, denn ohne eine Rückbesinnung auf, so hat es zu-mindest den Anschein, längst vergessene Werte, kann nicht alles auf dieser Welt verbessert werden.
,Alles, was geschieht, geht Dich an."
Dieser Satz ist die Kernthese Günter
Eichs in seinem Hörspiel ,,Träume" von 1951. Jeden geht alles an und somit trägt auch jeder einzelne Verantwortung. Aus diesem Anspruch heraus wurde das Hörspiel ,,Träume" die Geburtsstunde des Nachkriegshörspiels. Das Hörspiel verweist gesellschafts- und politikkritisch auf das Fehlverhalten der deutschen Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg. In dem Hörspiel be- droht eine universelle Gefahr die Menschen auf der ganzen Welt, wodurch sich jeder angesprochen fühlen soll. Um jeden einzelnen Hörer nicht nur anzusprechen, sondern auch jeden für seine Kernthese zu sensibilisieren, benutzt Eich eine besonders hervorstechende, plakative Motivik. Diese muss jedoch in ihrem
Kontext als Hörspiel gesehen werden. Die ,,Träume" sind der Beginn einer neuen Hörspielära. Das Hörspiel existierte
zwar bereits seit langem, doch ,,die Herausforderung des Hörers durch das Hör- spiel" war völlig neu. In dieser Hausarbeit soll die Bedeutung der ,,Träume" genauer untersucht werden. Dabei wird sich diverser Teilaspekte gewidmet, die alle auf ihre Weise die Bedeutung des Hörspiels ausmachen. Im ersten Kapitel wird die Hörfunktion und situation in den Fünfziger Jahren erläutert und der besondere Aufbau des Hörspiels untersucht. Nur so wird klar, warum Günter Eich für seinen Appell an die Gesellschaft die Form des Hörspiels gewählt hat. Im zweiten Kapitel wird auf die inhaltliche Bedeutung und ihr Umsetzung eingegangen. Daher wird eine Sprach- und Motivanalyse vorgenommen. Die gesamte Untersuchung wird exemplarisch am ersten Traum durchgeführt. In meiner Analyse stütze ich mich zum einen vornehmlich auf ,,Günter Eich und das Hörspiel der Fünfziger Jahre" von Marlies Goss und zum anderen auf die
Primärquellen der ,,Träume" und der ,,Rede vor den Kriegsblinden" von Günter Eich.
Das episodenhafte Hörstück verbindet fünf Alpträume miteinander, die als „Ausgeburten der eschatologischen Angst, in der wir heute leben“ (Heinz Schwitzke) verstanden werden können.[1]
Der erste Traum
Ein „Uralter“ und eine „Uralte“ wurden 40 Jahre zuvor von uniformierten Männern verhaftet und in einen fensterlosen Güterwaggon gesperrt. Dort hocken sie nun, bekommen hin und wieder von Unbekannten durch eine Klappe etwas schimmeliges Brot gereicht und rollen einem unbekannten Ziel entgegen. Begleitet werden sie von ihrem Enkel, dessen Ehefrau und einem Kleinkind. Alle drei wurden offensichtlich während der Fahrt geboren und haben deshalb die Welt außerhalb des Zugs nie kennengelernt, sodass sie den Erinnerungen der Alten an deren früheres, angeblich besseres Leben keinen Glauben schenken wollen, zumal ihnen die dazugehörigen Wörter nicht vertraut sind und sie deren Erzählungen deshalb kaum begreifen können. Als dann plötzlich durch einen Riss in der Wagenwand ein schwacher Lichtstrahl fällt und die vorübergleitende Landschaft durch ein kleines Loch sichtbar wird, kann der Enkel, der einen flüchtigen Blick nach draußen riskiert, die Wirklichkeit nicht ertragen. Und auch den Alten jagt sie Furcht ein, da sie feststellen müssen, dass sich alles verändert hat und „viel größer“ geworden ist. So beschließt man, das Loch schnell wieder zu verschließen. Kaum ist es wieder dunkel im Wagen, spüren seine Insassen mit Entsetzen, wie der Zug langsam aber stetig immer schneller wird. In panischer Angst beginnen sie um Hilfe zu schreien, doch ihre Rufe werden vom donnernden Anschwellen des Zuggeräusches übertönt.
Der zweite Traum
Ein Mann und eine Frau verkaufen ihren sechsjährigen Sohn an eine reiche chinesische Dame, die das Kind schlachten und ausweiden lässt, um mit dessen Blut und Innereien das Leben ihres schwerkranken Ehemann zu retten. Während des Verkaufsgesprächs stellt sich heraus, dass der Mann und die Frau jedes Jahr ein neues Kind zeugen und stolz darauf sind, bisher „nur gesunde Kindern von erstklassiger Zucht“ geliefert zu haben. Und auch die Dame hat ihrem chronisch geschwächten Patienten nicht zum ersten Mal eine derart kannibalische Frischzellenkur verpasst.
Der dritte Traum
„Der Feind“, ein unscheinbares blindes Männlein, versetzt eine australische Kleinstadt in Angst und Schrecken. Eine glückliche Familie, deren Heim er sich mit donnernden Schritten nähert, bevor er dessen Tür krachend zersplittern lässt, um deren Eigentum in Besitz zu nehmen, kann zwar zunächst im letzten Moment ins Nachbarhaus fliehen. Als sich jedoch herausstellt, dass die kleine Tochter ihre Puppe mit auf die Flucht genommen hat, „weil sie sie lieb hat“ und vor dem Feind retten will, kennen die Mitbürger kein Mitleid. Sie verweigern der Familie jede weitere Hilfe, weil sie fürchten, sie könnten sonst den Zorn des Feindes auf sich selber lenken.
Der vierte Traum
Zwei russischen Forschern auf Afrika-Expedition wird vom einheimischen Koch ihrer Trägergruppe eine geheimnisvolle Suppe aufgetischt, nach deren Verzehr die beiden rapide das Gedächtnis verlieren. Irritiert vom ständigen Nachrichtengetrommel der Eingeborenen, deren Botschaften sie nicht entschlüsseln können, wissen sie bald nicht mehr, woher sie kommen und wohin sie wollen. Sie kennen ihre eigenen Namen nicht mehr und glauben plötzlich, sie seien auf der Suche nach dem Glück, das jeder der beiden schließlich auf seine eigene Weise sucht: Der eine verirrt sich im Urwald, der andere legt sich zum Schlafen nieder (und stirbt?).
Der fünfte Traum
Eine Mutter besucht ihre angeblich glücklich verheiratete Tochter in New York, wird aber von dieser mit der Tatsache konfrontiert, dass sie selbst wie alle anderen Menschen auch, ja die ganze Stadt und der ganze Kontinent, innerlich von Termiten hohlgefressen ist und alles Leben bei der leisesten Erschütterung zu Staub zerfallen wird. Als der junge Ehemann "todmüde" von der Arbeit nach Hause kommt, ist seine Schwiegermutter bereits tot. Seine Frau will ihn zur Flucht überreden, um so ihr gemeinsames Glück und Überleben zu retten. Doch ihr Mann hat bereits resigniert. Ein Gewitter zieht auf, und mit dem ersten kräftigen Donnerschlag nimmt die Katastrophe ihren angedrohten Verlauf.
Form
Den einzelnen Episoden sind folgende Traumzeiten, Träumer und Traumorte zugeordnet:
1.-2. August 1948, Schlossermeister Wilhelm Schulz, Rügenwalde, Hinterpommern (Europa)
5. November 1949, Tochter des Reishändlers Li-Ven-Tshu in Tianzien (Asien)
27. April 1950, Automechaniker Lewis Stone, Freetown, Queensland (Australien)
29. Dezember 1947, Kartenzeichner Iwan Iwanowitsch Borislawski, Moskau (Afrika)
31. August 1950, Lucy Harrison, New York (Amerika)
Die einzelnen Träume symbolisieren also jeweils einen der fünf Kontinente. Ein- und ausgeleitet werden sie durch lyrische Pro- bzw. Epiloge des Autors, die sich, angesichts der katastrophalen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, gegen ein naives Träumen aussprechen und zur Wachsamkeit gegen heraufziehende Gefahren ermahnen.