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ABER DAS HERZ IRRTE NICHT

 

Roman von Leni Behrendt 

 

 

 

Dr. Ralf Skörsen, ein begabter und tüchtiger junger Arzt, hat oft 

Sorgen, weil der die Schulden abzahlt, die sein verstorbener Vater 

hinterlassen hat. Mutter und Schwester haben kein Verständnis 

für ihn; sie denken nur an ihr Vergnügen, stellen hohe Ansprüche 

und halten die Rückzahlung der Schulden für überflüssig. Eines 

Tages eröffnet Ralf seinen Angehörigen, daß er geheiratet hat, 

und zwar die Tochter jenes Mannes, der Skörens Vater das Geld 

geliehen hat; nach dessen Tod ist nun Frau Lenore die 

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Gläubigerin. Als sich herausstellt, daß Ralf dies nicht getan hat, 

um die restlichen Schulden loszuwerden, sondern die Raten 

peinlich genau an seine Frau weiterzahlt, sind Mutter und 

Schwester enttäuscht und machen der jungen Frau das Leben zur 

Hölle. Der vielbeschäftigte Arzt scheint blind und taub gegenüber 

dem Treiben der beiden bösen Frauen. Die Ehe zerbricht, Lenore 

verläßt ihren Gatten. Als Ralf endlich den wahren Sachverhalt 

erkennt und Lenore bittet, es noch einmal mit ihm zu versuchen, 

sagt sie ihm, dazu sei es zu spät. Ob dies wirklich das letzte Wort 

in der Angelegenheit ist? 

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Diese Ausgabe erscheint alle 4 Wochen im Martin Kelter Verlag 

(GmbH & Co.), 

Mühlenstieg 16-22, 22.041 Hamburg, Postfach 70 10 09, 22.010 

Hamburg, 

Telefon: Sa.-Nr. (040) 68 28 95-0, Telefax: 040/68 28 95 50, 

Internet: http://www.kelterde e-mail:info@kelter.de 

Verantwortlich: Verleger Gerhard Melchert. Im Verkaufspreis ist 

die gesetzliche Mehrwertsteuer enthalten. 

Gesamtherstellung: Eisnerdruck, Berlin. 

Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der 

Verlag keine Gewähr. 

Abgebildete Personen auf dem Umschlag stehen in keinem 

Zusammenhang mit dem Roman. 

Diese Ausgabe darf weder in Leihbüchereien noch in Lesezirkeln 

geführt oder zum gewerbsmäßigen 

Umtausch bzw. Wiederverkauf verwendet werden. 

Printed in Germany. 

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Es war im November und das passende Wetter dazu – 
nämlich eines, wo der Bauer nicht einmal seinen Hund 

hinausjagt, wie es im Volksmund heißt. 
Zwar regnete es nicht Bindfäden vom grauverhangenen 
Himmel, es nieselte nur; aber es dringt auf die Dauer durch 
den dichtesten Wettermantel. 
Also drang es auch durch den des Mannes, der die 
Endstation der Straßenbahn verließ und raschen Schrittes 
eine nur mäßig beleuchtete Straße entlangging. Der Weg, 
den er einschlug, war dunkel und schlecht gehalten, 
obwohl zu beiden Seiten Häuser standen. 
Am letzten Haus verhielt er den raschen Schritt, öffnete 
eine Pforte, überquerte den kurzen Fliesengang und stand 
nun vor dem Haus, in dem er wohnte. 

Durch die Fenster im Parterre schimmerte Licht mit 
traulichem Schein. Dahinter klang gedämpft Musik, 
flatterte Lachen zu dem Mann hin, der mit den fröhlichen 
Menschen nichts gemein hatte; denn seine Wohnung 
befand sich in der ersten Etage, und hinter seinen Fenstern 
war es dunkel. Ein Zeichen, daß er nicht erwartet wurde. 
Mit einem Gefühl der Enttäuschung schloß er die Haustür 
auf, knipste Licht an, durchquerte den kleinen Flur und 
stieg die Treppe hinauf. 
Rosalia Skörsen – konnte man auf dem Emailleschild 
lesen, das an der Etagentür angebracht war. Darunter 
hielten zwei Reißstifte eine Visitenkarte mit dem Namen: 

Dr. Ralf Skörsen. 
Der Mann schloß nun auch diese Tür auf und stand jetzt in 
einem Korridor, in dem gerade nur eine Flurgarderobe 
Platz fand, an die er sorglich den nassen Mantel und den 
Hut hängte, bevor er nachsah, ob Mutter und Schwester zu 
dieser frühen Abendstunde etwa schon zu Bett gegangen 
wären. 
Doch das Schlafzimmer war leer. 
Ein resignierter Zug grub sich um den hartgeschnittenen 
Mund des jungen Arztes, als er in die Küche ging, die kalt 
und unaufgeräumt war. Wahrscheinlich waren die beiden 

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gleich nach dem Mittagessen fortgegangen, da Geschirr und 
Kochtöpfe ungesäubert herumstanden. 

Aber dafür hatte der nachsichtige Sohn und Bruder eine 
Entschuldigung. Nun ja, wenn man ohne Hilfe den 
Haushalt versehen mußte, konnte so etwas schon mal 
vorkommen. 
Also setzte er den Wasserkessel auf den elektrischen Herd 
und suchte 
sich etwas zu essen. Was er fand, war Brot, Butter, Wurst, 
aß einige belegte Schnitten and verließ die Küche erst, als 
sie sauber war. 
Im Wohnzimmer war es auch nicht gerade mollig, aber 
immerhin wärmer als in der Küche. 
Ohne Licht zu machen, ließ er sich in einen Sessel sinken, 

steckte seine zweitletzte Zigarette in Brand und dachte an 
die Vergangenheit. 
Die war sorglos gewesen, bis der Vater, der die Stellung 
eines Regierungsrates einnahm, eine Frau kennenlernte, die 
den alternden Mann von seinem bisher korrekten 
Lebensweg abirren ließ. Und da solche Frauen ja immer 
viel Geld kosten, ließ der blindverliebte Narr sich zu etwas 
hinreißen, was er im normalen Zustand nie getan hatte: 
Er begann zu spielen. 
Und wie das bei einem so gefährlichen Wagnis wohl öfter 
vorkommt, war ihm zuerst Fortuna hold, bis – ja, bis sie 
sich hohnlachend von ihm abwandte. Er verlor an einem 

Abend eine Summe, die ihm nicht zur Verfügung stand. 
Nun wandte sich noch jemand von ihm ab: die Frau, die 
ihn ruinierte. Als nichts mehr von dem närrischen 
Liebhaber zu holen war, ließ sie ihn kaltlächelnd im Stich 
und ging mit einem anderen auf und davon. 
Und der verlassene Mann? Er konnte mit Schiller sagen: Ich 
habe ein gewagtes Spiel gespielt. 
Aber da die meisten Menschen die Schuld nie bei sich, 
sondern bei anderen zu suchen pflegen, geschah es auch 
hier. 
Schuld hatte seine Frau, jawohl! Wäre sie mit ihm in 

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Urlaub gefahren, so hätte er zu einer Liebelei gar keine 
Gelegenheit gehabt! 

Aber nein, sie wollte, wie gewöhnlich in den Ferien, an die 
See, die er so gar nicht vertrug. Jedesmal holte er sich in der 
rauhen Luft eine Erkältung, die er dann nur schwer wieder 
loswurde. 
Außerdem wollte er auch einmal in ein mondänes Bad. Als 
seine Frau ihm klarmachte, daß ihr zurückgelegtes 
Urlaubsgeld für Extravaganzen nicht ausreichte, erklärte er 
kurz: 
»Anka geben wir zu Bekannten aufs Land, wo sie den 
Ferienaufenthalt umsonst hat, und Ralf braucht uns nicht 
ewig am Rock zu hängen. Der soll zusehen, daß er uns 
nach dem teuren Studium endlich von der Tasche kommt, 

indem er sich um einen Posten als Assistenzarzt bemüht.« 
»Du bist ja der reinste Rabenvater!« geriet die Gattin nun 
auch in Rage. Es fielen harte, böse Worte, da sie beide 
hitzige, rechthaberische Naturen waren. Also gab keiner 
nach, und man fuhr getrennt in Urlaub: die Mutter mit 
ihren Kindern an die See, der Vater in ein mondänes Bad. 
Und damit begann ein Elend, das der Mann zwar allein 
verursachte, dessen Ursache er jedoch seiner Frau zuschob. 
Rücksichtslos eröffnete er ihr, als man wieder zu Hause 
war, was sich ereignet hatte. Der Krach war da, eine bis 
dahin ganz gute Ehe bekam einen gehörigen Knacks, aber 
die Spielschulden blieben. 

In seiner Bedrängnis ging der Mann in Gedanken sämtliche 
Freunde und Bekannten durch – bis ihm ein Studienfreund 
einfiel, der ihm als Studenten in seiner Gutmütigkeit so 
manches liebe Mal aus der Patsche geholfen hatte, 
vielleicht würde er es jetzt wieder tun. 
Und er tat es. Allerdings nicht um Skörsens willen – mit 
dem hatte dieser Mann von hohen Ehrbegriffen kein 
Erbarmen, sondern weil ihn die Familie dauerte, die dieser 
skrupellose Spieler und Ehebrecher mit sich in Schande 
und Not ziehen würde, falls er die Spielschulden nicht 
zahlte. 

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Also bekam er das Geld, aber erst, nachdem es notariell 
gesichert war; denn sein Gläubiger, Privatdozent Dr. 

Ingwart, war ein vorsichtiger Mensch. 
Skörsen mußte sich verpflichten, monatlich die Schuld, 
einschließlich Zinsen, mit einer Summe abzudecken, die 
die Hälfte seines Gehalts ausmachte. Nach seinem Ableben 
hatte die Witwe die Zahlungen fortzusetzen, nach deren 
Ableben wiederum ihre Kinder; und so fort, bis die Schuld 
abgedeckt war, was immerhin zehn Jahre dauern würde. 
Sollte jedoch Ingwart inzwischen sterben, so erhielten seine 
Erben die Raten. 
Nun, auf das alles ging der bedrängte Mann ohne weiteres 
ein. Was er damit seiner Familie antat, war ihm 
gleichgültig. Hauptsache, er konnte die Spielschulden 

bezahlen und somit in den Augen seiner Mitmenschen der 
»ehrenwerte« Bürger bleiben – was ihm tatsächlich auch 
gelang, selbst über seinen Tod hinaus, der schon einige 
Monate danach eintrat. 
Herzschlag, hieß es allgemein. Doch sein Sohn, der ja Arzt 
war, wußte es besser. Er wußte, der Vater hatte eine zu 
starke Dosis Schlaftabletten genommen. Diesem jedoch lag 
gar nichts daran, das Geschehnis an die große Glocke zu 
hängen. 
Als die Skörsens dann in die Stadt zogen, wo der junge Arzt 
seinen Posten hatte, verlor man die angesehene Familie aus 
den Augen. 

So weit war der Grübler in seinen unerquicklichen 
Gedanken gekommen, als die Tür geöffnet wurde. 
Das Licht wurde angeknipst, und die Mutter riß überrascht 
die Augen auf. 
»Junge, du bist schon hier? Ich habe dich frühestens 
morgen erwartet. Aber warum sitzt du im Dunkeln?« 
»Weil das die Augen schont«, gab er scherzend zurück, 
während er die Mutter mit einem Handkuß begrüßte und 
die Wange seiner Schwester tätschelte. 
»Einen Bummel gemacht, Ankalein?« 
»Er war zauberhaft«, schwärmte das Mädchen. »Zuerst 

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waren wir im Cafe, dann im Kino. Da spielte ein Mann, 
einfach gottvoll! Nicht wahr, Mama?« 

»Naja«, dämpfte diese den Enthusiasmus der 
Siebzehnjährigen, weil sie augenblicklich dafür kein 
Interesse hatte. 
»Du bliebst lange fort, mein Sohn. Gab es etwas 
Besonderes zu regeln?« 
»Zuerst eine Hochzeit – und dann ein Begräbnis.« 
»Junge, redest du etwa irre?« 
»Keineswegs, mein Verstand ist klar wie eh und je.« 
»Dann drück dich deutlicher aus.« 
»Ich bin ja gerade dabei. Du weißt doch, daß Frau Ingwart 
gleich nach dem Tod des Gatten vom Schlag gerührt 
wurde?« 

»Allerdings. Aber was hat das mit dir zu tun? Warum rief 
sie dich überhaupt außer der Zeit zu sich?« 
»Sie rief mich zu sich, weil sie ihr Ende nahen fühlte. Da sie 
ihre Tochter nicht mutterseelenallein zurücklassen wollte, 
bat sie mich, sich ihrer anzunehmen.« 
»Mein Gott, Ralf, du kannst dich als junger Mann doch 
unmöglich mit einem Mädchen belasten!« fiel die Mutter 
ihm erregt ins Wort. 
»Siehst du, Mama, der Ansicht war ich auch. Also habe ich 
der Einfachheit halber dieses Mädchen geheiratet.« 
Entsetzt starrte die Mutter ihren Sohn an, als zweifelte sie 
an seinem Verstand. 

»Ralf, warst du überhaupt zurechnungsfähig? Oder hat dich 
die Frau dazu gezwungen – angesichts unserer Schulden?« 
»Die wir bisher vertragsmäßig abzahlten«, unterbrach er die 
Erregte gelassen. »Also kann von Zwang nicht die Rede sein 
– in keiner Beziehung. Was ich tat, geschah aus freiem 
Willen.« 
»Damit willst du doch nicht sagen, daß du deine Frau aus 
Liebe geheiratet hast?« 
»Genau das.« 
»Warum hast du nie darüber gesprochen? Ich meine, so 
eine Liebe kommt doch nicht von heute auf morgen.« 

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»Das wohl kaum. Aber ich wurde mir dieses Gefühls erst 
recht bewußt, als ich mir vorstellte, daß dieses junge und 

dazu noch schöne Menschenkind nach der Mutter Tod 
schutzlos allen Fährnissen des Lebens ausgesetzt sein 
würde. Es davor zu behüten und zu bewahren, dieser 
Wunsch stieg fordernd in mir auf. Und wie könnte ich das 
wohl besser und einfacher tun als bei meiner Frau?« 
»Das schon«, räumte die Mutter widerwillig ein. »Aber 
mußte diese Heirat denn so überstürzt werden?« 
»Ja. Denn die Tage Frau Ingwarts waren gezählt. Sie sollte 
mit dem Bewußtsein dahingehen, ihr Kind wohlbehütet 
zurückzulassen.« 
»Wann habt ihr geheiratet?« 
»Vor einer Woche.« 

»Aber das ist doch gar nicht möglich. Du warst doch nur 
zwölf Tage von zu Hause fort, und schon die Frist des 
Aufgebots allein…« 
»Man hat eine Ausnahme gemacht«, warf er kurz ein. 
»Jedenfalls sind Lenore und ich vorschriftsmäßig getraut, 
standesamtlich wie auch kirchlich.« 
»Nur deine Mutter wußte nichts davon«, bemerkte sie spitz. 
Er zog ihre Hand an die Lippen und sah sie bittend an. 
»Mama, du bist doch eine vernünftige Frau, nicht wahr? 
Also wirst du auch das verstehen, was gewiß nicht aus 
böser Absicht geschah, sondern vielmehr der Not 
gehorchend.« 

»Mein Gott, wie gräßlich!« schauerte Anka zusammen, die 
dem allen mit atemloser Spannung gelauscht hatte. »So 
heiraten – nein – das könnte ich nicht.« 
»Davor möge dich auch Gott bewahren, mein Kleines«, 
sprach Ralf mit einem warmen Blick auf die um zwölf Jahre 
jüngere Schwester. »Auch für Leonore hoffte ich inbrünstig, 
daß ihre Mutter, an der sie mit ganzer Kindesliebe hing, 
wenigstens noch einige Wochen nach der so traurigen 
Hochzeit gelebt hätte.« 
»Wie verhielt sie sich nach dem Tod der Mutter?« 
»Bewundernswert tapfer, Anka. Ein Trost für sie war, daß 

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ihre Mutschi, wie sie die Mutter manchmal zärtlich nannte, 
mit dem Bewußtsein dahingegangen war, ihr so sehr 

geliebtes Kind in guter Hut zurückzulassen. – Leonore ist 
überhaupt ein tapferes Menschenkind, welches das, was 
ihm das Schicksal in so jungen Jahren an Schwerem 
auferlegte, ohne Klage trug wie eine Selbstverständlichkeit. 
Denn schon mit siebzehn Jahren verlor sie den Vater und 
mußte danach die Mutter pflegen, die durch einen 
Schlaganfall an den Lehnstuhl gefesselt wurde. Das 
bedeutete für das blutjunge Mädchen nicht nur ein 
Entsagen aller Vergnügungen, sondern auch ein gutgerüttelt 
Maß an Arbeit. Denn Leonore mußte ja nicht nur die 
Mutter pflegen, sondern auch den Haushalt versehen, weil 
sie mit den Hausmädchen so böse Erfahrungen machte, 

daß sie lieber auf eine solche Hilfe verzichtete. Und die 
Stundenfrauen waren unzuverlässig. Sie kamen, wann sie 
wollten, oder blieben ganz aus. Also rechnete ihre Arbeit 
kaum, alles blieb an der jungen Leonore hängen. – Wieviel 
besser geht es dir dagegen, Schwesterchen! Unbekümmert 
lebst du dahin.« 
» Na aber, halte dem Kind das nur ja vor!« warf die Mutter 
pikiert ein. »Ich meine, daß gerade Anka auf vieles 
verzichten muß bei dem armseligen Leben, das zu führen 
wir gezwungen sind.« 
»Aber gewiß nicht durch meine Schuld, Mama. Außerdem 
ist die Bezeichnung armselig hier fehl am Platze. Denn wir 

haben ein behagliches Zuhause, sind immer noch satt 
geworden, gehen, wenn auch nicht gerade elegant, so doch 
nett gekleidet, können uns sogar noch manch ein 
Vergnügen leisten; somit gehören wir noch lange nicht zu 
den Armseligen, meine liebe Mama.« 
»Junge, sei doch nicht immer gleich so schroff!« lenkte die 
Frau ein, als sie merkte, daß sie zu weit gegangen war. 
»Bisher kamen wir gan? gut aus – aber wenn du nun 
deinen eigenen Hausstand gründen willst…« 
»Daran ist vorläufig nicht zu denken. Leonore wird 
zunächst einmal bei uns wohnen. Oder bist du damit nicht 

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einverstanden, Mama?« 
Nein, das war sie ganz und gar nicht. Doch was blieb ihr 

anderes übrig, als so zu tun, als ob das der Fall wäre? Denn 
erstens gehörte die Wohnung dem Sohn, weil er die Miete 
zahlte, zweitens trug er noch einen Teil zum gemeinsamen 
Lebensunterhalt bei, was beides aufhören würde, wenn er 
seinen eigenen Hausstand gründete. 
Doch halt, seine Frau bekam ja jetzt laut Vertrag die 
monatlichen Raten. Wenn sie ihnen die erlassen würde? 
Man mußte mal vorsichtig sondieren, wie Ralf darüber 
dachte. 
Doch bevor sie es tun konnte, kam Anka ihr bereits zuvor, 
die aller dings die Worte nicht wog, sondern ungeniert 
herausplatzte: 

»Jetzt sind wir wenigstens unsere Schulden los! Somit hat 
deine Heirat schon etwas für sich.« 
»Halt mal!« unterbrach der Bruder sie scharf. »Deine 
Annahme ist falsch. Wie kommst du überhaupt darauf?« 
»Och, nur so.« Sie schob maulend die Unterlippe vor. 
»Weil es doch unter Eheleuten heißt: Was mein ist, ist auch 
dein.« 
»Das stimmt, soweit es sich auf die Eheleute selbst bezieht, 
aber nicht mehr für deren Anhang.« 
»Aber Ralf, wie kannst du unser Dummchen nur so 
ernstnehmen!« fiel die Mutter hastig ein, um dieses 
verfängliche Gespräch im Keim zu ersticken. »So eine 

Siebzehnjährige spricht doch nur gedankenlos nach, was 
sie hört oder liest. Laß uns lieber beraten, wie wir uns am 
besten einrichten. Wir haben doch nur die drei Zimmer.« 
»Und eins davon gehört mir. Darin wird Leonore mit mir 
wohnen.« 
»Wenn ihr euch damit begnügen wollt, mir soll es recht 
sein. Doch wie wird es mit der Beköstigung?« 
»Da bleibt alles beim alten«, entgegnete er immer noch 
sehr reserviert, was die Mutter zur weiteren Vorsicht 
mahnte. 
Und als der Sohn damit beschäftigt war, seine letzte 

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Zigarette in Brand zu stecken, warf sie der Tochter einen 
verstohlenen Blick zu, der zu warnen schien: Hüte ja deine 

Zunge! 
»Na, schön«, meinte sie, als Ralf das Feuerzeug in die 
Tasche schob und sich im Sessel zurücklehnte. »Ich fürchte 
nur, daß unsere einfache Kost deiner – Frau nicht zusagen 
wird. Denn die Ingwarts hatten doch Geld und werden 
daher gut gelebt haben.« 
»Du scheinst die Vermögenslage zu überschätzen, meine 
liebe Mama«, enttäuschte er sie immer mehr. »Außer der 
Summe, die wir an Leonore zu zahlen verpflichtet sind, 
besitzt sie nicht viel an barem Geld. Ist ja auch egal. 
Schließlich bin ich dazu da, um für meine Frau zu sorgen. 
Da ich als Ehemann in eine höhere Gehaltsstufe komme, 

bin ich in der Lage, für Leonore einen angemessenen 
Pensionspreis zu zahlen, damit du und Anka in keiner 
Weise übervorteilt werden. Noch etwas?« 
O ja, sehr viel! – hätte sie ihm entgegenschreien mögen. 
Aber was würde sie damit erreichen, wenn sie jetzt die 
Beherrschung verlor? Doch nur, daß er für sich und diese 
Lenore eine andere Wohnung suchte. 
Und was wurde dann aus ihr und Anka – ohne den 
Zuschuß des Sohnes? Was ihnen dann blieb, damit 
konnten sie wohl leben, aber wirklich nur mehr schlecht 
als recht. 
So sah nun die Hoffnung aus, welche diese egoistische 

Mutter gerade auf den Sohn gesetzt hatte. Bis vor wenigen 
Stunden noch hatte sie sich in dem schönen Wahn gewiegt, 
daß er Nita Krofft heiraten würde, die sich so eifrig um ihn 
bemühte. Zwar war sie nicht mehr ganz jung und auch 
nicht hübsch zu nennen, hatte außerdem bereits zwei Ehen 
hinter sich – aber sie hatte Geld, von dem sie Ralf eine gute 
Praxis einrichten wollte, wie sie neulich durchblicken ließ. 
Und nun verpfuschte der dumme Junge sich seine Zukunft, 
indem er Hals über Kopf ein Mädchen heiratete, das ihm 
zugelistet wurde! 
Ja, wenn er die Konsequenzen seines törichten Handelns 

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allein tragen müßte – aber leider waren sie und Anka auch 
davon betroffen. Statt in die schmucke Villa Nitas 

einzuziehen, mußten sie nun weiter in der primitiven 
Wohnung leben – dazu noch mit dieser – dieser… 
Oh, hätte Frau Rosalia nur so gekonnt, wie sie wollte! 
Verstohlen sah sie zu Ralf hin, der gedankenvoll dasaß. 
Was er dachte, konnte die Mutter nicht ergründen, weil er 
ihr wesensfremd war. 
»Wenn du mit der jungen Frau zusammen in deinem 
Zimmer wohnen willst, wirst du wohl noch verschiedene 
Sachen anschaffen müssen.« 
»Wie bitte, Mama?« fuhr er aus seinen Gedanken auf, so 
daß sie das Gesagte wiederholen mußte. Dann erst kam die 
Antwort. 

»Nicht erforderlich. Lenore besitzt von ihren Eltern Wohn- 
und Schlafzimmer mit allem Drum und Dran.« 
»Gott, wie altmodisch!« rümpfte Anka das Naschen. »Ich 
würde mich als junge Frau bestimmt nicht mit dem alten 
Kram begnügen.« 
»Mein liebes Kind, dieser Kram, wie du sehr geschmacklos 
zu sagen beliebst, sind Stilmöbel von hohem Wert«, 
versetzte der Bruder gelassen. »Du müßtest schon einen 
wohlhabenden Mann heiraten, damit er dir so wertvolle 
Stücke kaufen könnte. Ich bin ordentlich stolz auf die 
Zimmer, die Lenore auf meinen Wunsch behielt, während 
sie die übrige Einrichtung verkaufte. Bis wir uns eine eigene 

Wohnung leisten können, haben wir das, was in mein 
Zimmer nicht hineingeht, einem Spediteur zur 
Aufbewahrung übergeben.« 
»Wann wirst du dir die Wohnung denn leisten können?« 
warf die Mutter lauernd ein. 
»Wahrscheinlich erst, wenn ich Oberarzt geworden bin. 
Und nun wollen wir schlafen gehen.« 
Das Schlafzimmer, das Mutter und Tochter teilten, war 
bedeutend behaglicher ausgestattet. Denn die Möbel 
stammten noch aus der »Glanzzeit« der Familie Skörsen, 
ebenso die Sachen im Wohnzimmer. Die Einrichtung des 

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Herrenzimmers, des Salons und des reizenden 
Jungmädchenstübchens hatte man vor dem Umzug 

verkauft, weil man, seitdem man die Schulden abzahlen 
mußte, sich keine Sechszimmerwohnung mehr leisten 
konnte. Nicht einmal für eine Dreizimmerwohnung 
inmitten der Stadt reichte es; denn bekanntlich sind in der 
Großstadt die Mieten hoch. 
Also zog man dahin, wo sich die Füchse gute Nacht sagten, 
wie es Anka maulend bezeichnete. Das Haus befand sich 
nämlich so weit außerhalb der Stadt, daß man eine 
Viertelstunde benötigte, um die Endstation der 
Straßenbahn zu erreichen. 
Übrigens war das, was ihr zur Verfügung stand, gar nicht so 
armselig, wie die gute Frau Rosalia es mit Vorliebe betonte, 

weil der Sohn sein Gehalt bis auf ein Taschengeld hergab. 
Wie die Mutter nun damit wirtschaftete, darum kümmerte 
er sich nicht. Also war ihm auch nicht bekannt, daß sie 
durchaus nicht sparte, soweit es sie und Anka betraf. Nur 
wenn der Sohn ein Kleidungsstück brauchte, machte sie 
daraus fast eine Staatsaktion. 
Wie die meisten Mütter, so hatte auch diese Mutter mit 
ihren Kindern große Pläne. 
Ach, wie hatte Frau Rosalia in Zukunftsplänen geschwelgt, 
die der rücksichtslose Sohn nun heute so brutal 
durchkreuzte! Und als Anka gar noch darüber zu 
räsonieren begann, hielt die ohnehin schon gereizte Frau 

sich verzweifelt die Ohren zu. 
»Hör bloß auf, sonst werde ich noch verrückt! Ohrfeigen 
könnte ich den Narren für seine Eselei, eine so gute Partie 
auszuschlagen und sich mit einer Frau zu belasten, die er 
ernähren muß! Das hätte er bei Nita wahrlich nicht nötig 
gehabt. Mit einem Schlage wären wir aus der Misere 
herausgekommen. Statt dessen wird uns jetzt noch eine 
Person mehr aufgehalst. Ja, wenn wir dadurch wenigstens 
unsere Schulden loswürden – aber du hörtest ja, daß wir 
nach wie vor die monatlichen Zahlungen leisten müssen. 
Eine direkt hirnverbrannte Idee, die nur so ein 

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lebensuntüchtiger Mensch wie Ralf haben kann.« 
»Warum hast du ihm das alles nicht gesagt?« fragte Anka. 

Einige Male holte die Mutter tief Luft. 
»Weil ich mir das nicht leisten kann. Du kennst Ralf doch 
und mußt daher wissen, daß er aus allem die 
Konsequenzen zieht. Also würde er es in diesem Fall tun, 
indem er sich und seine Frau woanders einmietete. Damit 
fiele seine Unterstützung fort, die immerhin so viel 
ausmacht, daß wir hier frei wohnen und von seinem 
Pensionsgeld noch ganz nett etwas für uns erübrigen 
können. Wären wir jedoch auf das angewiesen, was uns 
nach Abzahlung der Raten bliebe, würdest du wohl auf 
manches verzichten müssen, meine liebe Anka.« 
»Das wäre ja gräßlich!« 

»Finde ich auch. Daher wählen wir das kleinere Übel und 
nehmen Ralfs Frau auf, zumal er einen angemessenen 
Pensionspreis für sie zahlen wird.« 
»Mama, warum müssen wir bloß so armselig sein!« 
»Weil dein gewissenloser Vater uns dahin gebracht hat«, 
kam es verbissen zurück. »Das weißt du doch genausogut 
wie ich.« 
»Nur, daß ich mehr darunter leiden muß als du«, maulte 
die verzogene Tochter. »Denn du bist alt…« 
»Wer ist hier alt, wie?« warf die Mutter scharf ein, die es 
nun einmal nicht vertragen konnte, an ihr Alter gemahnt 
zu werden. »Ich befinde mich immer noch in den besten 

Jahren – bin gerade knapp fünfzig.« 
Was Anka gern mit Hinzufügen von sechs Jahren 
richtiggestellt hätte. 
Eben war diese bemüht, ihr Korsett abzulegen, das die 
Kleine bei sich mit »Panzer« zu bezeichnen pflegte und das 
alles einzwängen mußte, was gar zu üppig geworden war. 
Daß die Mama in einem solchen Ding überhaupt atmen 
konnte, war der Tochter ein Rätsel, die bei ihrer Magerkeit 
einen Panzer wahrlich nicht benötigte – Gott sei Dank! wie 
sie dachte. 
Mit dieser Frohlockung schlüpfte sie unter die 

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Daunendecke. 
Am nächsten Tag trafen die von Ralf erwarteten Möbel ein 

und konnten aufgestellt werden, nachdem die 
Möbelräumer die Sachen, die bisher in Ralfs Zimmer 
gestanden hatten, auf den Boden gebracht hatten. Mit 
einem guten Trinkgeld zogen sie ab, was Frau Rosalia mit 
einem süßsauren Lächeln zur Kenntnis nahm, während 
Anka ungeniert herausplatzte: 
»Ralf, kannst du aber nobel sein! Wenn doch auch ich 
einmal etwas davon zu spüren bekäme! Doch da hältst du 
dein Portemonnaie verschlossen, wie die Muschel ihre 
Perle. Aber weißt du, die Möbel sind doch ganz nett.« 
»Beruhigt mich ungemein«, kam es trocken zurück. 
»Nämlich, daß der Kram Gnade vor deinen Augen findet.« 

Von der Frau Mama wurden die Sachen von vornherein 
verächtlich abgetan, was bei ihrer Voreingenommenheit gar 
kein Wunder war. Was konnte schließlich von »diesen 
Leuten« Gutes kommen? Sie hütete sich jedoch, dem Sohn 
gegenüber derartiges lautwerden zu lassen, enthielt sich 
überhaupt jeder Kritik, während Anka diese ohne jede 
Hemmung kundtat. 
Jedes Stück, das der Bruder den Koffern und Kisten 
entnahm, wurde von ihr bewundert oder kritisiert. Doch 
als das Zimmer komplett eingerichtet war, mußte sie 
zugeben, daß ihr eigenes dagegen geradezu schäbig wirkte. 
Und was die Tochter aussprach, dachte die Mutter. Und 

nun kam zu der Abneigung, die sie ohnehin für die 
Schwiegertochter hegte, auch noch der Neid – eine Wurzel 
vielen Übels. 
Hätte Ralf seine Mutter besser gekannt, so hätte er seine 
junge, unerfahrene Frau gewiß nicht hierher gebracht. Aber 
leider kannte er sie nur so, wie sie sich gab, nicht so, – wie 
sie wirklich war. 
Anka hingegen kannte die Mutter, da diese es nicht für 
nötig hielt, sich in Gegenwart der Tochter Zwang 
aufzuerlegen – weil sie ja von dieser nicht abhing. Und 
wäre Anka nicht so oberflächlich und dickfellig gewesen, 

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dann hätte sie die unangenehme Art der Mutter wohl kaum 
auf die Dauer ertragen. So jedoch nahm sie diese 

gleichmütig hin, zumal sie von Frau Rosalia verhätschelt 
und dem Bruder gegenüber stets in Schutz genommen 
wurde, wenn er an der Schwester etwas auszusetzen fand. 
So auch jetzt, als Anka voller Neugierde die Kleider aus 
dem großen Koffer zerrte, den Ralf geöffnet hatte. 
»Laß die Hände weg, Anka!« gebot er unwillig – und schon 
schnappte die Frau Mama ein. 
»Komm, mein Kind, wir sind hier unerwünscht.« 
Damit zog sie die Tochter energisch mit sich und schloß 
die Tür mit Nachdruck, was Ralf nur recht war. Nun konnte 
er wenigstens in Ruhe die Sachen in Schrank und 
Schubladen tun, ohne daß die neugierige Kleine alles 

durcheinanderbrachte. 
Nachdem alles fein säuberlich verstaut war, nahm der 
junge Arzt in einem Sessel Platz und steckte eine Zigarette 
in Brand. Dabei ließ er die Blicke durch das Zimmer 
schweifen. 
Der große dicke Teppich, der so lange im Wohnzimmer der 
Ingwarts gelegen, hatte jetzt seinen Platz in dem 
kombinierten Wohn- und Schlafgemach, ihm Wärme und 
Traulichkeit verleihend. Auf den Bett glänzten die 
Daunendecken in ihrem stickereibesetzten Überschlag. 
Dieselbe Stickerei wiesen auch die Kissen auf, denen man 
die Daunenfüllung geradezu ansah. Die eine Querwand 

nahm der wuchtige Garderobenschrank ein. Die dazu 
passende Kommode, die Frisiertoilette, der Hocker davor 
und zwei Stühle machten die Schlafzimmereinrichtung 
komplett. 
Die anderen Möbelstücke waren dem Wohnzimmer 
entnommen: zwei weiche, bequeme Sessel, die in einer 
Ecke standen, dazwischen der reichgeschnitzte Klubtisch. 
Zwischen den beiden Fenstern stand schräggestellt der 
Schreibtisch. Dann gab es noch einen Schrank, oben mit 
Glas, unten mit Schüben. Das alles zusammen bot einen 
höchst erfreulichen Anblick. 

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Nur die billigen Gardinen wollten zu dieser Möblierung 
durchaus nicht passen, ebenso die Lampe nicht. Aber 

dieses beides stammte eben aus der bescheidenen 
Einrichtung des ebenso bescheidenen Mannes, der es noch 
gar nicht fassen konnte, daß er dieses wunderbare Zimmer 
nur bewohnen sollte, zusammen mit der Frau, die ihm so 
herrliche Dinge in die Ehe brachte. Und wenn er noch alles 
das dazurechnete, was bei einem Spediteur untergestellt 
war, so hatte er eigentlich eine ganz gute Partie gemacht. 
Das sagte er auch der Mutter, als er später deren 
Wohnzimmer betrat, wohin sie sich mit Anka 
zurückgezogen hatte. Und obwohl sie anderer Ansicht war, 
enthielt sie sich jeder Äußerung, während Anka ihr 
vorlautes Zünglein wieder einmal nicht zügeln konnte. 

»Bist du bescheiden!« rümpfte sie das Stupsnäschen. »Du 
hättest eine ganz andere Partie machen können.« 
»Anka!« griff die Mutter mahnend ein. »Was redest du nur 
wieder für einen Unsinn! Übrigens hast du uns noch gar 
nicht verraten, wo deine Frau sich zur Zeit befindet, mein 
lieber Junge. Etwa noch in der alten Wohnung?« 
»Nein, Mama, die ist seit vier Tagen geräumt. Bevor ich 
herkam, brachte ich Lenore in einem Fremdenheim unter. 
Ich wollte sie erst abholen, wenn das Zimmer hergerichtet 
ist. Das sind wir ihr ja wohl schuldig, deren* Vater so viel 
für uns tat.« 
»Wann kommt sie her?« fragte sie jetzt lauernd. 

»Morgen. Entschuldige bitte, daß ich aufbreche, aber ich 
muß mich beeilen, damit ich den Zug erreiche.« 
»Du holst sie ab?« 
»Natürlich.« 
Nachdem er gegangen war, konnte die erboste Mutter nun 
endlich der Tochter gegenüber ihrem Ärger Luft machen. 
»So viel Aufhebens ist dieses dumme Ding doch nun 
wirklich nicht wert. Als ob sie nicht ohne ihn herfinden 
könnte. Diese unnötige Reise ist doch nichts weiter als 
Geldvergeudung.« 
Nach zwei Stunden Fahrt hatte Dr. Skörsen sein Ziel 

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erreicht und wurde auf dem Bahnsteig von seiner jungen 
Frau empfangen, die sich an seinen Arm hängte und die 

Wange an seinem Ärmel rieb gleich einem zärtlichen 
Kätzchen. 
»Wie bin ich froh, daß du da bist«, bekannte sie leise, und 
neckend kam die Frage: 
»Hast du etwa angenommen, daß ich dich sitzenlassen 
könnte – nach einwöchiger Ehe?« 
»Ist alles schon dagewesen.« 
»Aber nicht bei mir, du Dummes«, lachte er, ihren Arm an 
sich drückend und mit ihr dem Ausgang des Bahnhofs 
zustrebend. 
Ein schönes Paar, wie es unser Herrgott nicht oft 
zusammenbringt. Er hochgewachsen, blondhaarig, 

blauäugig, mit rassigem Kopf und scharfgeschnittenem 
Gesicht; sie mittelgroß, grazil, mit goldbraunem Gelock 
und feinem Gesicht. 
Jetzt allerdings lag darüber ein trüber Schein, wie es bei 
Augen der Fall ist, die viele Tränen vergossen haben – was 
Lenore nach der Mutter Tod reichlich tat. 
Drei Jahre hindurch hatte nun das blutjunge 
Menschenkind die Kranke mit rührender Sorgfalt gepflegt. 
Hatte mit Selbstverständlichkeit auf die Vergnügungen 
verzichtet, die ihm die Krankenpflege unmöglich machte. 
Hatte allabendlich den Höchsten angefleht, ihm das 
Liebste, was es hatte, noch viele Jahre zu erhalten. 

Allein gegen den Tod ist nun einmal kein Kraut gewachsen. 
Diese Erkenntnis traf die mittlerweile zwanzig Jahre alt 
gewordene Lenore so schwer, daß sie wohl am Leben 
verzweifelt wäre, wenn nicht in ihrer seelischen Not ein 
Retter erschienen wäre – und dieser Retter hieß Ralf 
Skörsen, für den sie schon vom ersten Sehen an eine 
Schwärmerei hegte. Dieses erste Sehen geschah am Grab 
ihres Vaters und wurde dann zum Wiedersehen, viermal im 
Jahr. Denn pünktlich alle drei Monate stellte Dr. Skörsen 
sich ein, um nach der Gelähmten zu sehen. Die wenigen 
Stunden, die er dann verweilte, wurden für Mutter und 

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Tochter zu Feierstunden. 
Als der Arzt sich wieder einmal verabschiedet hatte und 

Lenore ihm nachschaute, fragte die Mutter behutsam: 
»Nicht wahr, mein Kind, du hast Ralf lieb?« 
»Aber, Mutti, wie kommst du denn darauf?« fragte das 
Mädchen zurück, während ihm heiße Röte ins Gesicht 
stieg, ganz langsam, hinauf bis zum goldenen Gelock. »Ich 
mag ihn natürlich schrecklich gern, freue mich, wenn er 
kommt, und bin…« 
»Traurig, wenn er geht«, vollendete die Ältere lächelnd den 
stockenden Satz. »Daraus brauchst du doch deiner Mutter 
gegenüber kein Geheimnis zu machen.« 
»Wäre mir auch gar nicht eingefallen, wenn ich das 
Geheimnis nur selbst gewußt hätte«, kam es kläglich 

zurück. »Da mußtest du mich erst mit der Nase 
daraufstoßen. Ach, Mutschi, nun liegt mein Herz vor dir 
ganz nackt und bloß.« 
Dieses Gespräch brachte Frau Ingwart eine Gewißheit, die 
ihr sorgendes Mutterherz ruhiger werden ließ. 
Und als sie einige Zeit darauf ihr Ende nahen fühlte, rief sie 
Dr. Skörsen zu sich und konnte mit dem beruhigenden 
Gefühl die Augen schließen, ihr junges, unerfahrenes Kind 
nicht nur in guter Hut zurückzulassen, sondern auch am 
Herzen des Mannes, den es liebte. 
Am nächsten Vormittag fuhr das junge Paar der Stadt zu, 
die Lenore fortan Heimat sein sollte. 

Das Gehetze der Menschen, überhaupt das ganze nervöse 
Treiben, das nun einmal auf den Bahnhöfen herrscht, 
wirkte beängstigend auf sie. Kein Wunder, da sie drei Jahre 
lang kaum aus den vier Wänden des Krankenzimmers 
herausgekommen war. 
Endlich war es soweit, daß sie sich in die Ecke des Abteils 
setzen konnte, wo sie sich richtig geborgen fühlte. Mit 
einem Neidgefühl sah sie auf den Gatten, dem der Trubel 
so gar nichts ausmachte – genausowenig wie früher ihr, als 
sie noch mit den Eltern weit gereist war. Wie unbekümmert 
war sie damals gewesen, eben wie ein behütetes Kind, das 

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die Eltern für sich sorgen ließ, ihnen folgte in 
unbegrenztem Vertrauen. 

Und weshalb hatte sie dieses Vertrauen nicht auch zu dem 
Gatten? Er war doch lieb zu ihr – und dennoch hatte sie 
ihm gegenüber Hemmungen. Das kam wohl daher, daß sie 
ihn zu wenig kannte. 
Dennoch liebte sie ihn – oder nicht? Wenn sie doch die 
Mutter fragen könnte, ob das, was sie für Ralf empfand, 
wirklich die echte Liebe war, die, wie es in der Bibel heißt, 
nimmer aufhört! Aber ihre geliebte Mutschi lag ja auf dem 
Friedhof – nie mehr würde sie ihre gütige Stimme hören, 
nie mehr ihr liebes Lächeln sehen – nie mehr. 
Nicht weinen, nur nicht weinen! sprach das junge 
Menschenkind mit dem wunden Herzen sich selbst gut zu. 

Sie schrak aus ihren schmerzlichen Gedanken auf, als jetzt 
die Abteiltür zugeworfen wurde. Gleich darauf setzte sich 
der Zug in Bewegung. 
Und nun kamen Lenore die Tränen. 
Ein wehes Schluchzen klang auf, und erschrocken sah 
Lenore zu dem Mann hin, der ihr gegenübersaß, 
wahrscheinlich hatte er nichts gehört, sonst hätte er doch 
wenigstens von der Zeitung aufgeschaut, in die er so vertieft 
war, daß er nichts anderes sah. 
Ein bitteres Gefühl stieg in Lenore auf, als sie sich fester in 
die Ecke drückte. Dabei stieß sie mit der Fußspitze an das 
Bein des Gatten, so daß er erschrocken hochfuhr. 

»Verzeihung, Ralf, das war ungeschickt von mir«, sagte sie 
leise unter seinem forschenden Blick. 
»Du weinst, Lenore?« 
»Nur so ein bißchen. Entschuldige, bitte.« 
»Vor allen Dingen entschuldige du, daß ich mich so gar 
nicht um dich kümmerte. Aber der Artikel im Fachblatt – es 
ist so interessant…« 
»Dann lies nur ruhig weiter«, unterbrach sie ihn freundlich. 
Gleich darauf betrat ein Herr das Abteil, welches das junge 
Paar bisher allein gehabt hatte. Der Hinzugekommene 
machte den Eindruck, als ob er sich selbst nicht leiden 

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könnte. 
»Machen Sie das Fenster auf!« gebot er barsch, während er 

sich bemühte, den Koffer ins Netz zu heben, wobei er mit 
besonderem Ungeschick vorging. »Es ist ja hier eine Luft 
zum Ersticken.« 
»Bedauere sehr«, entgegnete Ralf kühl. »Sie sehen doch, wie 
die Tropfen gegen die Scheiben schlagen.« 
»Was ist schon dabei?« 
»Daß es bei geöffnetem Fenster hereinregnen würde… Ja, 
sind Sie denn ganz von Gott verlassen?« 
Mit diesem empörten Ruf sprang Ralf auf und griff nach 
dem schweren Koffer, der unweigerlich auf Lenore gefallen 
wäre, hätte der Gatte nicht so schnell gehandelt. 
Anstatt sich nun zu entschuldigen, knurrte der 

Ungeschickte wie ein böser Kettenhund. Bedankte sich 
auch nicht, als der Arzt den Koffer ins Netz hob, sondern 
drückte sich in die dritte Ecke des Abteils und spielte mit 
sich selbst böse. 
Doch nur Sekunden war ihm das Spezialvergnügen 
gegönnt. Es kam nämlich eine junge Frau dazu. Man sah 
ihr auf den ersten Blick an, daß sie sich nicht so ohne 
weiteres die Butter vom Brot nehmen ließ. Auf dem einen 
Arm trug sie ein Baby, das aus Leibeskräften schrie, der 
andere Arm schleppte eine vollgestopfte Tasche, aus der es 
überquoll. 
»Was wollen Sie denn mit dem Schreihals hier?« fuhr der 

Choleriker sie an, worauf sie ihn zuerst verdutzt ansah und 
dann schnippisch bemerkte: 
»Fahren natürlich, wie Sie ja auch.« 
»Aber nicht in diesem Abteil.« 
»Warum denn nicht?« 
»Weil ich Kindergebrüll nicht vertragen kann.« 
»Dann müssen Sie zu Hause bleiben. Denn auch 
Schreihälse haben das Recht, mit der Bahn zu fahren. – 
Danke, mein Herr!« Das galt dem Arzt, der ihr die schwere 
Tasche abnahm. »Bitte, nicht ins Netz tun, da ist nämlich 
so allerlei darin, was der Junge braucht. Stellen Sie also das 

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Ding auf den Sitz!« 
»Das ist verboten!« belferte der Mann in der Ecke 

dazwischen. »Der Sitz muß für die Reisenden freibleiben.« 
»Wenn noch welche hinzukommen sollten, werde ich mich 
schon danach richten.« 
»Moment mal«, fiel Ralf hastig ein, indem er aufsprang und 
zu dem Herrn trat, der mit schmerzverzogenem Gesicht 
dasaß und die Hand rechtsseitig auf die Magengegend 
drückte. Der Mund war verkrampft, und auf der Stirn 
perlten Schweißtropfen. 
»Ich bin Arzt, mein Herr, und möchte Ihnen helfen. Ist es 
die Galle?« 
»Ja. Bitte, eine Spritze.« 
»Die habe ich leider nicht bei mir. Ist es denn so arg?« 

»Es fängt erst an, aber bald wird’s unerträglich werden, das 
kenne ich aus Erfahrung. Wenn ich wenigstens Wasser 
hätte, um eine Tablette nehmen zu können.« 
»Das hole ich Ihnen rasch aus dem Speisewagen.« 
»Damit kann auch ich aushelfen«, meldete sich die junge 
Frau, die angesichts des leidenden Mannes ihre 
Rachegelüste vergessen hatte. »Ich habe nämlich immer auf 
Reisen eine Flasche Wasser bei mir, für alle Fälle!« 
Schon hatte Lenore das Baby wieder auf dem Schoß, das 
jetzt jedoch friedlich war, weil es satt war und schlief. 
Flinke Hände kramten in der Tasche und förderten nicht 
nur eine Flasche Wasser, sondern auch einen Becher zutage. 

Indes hatte der Arzt sich von dem Herrn die Tabletten 
zeigen lassen, die dieser der Rocktasche entnahm. 
»Das Mittel ist gut, wenn auch stark. Vom Arzt verordnet?« 
»Na, was denn sonst? Ohne Rezept kriegt man die Dinger 
ja nicht.« 
»Ein Glück. Und nun geben Sie mal her, meine kleine 
Gnädige. Sie sammeln ja direkt feurige Kohlen auf das 
Haupt Ihres Widersachers.« 
»Wenn er Schmerzen hat, muß man doch schon«, lachte sie 
Ralf an, daß die Zähne nur so blitzten. 
Sie war überhaupt eine hübsche Frau – rosig, mollig, 

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blitzsauber. Ein rasches Mundwerk, aber ein gutes Herz. 
Nachdem der Leidende die Tablette geschluckt hatte, 

knurrte er den jungen Mann an: 
»Danke, Sie sollten sich um einen so unleidlichen Kerl gar 
nicht bemühen.« 
»Dafür bin ich Arzt«, kam es ruhig zurück. »Haben Sie noch 
weit zu fahren?« 
»Auf der nächsten Station steige ich aus. Ich will dort ins 
Krankenhaus zur Beobachtung. Da sollen die Ärzte eine 
Menge verstehen. Hauptsächlich der eine Arzt. Skörsen 
heißt er wohl.« 
In Ralfs Augen blitzte es auf, allein er gab sich nicht zu 
erkennen. Auch nicht, als die junge Frau eifrig sagte: 
»Da kann sich der Herr mir anschließen. Ich will nämlich 

auch ins Krankenhaus, wo dieser Dr. Skörsen arbeitet.« 
»Nanu, was wollen Sie denn da?« fragte Ralf verwundert. 
»Sie schauen doch aus wie das blühende Leben.« 
»Ich will ja auch nicht als Patientin ins Krankenhaus, 
sondern anders. Mein Mann ist nämlich dort Portier. Er 
heißt Ewald Druschke. Gott, was bin ich froh, daß der alte 
Portier gestorben ist und Ewald nicht nur seinen Posten, 
sondern auch seine Wohnung bekommen hat! Ach herrje, 
da fahren wir ja schon in den Bahnhof ein, und hier liegt 
alles herum wie in Sodom und Gomorrha.« 
Schon stopfte sie alles kunterbunt in die Tasche, bis diese 
seitwärts wie ein Ballon anschwoll und oben heraushängen 

ließ, was beim besten Willen nicht mehr Platz hatte. 
Ihr Kind schien die Aufgeregte vergessen zu haben, und 
hätte Lenore sie nicht daran erinnert, wäre die Mutter wohl 
ohne es ausgestiegen. 
»Richtig, der Junge!« klatschte sie mit der flachen Hand vor 
die Stirn. »Na, so was! Komm her, mein Süßer, was hast du 
bloß für eine Rabenmutter! – Da hält der Zug ja schon. 
Kommen Sie mit, Sie kranker Herr?« 
»Gott soll mich bewahren!« hob dieser entsetzt die Hände. 
Da wandte sie sich achselzuckend ab, während er sich 
bemühte, seinen Koffer aus dem Netz zu ziehen. 

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»Lassen Sie mich das machen«, schob Ralf ihn zur Seite. 
»Der Koffer ist für Sie doch viel zu schwer. Konnten Sie ihn 

denn nicht aufgeben?« 
»Nein«, kam es verdrießlich zurück. »Es wird so viel 
gestohlen.« 
»Gehen Sie schon voran, ich folge Ihnen mit dem Gepäck.« 
»Danke, das trage ich selber.« 
Damit riß er dem Arzt förmlich den Koffer aus der Hand 
und hastete so schnell davon, als wäre ihm das Angebot 
des jungen Mannes nicht geheuer. 
Ralf wandte sich nun Lenore zu, die dem allem mit 
gemischten Gefühlen gefolgt war. 
»Ich muß hinter dem Mann her, damit er nicht 
zusammenklappt«, erklärte er hastig. »Muß ihn ins 

Krankenhaus bringen.« 
»Aber du hast doch heute und morgen noch Urlaub«, wagte 
die Gattin einzuwenden. 
»Wenn ein hilfloser Kranker den Arzt braucht, gibt es für 
diesen keinen Urlaub. Geh in den Wartesaal und warte da 
auf mich.« 
Fort war er, und Lenore kam sich vor wie ein Kind, das die 
Mutter im Dunkeln allein gelassen hatte. 
Obwohl das große Gepäck mit den Möbeln zusammen 
vorausgeschickt worden war, hatte Lenore doch manches 
an Handgepäck bei sich. 
Die Decke über die Schulter geworfen, die Handtasche 

unter einen, den Schirm unter den anderen Arm geklemmt, 
in jeder Hand einen Koffer, so wankte Lenore den D-
Zuggang entlang. Sie hatte alle Mühe, nicht die Balance zu 
verlieren, als sie über das Trittbrett auf den Bahnsteig 
kletterte. 
Doch kaum stand sie unten, als sie hinter sich eine 
bekannte Stimme hörte: 
»Herrje, Fräulein, Sie sind ja der reinste Packesel! Los, 
Ewald, nimm der Ärmsten was ab, sie hat im Zug so lieb 
unseren Jungen gehalten.« 
»Na, dann geben Sie mal her, Fräuleinchen!« Ein Mann 

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stand jetzt vor Lenore – groß und breit wie ein Haus. »Was 
Sie Küken da mühsam schleppen, nimmt unsereins auf den 

kleinen Finger.« 
»Aber Sie haben doch das Kind auf dem Arm und in der 
anderen Hand die Tasche.« 
»Die kann meine Frau tragen, außerdem noch Ihre Decke. 
Den größeren Koffer geben Sie mir, ich gehe bestimmt 
nicht mit ihm durch.« 
»Nehme ich auch gar nicht an.« 
»Dann sind wir uns ja einig.« 
Kurz und bündig nahm er ihr den Koffer aus der Hand und 
reichte die Decke seiner Frau, die lachend sagte: 
»Ja, ja, mein Ewald fackelt nicht lange.« 
Danach setzte man sich einträchtig in Bewegung und 

strebte dem Bahnhofsgebäude zu. 
Auf einmal sagte der Mann überrascht: 
»Nanu, da geht doch unser Doktor durch die Sperre mit 
einem Herrn am Arm, der ganz wacklige Beine hat!« 
»Was, das ist euer Doktor?« unterbrach seine Frau ihn 
perplex. »Du, da kann ich dir erklären, was es mit dem 
Herrn für eine Bewandtnis hat.« 
Sie erzählte nun von dem Intermezzo im Zug, und Ewald 
nickte stolz. 
»Ganz unser Dr. Skörsen. Wo es etwas zu helfen gibt, da 
packt er zu. Und gar noch bei einem Kranken. Den liefert 
er bestimmt im Krankenhaus ab, obwohl er das gar nicht 

nötig hat, weil er in Urlaub ist. Heiratsurlaub hat er.« 
»Uije, Ewald, ich glaube, daß ich mich im Abteil nicht 
gerade fein benommen habe«, bekannte seine Ehehälfte 
kläglich. »Aber wie konnte ich auch wissen, daß es euer 
Doktor war? Der wird einen guten Begriff von mir gekriegt 
haben.« 
»Glaub ich auch«, schmunzelte der Hüne. »Na, laß man, 
Fridchen. Der Mann ist als Arzt an weibliche Beredtsamkeit 
gewöhnt.« 
Indes hatten auch sie die Sperre passiert, und nun meldete 
sich Lenore, die bisher schweigend mit dem Ehepaar 

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gegangen war. 
»Darf ich meinen Koffer haben, Herr Druschke? Ich muß 

nämlich in den Wartesaal, wo ich abgeholt werde.« 
»Das beruhigt mich«, tat Fridchen großartig. »Sie sehen mir 
so aus, als ob Sie sehr schüchtern wären. Denk dir bloß, 
Ewald, kein Wort hat sie im Zug gesprochen!« 
Lenore sah ihnen amüsiert nach, bis sie ihrem Blick 
entschwanden. Dann ging sie in den Wartesaal, der so 
überfüllt war, daß sie in einer Ecke gerade noch einen Tisch 
erwischte, der nur zwei Personen Platz bot. Hoffentlich 
blieb der andere Stuhl unbesetzt; denn ihr lag gar nicht 
daran, Gesellschaft zu bekommen. Ihr genügte die 
vollkommen, die sie im Abteil gehabt hatte. 
Still weinte sie in sich hinein und schrak zusammen, als 

eine angenehme Stimme neben ihr sprach: 
»Ist dieser Stuhl noch frei?« 
»Ja, bitte.« 
»Danke sehr«, ließ die Dame mittleren Alters sich nieder. 
»Habe ich denn doch noch den letzten Platz erwischt!« 
Sie zog ein Päckchen mit belegten Broten aus der großen 
Tasche und biß gleich darauf so herzhaft in eine Schnitte, 
daß Lenore tatsächlich das Wasser im Mund zusammenlief. 
Sie hatte nämlich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, 
und jetzt war es bereits über die Kaffeezeit hinaus. 
Verlegen senkte sie die Augen, als die Dame sie so 
forschend ansah, als wollte sie ihre Seele ergründen; doch 

der Blick hatte etwas Gütiges, Mütterliches. 
Lenore hatte keine Ahnung, wie sehnsüchtig der Blick war, 
mit dem sie die Dame musterte. Sie ahnte auch nicht, daß 
diese sofort ihre verweinten Augen bemerkt hatte. 
Sollte dieses junge, schöne Geschöpf etwa…? 
»Gertraude, kombiniere nicht!« hörte sie so deutlich des 
Gatten Stimme, als ob er neben ihr wäre. 
Da lachte sie ein gutes, herzliches Lachen, das Lenore 
entzückte, denn so hatte ihre Mutter einst gelacht. 
Und schon kamen wieder die Tränen, deren die junge Frau 
sich schämte. Um so mehr noch, als die Dame nun 

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behutsam fragte: 
»Mein liebes Fräulein, fühlen Sie sich nicht wohl?« 

»Doch, gewiß«, kam die Antwort verwirrt. »Ich habe wohl 
nur Hunger.« 
»Muß der aber groß sein«, bemerkte ihr Gegenüber trocken. 
»Nun, dem ist rasch abzuhelfen. Darf ich Ihnen eine 
Schnitte anbieten?« 
»O ja, danke, sehr gern nehme ich sie. Ich habe nämlich 
seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.« 
»Dann allerdings. Bitte, sich zu bedienen!« 
Damit schob sie Lenore die Brote zu, und als diese danach 
griff, bemerkte sie an der Rechten den schmalen Reif, 
dessen Gold so neu und unbenutzt funkelte. 
Das gab der guten Gertraude noch mehr zu kombinieren. 

Doch sie ließ sich nichts anmerken, sondern sagte lachend: 
»Wie ich sehe, sind Sie verheiratet. Entschuldigen Sie die 
falsche Bezeichnung, aber Sie sehen wirklich noch so ganz 
und gar fräuleinhaft aus.« 
»Ich bin ja auch erst eine Woche verheiratet.« 
»Und dann weinen Sie schon? Kindchen, wo gibt es denn 
so was! Scheint ein böser Barbar zu sein, der Herr 
Gemahl!« 
Da mußte Lenore denn doch lachen, wenngleich ihr 
wahrlich nicht danach zumute war. 
In dem Moment trat der junge Arzt an den Tisch und sagte 
zufrieden: 

»Du bist ja so vergnügt, Nore, das beruhigt mich ungemein. 
Ich hatte nämlich schon Gewissensbisse, daß ich dich so 
lange allein ließ, aber es ging wirklich nicht anders. Es freut 
mich, daß du Gesellschaft hast.« 
»Die sich gleich auf die Strümpfe machen wird, weil der 
Zug nicht wartet«, warf die Fremde ein, indem sie die Brote 
in die Tasche tat und aufstand. 
»Leben Sie wohl, kleine Frau. Lachen Sie viel, dann sehen 
Sie nämlich bezaubernd aus.« 
Lenore verschmitzt zuwinkend, nahm sie die Tasche auf 
und setzte sich in Bewegung. 

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Ralf fragte unangenehm berührt: 
»Kennst du die Dame, weil sie so vertraut tat?« 

»Nein, ich kenne sie nicht. Sie setzte sich zu mir an den 
Tisch und gab mir eine Schnitte ab, weil ich sehr hungrig 
war. Schließlich habe ich seit dem Frühstück nichts mehr 
gegessen.« 
»Aber es gibt doch hier zu essen.« 
»Wenn man Glück hat. Und das hatte ich nicht, weil die 
Bedienung nicht zu erwischen war.« 
»Es ist heute auch ganz besonders voll hier. Es tut mir leid, 
Nore.« 
»Ach, laß doch, jetzt bist du ja da. Es wird wohl nicht das 
letzte Mal sein, daß ich auf dich warten muß, dafür bist du 
Arzt. Wie wurde es übrigens mit dem kranken Herrn?« 

»Wir erreichten gerade so knapp das Krankenhaus, als die 
Schmerzen richtig losbrachen. Allerdings mußte ich eine 
Taxe nehmen und sie auch bezahlen, da Herr Gompa sich 
weigerte, es zu tun. Wenn ich so großspurig wäre, eine Taxe 
zu nehmen, dann müßte ich sie auch bezahlen, meinte er.« 
»Wenn er noch so couragiert sein konnte, werden die 
Schmerzen nicht arg gewesen sein«, meinte Lenore. 
Als sie am Portal des Bahnhofsgebäudes anlangten, regnete 
es so arg, daß Ralf sagte: 
»Da hilft nun nichts, ich muß eine Taxe nehmen, obgleich 
ich heute bereits eine bezahlte. Aber bis wir zur 
Straßenbahn kommen und dann wieder von der 

Endstation bis nach Hause, wären wir naß wie gebadete 
Katzen.« 
Also winkte er eine Taxe herbei und stieg zuerst ein, was 
ihm erst bewußt wurde, als Lenore hinterherkam. 
Dunkel schoß ihm das Blut ins Gesicht, doch er 
entschuldigte sich erst, nachdem der Wagen sich in 
Bewegung gesetzt hatte. Da legte er den Arm um die grazile 
Gestalt und zog sie dicht zu sich heran. 
»Verzeih, Norelein«, murmelte er beschämt. »Ich benehme 
mich heute einfach unglaublich. Wird dir nicht angst, 
einen solchen Banausen geheiratet zu haben?« 

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»Ich glaube schon«, lachte sie ihn so lieblich an, daß er sich 
beherrschen mußte, sie nicht ganz toll und heiß zu küssen, 

wozu er durchaus berechtigt war. Aber der Chauffeur störte 
ihn. 
Schön ist das jetzt, dachte Lenore beglückt, sich fester in 
den Arm des Gatten schmiegend. 
Aber bald werde ich in meinem neuen Zuhause sein. Was 
wird mich dort erwarten? Ich habe Angst. 
Daß diese Angst nicht unbegründet war, merkte die junge 
Frau sofort, als sie den Anverwandten gegenüberstand. 
Nein, sie gefielen ihr nicht. Nicht die üppige Frau mit der 
eingepferchten Figur, der zu jugendlichen Kleidung, dem 
geschminkten Gesicht, den kühlen Augen. Auch nicht das 
junge Mädchen, das zwar hübsch aussah, aber in seiner 

ganzen Art etwas Dreistes hatte. Wenn es nach Lenore 
gegangen, wäre sie dieser Stätte sofort wieder entflohen. 
Aber wo sollte sie hin? Sie hatte ja kein anderes Zuhause 
mehr und war außerdem an den Mann, der neben ihr 
stand, durch das Ehegesetz gebunden. Hätte er nur geahnt, 
was in ihr vorging! 
Doch er ahnte es nicht. Er war außerordentlich aufgeräumt, 
als er Mutter und Schwester seine junge Frau zuführte. 
»Da habt ihr sie, meine Lenore. Gefällt sie euch?« 
»Gewiß«, entgegnete die Frau Mama mit scheinheiliger 
Freundlichkeit, die Lenore herausfühlte. »Sie ist reizend, 
aber noch sehr jung.« 

»Immerhin zwanzig«, gab Ralf launig zurück. »Also schon 
fast hinter den Öhrchen trocken. Und nun tischt auf, wir 
haben nämlich seit dem Frühstück fasten müssen. Das kam 
so…« 
Kurz schilderte er, was sich begeben hatte, und die Frau 
Mama nickte stolzgeschwellt dazu. 
»Das warst wieder einmal du, mein Sohn. Man nennt dich 
ja nicht umsonst einen vorzüglichen, hilfsbereiten Arzt. 
Nur noch ein wenig Geduld, ich richte sofort das Essen.« 
»Während du auftischst, führe ich meine Lenore in ihr 
neues Heim.« 

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Was denn auch geschah. Nur daß nicht die junge Frau 
zuerst über die Schwelle schritt, sondern Anka, die sich mit 

der Frechheit ihres Naturells einfach vordrängte, was 
Lenore befremdete, den Gatten jedoch nur amüsierte. 
»Natürlich muß unser Fräulein Naseweis immer voran sein. 
Zur Begrüßung Blumen hier hineinzustellen, das fiel dir 
wohl nicht ein, du Irrwisch, wie?« 
»Hätte ich schon getan, aber leider – die Moneten«, 
versetzte sie keck. »Du hältst mich verflixt kurz.« 
»Ein Schelm gibt mehr, als er hat«, kam es launig zurück. 
»Nun troll dich, mein Mädchen, und hilf der Mama.« 
»Ooch, die wird auch ohne mich fertig. Ihr Jungvermählten 
seid mir doch zu interessant.« 
»Anka!« 

Dieser Warnungsruf mußte der kecken Kleinen wohl 
geläufig sein, denn sie zog sich zwar maulend, aber 
immerhin zurück. 
»Sie ist doch noch ein ganzes Kind«, sprach der 
nachsichtige Bruder ihr schmunzelnd nach. »Aber wohl 
gerade deshalb so harmlos von Sinn und Gemüt. Und nun 
komm, mein Liebes, laß dich in deinem Heim herzlich 
willkommen heißen.« 
Er zog sie in die Arme, küßte sie zärtlich und sagte dann 
stolz: 
»Ist es nicht schön bei uns? Bis auf die Lampe und die 
Gardinen, die passen zu der feudalen Einrichtung 

allerdings nicht.« 
»Da hast du recht«, bestätigte Lenore, nachdem sie sich mit 
prüfendem Blick umgeschaut hatte. »Aber soviel ich weiß, 
ist beides mit den anderen Sachen mitgeschickt worden.« 
»Ist es auch«, unterbrach er sie verlegen. »Aber weißt du, da 
wagte ich mich nicht heran. In solchen Dingen bin ich 
reichlich ungeschickt.« 
»Dafür bist du ja Arzt und kein Handwerker. Laß nur, ich 
bringe das schon in Ordnung.« 
»Kannst du denn das?« 
»Ich glaube schon. Die Ständerlampe, die zwischen den 

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Sesseln fehlt, kaufen wir uns.« 
»Kind, bedenke…« 

»Sie kostet Geld«, vollendete sie lachend den stockenden 
Satz. »Aber so viel haben wir schon noch.« 
»Wir – Nore?« 
»Natürlich, was denn sonst? Oder gedenkst du etwa streng 
getrennte Kasse zwischen uns einzuführen? Das wäre ja…« 
In dem Moment steckte Anka den Wuschelkopf durch den 
Türspalt und sagte mit einem Lächeln, das Lenore 
irgendwie abstieß: 
»Störe ich das zärtliche Tete-á-tet sehr empfindlich? Aber es 
geht nicht anders. Das Essen steht auf dem Tisch, und 
Mama kann fuchsteufelswild werden…« 
»Anka!« 

»Herrje, ja. Zank nicht, sondern komm!« 
Wenig später betraten sie den Raum, der als Wohn- und 
Eßzimmer zugleich diente. Die Einrichtung war gut, aber 
trotzdem vermißte Lenore darin das, was man Traulichkeit 
nennt. 
Und dann das Essen. Gewiß, es war als Mittagsmahl 
bestimmt gewesen und mußte gewännt werden, 
nichtsdestoweniger hätte es nicht lauwarm und vertrocknet 
zu sein brauchen; das konnte Lenore gar wohl beurteilen, 
die vom Kochen etwas verstand. 
Natürlich enthielt sie sich jeder Äußerung. Sie machte 
schweigend ihre Beobachtungen. 

Zum Beispiel fand sie es empörend, daß die Mutter der 
Tochter die besten Bissen vorlegte. Wohl war Anka schmal 
und blaß – bleichsüchtig, wie die Ärzte es früher zu 
bezeichnen pflegten. Da war es schon verständlich, daß die 
Mutter die heranwachsende Tochter mit Sorgfalt pflegte. 
Aber darüber durfte sie nicht den Sohn vergessen, und das 
war hier der Fall. 
Kurz und gut: Lenore war im Bilde. 
Und daß dieses Bild nicht falsch war, sollte die Zukunft 
lehren. 
Eine Zukunft, in der das Herz der blutjungen Frau durch 

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alle Höhen und Tiefen des Lebens geschleift werden sollte. 
War der Gatte mit ihr allein in seiner Liebe und 

Zärtlichkeit, glaubte sie wenigstens am Rande des siebenten 
Himmels zu weilen; doch war er fort, sorgten seine 
Angehörigen schon dafür, daß Lenore mit beiden Beinen in 
der realen Welt stand, wo Gehässigkeit und Heuchelei sie 
umgaben. 
Das heißt, in der ersten Zeit umgaben sie Lenore mit einer 
süßlichen Liebenswürdigkeit, und zwar aus Berechnung. 
Nahmen sie doch an, daß diese »einfältige Person« eben 
einfältig genug sein würde, ihnen Geld und andere Dinge 
zu geben, auf die sie ein Auge geworfen hatten: Frau 
Rosalia auf Wäsche, die ja reichlich vorhanden war, Anka 
auf Kleider und Schmuck. 

Nun, Lenore war alles andere als einfältig. Sie war im 
Gegenteil so klug, daß sie sofort begriff, was man da von 
ihr mit honigsüßer Miene erpressen wollte. 
Diese Anstrengung hätten die beiden nicht nötig gehabt, 
wenn sie der jungen Frau zumindest sympathisch gewesen 
wären. Dann hätte Lenore das getan, was sie ursprünglich 
vorgehabt, nämlich mit vollen Händen gegeben von dem, 
was sie selbst besaß. 
Lenore war ein warmherziger, hilfsbereiter Mensch, aber 
deshalb noch lange nicht so sanftmütig, daß sie nach 
einem Backenstreich auch noch geduldig die andere Wange 
hinhielt. Da hielt sie sich eher an eine andere Stelle der 

Bibel: Auge um Auge, Zahn um Zahn. 
Zumal sich bei der ständigen Abwehrstellung, zu der sie ja 
geradezu herausgefordert wurde, der Trotz zu regen 
begann, von dem sie nicht wenig besaß. Und wenn der 
Mensch trotzig ist, dann ist er eben unzugänglich – in jeder 
Beziehung. 
Also knöpfte Lenore nicht nur ihr Portemonnaie fest zu, 
sondern verschloß auch Schübe und Schränke, nachdem 
sich Anka dieses und jenes einfach anzueignen versucht 
hatte. Im anderen Fall hätte Lenore gern mit der 
Schwägerin geteilt, was sie im Überfluß besaß – freiwillig, 

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aber nicht gezwungen. 
Was sie dann allerdings büßen mußte. Denn als Frau 

Rosalia zu ihrer grenzenlosen Enttäuschung merkte, wie 
»geizig« die Schwiegertochter war, ließ sie die honigsüße 
Maske fallen und zeigte das, was sich darunter verbarg. 
Zuerst ging sie dabei vorsichtig vor, weil sie nicht ganz 
sicher war, ob Lenore bei Ralf nicht petzte. Das tat lieber 
sie, und zwar nach Art des Maulwurfs, der zwar wühlt, aber 
dabei unsichtbar bleibt. 
Leider war Ralf gegen die Einflüsterungen seiner Mutter 
nicht gefeit, die allerdings auch sehr geschickt angebracht 
wurden. Er war eben von der Ehrbarkeit der Seinen so 
überzeugt, daß er ihnen Intrigen einfach nicht zutraute. 
Dann schon eher seiner Frau, obwohl sie über seine 

Angehörigen nie Klage führte. Aber sie benahm sich auch 
ihm gegenüber so, daß sich nach und nach eine 
Entfremdung einstellte, die den Mann verstimmte. Und als 
er gar an einem Tag, da er unerwartet nach Hause kam, die 
Tür verschlossen fand, stellte er, nachdem Lenore ihn auf 
sein energisches Klopfen eingelassen harte, sie unwillig zur 
Rede. 
»Lenore, was soll das? Hast du denn gar keine Ahnung, wie 
sehr du die Mama damit kränkst, wenn du dich nicht nur 
von ihr absonderst, sondern gar die Tür verschließt? Das 
hat meine Mutter doch wahrlich nicht um dich verdient.« 
Darauf erwiderte sie nichts, sah ihn nur mit Augen an, in 

denen der Trotz funkelte. 
Ihre Haltung drückte so viel Aufsässigkeit aus, daß der 
sonst so ruhige Mann die Beherrschung verlor, sie bei den 
Schultern packte und schüttelte. 
»Du – laß mich los!« sprach sie so dumpf und schwer, daß 
er von ihr abließ. 
Hastig fuhr er sich über Kopf und Stirn, in seinen Augen 
brannte der Schmerz. 
Das hätte Lenore wohl stutzig gemacht, wenn sie nicht so 
verbittert gewesen wäre. Und Verbitterung nimmt dem 
Menschen genauso die Logik und den klaren Verstand wie 

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Verblendung. 
Wenn Lenore jetzt gesprochen, sich alles vom Herzen 

geredet hätte, was ihr junges Leben kaum erträglich 
machte, vielleicht hätte sie dann dem Gatten die Binde von 
den Augen gerissen, und er hätte Mutter und Schwester so 
erkannt, wie sie waren – und nicht so, wie sie sich ihm 
gegenüber gaben. Aber sie preßte den Mund zusammen 
und schwieg verbissen. 
Da wandte er sich brüsk ab und ging hinaus. Ein tiefer Riß 
war da – nach sechswöchiger Ehe. 
Da Lenore gewohnt war, sich im Haushalt zu betätigen, so 
erschien es ihr selbstverständlich, es gleich von Anfang an 
auch hier zu tun, was wiederum die Schwiegermutter für 
selbstverständlich hielt. Aber nur bei der Schwiegertochter, 

versteht sich. Die Tochter durfte sich schon erlauben, faul 
zu sein, sie wurde von der Mutter sogar noch bedient. 
Nun ja, das arme Kind war ja so schmächtig, während 
Lenore robust war – bei der Größe von 1,68 und dem 
Gewicht von nicht viel mehr als einem Zentner! – Die 
sollte nur ruhig arbeiten und sich das Essen verdienen. 
Denn bei den paar Mark, die Ralf für seine Frau an Pension 
zahlte, konnte man bei diesen Zeiten unmöglich einen 
Menschen mit solchem Riesenappetit durchfüttern. 
So wurden Lenore nicht nur die Bissen in den Mund 
gezählt, ihr wurden so nach und nach auch sämtliche 
Hausarbeiten zugeschoben, was ihr nur recht war. 

Sie nahm es gelassen hin, als die Frau ausblieb, die zu 
Anfang jede Woche einmal zu dem üblichen Hausputz 
erschienen war. Sie kochte auch und kaufte ein, als Frau 
Rosalia sich plötzlich so leidend fühlte, so schwindlig und 
schwach, daß sie sich kaum noch auf die Straße wagte. 
Nur wenn es ins Kino ging, ins Cafe oder zu sonstigen 
Vergnügungen, dann hatte die »Leidende« ihren »guten 
Tag«, wo sie schon wagen durfte, auszugehen, zumal in 
Begleitung des Töchterchens. 
Von dem allen hatte Ralf keine Ahnung. Ihm genügte es, 
daß alles so reibungslos verlief. 

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Er war ja auch so wenig zu Hause. Ging morgens fort und 
erschien zum Mittagessen, sofern im Dienst nichts 

Besonderes vorlag. 
Kurz vor Weihnachten bekam man ihn zu Hause kaum 
noch zu sehen, weil eine heftige Grippeepidemie ausbrach 
und so die Ärzte alle Hände voll zu tun hatten. Außerdem 
mußte Ralf noch den Chefarzt vertreten, da dieser sich auf 
einem Ärztekongreß befand. 
Und  gerade  in  der  Zeit  wurde  auch  noch  Anka  krank.  In 
heller Aufregung rief Frau Rosalia den Sohn mitten aus der 
Arbeit herbei, der die Schwester gründlich untersuchte, 
jedoch nichts Besonderes feststellen konnte. 
Vorsichtshalber verordnete er Bettruhe, die ja nie schaden 
konnte. 

Und nun hatte die bedauernswerte Lenore auch noch die 
Schwägerin zu pflegen, die bei dem Schnupfenfieber und 
anderen leichten Beschwerden ein Lamento machte, in das 
die vernarrte Mutter natürlich einstimmte. 
Ihr armes Kind, was mußte es doch leiden. Und dabei 
konnte man es noch nicht einmal so richtig pflegen, weil 
das Geld dazu fehlte. Ja, wenn man nicht diese unseligen 
Schulden abzahlen müßte. 
Das bekam Lenore jeden Tag zu hören, sie stellte sich 
jedoch taub. Bis dann die Schwiegermutter recht 
nachdrücklich wurde. 
»Auf die nächsten Monatsraten mußt du verzichten«, 

erklärte sie kurz und bündig. »Ich muß sie dazu 
verwenden, um mein krankes Kind zu pflegen und dafür zu 
sorgen, daß es während der rauhen Jahreszeit in den Süden 
kommt. Hast du etwas dagegen?« 
»Durchaus nicht«, entgegnete Lenore gelassen. 
»Dann verzichtest du?« 
»Darüber kann ich nicht entscheiden, weil ich ja noch nicht 
mündig bin und Ralf als Ehemann mein Vormund ist. 
Sprich mit ihm.« 
Der raffinierten Frau zunickend, die jetzt den Eindruck 
machte, als ob sie in nächster Minute vor Wut platzen 

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müßte, verließ sie das Zimmer und lachte sich ins 
Fäustchen. Denn wie schon gesagt, war sie durchaus kein 

Engel, sondern ein Mensch, unter denen kaum einer von 
Schadenfreude frei ist. 
Und die empfand Lenore, weil sie genau wußte, daß ihre 
Peinigerin nicht wagen würde, dem Sohn das zu 
unterbreiten, was sie mit der Schwiegertochter allein 
abmachen wollte. Denn so schwach Ralf der Mutter 
gegenüber sonst auch war – wenn es um das Geld seiner 
Frau ging, wurde er auch ihr gegenüber unzugänglich. 
Aber versuchen wollte Rosalia es trotzdem noch einmal. 
Und als der Sohn gegen Abend erschien, um nach der 
Schwester zu sehen, fand er die Mutter in Tränen vor. 
»Ja, was hast du denn, Mama?« fragte er erschrocken. »Geht 

es Anka nicht gut?« 
»O Gott, mein Sohn, ich habe so große Angst um unseren 
Liebling!« klagte sie mit dem Blick einer Mater dolorosa, 
was bei der üppigen, alternden Frau nicht erschütternd, 
sondern lächerlich wirkte und daher den Sohn peinlich 
berührte. 
Schweigend wandte er sich ab und ging ins Schlafzimmer, 
wo Anka geruhsam im Bett lag, Konfekt naschte und las. 
Hätte sie allerdings gewußt, daß der Bruder in der Nähe 
war, so hätte sie wohl beides unterlassen und sich 
wehleidig gestellt. Aber er trat überraschend ein, bevor die 
Mutter ihr noch einen Wink geben konnte. 

»Ja, sag mal, Mama, warum jagst du mir so einen Schreck 
ein?« wandte er sich ungehalten der Frau zu, der gar nicht 
wohl in ihrer Haut war. »Anka geht es doch recht gut, will 
ich meinen. Sie ist sogar fieberfrei«, stellte er fest, nachdem 
er den Puls gefühlt hatte. »Der Schnupfen ist auch fort.« 
»Ja – aber die Lunge.« 
»Was ist denn damit?« 
»Sie ist bestimmt nicht in Ordnung. Ankalein klagte heute 
wiederholt über Stiche…« 
Schon zog der Arzt das Stethoskop aus der Tasche, horchte 
und klopfte den Oberkörper der Schwester gründlich ab 

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und sagte kurz: 
»Die Organe sind in Ordnung. Ich finde, Anka hat sich im 

Bett großartig erholt. Kein Wunder bei der guten Pflege.« 
»Wie willst du das wissen?« fragte die Frau Mama spitz, 
worauf er zuerst auf die Pfundpackung Pralinen zeigte, die 
fast leer war, dann auf die Leckerbissen und den stärkenden 
Wein, die auf dem Nachttisch standen. 
Ja, da konnte Frau Rosalia die gute Pflege wohl nicht mehr 
ableugnen, die sie der Tochter zuteil werden ließ. 
Und als Ralf gar noch sagte: »Anka kann morgen für eine 
Stunde aufstehen«, da schwammen der guten Frau 
sozusagen alle Felle weg, die sie so schön gerben wollte. 
»Jetzt werde ich Lenore noch rasch guten Tag sagen.« 
»Sie ist nicht da«, hielt die Mutter ihn zurück. »Ist 

unterwegs, um Einkäufe zu machen.« 
»Hoffentlich hat sie sich warm angezogen. Es weht draußen 
ein eisiger Schneesturm.« 
Kaum daß er außer Hörweite war, fragte Anka gespannt: 
»Was hast du erreicht, Mama? Wird etwas aus unserer 
geplanten Reise?« 
»Er gab mir gar keine Gelegenheit, mit ihm darüber zu 
sprechen«, kam es verbissen zurück. »Bevor ich davon 
anfangen konnte, ging er zu dir – und wie er dich dann 
fand – ich meine, da ist wohl jeder Kommentar 
überflüssig.« 
»Wie konnte ich auch ahnen, daß er so außer der Zeit 

kommen würde!« maulte Anka. »Du hättest mich wirklich 
verständigen können.« 
»Das war unmöglich. Aber laß nur, ich spreche schon noch 
mit ihm.« 
Indes kämpfte Ralf sich durch den Schneesturm zur 
Haltestelle der Straßenbahn, wo ihm auf halbem Weg 
Lenore entgegenkam. Sie schleppte in einer Hand eine 
Tasche, die so schwer war, daß sie die Schulter des zarten 
Geschöpfs hinunterzog, in der anderen eine große 
Milchkanne. 
»Mein Gott, Nore!« sagte er betroffen. »Du schleppst dich 

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ja schief. Dazu noch in dem eisigen Wetter. Konntest du 
den Einkauf nicht auf morgen verschieben?« 

»Nein«, entgegnete sie kurz. »Wir haben eine Kranke im 
Haus, die ihre Pflege haben muß. Geh nur, Ralf, damit du 
nicht die Bahn versäumst und dann zwanzig Minuten auf 
die nächste warten mußt. Ich kämpfe mich schon allein 
durch.« 
»Wie meinst du das, Lenore?« 
»Genauso, wie es gesagt ist.« 
Ihm mit einem Lächeln zunickend, das ihn ungemein 
reizte, ging sie weiter und ließ ihn wie einen dummen 
Jungen stehen. 
Da hatte er nun geglaubt, in Lenore eine Frau zu 
bekommen mit einem offenen, unkomplizierten Wesen – 

und nun mußte er daran herumrätseln wie bei einer 
Sphinx! 
Also hatte seine Mutter schon recht, wenn sie sich über die 
Unzugänglichkeit und Launenhaftigkeit ihrer 
Schwiegertochter beklagte. Es war eine Zumutung von ihm 
gewesen, ihr so ein launenhaftes Geschöpf ins Haus zu 
bringen. 
Er mußte Lenore mal gehörig ins Gewissen reden, und 
wenn das nicht half, war er gezwungen, einen eigenen 
Hausstand zu gründen, was seinen Etat über Gebühr 
belasten würde. 
Als Lenore müde und durchgefroren von dem Einkauf 

zurückkehrte, wurde sie von der Schwiegermutter höchst 
ungnädig empfangen. 
»Warum kommst du so spät?« 
»Weil ich nicht früher fertig wurde.« 
»Also, Lenore, ich verbitte mir den patzigen Ton! Steh hier 
nicht so faul herum, sieh zu, daß Anka ihr Abendessen 
bekommt. Hast du alles bekommen, was sie dir auftrug?« 
»Nein. Gänseleberpastete sowie Räucheraal waren 
ausverkauft.« 
»Ich sage ja, daß du immer viel zu spät zum Einkaufen 
gehst«, lamentierte die liebe Schwiegermutter. »Aber das ist 

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so deine Art, herumzulungern und alles auf die lange Bank 
zu schieben. Gerade auf die Sachen hat das arme Kind sich 

so gefreut und muß nun durch deine Nachlässigkeit darauf 
verzichten. Das rührt dich wohl gar nicht, du undankbares 
Ding? Der ewige Ärger mit dir wird mich noch ins frühe 
Grab bringen.« 
Damit entschwand sie, und auch Lenore ging in ihr 
Zimmer, um den Pelz abzulegen, der naß geworden war, 
ebenso Schuhe und Strümpfe. Sie zu wechseln, dazu kam 
sie aber nicht, weil Frau Rosalia ungeduldig nach ihr rief. 
Und da Lenore ohnehin schon erkältet war, gaben die 
nassen Sachen ihr den Rest. 
Als sie nach getaner Arbeit endlich zu Bett gehen konnte, 
fieberte sie stark. Und da das bedauernswerte junge 

Menschenkind seit seiner Heirat wie an einer Pechsträhne 
zu kleben schien, war es gar nicht verwunderlich, daß Dr. 
Skörsen heute Nachtdienst hatte. 
Und morgen war Weihnachten, das für Frau Rosalia schon 
morgens eine gute Bescherung brachte. Als sie wie eine 
Fregatte ins Zimmer segelte, um das »faule Ding« aus den 
Federn zu jagen, fand sie dieses mit fieberheißem Gesicht 
vor. 
Da blieb ihr denn doch das Wort im Hals stecken. Aber 
nicht etwa vor Besorgnis, sondern vor Ärger. 
Das ausgerechnet heute, wo es alle Hände voll zu tun gab! 
Am liebsten hätte sie die Kranke aus dem Bett gezerrt und 

sie an die Arbeit getrieben, aber die Angst vor dem Sohn 
war doch zu groß. 
»Du machst ja nette Geschichten«, bemühte sie sich einen 
besorgten Ton anzuschlagen, in dem jedoch der Ärger 
vibrierte. »Ausgerechnet zu Weihnachten wirst du krank. Ist 
es arg, soll ich Ralf verständigen?« 
»Danke, er kommt gegen Abend ja nach Hause.« 
»Wie du willst. Wenn du etwas brauchst, wirst du dich 
schon melden müssen. Ich habe heute gerade genug zu tun 
und kann dich nicht noch großartig bedienen.« 
Das verlangte Lenore auch gar nicht. Sie war ganz 

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zufrieden, hier unbehelligt liegen und schlafen zu dürfen, 
was sie denn nach einer Schlaftablette auch so lange tat, bis 

die Schwiegermutter geräuschvoll das Zimmer betrat und 
Licht machte. Da schreckte sie auf. 
»Na, endlich bist du wach. Zweimal habe ich hier 
hereingeschaut, aber du schliefst ja wie ein Murmeltier. 
Also kann die Krankheit nicht so arg sein. Ralf hat beim 
Hauswirt angerufen und durch ihn bestellen lassen, daß es 
wahrscheinlich spät werden wird, bis er nach Hause 
kommt. Es ist ein Verunglückter eingeliefert worden, der 
sofort operiert werden muß. Wie ist es, willst du 
rüberkommen?« 
»Das wird bei dem Fieber kaum möglich sein.« 
»Na, na, hab dich bloß nicht so! Aber wie du willst.« 

Als könnte Lenore sich doch noch eines anderen besinnen, 
so rasch schloß Frau Rosalia die Tür von draußen. 
Die junge Frau jedoch, noch halb umnebelt von der ersten 
Tablette, schluckte, sich selbst wohl kaum bewußt, noch 
eine zweite und versank im Land der Träume, wo es keine 
böse Schwiegermutter gab, keinen verblendeten Gatten – 
und keinen trostlosen Weihnachtsabend. Wo alles so schön 
war, so paradiesisch schön. 
Bis Ralf sie aus diesen Paradies riß. Er sprach erregt. Kein 
Wunder, da er auf dem Nachttisch die Tabletten entdeckte, 
die durchaus nicht harmlos waren. 
»Lenore, wach auf! Mein Gott, Kind, so wach doch endlich 

auf!« drang es in ihr noch schlafumnebeltes Hirn. Es waren 
jedoch nicht die beschwörenden Worte, was sie wach 
werden ließ, sondern vielmehr das derbe Schütteln. 
»Ralf, laß mich doch los, du tust mir weh!« 
»Na endlich! Du bereitest mir ja eine schöne Bescherung zu 
Weihnachten. Wie viele Tabletten hast du geschluckt?« 
»Zwei.« 
»Du bist wohl nicht recht gescheit! Woher hast du die 
Dinger überhaupt?« 
»Der Arzt verschrieb sie Mutti, die danach immer so 
wunderbar schlief. Und das wollte ich auch, ich will es 

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auch noch weiter.« 
»Zuerst wirst du dich noch untersuchen lassen.« 

»Warum? Mir fehlt doch nichts.« 
»Woher denn auch?« versetzte er trocken. »Du fieberst nur 
und krächzt wie eine Krähe.« 
Nachdem er sie untersucht hatte, hellte sich seine besorgte 
Miene auf. 
»Es ist wahrscheinlich nichts weiter als eine Erkältung«, 
sagte er auf ihren fragenden Blick, worauf sie sich dann mit 
tiefem Seufzer auf die Seite legte und erneut dem Schlaf in 
die Arme sank. 
Am liebsten hätte der Gatte es ihr gleichgetan, denn er war 
zum Umfallen müde. Kein Wunder nach einer 
aufreibenden Arbeitszeit von sechzehn Stunden. 

Aber Mutter und Schwester warteten auf ihn. Außerdem 
verspürte er Hunger, da er heute kaum etwas gegessen 
hatte, weil ihm die Zeit dazu fehlte. Also ging er ins 
Wohnzimmer, wo die Mutter ihr^aufgeregt empfing: 
»Wo bleibst du nur so lange? Das Essen ist inzwischen 
wieder kalt geworden.« 
»Dann hättest du es erst nach meinem Erscheinen 
auftragen sollen«, entgegnete er gereizt. Denn er war ja 
auch nur ein Mensch, dessen Nerven keine Drahtseile 
waren. Und diese Nerven waren bis zum Reißen gespannt. 
»Ich mußte doch erst einmal feststellen, was meiner Frau 
fehlt. Das ging doch wohl vor, nicht wahr?« 

»Gewiß, gewiß. Was fehlt ihr denn?« 
»Sie ist erkältet.« 
»Habe ich mir doch gleich gedacht.« 
»Trotzdem hättest du mich fernmündlich davon 
verständigen müssen, daß Lenore erkrankt ist.« 
»Sie wollte es nicht haben.« 
»Ach was, ein Kranker hat gar nichts zu wollen, das müssen 
Gesunde für ihn tun.« 
»Nun mach mir auch noch Vorwürfe!« weinte die Frau auf. 
»Wo ich mich heute so abgeschuftet habe.« 
»Na ja, ist doch schon gut«, winkte er verlegen ab und 

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würgte dann das Essen hinunter, das nicht nur kalt, 
sondern auch angebrannt war. Aber wenn der Mensch so 

richtigen Hunger hat, kommt es ihm mehr auf die 
Quantität als auf die Qualität an. 
Ein Arzt hat es bestimmt nicht leicht, hauptsächlich dann 
nicht, wenn er so gewissenhaft ist, wie Dr. Skörsen es war. 
Daher hatte er die beiden Ruhetage, die der Chefarzt ihm 
Weihnachten zubilligte, auch redlich verdient und wollte 
sie als wirkliche Ruhetage verbringen. 
Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu 
flechten – sagt Schiller, und er hat recht. 
Denn es war acht Uhr morgens, als die Flurglocke 
aufreizend schrillte und den Arzt, dem so ein Alarmzeichen 
geläufig war, aus dem festen, wohlverdienten Schlaf riß. 

Mit einem Satz war er aus dem Bett, warf rasch den 
Morgenmantel über, schlüpfte in die Pantoffeln, eilte zur 
Tür und stand gleich darauf dem Hauswirt gegenüber, der 
erregt sprach: 
»Herr Doktor, Verzeihung! Ich weiß, Sie üben keine Praxis 
aus, aber meine Schwiegertochter – helfen Sie ihr!« 
»Was hat sie denn?« 
»Sie kriegt ein Kind.« 
»Olala, ausgerechnet zu Weihnachten?« 
»Es kommt nach unserer Berechnung um eine Woche zu 
früh, sonst hätten wir uns besser eingerichtet«, wischte der 
alte Herr sich den Schweiß von der Stirn. »Sie hat wohl 

gestern zuviel Bowle getrunken…« 
»Ist die Hebamme schon da?« 
»Keine zu bekommen. Drei rief ich an – alle unterwegs.« 
»Da scheint ja das Geschäft zu blühen«, schmunzelte der 
Arzt. »Ich ziehe mich rasch an, so schnell wie möglich bin 
ich unten.« 
»Besten Dank, Herr Doktor, besten Dank.« 
Der Mann polterte die Treppe hinunter, und Ralf schloß 
die Korridortür, während sich die Tür zum Schlafzimmer 
der Mutter auftat. Ein lockenwickelbedecktes Haupt steckte 
sich durch den Spalt, und eine unwillige Stimme fragte: 

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»Eine Unverschämtheit, in dieser Herrgottsfrühe fast die 
Klingel von der Tür zu reißen! Wer war das?« 

»Der Hauswirt.« 
»Was wollte er denn?« 
»Seine Schwiegertochter bekommt ein Kind. Halt mich jetzt 
nicht auf, Mama, ich glaube, die Sache eilt.« 
Fünf Minuten später eilte Ralf aus der Wohnung, wo die 
schrille Klingel die Bewohner so unsanft aus dem Schlaf 
gerissen hatte. Auch Lenore, die den Gatten erst gar nicht 
zu fragen brauchte, weil sie durch die halbgeöffnete Tür das 
Gespräch zwischen Mutter und Sohn mit angehört hatte. 
Um Ralf nicht aufzuhalten, stellte sie sich schlafend, 
obwohl ihr sterbenselend zumute war. Das kam wohl 
daher, daß sie seit vorgestern abend nichts gegessen und 

auf den leeren Magen die starken Tabletten genommen 
hatte. 
Als Ralf fort war, stand sie auf und schlich in die Küche, 
um sich etwas zu essen zu holen. Denn soweit sie die 
Schwiegermutter kannte, war diese ins Bett zurückgegangen 
und würde sich auch später nicht bequemen, der verhaßten 
Schwiegertochter gar noch das Frühstück ans Bett zu 
bringen. Also mußte die kranke Lenore sich selbst damit 
versorgen. 
In der Küche, die sie immer so blitzblank gehalten hatte, 
sah es jetzt lustig aus. Gebrauchtes Geschirr, angebrannte 
Töpfe und Lebensmittel aller Art bildeten ein kunterbuntes 

Durcheinander. Lenore kribbelte es förmlich in den 
Fingern, hier Ordnung zu schaffen, aber erstens fühlte sie 
sich zu matt, und dann würde man ihr die Arbeit gewiß 
nicht danken, sondern für eine Selbstverständlichkeit 
halten. 
Außerdem bereitete es der jungen Frau eine Genugtuung, 
daß die bequeme Dame nun einmal gezwungen war, den 
Haushalt selbst zu versorgen, noch dazu ausgerechnet am 
Feiertag. Lenore konnte sich denken, wie sehr Frau Rosalia 
das erboste. 
So beeilte sie sich denn, aus der Küche zu kommen, 

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nachdem sie eine Schnitte Brot und einen Wurstzipfel 
gewissermaßen stibitzt hatte. Im Bett angelangt, wollte sie 

es heißhungrig verzehren, doch schon nach dem ersten 
Bissen wurde ihr übel. Trotzdem würgte sie Brot und Wurst 
hinunter, in der Hoffnung, daß ihr dann besser werden 
würde, was jedoch nicht zutraf. 
Was hatte sie nur? Sollte etwa… Es war nicht das erstemal, 
daß ihr übel wurde, hauptsächlich morgens nach dem 
Aufstehen. 
Ob sie sich Ralf anvertraute? Nein, zuerst noch abwarten. 
Und wenn es stimmte, was sie befürchtete, wollte sie es 
verheimlichen, so lange es ging- 
Befürchten, dachte sie bitter. Eine häßliche Bezeichnung für 
das, worüber man sich freuen müßte. 

Aber konnte sie das – hier, unter der Fuchtel einer 
rücksichtslosen, hochfahrenden Frau? Da würde nicht nur 
sie selbst zu leiden haben, sondern auch… 
Weiter kam sie mit ihren trostlosen Gedanken nicht, weil 
der Gatte ins Zimmer kam und an ihr Bett trat. 
»Ach, da sind wir ja schon wieder!« sprach er in dem Ton, 
den er bei seinen Patienten anzuwenden pflegte. »Wie geht 
es dir?« 
»Danke, ich habe wunderbar geschlafen.« 
»Du scheinst zu den Patienten zu gehören, die sich 
gesundschlafen«, stellte er lächelnd fest, nachdem er den 
Puls gefühlt hatte. »Das Fieber hat erheblich nachgelassen, 

was mich beruhigt. Denn ich kann mich jetzt nicht um 
dich kümmern, weil ich die junge Frau Warteck ins 
Krankenhaus bringen muß. Ich möchte den schwierigen 
Fall nicht allein übernehmen.« 
»Kommst du wieder zurück, wenn du die junge Frau im 
Krankenhaus eingeliefert hast?« 
»Ich glaube nicht. Die Ärmste bat mich so flehentlich, sie 
nicht zu verlassen, und sie leidet schwer.« 
»Du hast doch heute deinen freien Tag.« 
»Na, wenn schon«, sagte er ungeduldig. »Das verstehst du 
eben nicht, Lenore. Da höre ich unten die Hupe des 

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Krankenwagens. Bleib ja im Bett, Lenore, hörst du?« 
Fort war er. Und Lenore drückte das Gesicht in die Kissen 

und weinte bitterlich. 
Drei Stunden später kam dann die Schwiegermutter herein 
– im Morgenrock, die Wickel im Haar, ungetuscht und 
ungelackt. 
»Du mußt aufstehen, und zwar sofort. Anka hat Hunger – 
und ich bin einfach nicht dazu fähig, das Frühstück zu 
bereiten, weil sich mir alles vor den Augen dreht.« 
»Bedaure sehr«, entgegnete Lenore kühl. »Ralf hat mir 
verboten, aufzustehen.« 
»Da soll ich dich etwa noch bedienen, wie?« 
»Das verlange ich gewiß nicht. Ich halte schon durch, bis 
Ralf zurückkommt und mir etwas zu essen bringt.« 

»Frech wie gewöhnlich!« empörte sich Frau Rosalia – aber 
sie ging. Und zwar aus feiger Angst vor dem Sohn. Wenn 
der seiner Frau Bettruhe verordnet hatte, mußte das 
respektiert werden – wenn auch verbissen und erbost. 
Nachdem die Tür zugeknallt war, schlief Lenore wieder. 
Sie schlief über alle Not und Kümmernisse hinweg, bis der 
heimkehrende Gatte an ihr Bett trat – müde und erschöpft 
von den heißen Stunden, da er der Gebärenden, die 
wirklich schwer leiden mußte, alle nur erdenkliche Hilfe 
geleistet hatte. Darüber war es Kaffeezeit geworden. 
»Nun, Kind, wie geht es dir?« fragte er, dabei 
gewohnheitsgemäß den Puls fühlend. »Nun, schon ganz 

ordentlich. Irgendwo Schmerzen?« 
»Nein.« 
»Guten Appetit gehabt?« 
»Bisher nicht.« 
»Und jetzt?« 
»Allerdings«, mußte sie zugeben, da sie ja außer Brot und 
Wurst am Morgen seit zwei Tagen nichts genossen hatte. 
Nun jedoch verlangte der Magen energisch sein Recht. 
»Dann werde ich dir wohl was servieren müssen«, scherzte 
er. »Mama und Anka sind nämlich ins Kino gegangen, wie 
der hinterlassene Zettel besagt. Trotzdem sollst du deine 

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Atzung haben. Nur noch ein wenig Geduld.« 
Bevor Lenore ihn zurückhalten konnte, hatte er bereits das 

Zimmer verlassen- und sah dann in der Küche betroffen 
auf die Unordnung. So viel gebrauchtes Geschirr stand 
herum, daß nicht nur Tisch und Abwaschtisch damit 
vollgestellt waren, sondern auch ein Teil des Fußbodens. 
Aus dem Geschirrschrank dagegen, dessen Türen weit 
offenstanden, gähnte Leere. 
Ungesäuberte Töpfe standen auf dem Herd, das Gerippe 
der Feiertagsgans lag auf einem Brett, von dem das Fett auf 
den Tisch gelaufen und da erstarrt war. Im Ausguß lagen 
Kartoffelschalen – kurz und gut, es herrschte ein herrliches 
Tohuwabohu. 
Und doch fand der Sohn dafür eine Entschuldigung. Nun 

ja, die Mutter hatte alles allein machen, außerdem noch 
eine Kranke und eine Rekonvaleszentin versorgen müssen. 
Schließlich war sie nicht mehr die Jüngste. 
Allerdings, Anka war von der Mutter gepäppelt worden – 
als verhätscheltes, als vielgeliebtes Töchterchen. Doch daß 
dieselbe Frau der Schwiegertochter weder Speise noch 
Trank gereicht hatte, darauf kam der arglose Mann nicht. Er 
nahm mit Selbstverständlichkeit an, daß Lenore zu Mittag 
gegessen hatte und brachte ihr daher Kaffee nebst Kuchen 
ans Bett. Wohl hatte die Kranke Appetit auf ein warmes 
Mahl, doch sie sagte nichts, aß ein Stück Kuchen und trank 
zwei Tassen des belebenden Tranks. 

»Ist der Kaffee gut?« fragte er, und sie nickte. 
»Sehr gut, er hat mich richtig erquickt. Aber warum hältst 
du nicht mit?« 
»Weil ich mehr als satt bin. Die Wartecks unten haben 
mich nämlich genudelt wie eine Weihnachtsgans.« 
»O weh, da habe ich ja ganz vergessen zu fragen, wie es der 
jungen Frau geht. Ist das Kind schon da?« 
»Natürlich, sonst wäre ich bestimmt nicht hier. Es ging 
heiß her, aber wenigstens nicht umsonst, wie es zuerst den 
Anschein hatte. Das kleine Mädchen ist gesund, die junge 
Mutter verhältnismäßig munter, der junge Vater und die 

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Großeltern sind halb närrisch vor Freude. Sie ließen nicht 
nach, bis ich mit ihnen im Mietauto hierher fuhr und in 

ihre Wohnung kam, wo sie auftischten wie zur Hochzeit. 
Ich habe bisher nicht gewußt, was für nette Menschen die 
Wartecks sind, weil Mama doch stets Klage über sie führt 
und so schlecht mit ihnen auskommt.« 
Daß dieses an ihr liegen könnte, darauf kommst du in 
deiner Arglosigkeit natürlich nicht, dachte Lenore bitter. 
Er sah müde und abgespannt aus, so daß sie nicht das Herz 
hatte, ihm auch noch mit einer erregenden Debatte zu 
kommen. 
»Hast du noch einen Wunsch?« 
»Nein, du hast mich ja versorgt. Warum fragst du?« 
»Weil ich sonst zu Bett gehen möchte. Ich bin rechtschaffen 

müde.« 
»Tu’s doch. Aber nein, zuerst komm einmal her, damit ich 
dir dein verspätetes Weihnachtsgeschenk überreichen 
kann.« 
»Was ich natürlich prompt versäumte«, unterbrach er sie 
beschämt. »Es ist ohnehin nicht viel – und kommt nun 
noch zu spät.« 
»Beruhige dich, meines auch.« 
»Du bist aber auch krank.« 
»Und du bist überarbeitet.« 
Indes hatte sie der Nachttischschublade einen Umschlag 
entnommen, den sie ihm, der sich auf den Bettrand setzte, 

in die Hand drückte. Verständnislos drehte er ihn zuerst 
herum, öffnete ihn dann zögernd, und was er herauszog, 
waren rund tausend Mark. 
»Nore, das kann ich doch nicht annehmen«, sagte er 
betroffen, doch sie winkte kurz ab. 
»Ralf, sprich bitte nicht weiter!« warnte sie. »Ich weiß 
schon, was du sagen willst, doch das würde mich zutiefst 
verletzen.« 
»Ja, aber was soll ich denn mit dem vielen Geld?« 
»Erstens ist es gar nicht so viel, du bescheidener Mensch, 
und zweitens ist es der Grundstein zu einer Praxis.« 

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»Nein, Nore.« 
»Ja, Ralf! Reg mich hier gefälligst nicht auf, sonst steigt das 

Fieber so hoch, daß das Thermometer platzt.« 
Da mußte er denn doch lachen. 
»Darauf will ich es natürlich nicht ankommen lassen, nicht 
als Arzt und schon gar nicht als Gatte.« 
»Also, Kommentar überflüssig. Doch wo bleibt mein 
Geschenk?« 
Er gab es ihr mit verlegenem Lächeln. 
»Nore, es ist so wenig, aber man weiß ja gar nicht, was man 
dir schenken soll, weil du alles hast. Als ich jedoch das 
Tuch sah, stellte ich mir vor, wie gut es dich kleiden müßte 
zu deinem schönen Gesicht und dem goldigschimmernden 
Haar.« 

»Herr Doktor, Sie machen ja Komplimente!« sagte sie 
neckend. »Das ist ja ganz was Neues!« 
»Jetzt lachst du Schelm mich auch noch aus.« 
»Keineswegs, ich freue mich. Das Tuch gefällt mir gut.« 
»Wirklich?« 
»Ganz wirklich. Nun mach, daß du ins Bett kommst, dir 
fallen ja vor Müdigkeit die Augen zu.« 
»Zuerst noch einen Kuß. Ich finde, du bist in letzter Zeit 
sehr sparsam damit geworden.« 
»Du dito, mein Lieber.« 
Es war schon nach neun Uhr, als Lenore am nächsten 
Morgen erwachte. 

In der Wohnung war noch alles still. Kein Wunder, da Frau 
Rosalia gewohnt war, bis mindestens elf Uhr zu schlafen, 
und diesen Schlaf heute wohl noch länger ausdehnte, weil 
sie wahrscheinlich erst nach Mitternacht von der 
Bummeltour zurückgekehrt war. 
Lenore schaute zu Ralf hinüber, der ihr den Rücken 
zukehrte und immer noch fest schlief. Vorsichtig griff sie 
zum Thermometer, steckte es ein und war dann fünf 
Minuten später recht zufrieden, daß der rote Strich fast bis 
zur Zahl achtunddreißig geklettert war. 
Als er erwachte, sah er auf die Uhr und wollte seinen Augen 

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nicht trauen. 
»Schon zehn vorbei? Das ist kaum zu glauben! Da habe ich 

dich gestern ein Murmeltier genannt und bin selbst eins. 
Bist du schon lange wach?« 
»Seit ungefähr einer Stunde.« 
»Warum hast du mich nicht geweckt?« 
»Sollte mir einfallen. Du hast den Schlaf doch wahrlich 
nötig.« 
»Der mich auch wunderbar erquickt hat. Ich bin durchaus 
wieder zu neuen Taten gerüstet. Und wie geht es dir?« 
Schon griff er nach ihrem Puls und war gar nicht zufrieden. 
»Kind, du hast ja Fieber! Da wollen wir mal messen.« 
»Ist bereits geschehen.« 
»Wie hoch?« 

»Nicht ganz achtunddreißig.« 
»Das gefällt mir aber gar nicht, Nore.« 
»Mir doch«, lachte sie. »Da darf ich wenigstens im Bett 
bleiben, was bei dem scheußlichen Wetter geradezu ein 
Vergnügen ist. Schau nur, wie es draußen schlackert, und 
hör nur, wie es stürmt! Da muß ja Himmel und Erde 
zusammen sein, und hier im Bett ist es so heimelig. Wenn 
du schlau bist, verläßt du es auch nicht.« 
»Vorausgesetzt, daß man mich nicht mit Gewalt hinausjagt. 
Trotzdem muß ich jemand verarzten, und zwar dich, meine 
holde Patientin.« 
»Und das wäre?« 

»Erst einmal Tabletten schlucken. Helfen die nicht, kommt 
unweigerlich die Spritze. – Es ist hier übrigens eine 
Grabesstille. Ob Mama und Anka noch schlafen?« 
»Wahrscheinlich.« 
»Hast du gehört, wann sie nach Hause kamen?« 
»Nein.« 
»Da will ich doch mal nachsehen.« 
Er stand auf, schlüpfte in die Pantoffeln, warf den 
Morgenmantel über, ging in den Korridor und klopfte dort 
an die Schlafzimmertür. 
Mußte es mehrmals wiederholen, wobei es jedesmal lauter 

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wurde. Und endlich kam dann die Mutter an die Tür. 
»Mein Gott, Ralf, du trommelst ja wie ein Wilder«, gähnte 

sie verschlafen. »Was ist denn los, mußt du wieder fort?« 
»Nein. Ich finde nur, daß es Zeit ist, aufzustehen, wir 
haben bald elf Uhr. Wann seid ihr übrigens nach Hause 
gekommen?« 
»Um zwei Uhr«, drang Ankas helle Stimme vom Bett aus zu 
ihm hin. Sehr zum Ärger der Mutter, der die 
wahrheitsgemäße Zeitangabe gar nicht gefiel. »Es war 
einfach prima, Bruderherz!« 
»Also prima«, wiederholte er, indem er an das Bett trat und 
die Schwester forschend betrachtete. »Wird es auch prima 
sein, wenn du einen Rückfall bekommst und somit kränker 
wirst, als du es warst?« 

»Wer denkt denn daran?« 
»Ich als Arzt. Aber du kannst ja weniger für deinen 
Leichtsinn als Mama«, wandte er sich ihr zu, die ein 
Gesicht machte wie ein beleidigter Mops. »Wie konntest du 
nur so lange mit Anka wegbleiben?« 
»Ach, Junge, sie bettelte doch so sehr.« 
»Na eben, dann laß sie mich auch um meine Behandlung 
anbetteln, die ich trotzdem ablehnen werde.« 
»Wenn du dazu kommst«, warf Anka schnippisch ein, 
während die Frau Mama sich mühte, ein paar 
»Krokodilstränen« zu erpressen. 
Und da war der Sohn wieder einmal beschämt. Er 

entschuldigte sich sogar für seine Heftigkeit, bevor er das 
Zimmer verließ. 
Er ist und bleibt ein blinder Narr, dachte Lenore, die durch 
die geöffnete Tür alles mit angehört hatte. Aber nur, wenn 
es um Mutter und Schwester geht, sonst verfügt er sogar 
über Scharfsinn. 
»Na ja«, meinte er entschuldigend, nachdem er wieder bei 
Lenore war. »Die Mama kann Anka eben nichts abschlagen, 
wie es die Mütter bei den Nesthäkchen wohl alle nicht 
können. Und Anka hat ja auch wirklich wenig 
Abwechslung.« 

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Habe ich etwa mehr? wäre es Lenore beinahe entfahren, 
und sie war froh, daß sie ihre Zunge noch gerade so 

meistern konnte. Denn es lag ihr gar nichts daran, einen 
Streit zu entfachen und den Gatten damit zu verärgern, der 
endlich einmal zu Hause war. 
»Es ist kalt hier, ergo werde ich heizen«, erklärte Ralf, was 
dann auch geschah. Er heizte auch die Öfen in den beiden 
anderen Zimmern, schleppte unermüdlich Holz und 
Kohlen aus dem Keller, was sonst Lenores Arbeit war, und 
half der Mutter sogar beim Abwasch. Dann erschien er 
wieder bei Lenore, ein Tablett tragend, auf dem beider 
Frühstück stand. »So, mein Liebes, jetzt werde ich mir mal 
den Luxus erlauben, mit meiner holden Gemahlin im Bett 
zu frühstücken«, lachte er so jungenhaft froh, wie Lenore 

ihn überhaupt noch nicht kannte. »Setz dich auf, mein 
herziges Kind, der gute Onkel Doktor wird dich mit Kissen 
liebevoll stützen.« 
»Ja,  sag  mal,  Ralf,  was  hat  dich  in  diese  so  ungewohnt 
heitere Stimmung versetzt?« fragte sie verwundert, und er 
lachte. 
»Daß ich meine erste Privatpatientin habe, die mich so 
fürstlich bezahlt. Mit tausend Mark Honorar komme ich 
mir wie eine Kapazität vor. So, halte bitte das Tablett, 
damit ich mich an deine grüne Seite setzen kann. Denn 
grün ist das verführerische Nachtgewand, grün sind die 
Decken, und grün ist die Hoffnung.« 

Mit einem Satz war er im Bett, stellte das Tablett in die 
Mitte und schmauste mit Lenore um die Wette. 
»Wie ist es mit einer Zigarette – genehmigt?« 
»Etwa für dich?« 
»Natürlich.« 
»Mein liebes Kind, ich bin Arzt.« 
»Aber jetzt im Schlafanzug und somit aller Würde bar.« 
Da lachte der Mann voll überschäumender Herzlichkeit. 
»Na, warte nur, du keckes Persönchen, für die allerliebste 
Bosheit räche ich mich schon noch!« 
»Daß ich nicht lache.« 

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»Wird dir vergehen, wenn ich in deinen klassischschönen 
Arm pieke, wovor du doch so schreckliche Angst hast.« 

»Und du willst ein barmherziger Samariter sein?« 
»Warum denn nicht?« 
»Recht barmherzig sein will heißen: wenden eines andern 
Pein – verlangt der Dichter Logau. Und was willst du tun? 
Dich an meiner Pein weiden. Schäm dich!« 
Und dieser Sonntag sollte auch der letzte sein, den das 
junge Paar in Harmonie verbrachte. 
Zuerst einmal mußte sich der Arzt sechs Wochen von der 
Gattin trennen. 
Denn als er am nächsten Tag im Krankenhaus erschien, 
erklärte ihm der Chefarzt kurz und bündig, daß Dr. 
Skörsen als Leiter eines Ärztekursus angefordert worden 

wäre. 
»Ja, mein lieber Ralf, das kommt davon, wenn man so 
tüchtig ist, daß man auffällt«, lachte der joviale Herr 
schadenfroh. »Ob Sie da nun wollen oder nicht, Sie 
müssen. Befehl ist Befehl. Mir ist es wahrlich auch nicht 
recht, daß die Wahl ausgerechnet auf Sie gefallen ist, ich 
werde Ihre Arbeitskraft hier sehr vermissen. So reisen Sie 
denn mit Gott, und zwar schon morgen früh, denn die 
Sache eilt.« 
Mit warmem Händedruck war er entlassen. 
Aber es dauerte dann doch noch Stunden, bis er 
aufbrechen konnte. Immer wieder kam etwas dazwischen, 

und so wurde es gegen Abend, bis Ralf zu Hause anlangte, 
wo er aber nur Lenore im Bett vorfand. Mutter und 
Schwester waren wieder mal unterwegs. 
So bekam die junge Frau als erste die Neuigkeit zu hören, 
die sie so hart traf, daß sie zuerst davon wie betäubt war. 
Doch dann kam eine solche Verzweiflung über sie, daß sie 
sich an ihren Mann klammerte und ihn anflehte: 
»Geh nicht, Ralf, hörst du – geh nicht! Laß mich hier nicht 
so allein! Bitte, bitte, geh nicht!« 
»Aber Kind, was hast du denn?« fragte er erschrocken. »Du 
bist ja ganz außer dir, zitterst am ganzen Körper. Wie 

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kannst du dich nur so erregen? Du wirst wieder Fieber 
bekommen, was nicht sein darf. Ich würde dann 

beunruhigt abfahren.« 
»Nur deshalb, Ralf?« 
»Ja, warum denn sonst?« fragte er verwundert zurück. »Ich 
lasse dich doch hier in guter Hut zurück.« 
»Das nennst du gute Hut?« schrie sie so jäh auf, daß er 
zusammenzuckte. »Wenn du fort bist und sie dich nicht 
mehr zu fürchten brauchen, werden sie mich so richtig in 
die Hand bekommen. Werden mich immer mehr peinigen 
und quälen mit ihren Schikanen. Oh, sie sind ja so 
gehässig und faul, deine von dir so sehr geliebte Mutter 
und Schwester.« 
»Genug, Lenore, kein Wort weiter!« gebot er scharf und 

schneidend. »Du bist ja ein ganz boshaftes Geschöpf, 
hinterhältig und verlogen! Wäre dein wahrer Charakter 
schon damals zutage getreten, dann hätte ich mich 
nimmermehr von deiner Mutter zur Heirat überreden 
lassen, selbst nicht um aller Dankbarkeit willen, die ich ihr 
zu schulden glaubte.« 
»Hör auf! Hör doch auf!« unterbrach sie ihn mit ganz 
fremder Stimme, die wie zerbrochen klang, wie sprödes 
Glas, und das brachte den erregten Mann endlich zur 
Besinnung. 
Zögernd streckte er seine zitternde Hand nach ihr aus, doch 
nachdrücklich wurde sie zurückgestoßen. 

»Rühre mich nicht an«, sagte sie dumpf und schwer. »Ich 
verachte dich!« 
Da fuhr der Mann auf, als habe ihn ein Stich getroffen 
durch und durch. 
Doch ehe er etwas erwidern konnte, hörte er die 
Korridortür schließen, riß sich mit aller Energie zusammen 
und trat in den Korridor, um zu verhüten, daß die Mutter 
ins Zimmer kam, um nach Lenore zu sehen, was er als 
selbstverständlich annahm. Denn wie er seine Frau jetzt 
kennengelernt hatte, hielt er sie zu allem fähig, auch daß 
sie ihm im Beisein der Mama weitere Szenen machte. 

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Also ging er dieser entgegen, die hastig fragte: 
»Junge, du bist schon hier?« 

»Und zwar aus einem besonderen Grund. Ich muß morgen 
früh nach Berlin, als Leiter eines Ärztekursus.« 
»Ralf, welch eine Auszeichnung!« rief die Mutter entzückt. 
»Dann wird es bestimmt nicht lange dauern, bis du 
Oberarzt wirst.« 
»Das weiß ich nicht, Mama«, dämpfte er ihre 
Hoffnungsfreudigkeit. »Zuerst möchte ich mit dir über 
Lenore sprechen.« 
»Warum, ist sie kränker geworden?« 
»Nein, sie ist fieberfrei. Aber da du dich so oft über ihre 
trotzige, launenhafte Art beklagtest, wirst du kaum mit ihr 
fertig werden, wenn ich fort bin.« 

»Aber Junge, darüber brauchst du dir doch keine Sorge zu 
machen«, schauspielerte sie so überzeugend, daß manch 
ein Star vor Neid erblaßt wäre. »Ich bin bisher ganz gut mit 
ihr ausgekommen und werde es auch weiter tun. Gott ja, 
man muß wohl so allerlei einstecken, aber was tut man 
nicht alles seinem Sohn zuliebe. Lenore ist eben von ihren 
Eltern zu sehr verzogen worden, die in dem einzigen Kind 
einen Abgott sahen, mit dem andere Menschen sich dann 
abplagen müssen. Aber ich beschwichtige sie schon, wenn 
sie zu bocken anfängt«, schloß die vortreffliche Dame 
lachend. Und da beugte der Sohn sich voll Verehrung über 
ihre Hand. 

»Ich danke dir, Mama.« 
»Nichts zu danken, mein Junge, ich bin doch deine Mutter. 
Doch nun erzähle mal ausführlich über deine plötzliche 
Abberufung!« 
Nachdem er es getan hatte, geriet die Mutter in helle 
Aufregung. 
»Schon morgen früh mußt du fort, und gleich auf sechs 
Wochen? Da mußt du ja einen Riesenkoffer voll Sachen 
mitnehmen. Und ausgerechnet jetzt müssen deine 
Oberhemden in der Wäscherei sein!« 
Das war zwar gelogen, aber man mußte doch so tun als ob. 

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Mußte überhaupt sehr besorgt tun, um möglichst viele 
Vorteile herauszuschlagen. 

»Mit der Wäsche, das ist wirklich fatal«, tat sie bekümmert. 
»Aber wer konnte wissen…« 
»Laß doch, Mama, das ist doch so unwichtig. Wäsche fehlt 
mir sowieso; ich werde mir von den Tagegeldern, die ja 
reichlich bemessen sind, etwas anschaffen.« 
Das gefiel der Frau Mama zwar nicht, weil sie sich bereits 
Hoffnungen auf den Überschuß machte. Aber nur immer 
hübsch die Maske der Besorgnis beibehalten, es lohnte 
sich. 
»Das tu nur!« riet sie eifrig. »Nun geh und pack deine 
Sachen, damit du nicht zu spät ins Bett kommst; denn du 
mußt ja morgen früh raus. Indes bereite ich das 

Abendessen.« 
»Wo ist übrigens Anka?« begann er, doch schon schnitt sie 
ihm das Wort ab. 
»Sie kommt gleich, macht nur noch einige Besorgungen.« 
Auch gelogen – das liebe Töchterchen befand sich auf Tour. 
Man hatte unterwegs eine Bekannte in Begleitung ihres 
Bruders getroffen, der die beiden Mädchen ins Cafe einlud. 
Frau Rosalia ließ ihr Herzenskind gehen, denn der junge 
Mann war gutsituiert – und man konnte nie wissen. 
Jetzt allerdings sehnte sie Anka herbei. Hoffentlich blieb sie 
nicht so lange aus, daß Ralf mißtrauisch wurde und weiter 
forschte! 

Doch er dachte gar nicht daran, er hatte augenblicklich mit 
sich selbst genug zu tun. Und dann mußte er packen, was 
denn auch in seinem Zimmer geschah. 
Für Lenore hatte er keinen Blick, kein Wort. Er tat so, als ob 
sie gar nicht anwesend wäre. Regungslos lag sie da, die 
Hände hinter dem Kopf verschränkt, den 
schmerzverdunkelten Blick auf die Decke gerichtet. Ihr war 
sterbenselend zumute. 
Sie zuckte zusammen, als die Schlösser des Koffers 
einschnappten. Ungemein aufreizend klang es, so, als 
wollte der Mann damit ausdrücken, daß er nun sein 

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Bündel geschnürt hätte, um damit einen Weg zu wandern, 
der weit ab von dem ihren führte. 

Dann ging er hinaus. 
Als er nach Stunden zurückkehrte und zu Bett ging, stellte 
Lenore sich schlafend. Ach, wenn sie es doch wirklich 
könnte! Aber sie lag schlaflos da, starrte in die Dunkelheit 
und zergrübelte sich das Hirn, was nun werden sollte. 
Sie hatte Angst, eine bebende Angst vor der Zukunft. Für 
die wenigen Minuten, da sie die Beherrschung verlor und 
ihm entgegenschrie, was sie so lange schweigend erduldet 
hatte, würde sie schwer büßen müssen. 
Erst beim Morgengrauen schlief sie ein, und zwar so fest, 
daß sie nicht merkte, wie der Gatte aufstand. Erst als sie die 
Stimme der Schwiegermutter hörte, die im Korridor laut 

und wortreich den Sohn verabschiedete, da schreckte sie 
auf. 
Er war gegangen, wirklich gegangen, ohne ihr Lebewohl zu 
sagen. 
Doch nein, nicht ganz so. Lenore entdeckte auf ihrem 
Nachttisch einen Umschlag, den sie mit zitternden Fingern 
aufriß und dann die wenigen Zeilen las. 
Du wirst bei meiner Mutter bleiben, bis ich zurückkomme, das 
befehle ich Dir! Alles Weitere wird sich dann finden. Ralf.
 

Und dem Brief lag das Geld bei – ihre Weihnachtsgabe an 
ihn. 
So schieden zwei Menschen, die sich doch eigentlich aus 
Liebe geheiratet hatten. 
Nun begann für die junge Frau eine Leidenszeit, die kaum 
zu ertragen war. Immer wieder spielte sie mit dem 
Gedanken, ihrem armseligen Leben einfach ein Ende zu 
machen, schreckte aber immer wieder davor zurück. Denn 
was sie vermutet hatte, war nun zur Gewißheit geworden. 
Ihr Leben zu vernichten, wäre ihre eigene Angelegenheit 
gewesen, aber bei dem keimenden Leben, das sie in sich 
trug, hielt sie es für Mord. 

Von Ralf wußte sie nichts – und wollte auch nichts von 
ihm wissen; machte sich gar nichts daraus, daß er nicht an 

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sie schrieb. Wenn er wieder zu Hause war, mochte er über 
sie bestimmen, wie er wollte, ihr war alles recht. Sie 

empfand über nichts mehr Schmerz und Trauer, konnte 
kaum noch logisch denken, Herz und Hirn schienen wie 
ausgebrannt. 
Was sie tat, geschah alles automatenhaft. Sie aß und trank 
so nebenbei, arbeitete ihr Pensum ab, sank am Abend 
todmüde ins Bett, schlief den Schlaf tiefster Erschöpfung – 
bis der Wecker am Morgen sie wieder aufrief zur 
gewohnten Fron. 
Und die beiden Damen? Nun, die freuten sich ihres 
Lebens, das aus Müßiggang und Vergnügen bestand. Nun, 
sie konnten es sich ja leisten! Den Haushalt versorgte ihre 
Sklavin, und Geld für ihre Zerstreuungen besaßen sie jetzt 

mehr denn je, da der Sohn und Bruder jedem der Briefe, 
die mindestens zweimal in der Woche eintrafen, einen 
Geldschein beizulegen pflegte, den er von seinen 
Tagegeldern absparte. 
Um den Anschein zu wahren, erkundigte er sich in den 
Briefen stets nach Lenore – und diese Fragen beantwortete 
die Frau Mama auf ihre Art, nämlich mit faustdicken 
Lügen. 
Es änderte sich – allerdings nicht nach Wunsch der 
raffinierten Frau Das Schicksal griff endlich ein – aber auch 
nicht gerade zugunsten des bedauernswerten jungen 
Menschenkindes. 

Oder doch? 
Eine Frage, die sich schwer beantworten ließ. 
Es war an einem bitterkalten Tag Anfang Februar, als 
Lenore zur großen Wäsche befohlen wurde. Sie war gerade 
dabei, einen Korb voll davon in die Waschküche zu tragen, 
als ihr so schwindlich wurde, daß sie den Korb fallen ließ, 
der mit großem Gepolter die Treppe hinabsauste. 
Das hörte man in der Parterrewohnung, wo man gerade 
beim Frühstück saß. 
»Was war denn das?« fuhr Herr Warteck samt Gattin und 
Schwiegertochter erschrocken hoch. »Es hörte sich fast so 

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an, als wäre jemand die Treppe heruntergefallen.« 
Schon sprangen sie auf, eilten in den Flur und bemerkten 

zuerst einmal den Korb, der seines Inhalts entledigt dalag. 
Und als die Blicke weiterschweiften, erfaßten sie auch 
Lenore, die sich krampfhaft am Geländer festhielt. Das 
Gesicht erschreckend blaß, die Augen wie erloschen. 
Gleich darauf wurde die regungslose Gestalt von 
hilfreichen Armen umfaßt und vorsichtig in das 
Wohnzimmer geführt, wo Frau Warteck das elende 
Geschöpf behutsam in den Sessel drückte. 
»Frau Skörsen, was haben Sie denn?« fragte sie leise. »Sie 
sind ja weiß wie die Wand.« 
»Mir wurde schwindlig«, tropften die Worte langsam von 
den Lippen. »Aber das – vergeht – wieder.« 

»Dann haben Sie das schon öfter gehabt?« 
»Ja, das gehört wohl zu meinem Zustand.« 
Die drei Menschen warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. 
Mütterlich streichelte Frau Warteck über das 
goldschimmemde Köpfchen und sagte mit leisem Vorwurf: 
»Aber Kindchen, dann dürfen Sie doch nicht so schwere 
Körbe schleppen! Das sollte der Herr Gemahl nun wirklich 
nicht dulden, schon gar nicht als Arzt.« 
»Er ist ja nicht da und weiß außerdem von meinem 
Zustand noch nichts.« 
»Und die Schwiegermutter?« 
»Auch nicht. Und wenn, würde sie bestimmt keine 

Rücksicht darauf nehmen.« 
»Sieht der Menschenschinderin ähnlich«, brummte der alte 
Herr. »Was sie nämlich mit Ihnen treibt, kann man nur mit 
Schinderei bezeichnen. Die ganze Nachbarschaft hält sich 
schon darüber auf. Wenn der Herr Doktor zurückkommt, 
wird sich schon jemand finden, der den Mut hat, ihm über 
seine von ihm so verehrte Mutter die verblendeten Augen 
zu öffnen. Ich aber werde sofort zu der Megäre gehen und 
ihr gehörig den Marsch blasen.« 
»Bitte, nicht!« hielt Lenore ihn angstvoll am Ärmel zurück. 
»Ich müßte ja doch nur dafür büßen.« 

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»Sie hat recht«, bestätigte Frau Warteck, ein liebes, 
betuliches Muttchen, das man sich beim besten Willen 

nicht als böse Schwiegermutter vorstellen konnte, und die 
es gewiß auch nicht war. Sie liebte ihre Schwiegertochter 
wie ein eigenes Kind und begriff es einfach nicht, daß es 
auch anders sein könnte. 
»Lenore!« drang jetzt eine laute, scharfe Stimme bis zu 
ihnen hin. Erschrocken sprang Lenore auf und hastete 
davon. 
»Na, wenn einem da nicht der Kragen platzen soll, dann 
gibt es so was überhaupt nicht«, knurrte Herr Warteck wie 
ein gereizter Kettenhund. »Und es findet sich keiner, der 
dieses bedauernswerte Geschöpfchen aus den Krallen 
dieser Bestien befreit. Alle sind zu feige dazu – auch wir.« 

»Mann, es tut nicht gut, sich in die Angelegenheiten seiner 
Mitmenschen zu mischen.« 
»Ach was!« sagte er unwirsch. »Es gibt ja sogar 
Tierschutzvereine. Halt mal, zetert die alte Scharteke da 
oben nicht wieder? Das höre ich mir jetzt nicht mehr 
länger mit an. Ich werde ihr so fünf Minuten lang das 
Leben bestimmt nicht lieb machen.« 
Zornig stampfte er ab, doch schon hängten Gattin und 
Schwiegertochter sich in seine Arme. 
»Alter, mach ja keine Dummheiten!« bat Frau Warteck 
beschwörend. »Wenn du denen da oben Grobheiten sagst, 
schadest du dem armen Ding mehr, als du ihm nützt. Wir 

wollen erst mal sehen, was da überhaupt los ist.« 
Spaltbreit öffnete sie die Korridortür, und nun konnte man 
jedes Wort hören, das gesprochen wurde. 
»Beeil dich gefälligst, damit ich sehen kann, daß du auch 
wirklich in die Waschküche gehst!« schrillte die Stimme 
Frau Rosalias, die gleich der Tochter zum Ausgehen 
gekleidet auf der halben Treppe stand, die Lenore nun 
hinabhastete. Wobei sie das Pech hatte, im Vorbeigehen 
der Schwägerin auf den Fuß zu treten, was diese so erboste, 
daß sie der jungen Frau einen harten Stoß versetzte. 
»Kannst du nicht aufpassen, du Tolpatsch!« 

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Aber da wurde der alte Herr mobil. Die Tür flog auf, mit 
einigen Sätzen war er auf der Treppe und sprang mit 

erhobenen Fäusten auf Anka zu, die sich mit lautem 
Aufschrei hinter den Rücken der Mutter flüchtete. 
»Kanaille!« knirschte der Mann, außer sich vor Empörung. 
»Raus aus meinem ehrbaren Haus, das keinen Platz für 
Mörder hat! Zur Polizei werde ich gehen und Anzeige 
erstatten.« 
Weiter kam er nicht, weil die beiden Feiglinge Reißaus 
nahmen. Wie gejagt hetzten sie die Treppe hinauf, die 
Etagentür knallte zu. Und dann atembeklemmende Stille, 
in die nur das Weinen der jungen Frau Warteck tönte. Auf 
dem Boden kniend, hielt sie im Schoß Lenores Kopf, der 
aus einer Wunde blutete, die sie sich am Flußabkratzer 

geschlagen hatte. 
»Mein Gott, sie ist doch nicht etwa tot?« fragte schluchzend 
die junge Frau, doch der Schwiegervater, gleich der Gattin 
zutiefst erschüttert, sagte leise: 
»Gottlob nicht, mein Kind. Sieh nur, ihre Augenlider 
zucken. Faß an, wir bringen sie zu uns. Dann rufe ich 
sofort das Krankenhaus an und bestelle den Wagen, denn 
bei dem harten Aufprall wird die Wunde wohl nicht die 
einzige Verletzung sein.« 
Damit sollte er recht behalten. Als Lenore nämlich nach 
vielen Bemühungen endlich zu sich kam, krümmte sie sich 
vor Leibschmerzen. Zum Glück kam der Krankenwagen 

überraschend schnell, die Bahre wurde hineingeschoben, 
die Türen schlossen sich. 
Das war Lenores Auszug aus dem Haus, das sie vor einem 
Vierteljahr so bangen Herzens betreten hatte. 
Der Chefarzt des Krankenhauses »Zur Barmherzigkeit« saß 
in seinem Zimmer und prüfte die Röntgenaufnahmen, die 
heute gemacht worden waren. Er hatte einen 
verantwortungsvollen Posten. 
Klein, rundlich, mit einem rosigen Gesicht und 
respektabler Glatze sah er eher wie ein gemütlicher Onkel 
als wie eine Respektsperson aus. Aber er war eine, das 

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wußten alle, die mit ihm zu tun hatten. 
»Herein!« forderte eine markige Stimme, die an dem Mann 

geradezu frappierte, zum Eintritt auf, und schon schob sich 
ein haubengeschmückter Kopf vorsichtig durch den 
Türspalt. 
»Ist es erlaubt, Herr Professor?« 
»Eigentlich nicht, verehrte Oberin, aber kommen Sie 
schon.« 
Gleich darauf stand ein weibliches Wesen vor dem 
mächtigen Schreibtisch, das man als Pendant des Arztes 
bezeichnen konnte. Aber auch hier trog der Schein, das war 
längst bewiesen; denn die Oberschwester war alles andere 
als ein rundliches Tantchen. 
Professor Hollgart lehnte sich im Schreibtischsessel zurück, 

schob die große Brille auf die Stirn und sah die 
Oberschwester vergnügt an, die seine beste Mitarbeiterin 
und Vertraute war seit vielen Jahren. Daher bestand auch 
zwischen ihnen ein Ton, den sich ein gewöhnlicher 
Sterblicher beileibe nicht diesen beiden Gefürchteten 
gegenüber erlauben durfte. 
»Na, nun schießen Sie mal los, Agathchen, was gibt’s? Sie 
machen nämlich den Eindruck, als hätten Sie so allerlei auf 
dem Herzen. In der Klemme?« 
»Man hat eine Patientin eingeliefert, Herr Professor.« 
»Das dürfte bei uns wohl nichts Neues sein.« 
»Aber die Patientin heißt Lenore Skörsen.« 

»Wie – was? Etwa die Frau unseres Ralf?« horchte er auf, 
und sie nickte. 
»Stimmt genau.« 
»Was hat sie?« 
»Eine nicht ungefährliche Kopfwunde und einen Abortus.« 
»Nanu, wie ist das beides zugleich möglich? Ist das 
Unglückswürmchen etwa vor Schmerzen gegen die Wände 
gerannt?« 
»Nein. Die liebe Schwägerin hat sie wutentbrannt die 
Treppe hinuntergestoßen.« 
»Jetzt schlägt es aber dreizehn«, sagte der Arzt verblüfft. 

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»Wo gibt es denn so was?« 
»Kommt in den besten Familien vor – sagt ein Ausspruch.« 

»Oberin, Ihre Pomadigkeit möchte ich auch mal haben. 
Gottsdonner, da wird der Ralf aber staunen, wenn er 
zurückkommt! Wo haben Sie die Ärmste untergebracht?« 
»In meinem Zimmer.« 
»Wozu das? Ist sonst nichts mehr frei?« 
»Sogar noch ein Bett in Zweiter.« 
»Und warum bringen Sie die Kranke da nicht unter?« 
»Sie spricht im Fieber, Herr Professor, und zwar 
mancherlei, was dem Ralf nebst Angehörigen nicht gerade 
zur Ehre gereicht.« 
Sie sahen sich an und verstanden sich wie immer auch 
ohne viele Worte. 

»Wer hat sie eingeliefert?« fragte der Arzt nach 
sekundenlangem Schweigen. »Etwa die lieben 
Anverwandten?« 
»Die werden sich hüten. Die Wirtsleute, die auch mit 
ansahen, wie der Unfall geschah, begleiteten die Kranke.« 
»Sind sie noch im Haus?« 
»Ja.« 
»Ich möchte sie sprechen.« 
Minuten später standen Wartecks vor dem Professor und 
der Oberschwester. Sie weinte in sich hinein, er machte ein 
Gesicht, als würde er am liebsten alles um sich her 
verschlingen. Bevor der Arzt ihn noch dazu auffordern 

konnte, legte er auch schon los, mit Grimm und Groll 
geladen bis zur Halskrause. 
Und so bekamen denn die beiden atemlos Lauschenden 
das ganze Martyrium Lenores zu hören – kraß, 
schonungslos, aber auch wahrheitsgemäß. Denn Herr 
Warteck war kein Freund von Klatsch, der in der engeren 
Umgebung natürlich herrlich blühte, er verließ sich lieber 
auf seine eigenen Augen und Ohren. 
»So ein schönes, liebes Kind«, sagte er mit vibrierender 
Stimme, nachdem er alles andere vom Herzen gepoltert 
hatte. »Die hätte lieber eine alte Jungfer werden sollen, als 

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so einen verblendeten Duckmäuser heiraten.« 
»Warum verblendet?« warf der Arzt ein. 

»Weil er Mutter und Schwester für noble Naturen hält, 
während sie in Wirklichkeit ausgewachsene Kanaillen 
sind…« 
»Nun, nun – wer sagt denn so was?« 
»Ich, Herr Professor – und ich bin kein Schwätzer.« 
»Nein, das ist er nicht«, bestätigte die Gattin mit 
tränendunkler Stimme. »Er sagt eher zuwenig als zuviel. 
Und was er jetzt sagte, stimmt Wort für Wort. Oder glaubt 
der Herr Professor etwa nicht, daß es so schlechte 
Menschen gibt?« 
»O ja, das glaube ich schon, sonst wären Gefängnisse und 
Zuchthäuser wohl nicht so überfüllt. Frau und Fräulein 

Skörsen kenne ich nur ganz flüchtig, kann mir daher kein 
Urteil über sie erlauben. Aber Dr. Skörsen kenne ich gut 
und möchte beinahe behaupten, daß er kein schlechter 
Mensch ist – eher verblendet, wie Sie es bezeichneten. 
Jedenfalls haben Sie herzlichen Dank, daß Sie sich der 
bedauernswerten jungen Frau so liebreich annahmen. Daß 
Sie über alles schweigen, darum brauche ich Sie wohl nicht 
extra zu bitten?« 
»Nein, ich halte den Mund. Ob ich es jedoch diesem 
vernagelten Doktor gegenüber tun werde, dafür verbürge 
ich mich allerdings nicht. Wird für Lenore auch wirklich 
alles getan werden?« 

»Was in Menschenkräften steht. Das sind wir schon allein 
unserem Mitarbeiter Dr. Skörsen schuldig.« 
»Ach der«, brummelte der alte  Herr.  »Der  hat  ja  keine 
Rücksicht verdient. Wann kommt er zurück?« 
»Übermorgen. Und nun muß ich Sie leider verabschieden, 
weil ich zu der Patientin gehen möchte. Haben Sie 
nochmals herzlichen Dank.« 
»Was wir taten, war Selbstverständlichkeit, Herr Professor. 
Dürfen wir mal anrufen und fragen, wie es der Lenore 
geht?« 
»So oft Sie wollen.« 

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»Dann danke schön.« 
Damit zogen sie ab, und der Arzt sah die Oberschwester so 

durchbohrend an, als wollte er ihr die Gedanken aus dem 
Hirn ziehen. 
»Wieviel glauben Sie von dem Gehörten, Agathe?« 
»Jedes Wort, Herr Professor. Das ist kein Mann, der 
aufschneidet oder gar lügt.« 
»Ei, der Donner!« Er kratzte steh den Kopf. »Na, prost 
Mahlzeit! Denn Ihre Menschenkenntnis ist mir zu gut 
bekannt, als daß ich sie anzuzweifeln wage. Kommen Sie, 
sehen wir uns das Unglückswürmchen an.« 
Als sie das Zimmer der Oberschwester betraten, fanden sie 
außer der Patientin auch den jüngsten der Ärzte vor. 
»Nun, mein Lieber, solo?« fragte der Chef. »Ohne 

Assistenz?« 
»Zu gefährlich, Herr Professor«, entgegnete der lange 
Mensch mit dem sommersprossigen Gesicht und den 
weißblonden Haaren in aller Trockenheit, die ihm eigen 
war. »Lenorchen schwatzt nämlich, und das ist nicht von 
Pappe. Wirft kein gutes Licht auf unsern lieben Ralf.« 
»Wie steht es mit, den Wehwehchen?« 
»Das im Bäuchlein ist futsch.« 
»Von wie lange ungefähr?« 
»Zwei Monate.« 
»Hat sie sehr zu leiden gehabt?« 
»Nein, ich gab ihr eine Spritze. Nun duselt sie dahin und 

redet.« 
Prüfend sah der Professor auf die Patientin nieder, die ein 
fieberheißes Gesicht hatte. Um die Stirn trug sie einen 
Verband. 
»Das ist ja noch ein halbes Kind. Scheint hübsch zu sein.« 
»Und ob!« bekräftigte der Lange mit einer Pomadigkeit, die 
andere manchmal in Rage bringen konnte. Sein trockener 
Humor ließ da, wo er auftauchte, keine Traurigkeit 
aufkommen, was den Kranken oft bessere Medizin war als 
sämtliche Mixturen. 
»Ausgerechnet mich scheint sie für ihren Mann zu halten – 

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Kunststück, so schön wie ich bin!« 
Die beiden anderen konnten nur mit Mühe ein amüsiertes 

Lachen unterdrücken; denn der lange Arzt war alles andere 
als schön. 
»Woraus schließen Sie das?« fragte der Chef. 
»Einesteils fleht sie mich an, sie nicht zu verlassen, 
andererseits hält sie mich für so eine Art von Schuft – und 
ich habe doch so gar keine Schuld.« 
Während die Oberschwester rasch das Taschentuch gegen 
die Nase drückte, beugte sich der Professor zu der Patientin 
nieder, um so seinen lachenden Mund zu verbergen. Es sah 
aber auch zu komisch aus, wie der junge Mann dastand mit 
Sorgenfalten auf der Stirn, den langen Rücken gebeugt, als 
läge auf ihm alle Last der Welt. 

»Kleine Frau, wie geht es Ihnen?« sprach Hollgart sie 
behutsam an, und da huschte ein Ausdruck von Qual über 
ihr Gesicht. 
»Lassen Sie mich, ich bin tot!« kam es dann murmelnd 
über die zersprungenen Lippen. »Das wird Ralf freuen.« 
Betroffen richtete der Arzt sich auf und flüsterte den beiden 
anderen zu: »Was mag der Skörsen da bloß angerichtet 
haben? Hat Ihnen das die kleine Frau vielleicht in ihrem 
Halbdusel verraten, Wilmar?« 
»Bruchstücke«, kam es gleichfalls flüsternd zurück. »Aber 
wenn man sie zu leimen versteht, formen sie sich hübsch 
zu einem Ganzen.« 

»Und das wäre?« 
»Die Schwiegermutter hat den Skörsen wahrscheinlich zur 
Hochzeit mit der Tochter bewogen. Geld muß da auch eine 
Rolle spielen, da das süße Dinglein von Raten spricht, 
welche zwei Weiblichkeiten ihr erpressen wollen, die wohl 
überhaupt ihre Peiniger sind. Müssen ja liebe Herzchen 
sein – Pack möchte ich am liebsten sagen, nach alledem, 
was das arme Hascherchen da mir über sie verriet. Naja, 
und dann der gute Ralf. Muß ganz nett was auf dem 
Kerbholz haben. Zuerst heißes Flehen, sie nicht zu 
verlassen, und zuletzt der gequälte Schrei: Rühr mich nicht 

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an, ich verachte dich!« 
»Ei, verflixt!« Der Chef kratzte sich den Kopf. »Das scheint 

ja böse auszusehen. Hört mal zu: Nur wir drei allein dürfen 
die Kranke betreuen, dürfen keinen anderen Arzt, keine 
andere Schwester zu ihr lassen. Sonst gibt es hier einen 
Klatsch, der nicht so ohne ist.« 
»Weil auch ich der Ansicht bin, habe ich die Patientin in 
mein Bett gelegt«, gestand die Oberschwester, und der 
junge Arzt setzte hinzu: 
»Weil mir das höchst sonderbar erschien, habe ich mir 
gedacht: Achtung, Feind darf nicht mithören! und habe 
daher die liebliche Charitas, die so dienstbeflissen 
assistieren wollte, erst gar nicht in das Allerheiligste 
gelassen.« 

Wie Verschwörer sahen sich die drei Menschen an, die 
gewohnt waren, miteinander durch dick und dünn zu 
gehen. Und sie taten es auch, der Chef konnte den beiden 
Getreuen trauen wie sich selbst. 
Als vierter hatte bisher Dr. Skörsen gezählt, aber nachdem 
man solche Unerfreulichkeiten von ihm hören mußte… 
»Behalten Sie die Kleine diese Nacht hier, Oberin, und 
achten Sie gut auf das, was sie spricht! Morgen früh frage 
ich meine Schwägerin, ob wir ihr unser Sorgenkind ins 
Zimmer bringen können.« 
Tierarzt Dr. Hermann Hollgart war ein Bruder des 
Chefarztes der »Barmherzigkeit« und Gatte der Dame, von 

der der Professor in so wannen Worten sprach. 
Sie war auch wirklich eine prächtige Frau. Immer vergnügt 
und guter Dinge, voll Mutterwitz, zufrieden, 
verständnisvoll und stets hilfsbereit. 
Da eine Operation bei ihr notwendig wurde, hatte sie sich 
dem Schwager anvertraut, der sie dann zurechtschnippelte, 
wie er es schmunzelnd bezeichnete. Nun war sie über das 
Ärgste hinweg, lag zufrieden in ihrem Bett und machte 
Ärzten sowie Schwestern das Leben gewiß nicht schwer. 
»Oha, der hohe Herr!« begrüßte sie den Professor, der 
soeben eintrat. »Warum denn heute so früh?« 

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»Weil ich es vor Sehnsucht nach dir nicht länger aushalten 
konnte«, ließ er sich schmunzelnd auf den Bettrand nieder. 

»Wie geht es, geliebte Gertraude?« 
»Unverschämt gut, geliebtes Dickerchen. Steck die 
gestrenge Miene weg, meine Respektlosigkeit hört ja keiner. 
Rück lieber mit deinem Anliegen heraus.« 
»Wer sagt dir denn, daß ich eins habe?« 
»Mein sechster Sinn, Schwagerherz. Schieß los!« 
So sprach er denn über das, was er von anderen gehört und 
selbst beobachtet hatte. Sprach rückhaltlos, weil er wußte, 
daß er dieser Frau voll und ganz vertrauen konnte. 
Aufmerksam hörte sie zu und wischte sich, als er schwieg, 
über die nassen Augen. 
»Gott, so ein armes Wurm! Also los, ein Bett her, an die 

gegenüberliegende Wand gestellt, und dann hinein mit der 
kleinen Frau! Ist sie immer noch ohne Besinnung?« 
»Seit heute früh nicht mehr. Aber eine Gesellschafterin 
wirst du kaum an ihr haben, sie liegt apathisch da und 
spricht kein Wort.« 
»Na, laß man, das kommt noch«, tröstete Gertraude. »Sie 
wird sich schon alles vom Herzen reden, das heißt, falls sie 
Vertrauen zu mir fassen sollte.« 
»Wer sollte das bei dir wohl nicht?« entgegnete er warm. 
»Aber nicht aufstehen, Traude, hörst du?« 
»Warum sollte ich denn?« 
»Nun, ich kenne dich doch. Dich und deine 

Hilfsbereitschaft.« 
»Die aber nicht so weit geht, daß ich mir dabei Schaden 
zufüge«, unterbrach sie ihn lachend. »Ich werde schon die 
Klingel in Bewegung setzen, wenn die Kleine was braucht.« 
»Und bestimmt nicht selbst zu ihr gehen?« 
»Bestimmt nicht – auf Ehre!« 
»Dann bin ich beruhigt.« 
»Das beruhigt wiederum mich. Nun ab mit dir, schaff dein 
Sorgenkind her!« 
Eine halbe Stunde später wurde dann Lenore umgebettet, 
höchstpersönlich von der Oberschwester und dem 

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Professor. Wenig später erschien dann auch sein Assistent 
Dr. Wilmar Hörse und fragte verschmitzt: 

»Gnädige Frau, ist das nun ein fürstliches Aufgebot oder 
nicht?« 
»Wenn Sie dabei sind, immer«, gab sie schlagfertig zurück. 
Doch dann nahm sie mal erst ihren »Zuwachs« in 
Augenschein und war nicht wenig überrascht. Sie griff nach 
Block nebst Drehstift, die auf dem Nachttisch lagen, und 
schrieb im Telegrammstil, während die anderen um die 
Kranke bemüht waren: 
Der kleinen Frau schon einmal begegnet. Anfang November. 
Saß auf dem Bahnhof im Wartesaal verschüchtert und weinend. 
Eine Woche verheiratet, wartete auf den Gatten. Hatte Hunger, 
gab ihr eine Schnitte ab. Wurde dann zutraulich, die übrigens 
bildhübsche Kleine, lachte sogar. Gerade da erschien der Herr 
Gemahl. Sprach von Gewissensbissen, weil er sie so lange warten 
ließ. Leider mußte ich fort zum Zug – aus’.
 
Diesen Zettel steckte Gertraude verstohlen dem Schwager 
zu, der ihn in die Kitteltasche gleiten ließ. Später las er ihn 
dann gemeinsam mit der Oberschwester und dem 

Assistenten, und dann sahen sie sich erst einmal betroffen 
an. 
»Au Backe!« sprach Wilmar als erster. »Ein Geheimnis 
umhüllt uns mit dunstigem Nebel.« 
»Durch den meine Schwägerin schon ihr Geisteslicht 
dringen lassen wird«, spann der Chef trockenen Tones den 
Faden weiter. »Außerdem werde ich dem guten Ralf, sofern 
ich seiner ansichtig werde, mal so ein bißchen die 
Daumenschrauben ansetzen.« 
Es war am nächsten Tag gegen Abend, als es wieder an der 
Tür zum Allerheiligsten klopfte, wie die Zimmer des 
Professors nebst dem der Oberschwester von der ganzen 

Belegschaft betitelt wurden. In der Annahme, daß es 
»Agathchen« wäre – denn kein anderer Sterblicher hätte es 
sich erlauben dürfen, unangemeldet ins Allerheiligste zu 
dringen – rief er sein kräftiges: »Herein!« 
Doch nicht die rundliche Gestalt mit dem Häubchen auf 

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dem glattgescheitelten Haar trat durch die aufgehende Tür, 
sondern ein hochgewachsener Mann. 

»Ach, Sie sind es, Herr Dr. Skörsen«, sagte der Chef 
gedehnt, und der junge Arzt zuckte bei der formellen 
Anrede zusammen. »Ist gut, daß Sie da sind, ich habe mit 
Ihnen zu sprechen.« 
»Nicht mehr erforderlich, Herr Professor«, winkte der 
andere müde ab. »Ich bin von dem, was Sie mir sagen 
wollen, bereits unterrichtet.« 
»Wer tat es?« 
»Mein Hauswirt.« 
»Aha! Und was haben Sie zu Ihrer Entschuldigung 
vorzubringen?« 
»Nichts, Herr Professor.« 

»Nehmen Sie Platz!« 
Ralf tat es. Lehnte sich in dem tiefen Sessel zurück und 
schloß die Augen. Sein hartgeschnittener Mund zuckte. 
Und da war es dem ihm gegenübersitzenden Mann, als ob 
er die warnende Stimme der Oberschwester hörte: Ei, Herr 
Professor, erst hören, und dann, wenn mit Recht, 
verurteilen. 
»Kognak?« fragte er kurz. 
»Bitte.« 
»So, mehr gibt es nicht«, erklärte Hollgart energisch, 
nachdem Ralf drei Glas des scharfen Getränks 
hinuntergestürzt hatte. Er brachte die Flasche in Sicherheit 

und betrachtete den anderen kopfschüttelnd. 
»Sie scheinen mir nicht zu knapp durcheinander zu sein, 
mein lieber Freund. Ich kann mir nicht helfen, ich finde 
mich in Ihnen einfach nicht zurecht. Sie sind doch sonst 
ein scharfsinniger Mensch, wie konnten Sie sich da bloß 
von zwei – äh, hm – so unverantwortlich blenden lassen? 
Hat die Gattin denn nie Klage über ihre Peiniger…« 
Bei dem Wort zuckte der junge Arzt zusammen, als hätte 
man ihm eine Ohrfeige versetzt. Hollgart, der es bemerkte, 
murmelte verlegen: 
»Entschuldigen Sie, bitte!« 

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»Nichts zu entschuldigen, Sie haben ja recht«, kam es 
endlich bitter von den schmalen Männerlippen. »Daß ich 

meine Verblendung büßen muß, ist nur gerecht. Aber daß 
meine Frau so unsagbar darunter leiden mußte, das ist es, 
was mich fast wahnsinnig werden läßt.« 
Aufstöhnend beugte er sich vor, dabei die Fäuste in die 
Augen pressend. Und da hatte der Professor das Gefühl, als 
stülpe sich ihm der Magen um. 
»Aber, aber«, würgte er hervor. »Wie kann man nur? Sie 
sind doch ein Mann.« 
»Aber was für einer!« lachte Ralf hart auf. »Nämlich einer, 
der sich von zwei raffinierten Weiblichkeiten blauen Dunst 
vormachen läßt, wie Herr Warteck mir voller Empörung 
entgegenschrie. Ich kann dem Mann noch nicht einmal 

gram sein, er sprach die Wahrheit – eine grausame 
Wahrheit.« 
»Ralf, nun reißen Sie sich mal gefälligst zusammen! Ich 
kann Ihre Selbstvorwürfe ja verstehen, aber sie dürfen nicht 
in Verzweiflung ausarten. Ihre Frau lebt ja und wird gewiß 
nicht unversöhnlich sein.« 
»Doch, sie verachtet mich.« 
»Hat sie Ihnen das gesagt?« 
»Ja.« 
»Bei welcher Gelegenheit?« 
»Bitte, Herr Professor.« 
»Nichts da, mein Lieber!« wurde der andere unwirsch. »Sie 

sind doch Arzt und müssen daher wissen, daß es Wunden 
gibt, bei denen man beherzt die Sonde ansetzen muß, 
wenn man sie zum Heilen bringen will. Also?« 
Da sprach der Mann mit müder, schleppender Stimme. 
Sagte alles, verschwieg auch das kleinste nicht. Als alles 
gesagt war, meinte Hollgart achselzuckend: 
»Da wundern Sie sich etwa noch darüber, daß Ihre Gattin 
Sie verachtet?« 
»Nein, jetzt nicht mehr, nachdem mir die Binde von den 
Augen gerissen wurde, die ich Trottel mir so arglos 
vertrauend umbinden ließ. Wie soll ich wohl Achtung von 

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meiner Frau verlangen, der ich mich selbst verachten 
muß?« 

»Na ja, gewiß.« Der Professor räusperte sich, dem es aber 
auch gar nicht wohl in seiner Haut war. »Fehler macht ja 
schließlich jeder, sonst wären wir ja keine fehlerhaften 
Menschen. Wie heißt es im Horaz: Niemand wird ohne 
Fehler geboren, der Beste ist der, den die kleinsten 
drücken.« 
»Nun, klein sind die meinen doch wahrlich nicht.« 
»Aber auch nicht unverzeihlich.« 
»Gebe Gott, daß meine Frau genauso denkt oder 
wenigstens mit der Zeit denken lernt.« 
»Wird sie schon, sie ist ja noch so jung. Und nun mal eine 
Frage: Wußten Sie wirklich nicht, daß Ihre Gattin sich – äh, 

hm – in gesegneten Umständen befand?« 
»Nein. Ich konnte mich ja gerade in letzter Zeit so wenig 
um sie kümmern, weil ich beruflich so völlig in Anspruch 
genommen war. Und dennoch… Ach, was soll man noch 
viel darüber reden, verpfuscht bleibt verpfuscht.« 
»Hören Sie mal, Ralf, ich hätte nie gedacht, daß Sie die 
Flinte so leicht ins Korn werfen könnten. Sie tun es doch 
bei den Kranken nicht, geben die Hoffnung bis zuletzt 
nicht auf. – Na ja, ich will da nicht so klug reden«, lenkte er 
rasch ab, als er das qualdurchwühlte Gesicht sah. »Lassen 
wir genug sein des grausamen Spiels, damit Sie endlich zur 
Ruhe kommen.« 

»Ruhe – ich? Das ist ja wie ein Witz, Herr Professor. Darf 
ich jetzt zu meiner Frau?« 
»Auch das noch! Mein lieber Freund, Sie gehen doch sonst 
so behutsam mit Ihren Kranken um, bewahren sie vor 
Aufregung wie ein Zerberus. Wissen Sie was? Gehen Sie 
nach Hause, nehmen Sie eine Tablette, meinetwegen auch 
zwei…« 
»Nein, nach Hause gehe ich nicht«, wurde er hart 
unterbrochen. »Es würde dann sicherlich ein Unglück 
geben.« 
»Mein Gott, Mann, Sie können einem ja die kalte Angst in 

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die Glieder jagen«, brummte der Dicke unbehaglich. »Ich 
glaube jetzt auch, daß Sie in dieser Verfassung zu allem 

fähig wären. Vergessen Sie um Himmels willen nicht das 
vierte Gebot!« 
»Ich, Herr Professor?« 
»Auch Sie – trotz allem. Du sollst Vater und Mutter ehren.« 
»Ach nee?« 
»Bengel, Sie sind mir heute zu rebellisch. So gehen Sie 
denn in das Zimmer, das Ihnen hier zur Verfügung steht. 
Legen Sie sich ins Bett, aber nicht ohne Schlaftabletten.« 
Damit schob er ihn kurzerhand hinaus, und als Ralf 
verschwunden war, knurrte er erbost: 
»Verflixte Weiber! So was müßte auf dem Scheiterhaufen 
verbrannt werden.« 

Frau Skörsen senior und die ihrer würdige Tochter Anka 
hatten die vergangenen drei Tage nicht gerade in 
geruhsamer Beschaulichkeit verbracht. Aber nicht etwa, 
weil ihnen das Gewissen schlug, das sie übrigens gar nicht 
besaßen, sondern aus feiger Angst vor dem Sohn und 
Bruder. 
Und daß diese Angst nicht unbegründet war, sollten sie 
erfahren, als der Mann vor ihnen stand, um Abrechnung zu 
halten. Hoch aufgerichtet stand er da, mit steinernem 
Gesicht und einer Ruhe, die manchmal ärger wirken 
konnte als ein Wutausbruch. Jedes Wort, das er sprach, 
kam dem Sturz eiskalten Wassers gleich. 

»Also, das bist du, Mama, wirklich du«, besah er sich ganz 
eingehend die Frau, die aus feiger Angst an allen Gliedern 
zitterte, weil hinter dieser eiskalten Ruhe eine helle Flamme 
zu lodern schien. »Und dich habe ich bis gestern mittag 
noch über alle Frauen der Welt gestellt. Nun, für meine 
blöde Verblendung werde ich die Konsequenzen tragen, 
aber auch ihr werdet es für eure erbärmliche Niedertracht.« 
»Ralf, du sprichst mit deiner Mutter!« 
»Leider.« 
»Ralf, denk an das vierte Gebot!« 
»Habe ich bisher stets getan. Doch nun ist Schluß damit – 

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böse Beispiele verderben gute Sitten.« 
»Ralf, so hab doch mit mir Erbarmen!« 

»Hast du das etwa mit dem jungen Geschöpf gehabt, das 
ich dir so arglos anvertraute? Sprich jetzt nicht, es wäre ja 
doch nur Lüge und Scheinheiligkeit. Um die Sache kurz zu 
machen: Fortan trennen sich unsere Wege. Du wirst dich 
nach einer anderen Wohnung umsehen müssen, da Herr 
Warteck mir diese gekündigt hat.« 
»Dir?« 
»Natürlich, wem denn sonst? Denn ich bin der Eigentümer 
dieser Wohnung, weil ich die Miete zahlte. Jedenfalls muß 
die Wohnung bis zum ersten März geräumt sein. Das wäre 
das. Und nun weiter: Selbstverständlich zahlst du die 
Monatraten an meine Frau nach wie vor.« 

»Und wenn ich es nicht tue?« 
»Dann gibt es ein Gesetz, das dich dazu zwingen wird.« 
»Da soll ich von den paar Groschen, die mir bleiben, gar 
noch die Miete für die neue Wohnung zahlen?« 
»Ganz recht. Die paar Groschen betragen immerhin 
monatlich dreihundert Mark, davon kann eine Person ganz 
gut leben.« 
»Und Anka?« 
»Die soll arbeiten und sich ihren Lebensunterhalt selbst 
verdienen, wie es Millionen Mädchen auch müssen. Und 
nun genug davon, damit wir endlich zum Ende kommen. 
Das alles widert mich nämlich an. Der Koffer, den ich in 

Berlin mithatte, befindet sich im Krankenhaus, wo ich fürs 
erste auch wohnen werde. Die Sachen, die noch hier sind, 
hole ich später ab, auch die von meiner Frau.« 
»Und die Möbel?« 
»Komische Frage. Du scheinst immer noch nicht begriffen 
zu haben, daß die Wohnung bis zum ersten März geräumt 
sein muß. Bis dahin werde ich wohl noch einige Male 
herkommen müssen und ersuche euch, mir dann nicht in 
den Weg zu treten. So, das wäre alles.« 
Brüsk wandte er sich ab, die Tür fiel hinter ihm zu, und die 
beiden Zurückbleibenden saßen erst einmal da, als hätte 

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man ihnen einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf 
gegossen. 

Drei Tage lang lag Lenore noch so apathisch da. Dann 
begann langsam das Interesse für ihre Umgebung, die sie 
bisher kaum wahrgenommen. Die Augen hatten den 
stumpfen Ausdruck verloren, blickten, wenn auch nicht 
gerade munter, so doch schon klar, und was sie erspähten, 
regte die Denkfähigkeit an. 
Daß sie im Krankenhaus lag, war ihr natürlich bekannt. Sie 
war ja noch bei Bewußtsein gewesen, als man sie dort 
einlieferte. Doch nachdem ihr der Arzt die Spritze gegeben 
hatte, hatte die Denkfähigkeit ausgesetzt. Im Dämmerschlaf 
duselte sie dahin, gleichgültig gegen alles, was mit ihr 
geschah. 

Zwar war Lenore sensibler Natur, aber so sensibel nun 
wiederum auch nicht, um völlig in Apathie zu versinken. 
Schließlich zählte sie erst zwanzig Jahre, war körperlich wie 
geistig kerngesund. Da rang sich die Natur schon durch, 
hinauf zum Licht, versank nicht in die Düsternis völliger 
Lethargie. 
Zuerst fiel Lenore auf, daß sie sich jetzt nicht mehr in dem 
Zimmer befand, in das man sie nach der Einlieferung 
bettete. Als sie dann den Blick weiterschweifen ließ, 
bemerkte sie in dem gegenüberliegenden Bett eine Dame, 
die sie freundlich anlachte. Sie kam ihr irgendwie bekannt 
vor, doch bevor sie noch darüber grübeln konnte, wo sie 

dieses Gesicht schon einmal gesehen hätte, sprach eine 
Stimme lieb und herzlich: 
»Guten Morgen, kleines Murmeltierchen! Endlich 
ausgeschlafen?« 
»Ja.« 
»Oho, das klingt noch reichlich verträumt. War es denn so 
schön im Land der Träume?« 
»Ja.« 
»Na, lassen Sie nur, auf unserer alten Mutter Erde ist es 
auch ganz schön. Doch nun schauen Sie mich mal genauer 
an – fällt Ihnen an mir nichts auf?« 

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»Doch, Sie kommen mir irgendwie bekannt vor, ich kann 
mich nur nicht erinnern.« 

»Obwohl wir bereits von dem berühmten Scheffel Salz die 
ersten Körnchen miteinander verzehrten?« 
»Wie soll ich das verstehen?« 
»Nun, das Salz befand sich in der Schnitte Brot, die ich 
Ihnen spendierte.« 
»Dann sind Sie die Dame vom Bahnhof?« 
»So ist es.« 
»Was tun Sie denn hier?« 
Es klang so erstaunt, daß die andere lachte. Und dieses 
warme, herzliche Lachen legte sich wie Balsam auf Lenores 
wundes Gemüt. 
»Was tut man wohl im Krankenhaus, wenn man nicht 

gerade zur Zunft gehört, Sie Dummchen?« 
»Man ist krank.« 
»Also. Das bin ich auch, vielmehr ich war es. Denn jetzt 
fühle ich mich wieder mopsfidel und möchte aufstehen, 
wenn mein gestrenger Herr Schwager nicht so hartherzig 
wäre.« 
»Hat denn der Herr über Sie zu bestimmen?« 
»Will ich meinen. Er ist hier nämlich Chefarzt.« 
»Professor Hollgart?« 
»Ganz recht. Ich habe die Ehre, die Frau seines Bruders zu 
sein, führe den schönen Namen Gertraude Hollgart.« 
»Danke. Daß ich Lenore Skörsen heiße, ist Ihnen wohl 

schon bekannt?« 
»Allerdings. Ihr Name steht ja auf der Tafel über Ihrem 
Kopf.« 
Wird sie nun nach ihrem Mann fragen? dachte Gertraude 
erwartungsvoll. 
Doch nein, Lenore schwieg und war Minuten später 
eingeschlafen. 
Nun, Traude war auch so zufrieden. Es schien mit dem 
armen Wurm, wie sie Lenore bei sich nannte, endlich 
bergauf zu gehen. 
Da der Herr Professor seine Schwägerin nicht im 

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Krankenzimmer sprechen konnte, weil man ja nicht sicher 
war, ob Lenore da nicht mithörte, hatte er Gertraude 

gebeten, alles Bemerkenswerte über diese aufzuschreiben, 
was sie auch gewissenhaft tat. 
Doch so viel wie heute hatte noch nie auf dem Zettel 
gestanden, den Gertraude dem Schwager zusteckte, als er 
später erschien. Er ging ans Fenster, las, nickte zufrieden, 
trat dann an das Bett und sah prüfend auf die Fieberkurve. 
»Also fieberfrei«, sprach er absichtlich laut, worauf die 
junge Frau auch prompt erwachte. 
»Da ist unser Sorgenkind ja endlich«, lachte er sie 
freundlich an. »Dazu noch mit so klaren Guckerchen, das 
freut mich aber. Aha, da steckt unsere Schwester Agathe 
ihren haubengeschmückten Kopf durch den Türspalt. Und 

das Gesicht, das darüberschwebt, gehört dem Nesthäkchen 
unserer ärztlichen Zunft, Dr. Hörse benamst. Tretet näher, 
damit unsere kleine Majestät ihren Vasallen Audienz 
erteilen kann.« 
Sie traten näher und standen dann vor dem Bett Lenores, 
die so rührend jung und so rührend süß dalag in ihrem 
spitzenbesetzten Nachtkleidchen. Langsam stieg die Röte 
der Verlegenheit in das feine Gesicht. 
»Guten Tag«, sagte sie schüchtern. »Ich – ich möchte aber 
nun wirklich nicht… Bitte, nicht so viel Aufhebens mit mir 
machen.« 
»Das tun wir hier mit schönen Frauen immer«, blähte sich 

Wilmar förmlich auf. »Bitte sehr: Cherchez la femme!« 
In dem Moment lugte ein allerliebstes Gesichtchen durch 
den Türspalt, und eine Stimme fragte zaghaft: 
»Darf ich nun endlich zu meiner Mutti?« 
»Du darfst«, ermunterte der Chef des Hauses, worauf ihm 
ein reizendes Mägdlein um den Hals flog, das aber auch 
kein bißchen Respekt vor dem Gefürchteten zu haben 
schien. Ein rosiger Mund drückte sich auf seine Wange, was 
er sich schmunzelnd gefallen ließ. Doch dann setzte er eine 
Amtsmiene auf. 
»Das Plappermäulchen im Zaum halten, verstanden?« 

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»Bei dem Ton allemal, Onkelchen«, lachte die Kleine ihn 
lieblich an. Dann huschte sie zum Bett Gertraudes, küßte 

sie stürmisch und setzte sich dann mit einer Miene auf den 
Bettrand, die zu sagen schien: Geschafft ist geschafft. 
Nachdem sich die beiden Ärzte nebst der Oberschwester 
lachend entfernt hatten, sprach Gertraude zu Lenore 
hinüber, die dem allen mit sehnsüchtigen Blicken gefolgt 
war: 
»Das ist meine Tochter llga – und das ist meine liebe 
Zimmergenossin Frau Skörsen.« 
»Guten Tag, Frau Skörsen«, grüßte das Mädchen artig. »Wie 
geht es Ihnen?« 
»Danke, ich kann nicht klagen.« 
»Das hört man gern. Und wie ist es mit dir, geliebtes 

Muttileinchen, wann kommst du nach Hause?« 
»Das sind zwei Fragen, du Irrwisch. Also: es geht mir gut, 
und nach Hause komme ich vorerst noch nicht.« 
»Oh, Mutti!« 
»Oh, llga! Zieh kein Mäulchen, es geht nicht anders. Wie 
steht es zu Hause?« 
»Alles noch auf demselben Fleck. Die Madam hat nun 
endlich ihr Kind gekriegt, entzückend, sage ich dir. Mit 
einer so süßen Schnauze und so wunderbar gefleckt. Auch 
Eulalia hat sich vermehrt, aber diesmal nur zwei Junge 
geworfen.« 
»Halt ein!« unterbrach die Mutter lachend ihre Tochter, die 

vor Eifer ganz rote Bäckchen bekommen hatte. »Sieh dir 
mal die entsetzten Augen von Frau Skörsen an. Sie wird 
einen schönen Begriff von deiner Ausdrucksweise 
bekommen.« 
»Ja, warum denn?« 
»Weil du erzählst, das Kind der Madam hätte eine süße 
Schnauze, und Eulalia hätte Junge geworfen.« 
»Richtig!« lachte Ilga hell auf. »Nichtsdestotrotz stimmt’s. 
Denn das Kind ist ein Kälbchen, und die Jungen sind 
Kätzchen.« 
»Ach so«, versuchte Lenore mit den anderen zu lachen, 

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doch es klang wie ein schluchzender Laut. 
Erschrocken sah Ilga ihre Mutter an, die ihr einen Wink 

gab, in der Erzählung fortzufahren. Doch so munter wie 
vorher ging es nicht mehr, das wehe Lachen klang noch in 
Ilga nach, die so ganz das Kind ihrer Mutter war und daher 
auch das weiche Herz besaß. 
Das heißt, auch ihr Vater war ein warmherziger Mensch, 
besaß dazu Humor und ein frohes Gemüt. Also konnte das 
Kind dieser Eltern ja gar nicht anders sein, zumal Ilga von 
beiden etwas mitbekommen hatte. Groß, schlank, dunkles 
Haar, blaue Augen und ein rundliches Gesicht mit frischen 
Farben und Grübchen in den Wangen. Alles zusammen gab 
ein reizendes Mägdlein ab. 
Ilga, die durch die Briefe der Mutter über Lenore bereits 

unterrichtet war, tat diese ohnehin schon leid. Und nun sie 
dieses elende Geschöpf mit den übergroßen Augen sah, tat 
ihr das Herzchen sogar weh. 
»Wir haben nämlich eine kleine Landwirtschaft«, erzählte 
sie weiter, zuerst zögernd, dann immer eifriger. »An Tieren 
besitzen wir ein Pferd, eine Kuh, drei Schweine, zwei 
Hunde, zwei Katzen, Hühner, Enten, Gänse, Puten nun, 
eben das, was zu einer Landwirtschaft gehört.« 
»Wie schön«, sagte Lenore leise. Es klang so voller 
Sehnsucht, daß Ilga nun wirklich die Tränen kamen. 
Gut, daß die Oberschwester eintrat und das Essen für 
Lenore brachte. Da sprang Ilga lachend auf. 

»Aha, das bedeutet soviel wie einen Hinauswurf. Also, 
verehrte Frau Oberin, ich gehe schon freiwillig.« 
Sie verabschiedete sich von der Mutter mit herzlichem Kuß, 
winkte den anderen zu. Die Tür schloß sich, wurde dann 
jedoch noch einmal spaltbreit geöffnet. 
»Muttilein, das übliche Mitbringsel befindet sich wie üblich 
in der üblichen Tasche.« 
Dann erst entschwand Ilga endgültig, und die 
Oberschwester sagte lachend: 
»So ein richtiger Wirbelwind. Sie hat Sie doch nicht etwa 
aufgeregt, Frau Skörsen?« 

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»O nein, im Gegenteil, sie kann so lieb erzählen.« 
Jetzt kam noch eine Schwester hinzu, die das Essen für 

Gertraude brachte. In den letzten drei Tagen hatte die 
Oberin sie allein versorgt, doch nun Lenore wieder bei 
vollem Bewußtsein und somit ihrer Sinne mächtig war, 
konnte man getrost das Pflegepersonal zu den Patientinnen 
lassen. 
Die junge Schwester konnte es sich natürlich nicht 
verkneifen, die Frau des »schönen Mannes« der Anstalt 
neugierig zu betrachten. Also bemerkte sie auch den 
Kopfverband und hätte so liebend gern gewußt, warum, 
weshalb, wieso. Sie wagte natürlich nicht zu fragen, weil ihr 
das in Gegenwart der Oberin schlecht bekommen wäre. 
»Na, Schwester, was bringen Sie denn heute Gutes?« fragte 

Gertraude munter, sich dabei ohne Hilfe aufsetzend. »Ah, 
Hühnerfrikassee, Salat, Kompott und Speise, direkt 
fürstlich. Und was kriegt mein kleiner Kumpel?« 
»Der muß noch ein wenig diät leben«, antwortete die 
Oberin, die Lenore soeben aufgerichtet hatte und nun die 
Kopfstütze des Bettes hochzog. »Sitzen Sie so gut, Lenore?« 
Schau mal an, beim Vornamen wird sie von dem Rollmops 
– das war der Spitzname der Oberschwester – genannt! 
dachte die junge Schwester respektlos. Gehört somit zur 
Kategorie der Bevorzugten wie die dicke Traude. 
Absichtlich machte sie sich in dem Zimmer zu schaffen, in 
der Hoffnung, etwas Interessantes zu erlauschen. Doch 

leider schickte die Oberin sie hinaus, und enttäuscht zog 
sie ab. 
»Guten Appetit!« sprach Agathe zu Gertraude hin, die, das 
Tablett vor sich, vergnügt zu schmausen begann, während 
Lenore keine Anstalten machte, ihre Brühe zu löffeln. 
Bittend sah sie die Oberin an, die jedoch kein Erbarmen 
hatte. 
»Nichts da, kleine Frau, es wird gegessen! Vier Tage haben 
Sie so gut wie nichts in den Magen gekriegt. Wenn Sie so 
weitermachen, werden Sie ewig hier liegen müssen.« 
»Warum denn nicht? Es ist doch hier so schön.« 

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»Kind, Sie sind wohl nicht recht gescheit!« sagte Traude in 
so komischem Entsetzen, daß nicht nur die Oberschwester 

lachte, sondern auch Lenore. »Du lieber Himmel, welcher 
Mensch bleibt denn gern im Krankenhaus! Nun essen Sie 
gefälligst, sonst steh ich auf und füttere Sie.« 
»Sie kriegt es fertig«, bestätigte Agathe immer noch lachend. 
»So werde ich das wohl verhindern müssen, indem ich Sie 
füttere.« 
Was dann auch geschah. Lenore mußte schlucken, bis der 
Teller leer war. 
Sie nahm das Tablett, ging hinaus, und als Gertraude 
bemerkte, daß Lenore bereits schlief, kuschelte sie sich voll 
Behagen in das Kissen und wechselte hinüber ins 
Traumland. 

Indes erstattete der Chefarzt dem Kollegen Bericht über das 
Befinden seiner Frau. 
»Ich glaube, wir haben sie jetzt über den Berg«, sprach er 
dann weiter. »Wenn kein Rückschlag kommt, dann kann 
sie in ungefähr zehn Tagen die Anstalt verlassen. Und was 
wird dann aus ihr?« 
»Wenn ich das wüßte, Herr Professor. Ginge es nach mir, 
würde ich sie solange in einer Pension unterbringen, bis 
ich eine Wohnung für uns gefunden habe. Aber ich fürchte, 
sie wird darauf nicht eingehen.« 
»Das fürchte ich auch. Na, warten wir ab, mit der Zeit 
kommt dann auch der Rat. Hauptsache, daß die kleine Frau 

wieder ganz gesund wird, körperlich wie seelisch. Ich bin 
nur gespannt, wann sie nach Ihnen fragen wird. Schließlich 
können Sie ja nicht ihrem Gedächtnis entschwunden sein, 
denn das Hirn ist vollkommen intakt.« 
So war es auch. Lenore beschäftigte sich in Gedanken 
schon mit dem Gatten, doch keine Frage kam über ihre 
Lippen, obwohl sie wußte, daß er wieder im Krankenhaus 
arbeitete. 
Vernünftig von ihm, sich bei ihr nicht sehen zu lassen. 
Unweigerlich hätte sie ihm die Tür gewiesen, so verbittert 
war sie. 

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Schade, daß die Heilung der Wunde so gut voranging. 
Hätte sie es nur gekonnt, so hätte sie das gewiß 

aufgehalten, um noch recht lange hierzubleiben, wo es ihr 
so gut ging. Wo alle so lieb zu ihr waren, hauptsächlich 
Frau Hollgart. Wenn Lenore morgens erwachte, freute sie 
sich schon auf den Tag, den sie mit dieser prächtigen Frau 
verbringen durfte, die sie so sehr an ihre Mutter erinnerte. 
Sie schwatzten geruhsam über dies und jenes und kamen 
so eines Tages auch auf Lenores Eltern zu sprechen. So 
erfuhr Gertraude, daß die Mutter der jungen Frau einem 
Patriziergeschlecht entstammte, da oben von der 
Waterkant. 
»Daher stamme ich auch«, sagte Traude vergnügt. »Nur daß 
mein Vater kein Patrizier war, sondern ein gottgelehrter 

Mann, nämlich Pfarrer. Übrigens war ich das schwarze 
Schaf der Familie, weil ich so gar keine sittsame 
Pfarrerstochter abgab. War eher wie ein ungebärdiges 
Füllen, das über die Stränge schlug vor lauter Übermut. 
Übrigens hatte ich ein zweites Ich, das mir auch sogar 
äußerlich ähnlich sah. Allerdings waren wir auch so um 
sieben Ecken miteinander verwandt. Wir hielten 
zusammen wie Pech und Schwefel. Jedenfalls war der Herr 
Senator über seine Tochter genauso entsetzt wie der Herr 
Pfarrer über sein mißratenes Kind. Schade, daß wir später 
so nach und nach auseinanderkamen. Das lag wohl daran, 
daß sie erstens einige Jahre früher heiratete als ich und 

dann mit ihrem Gatten lange auf Reisen ging. Zuerst 
kamen Kartengrüße aus aller Herren Länder, dann blieben 
auch die allmählich aus, und zuletzt hörten wir überhaupt 
nichts mehr voneinander. Ich denke noch so oft an meine 
liebe Melanie…« 
»Wie heißt sie?« fragte Lenore hastig dazwischen. 
»Melanie«, entgegnete die andere verwundert. »Melanie 
Höverking.« 
»Das war meine Mutter.« 
Zuerst sah Gertraude die junge Frau nicht gerade geistreich 
an, doch dann ging das Fragen los, hin und her, kreuz und 

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quer. Kein Irrtum war möglich, die Tochter Melanie 
Höverkings lag dort im Bett. 

»Na, so was.« Gertraude schüttelte immer wieder den Kopf. 
»Gibt es nun eine Schicksalsbestimmung oder nicht? 
Ausgerechnet mit der Tochter meiner Lanie liege ich hier 
Bett an Bett. Daher kamen Sie mir gleich so lieb und 
vertraut vor. Obwohl Sie Ihrer Mutter nicht direkt ähnlich 
sehen, haben Sie doch so manches von ihr, was mir jetzt so 
richtig auffällt, nun ich im Bilde bin. Das Kind meiner 
Lanie – ich kann es immer noch flicht fassen. Na, da 
werden wir mal gleich die fremde Anrede lassen. Du bist 
für mich die Lenore, und ich bin für dich die Tante Traude, 
einverstanden?« . 
»Und wie! Lieber Gott, ich danke dir, daß du mir einen 

Menschen in den Weg führst, der meine Mutter gekannt 
und geliebt hat.« 
Es klang so erschüttert, daß der weichherzigen Gertraude 
die Tränen in die Augen schossen. 
»Lenore, willst du mir nicht von deinen Eltern erzählen?« 
fragte sie leise. 
»Gern. Ich bin ja so froh, daß ich mich einmal aussprechen 
kann.« 
Und dann erzählte sie von ihrer Mutter, dieser lieben, 
gütigen Frau, von ihrem Vater, der erheblich älter war und 
wohl gerade deshalb seine Frau auf Händen trug und sein 
einziges Kind förmlich vergötterte. Sprach von ihrer 

Kindheit, die so unbekümmert und glückselig verlief, bis 
sich das Glück jäh von ihr abwandte. 
Zuerst der Tod des Vaters. Dann kam der Schlaganfall, der 
die Mutter lähmte, dann die ständige Angst um das geliebte 
Leben, dann die überstürzte Heirat, gewissermaßen am 
Sterbebett der Mutter. 
Und dann brach sie brüsk ab. Die Lippen preßten sich 
zusammen, die Augen verfinsterten sich. 
Gertraude sah es mit Schrecken, hütete sich jedoch, eine 
Frage zu stellen. Leise sagte sie: 
»Dann hast du armes Kind in deinen jungen Jahren ja 

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schon viel Schweres mitgemacht. Ich weiß auch gar nicht, 
was ich dir zum Trost sagen soll, es würde alles so banal 

klingen. Jedenfalls freue ich mich riesig, die Tochter meiner 
Lanie gefunden zu haben«, schlug sie absichtlich einen 
munteren Ton an. »Da werden wir beide jetzt 
Gesprächsstoff haben, noch und noch.« 
Weiter konnte sie nicht sprechen, da Dr. Hörse sich durch 
die Tür schob, wie gewöhnlich die Hände in den 
Kitteltaschen, den langen Rücken leicht gebeugt. Vergnügt 
pfiff er die Melodie des Liedes: 
Von allen den Mädchen so blink und so blank gefällt mir 
am besten die Lore… 
»Sagen Sie

(

vergnügtes Huhn, wann haben Sie mal schlechte 

Laune?« fragte Gertraude lachend, und seelenruhig kam es 

zurück: 
»Dann müßte ich ja einen Flunsch ziehen, der auf die 
Dauer ein verknittertes Gesicht macht – und meins ist doch 
so glatt und schön. – Und was macht unsere Süße?« 
»Die wird Sie bald bei den Ohren nehmen, wenn Sie weiter 
so respektlos sind«, drohte Traude, worauf er sie 
vorwurfsvoll ansah. 
»Aber gnädige Frau, warum so streng mit dem 
Wilmarchen? Er ist doch sooo ein liebes Bübchen.« 
Da mußte selbst Lenore lachen – und der junge Arzt hatte 
erreicht, was er wollte. Er setzte sich zu ihr, und während er 
mit behutsamen Händen den Kopfverband abnahm, fuhr 

er mit seinen Schnurren und Spaßen fort. Damit pflegte er 
die Kranken abzulenken – dann tat es nur noch halb so 
weh. 
Was bei Lenore übrigens gar nicht nötig war; denn sie 
fühlte keinen Schmerz, weil die Wunde fast schon heil war. 
Befriedigt nahm der Arzt das zur Kenntnis. 
»Na also, das haben wir beide wunderbar hingekriegt. Da 
ein Verband nicht mehr nötig ist, kleben wir ein Pflaster 
auf die Tonsur.« 
Nachdem dies geschehen war, besah er wohlgefällig sein 
Werk. 

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»Einfach schick, modern, überhaupt wie der letzte Schrei! 
Wie ein rosenrotes Band inmitten der Lockenpracht. Herz, 

bleib hart!« 
Da lachte Lenore hier zum erstenmal so goldig, daß den 
beiden anderen ganz warm ums Herz wurde. Sie dachten 
beide dasselbe, nämlich daß Dr. Skörsen ein kompletter 
Narr wäre, weil er dieses entzückende Menschenkind, das 
ihm das Schicksal in die Hand gegeben, so schlecht gehütet 
hatte. 
»Wer wagt denn da, unsere heilige Ruhe zu stören?« sprach 
Wilmar pathetisch, als es klopfte. »Herein!« 
Gleich darauf stand in der Tür eine Schwester, die ganz 
überflüssig fragte: 
»Ist Herr Dr. Hörse hier?« 

Nun, der war doch in seiner Länge bestimmt nicht zu 
übersehen. Gerade wollte er fragen, ob die Schwester eine 
Lupe brauchte, als ein weibliches Wesen sichtbar wurde, 
das Lenore wie ein Wunder anstarrte. 
»Ja – Fräulein – was machen Sie denn hier?« 
»Krank sein«, versetzte Wilmar pomadig. »Aber woher 
kennen Sie denn das Fräulein Fridchen?« 
»Die hat doch meinen Jungen so lieb gehalten.« 
»Was – etwa über die Taufe?« 
»Also, Herr Doktor, daß Sie doch nie Ihre Spaßvogelei 
lassen können!« 
»Apartes Wort!« 

Da lachte Fridchen Druschke und mit ihr die anderen. 
Sprudelnd vor Eifer erzählte sie das kleine Intermezzo im 
Eisenbahnabteil, in dem auch dieser fabelhafte Dr. Skörsen 
mitfuhr. 
Wilmar, der sie zuerst Lenores wegen unterbrechen wollte, 
besann sich eines anderen und ließ dem Plappermäulchen 
freien Lauf. 
Und dann wagte er etwas, das Gertraude fast den Atem 
verschlug. 
»Was meinen Sie wohl, Fridchen, als was Ihr Fräulein sich 
entpuppen wird?« 

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»Da bin ich aber neugierig.« 
»Als Gattin unseres Dr. Ralf Skörsen.« 

»Nein!« 
»Ja. Machen Sie den Mund zu, Fridchen, sonst wird’s 
Herzchen kalt. Und nun lassen Sie mal dieses gewiß 
interessante Thema fallen, und sagen Sie mir, was Sie sonst 
noch auf dem Herzen haben.« 
»Ach so, ja – mein Junge zahnt.« 
»Weshalb gehen Sie da nicht zum Zahnarzt?« 
»Da gibt es doch gar nichts zu ziehen.« 
»Doch – so ein bißchen die Beißerchen raus, damit es 
schneller geht.« Und nun mal gemeinsam ab! Was meinen 
Sie wohl, wie uns Dr. Skörsen auf die Zehen tritt, wenn er 
erfährt, daß wir sein heißgeliebtes Weib womöglich 

aufregen – es ist nämlich krank.« 
Damit nahm er Fridchen Druschke ungeniert am Ärmel 
und zog sie mit sich fort. Die Tür klappte zu – und unter 
den beiden Zurückbleibenden war es erst einmal still. 
Am nächsten Tag eröffnete der Professor seiner Schwägerin, 
daß sie für eine Stunde aufstehen könnte, was dieser einen 
Freudenjauchzer entlockte. 
»Endlich. Nach vier Wochen wieder einmal spüren dürfen, 
daß man auch Beine hat.« 
»Die dir ganz nett zittern werden«, schmunzelte der 
Schwager. »Wetten, daß du schon früher, als du es sollst, 
wieder ins Bettchen zurücksinkst?« 

»Na, du, unterschätz mich nicht. Nach der guten Pflege hier 
fühle ich Kräfte, daß ich Bäume aus der Erde reißen 
könnte.« 
»Abwarten.« 
»Aber nicht lange, ich will nach Hause. Wann?« 
»Wenn dir das Aufstehen bekommt, in den nächsten 
Tagen.« 
»Wunderbar! Und wie ist es mit meinem reizenden 
Kumpelchen?« 
»Kann auch mal versuchen, sich auf die Beinchen zu 
stellen. Also, dann viel Vergnügen!« 

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Er ging, und Gertraude wollte gerade zur Klingel greifen 
und eine Schwester herbeibeordern, als ein schluchzender 

Laut ihre Hand sinken Heß. 
Erschrocken sah sie zu Lenore hinüber, die von Weinen nur 
so geschüttelt wurde. 
»Nore, um Himmels willen, was hast du denn?« 
Als keine Antwort erfolgte, sondern das stoßweise 
Schluchzen sich noch verstärkte, hielt es Traude nicht 
länger im Bett. Sie sprang auf – zwei lange Schritte, und sie 
umfaßte erbarmend die bebende Gestalt. 
»Kind, du darfst doch nicht so weinen!« sagte sie 
beschwörend. Doch schon umklammerten zwei Arme sie 
so fest, daß sie Mühe hatte zu atmen. Ein heißes Gesicht 
drückte sich gegen ihren Hals, der naß wurde von Tränen. 

Und unter Herzstößen brach es heraus: 
»Tante Traude, wenn du gehst, dann bin ich allein, so 
furchtbar allein.« 
»Aber Lenore, du hast doch deinen Mann.« 
»Nein!« schrie sie so gequält auf, daß die andere 
zusammenzuckte. »Ich will ihn nicht mehr sehen – nein, 
ich will ihn nicht mehr sehen!« 
Wieder dieses erschütternde Weinen, das Gertraude ins 
Herz schnitt. Ratlos sah sie auf das zuckende Köpfchen 
nieder. Ob sie nicht doch lieber den Schwager zur Hilfe 
rief? Nein, erst wollte sie versuchen, mit dem verzweifelten 
jungen Menschenkind allein fertig zu werden. 

»Hör mal zu, mein Kind«, begann sie behutsam. »Dein 
Mann ist doch nicht schlecht, er war nur in bezug auf seine 
Angehörigen verblendet. Nun ihm die Augen geöffnet 
worden sind, wird er sich hüten, dich noch einmal zu 
ihnen zu bringen. Was meinst du wohl, wie erschüttert er 
war, als er von Berlin zurückkehrte und hören mußte, was 
sich während seiner Abwesenheit zu Hause zugetragen 
hatte. Er ist darüber unglücklich genug.« 
»Mir egal, ich gehe nicht mehr zu ihm zurück. Und wenn er 
mich zwingen will, bringe ich mich um.« 
Es klang so entschlossen, daß Gertraude erschrak. 

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»Ja, was willst du denn sonst beginnen?« fragte sie zögernd. 
»Du bist doch so unerfahren, so weltfremd, daß du allein 

gar nicht bleiben kannst.« 
»Ob ich kann oder nicht, ich muß ja wohl.« 
So unendlich traurig klang es, daß Traude die Tränen in die 
Augen traten. Ein kurzes Überlegen, und dann die Frage, 
die das gute Herz ihr eingab: 
»Hör mal, Lenore, möchtest du erst einmal mit mir nach 
Hause kommen?« 
Da ging ein Ruck durch den grazilen Körper. Die Arme 
sanken, und zwei verweinte Augen sahen die gütige Frau 
ungläubig an. 
»Tante Traude, scherzt du etwa?« 
»Mein liebes Kind, danach ist mir jetzt wahrlich nicht 

zumute. Im Gegenteil, ich habe Angst um dich, weil du in 
deiner jetzigen Verfassung tatsächlich imstande wärest, eine 
nie wieder gutzumachende Dummheit zu begehen. Zu 
deinem Mann willst du nicht zurück, für dich allein 
bleiben darfst du auf keinen Fall. Also wärst du in meinem 
Haus am besten aufgehoben – das heißt, wenn du willst.« 
»Da fragst du noch? Oh, Tante Traude.« 
»Sieh mal an, wie du jetzt lachen kannst!« brummte sie. 
Doch schon wurde Lenore ernst. 
»Ich habe auch allen Grund dazu, Tante Traude. Weiß ich 
doch nun endlich, was aus mir wird. Glaub mir, ich habe 
Angst genug davor gehabt, so mutterseelenallein in der 

Welt dastehen zu müssen.« 
»Als Ehefrau«, warf Gertraude trocken ein. 
»Das zählt nicht – und wird auch nicht mehr zählen.« 
»Na, na, ist ja schon gut, reg dich bloß nicht wieder auf! 
Schlaf lieber.« 
»Habe gar kein Verlangen danach. Ich möchte dich 
fragen…« 
»Aber bitte nichts Unerfreuliches!« 
»Kommt ganz darauf an. Also: werden deine Angehörigen 
auch damit einverstanden sein, daß du mich so mir nichts 
dir nichts ins Haus bringst?« 

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»Sie werden sich freuen. Genügt dir das?« 
»Es ist mehr, als ich zu hoffen wagte. Wie lange darf ich bei 

euch bleiben?« 
»So lange du willst.« 
»Ach, Tante Traude, das würde wohl sein, solange ich lebe.« 
»Na schön«, meinte die andere nun schon ganz 
gottergeben. »Dann hat Ilga später wenigstens eine 
zuverlässige Muhme für ihre sechs Kinder, wie sie immer 
großtut. Die nimmt nämlich den Mund genauso voll wie 
du, mein Herzchen. Und nun hopp, heraus aus dem 
weichen Pfühl! Nutzen wir die Stunde, die der gestrenge 
Chef des Hauses uns bewilligt hat.« 
»Ich habe keine Lust aufzustehen.« 
»Wirst dich schon besinnen, wenn du mich so stramm auf 

beiden Beinen siehst.« 
Damit drückte sie auf den Knopf, und überraschend 
schnell erschien eine Schwester, über dem Arm die Kleider 
der beiden Patientinnen. 
»Nanu, Schwester, können Sie hellsehen?« 
»O nein, gnädige Frau, ich bin von der Frau Oberin bestens 
informiert. Wer von den Damen steht zuerst auf?« 
»Ich. Der kleine Faulpelz da findet es zu schön im Bett, als 
daß sie es verlassen möchte. Na, immer, wie jedem schön 
ist. Und nun wollen wir mal.« 
Schwungvoll verließ sie das Bett, stellte sich couragiert auf 
die Beine, die dann jedoch langsam zu zittern begannen. 

Doch tapfer hielt sie durch, bis sie angekleidet war, dann 
ließ sie sich aufatmend in den Korbsessel fallen und trank 
mit Behagen den stärkenden Wein, den die Schwester ihr 
brachte. Danach wurde sie so unternehmungslustig, daß sie 
erklärte: 
»Nun kommt ein Spaziergang durch den langen Korridor.« 
»Gnädige Frau, der ist nicht vorgesehen.« 
»Machen Sie nicht solche Angstaugen, Schwester Erika! Ich 
nehme diese Eigenmächtigkeit auf meine Kappe, also 
haben Sie nichts zu befürchten.« 
Lenore vergnügt zuwinkend, verließ sie das Zimmer. Doch 

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kaum, daß sie einige Meter gegangen war, lief sie der 
Oberschwester in die Arme. 

»Ja, gnädige Frau, sehe ich recht? Sind Sie es wirklich?« 
»Natürlich«, kam es lachend zurück. »Um hier als Geist 
einherzuwandeln, dafür bin ich denn doch zu rundlich.« 
»Na, so ein Leichtsinn! Schwester Erika!« 
»Lassen Sie die Schwester in Frieden«, unterbrach Gertraude 
sie gemütlich. »Die hat keine Schuld.« 
»Sie können gehen«, wandte die Vorgesetzte sich an das 
Mädchen, das nur zu gern entschwand. Als es außer 
Hörweite war, fragte Agathe gedehnt: 
»Na, gnädige Frau, wenn dieser Spaziergang nur nicht 
etwas zu bedeuten hat.« 
»Kluges Kind! Reichen Sie mir galant Ihren Arm und 

führen Sie mich zu meinem Schwager!« 
Der sah dann seiner Schwägerin unwillig entgegen: 
»Also, Gertraude…« 
»Stopp ab, Schwagerherz!« ließ sie sich in den nächsten 
Sessel sinken. »Gib mir lieber ein Glas Wein und laß mich 
dann reden. Es ist nämlich wichtig, was ich dir zu sagen 
habe.« 
»Brieflich hätte es auch genügt.« 
»Nein, dieses nicht.« 
Nachdem sie den Wein getrunken hatte legte sie sich im 
Sessel zurück und erwischte gerade noch den Ärmel der 
Oberin, die das Zimmer verlassen wollte. 

»Bleiben Sie bitte hier! Sie haben sich wahrlich um Lenore 
verdient gemacht, und von ihr werde ich jetzt sprechen.« 
Sie tat es, gab alles ziemlich wörtlich wieder. 
Danach war es erst einmal bedrückend still, bis der Arzt 
kopfschüttelnd sagte: 
»So ist dein gutes Herz wieder einmal mit dir 
durchgegangen, meine liebe Traude. Aber ich weiß nicht, 
ob Dr. Skörsen das anerkennen wird. Denn schließlich hast 
du über seinen Kopf hinweg eine Bestimmung getroffen…« 
»Ach was!« unterbrach sie ihn hitzig. »Der soll doch man 
ganz ruhig sein. Hat gerade genug auf dem Kerbholz.« 

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»Gertraude!« 
»Na ja, ich halte schon den Mund«, brummte sie halb 

ärgerlich, halb beschämt. »Ist es nicht besser für ihn, daß 
ich mich seiner Frau annehme, selbst über seinen Kopf 
hinweg, als daß sie sich ein Leid antut?« 
»Kindisches Geschwätz!« 
»Wenn du dich da nur nicht irrst. Wie ist Ihre Ansicht 
darüber, Frau Oberin?« 
»Daß man Lenores Reden nicht auf die leichte Schulter 
nehmen darf. Denn in solch einer seelischen Verfassung, in 
der sie sich jetzt befindet, hat schon mancher seinem Leben 
ein Ende gemacht.« 
»Will ich meinen«, nickte Gertraude. »Also wird man Dr. 
Skörsen mitteilen müssen…« 

»Was natürlich mir zugeschoben wird«, knurrte Rudolf 
Hollgart dazwischen. »Als ob es so einfach wäre, dem 
armen Kerl gewissermaßen den Dolch ins Herz zu stoßen. 
Außerdem wird er dann hier nicht länger bleiben wollen, 
und wir sind unsere beste Kraft los.« 
So kam es dann auch. Denn nachdem der Professor mit 
Skörsen gesprochen hatte, lachte dieser hart auf. 
»Das habe ich kommen sehen. Na, schön, mag meine Frau 
ihren Willen haben – sagen wir, vorerst mal auf ein halbes 
Jahr. Sie wird in der Zeit mich weder sehen noch von mir 
hören, da ich ins Ausland zu gehen gedenke. Ich habe 
während des Kursus, an dem auch Ausländer teilnahmen, 

mancherlei Verbindungen angeknüpft, die ich jetzt 
auszuwerten gedenke. Ich bitte daher, Herr Professor, mich 
meiner Verpflichtung hier zu entbinden, wenn möglich 
sofort.« 
»Also doch! So gehen Sie mit Gott. Sollten Sie jedoch ein 
Fiasko erleiden, dann steht Ihnen hier die Tür immer 
offen.« 
Es war drei Tage später. 
Gertraude und Lenore, die jetzt schon ziemlich sicher auf 
den Beinen waren, saßen in bequemen Sesseln und 
blätterten in Illustrierten. Im Zimmer war es mollig warm, 

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doch draußen fror es, daß es knackte. Kein Wunder, da 
man sich in der zweiten Hälfte des Februar befand. 

»Morgen gibt es einen klaren Wintertag«, sprach Gertraude 
in die Stille hinein, und Lenore sah sie erstaunt an. 
»Wie kannst du das heute schon wissen?« 
»Schau durch das Fenster und sieh dir die Sonne an, die 
blutrot hinter dem Horizont versinkt. Oder bist du so sehr 
Großstadtkind, daß du solche Anzeichen in der Natur nicht 
kennst?« 
»Na, Tante Traude, in der Großstadt gibt es schließlich 
auch einen Himmel und Sonnenuntergang.« 
»Aber alles verräuchert, mein Herzchen.« 
Lenore kam zu keiner Antwort, weil Schwester Erika eintrat, 
einen Koffer tragend, den sie zuerst abstellte und dann der 

jüngeren der Damen einen Brief überreichte. 
»Beides ist für Sie abgegeben worden, gnädige Frau.« 
Sie zog sich zurück. 
Lenore starrte erst einmal den weißen Umschlag an wie 
etwas, das nicht ganz geheuer war. Doch nachdem sie die 
Schrift erkannte, öffnete sie das Kuvert mit bebenden 
Händen. 
Während sie las, kam und ging die Farbe auf ihrem Gesicht 
in jähem Wechsel. Dann ließ sie das Schreiben sinken und 
sah wie hilflos zu Gertraude hinüber, die wohl ahnte, von 
wem es kam, sich jedoch abwartend verhielt. 
»Tante Traude?« 

»Ja?« 
»Ein Brief von meinem Mann. Willst du ihn lesen?« 
»Gern, wenn du mich dieses Vertrauens für würdig hältst.« 
»Bitte.« 
»Na schön, gib her!« 
Dann las sie aufmerksam, was da in prägnanter Schrift 
stand: 
 
Lenore! Da Du mich nicht mehr sehen willst, bin ich 
gezwungen, schriftlich von Dir Abschied zu nehmen. Ich habe 
mich für ein halbes Jahr als Arzt nach Australien verpflichtet. 

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Doch dann kehre ich wieder nach Deutschland zurück und hoffe 
Dich dann seelisch wie körperlich wieder ganz auf der Höhe zu 
finden. Es ist mir eine Beruhigung, Dich bei so prächtigen 
Menschen wie Familie Hollgart zu wissen.
 
Deine Möbel habe ich einem Spediteur übergeben. Kleider, 
Wäsche und sonstiges schicke ich an Deine neue Adresse. Einen 
Koffer erhältst Du gleichzeitig mit diesem Brief, er enthält das, 
was Du jetzt wohl nötig haben wirst. Der Kofferschlüssel steckt 
im Umschlag.
 
Und nun leb wohl, Lenore! Zürne mir nicht zu sehr, obwohl ich 
es verdient habe.
 
Ralf. 

 
»Ja, Kind, du hast es nicht anders gewollt«, sagte Gertraude, 
als sie den Brief zurückgab. »Nun beklage dich nicht!« 
»Tue ich auch gar nicht, Tante Traude.« 

Damit nahm sie den Schlüssel und öffnete den Koffer, in 
dem unter anderen Sachen auch ihr Pelz lag, den sie bei 
der Kälte wirklich nötig hatte. Ebenso den wannen Pullover 
nebst Rock, denn sie war ja in Hauskleid und 
Küchenschürze im Krankenhaus eingeliefert worden. 
Auch feste Schuhe fand sie vor, Mütze, Schal, Handschuhe. 
Ralf schien tatsächlich an alles gedacht zu haben. 
Selbst die Kassette mit dem Schmuck fehlte nicht. Als 
Lenore diese öffnete, lag obenauf ein Umschlag, in dem 
einige Hundertmarkscheine und ein Zettel steckten, auf 
dem stand: 
 
Dieses zuerst für Deinen Unterhalt. Weitere Summen gehen 
über Dein Bankkonto. Die Raten werden selbstverständlich 
weiter gezahlt.
 
Ralf. 
 

»Sieh mal, Tante Traude, wenn das da kein Unsinn ist!« 
hielt Lenore ihr unmutig die Scheine unter die Nase. »Ich 
habe doch Geld, von dem ich leben kann, schon allein von 
den Raten…« 

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»Das ist aber dein Geld, mein Kind«, unterbrach Gertraude 
sie gelassen. »Der Ehemann ist jedoch verpflichtet, für den 

Unterhalt seiner Frau zu sorgen.« 
»Gewiß. Na egal. Er muß ja wissen, was er tut.« 
Am nächsten Vormittag standen die beiden im Zimmer des 
Professors, um Abschied von ihm, der Oberschwester und 
dem jungen Arzt zu nehmen. Gertraude rundlicher denn je, 
so daß die Kleider ihr knapp paßten, Lenore schlank und 
biegsam wie eine Gerte. Der Pullover war so blau wie das 
leuchtende Augenpaar, das natürliche Gelock glänzte und 
gleißte im Schein der Wintersonne, die ins Zimmer 
strahlte. Jetzt sah man erst, wie schön dieses junge 
Menschenkind war, von einer natürlichen, bezaubernden 
Schönheit. 

»Die Narren werden eben nicht alle«, brummte Wilmar, 
und man wußte sehr wohl, wen er mit diesem Namen 
meinte: nämlich Skörsen, der es nicht verstanden hatte, so 
viel Köstlichkeit zu hüten. 
Lenore jedoch sah ihn kopfschüttelnd an. 
»Wer ist denn hier ein Narr, Herr Doktor?« 
»Ich. Ich werde weinen, wenn wir voneinandergehen.« 
»Wir sehen uns ja bald wieder«, tröstete Gertraude. »Ich 
will doch hoffen, daß Sie uns bald besuchen werden.« 
»Wenn ich darf, gnädige Frau, so will ich mich gewiß nicht 
lumpen lassen.« 
»Sähe Ihnen auch gar nicht ähnlich. Daß du kommst, 

geliebter Schwager, ist ja Selbstverständlichkeit, aber auch 
die Frau Oberin möchte ich gern mal zu unseren Gästen 
zählen. Wie wäre es, wenn Sie Ihren Urlaub bei uns 
verlebten?« 
»Ich nehme dankend an, gnädige Frau, ich komme mit 
tausend Freuden.« 
»Dann wäre ja alles aufs beste geregelt. Und nun weinen 
Sie, Herr Doktor, Ihre Süße wird Sie verlassen.« 
»Kann ich nicht, gnädige Frau. Meinen müdgeweinten 
Augen entquillt keine Träne mehr.« 
»Ist der Ausspruch etwa von Ihnen?« fragte Gertraude 

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lachend. 
»Und ob!« schlug er sich an die Brust. »Ich bin ein Denker 

und Dichter – sieht man mir das denn gar nicht an?« 
So nahm man denn lachend Abschied, und die beiden 
Expatientinnen fuhren im Auto des Chefarztes davon. In 
ihren Pelzen und dem geheizten Wagen spürten sie nichts 
von der Kälte da draußen, behaglich schmiegten sie sich in 
das weiche Polster. 
Der Hollgarthof war ein kleines, aber schmuckes Anwesen, 
blitzsauber und solide gebaut. Zwölf Morgen Land 
gehörten dazu, die ein Mann namens Matthes Ergurat 
bewirtschaftete. Er war schon auf dem Hollgarthof vor 
einem halben Jahrhundert geboren und hatte ihn nie 
länger als nur auf Stunden verlassen, mit so zäher Liebe 

hing er an ihm. 
Genauso wie sein Riekchen, das so wunderbar zu ihm 
paßte. Er schwang sein Zepter draußen, sie ihres in Küche 
und Keller. Und somit befand sich der Hollgarthof in den 
treuesten Händen. 
Diese beiden Getreuen standen nun am Fenster der 
geräumigen Küche und warteten voll Sehnsucht auf ihre 
Herrin. Und was da zwischen ihnen vor Aufregung 
zappelte, war der Abgott Ilga. 
Als das Auto dann endlich da war, stürmte Ilga davon und 
kam gerade zurecht, der aussteigenden Mutter um den Hals 
zu fallen. 

Vom Hof her rasten die beiden Hunde herbei, die an dem 
lieben Frauchen vor Freude jaulend hochsprangen, und um 
Frauchens Füße schnurrte die Katze Eulalia. 
»Herrschaften, laßt mich leben!« flehte Gertraude. »Laßt ab 
von mir und stürzt euch hier auf unseren Gast.« 
Allein bei dem benahmen sie sich denn doch gesitteter. Ilga 
hieß den Gast artig willkommen, Jagdhund und Dackel 
beschnupperten ihn vorsichtig, und Eulalia beäugte ihn aus 
der Ferne. 
»Nun kommt schon!« lachte Gertraude. »Sonst frieren wir 
hier noch an.« 

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Also zog man vereint in die Diele, wo Matthes und 
Riekchen standen, Hand in Hand. Er lang und hager, mit 

einem Gesicht, als wäre braunes Leder über die Knochen 
gespannt, sie klein und rundlich, wie es sich für eine gute 
Wirtschafterin gehört. 
»Na, ihr beiden Getreuen, ihr seht mich ja so angstvoll an? 
Nichts da, ich bin wieder gesund und fidel wie eh und je. 
Schaut mal, was ich mitgebracht habe, einen lieben Gast.« 
»Das ist schön – ja, ja, das ist schön!« lachte und weinte 
Riekchen durcheinander. »Aber am schönsten ist, daß wir 
unsere liebe Frau wiederhaben. Kein Leben war das ohne 
Sie.« 
»Nein, kein Leben.« Matthes nickte bekräftigend. »Aber 
jetzt ist wieder Leben, und wir können gehen.« 

Sprach’s, hängte die Pfeife in den Mundwinkel und stapfte 
befriedigt ab. 
»Bring aus dem Auto den größeren Koffer ins 
Fremdenzimmer!« rief Gertraude ihm nach. »Der kleine 
gehört mir. Und du, Riekchen, gib dem Chauffeur von dem 
Festessen, das du doch sicher zum Empfang bereitet hast. 
Aber keinen Alkohol, er muß heute noch zurückfahren.« 
»Nein, nein, wo werde ich denn so was! Der kriegt einen 
steifen Kaffee.« 
Weg war sie, und Ilga lachte hellauf. 
»Die beiden sind vor Freude ganz durcheinander. Riekchen 
hat jeden Winkel im Haus unter die Bürste genommen, 

dazu gebacken und gebrutzelt, als stände ein Hochzeitsfest 
bevor. Matthes hat Pferd und Kuh gestriegelt und die Hufe 
so blank geputzt, als müßten sie auf Lackschuhen zum 
Tanz. Die Schweine wurden gewaschen, am liebsten hätte 
er auch die Hühner in die Wanne gesteckt. Und das alles zu 
deinem Empfang, Mutzileinchen.« 
»Ja, sie sind rührend«, entgegnete Traude warm. »Nur mein 
Herr Gemahl…« 
»Erscheint wie auf ein Stichwort«, kam eine Baßstimme von 
der Tür her, durch die ein Mann trat – groß, breit, mit 
einem frischen Gesicht, von denen er jetzt das eine 

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verschmitzt zukniff. 
»Sei mir gegrüßt, mein holdes Weib, fleuche an mein 

Herz!« 
Damit breitete er die Arme aus, in die Gertraude lachend 
sank. 
Nach herzlicher Begrüßung machte sie sich frei und zeigte 
auf Lenore, die dem allen mit großen Augen gefolgt war. 
»Das da ist unser lieber Gast, Frau Skörsen.« 
»So was ist nun schon Frau.« Er betrachtete das grazile 
Persönchen kopfschüttelnd. »Das ist ja kaum aus den 
Windeln, zum Umpusten zart. Na, unser Riekchen wird 
schon Fleisch auf die Knöchelchen bringen. Doch zuerst 
mal herzlich willkommen.« 
Behutsam nahm er das Händchen, das sich ihm zaghaft 

entgegenstreckte, in seine braune Faust – und eine 
spontane Freundschaft war geschlossen. 
»Jetzt aber ab mit euch!« sagte Gertraude, sehr befriedigt 
von der beiderseitigen Sympathie. »Bring Lenore in ihr 
Zimmer, Ilga. Aber schwatzt euch dort nicht fest. Denn 
soweit ich Riekchen kenne, wird das Festmahl bald zum 
Vertilgen bereitstehen.« 
Die Treppe, die sie emporstiegen, war so breit, daß drei 
schlanke Menschen bequem nebeneinander gehen 
konnten. Überhaupt war alles in dem Haus weit und 
geräumig, wie man eben vor einem Jahrhundert gebaut 
hatte. 

Und so alt war das Gebäude bereits, aber tadellos gehalten 
und auch modernisiert, doch nur so viel, wie erforderlich 
war. Elektrisches Licht gab es natürlich, Anlage für kaltes 
und warmes Wasser, gekacheltes Badezimmer, aber keine 
Zentralheizung. Man zog die behäbigen Kachelöfen hier 
immer noch vor. 
Die Einrichtung der Räume war nicht gerade altmodisch, 
aber auch nicht vom sogenannten letzten Schrei, sondern 
vornehm, gediegen und behaglich. 
Ilga nannte ein allerliebstes Jungmädchenzimmer ihr eigen, 
zartgrüner Schleiflack mit bunten Seidenpolstern. 

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»So ein ähnliches Zimmer habe ich auch einmal besessen«, 
sagte Lenore leise. »Oh, wie lange ist das her, wie lange.« 

»Na, soo lange nun auch wieder nicht«, warf Ilga ein, um 
keine wehmütige Stimmung aufkommen zu lassen. »Ihr 
kleines Reich ist nebenan, hoffentlich gefällt es Ihnen.« 
»Und wie es mir gefällt«, sagte Lenore erfreut, nachdem sie 
das sehr hübsch eingerichtete Zimmer betreten hatte. »So 
behaglich und traut.« 
»Muß es ja auch«, nickte Ilga befriedigt. »Sie sollen sich 
darin wohl fühlen, Frau Skörsen. – Ooch, die Anrede finde 
ich albern«, gestand sie unumwunden. »Wollen wir so 
einen formellen Ton erst gar nicht zwischen uns 
aufkommen lassen und gleich Du zueinander sagen?« 
»Von Herzen gern, Ilga.« 

»Freut mich, Lenore. Weißt du, dann ist man gleich 
vertrauter und kann sich viel besser die Meinung sagen.« 
»Glaubst du, daß es nötig sein wird?« fragte Lenore 
lachend. 
»Ich glaube schon. Wenigstens von dir aus, denn ich bin 
alles andere als ein sanftmütiges Säuselinchen.« 
»Was isch von mir auch nicht gerade behaupten kann. Ach, 
Ilga, ich bin ja so froh, bei euch sein zu dürfen! Du weißt 
doch sicher von deiner Mutter…« 
»Ja, ich weiß«, winkte das Mädchen entschieden ab. »Wirst 
das alles bald vergessen haben in unserem vergnügten 
Kreis. Nun zieh dich aus, aber nicht ganz.« 

Da lachte Lenore, wie sie schon lange nicht mehr gelacht 
hatte. Gerade in dem Moment trat Gertraude ein und sagte 
befriedigt: 
»Na also: du siehst mich lachend an, Eleonore.« 
»Na, Mutti, wenn du schon zitierst, dann aber richtig. Es 
heißt lächelnd und nicht lachend.« 
»Diese Bezeichnung finde ich aber schön, weil sie lustig ist. 
Wo man lustig ist, da laß dich ruhig nieder.« 
»Wieder falsch. Wo man singt, heißt es.« 
»Habe ich aber eine kluge Tochter. Na, macht nichts, ich 
bescheide mich. Wie gefällt dir denn dein kleines Reich, 

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Nore?« 
»Oh, Tante Traude, ich bin ja so froh – nein, ich bin 

glücklich.« 
»Bescheidenes Gemüt! Ich gehe jetzt. Aber erscheint 
pünktlich zum Essen, sonst wird unser Riekchen böse.« 
Sie ging, und zehn Minuten später betraten Lenore und Ilga 
Seite an Seite das Speisezimmer, das den Wohlstand des 
Hauses verriet, denn nichts darin war billiger Tand. 
Jetzt lernte Lenore auch den Sohn des Hauses kennen, 
einen stämmigen Krauskopf, der nach drei Jahrzehnten 
wahrscheinlich so aussehen würde wie sein Vater heute. 
Gut von Herz und Gemüt, wie es bei den prächtigen Eltern 
ja gar nicht anders sein konnte, aber auch mit den 
»hervorstechenden Eigenschaften« eines Fünfzehnjährigen 

behaftet. Zuerst benahm er sich Lenore gegenüber linkisch, 
was sich aber bald gab, und dann blieb sie von seinen 
gelegentlichen Frechdachsereien nicht verschont. 
Den Abschluß dieses für Lenore so wunderschönen Tages 
bildete der gemütliche Plausch, der sich bis Mitternacht 
ausdehnte. Denn Ilga hatte der neuen Freundin so viel zu 
erzählen, diese mußte ja schließlich in die Verhältnisse hier 
eingeweiht werden. 
Damit sie vom Nebenzimmer aus nicht zu schreien 
brauchte, legte sie sich zu Lenore ins Bett und ließ ihrem 
Plappermäulchen freien Lauf. Erzählte von diesem und 
jenem und kam so auch auf die nähere Verwandtschaft zu 

sprechen. 
»Den Bruder von Paps kennst du ja bereits«, leitete sie die 
Erklärung ein. »Aber er hat noch einen…« 
»Sieht er ihm auch so wenig ähnlich wie der Professor?« 
fragte Lenore dazwischen. 
»Nein, gar nicht. Die drei Brüder sehen alle verschieden 
aus. Vielleicht wäre Onkel Reinhard meinem Vater in der 
Gestalt ähnlich geworden, wenn er nicht verwachsen wäre.« 
»Oh, wie traurig!« 
»Nicht wahr? Ausgerechnet einen so feinen, wertvollen 
Menschen mußte dieses Unglück treffen.« 

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»Ist er so geboren?« 
»Nein. Das Kindermädchen ließ ihn als Säugling fallen, 

was sie aus Angst verschwieg. Als es dann später 
herauskam, war es zur Heilung zu spät. Aber weißt du, 
Onkel Reinhard macht sich gar nicht so viel daraus, ihm ist 
es egal, wie er aussieht. Er lebt nur für seine Patienten und 
seine wissenschaftliche Arbeit.« 
»Ist er denn auch Arzt?« 
»Ja. Und zwar ein bedeutender, wie Onkel Rudolf. Nur auf 
anderem Gebiet, mehr Psychiater. Ihm gehört das 
Sanatorium Friedberg auf der Anhöhe, das ständig belegt 
ist. Also muß er schon etwas von seinem Beruf verstehen.« 
»Verheiratet?« 
»Nein, Junggeselle.« 

»Und der Professor?« 
»Witwer seit fünf Jahren.« 
»Kinder?« 
»Leider nicht. Dafür war seine Frau viel zu zart. Er hat sie 
sehr geliebt, und ich glaube nicht, daß er ihr eine 
Nachfolgerin geben wird. 
Denn erstens ist er über fünfzig, zweitens beruflich so in 
Anspruch genommen, daß er sich um seine Frau wenig 
kümmern könnte, drittens versorgt ihn die langjährige 
Wirtschafterin so vortrefflich, daß er in seinem Hause an 
Sorgfalt und Behaglichkeit nichts vermißt. Schade, daß 
Günther und ich die einzigen Sprößlinge in der Familie 

Hollgart sind – ich hätte so gern eine Base oder einen 
Vetter.« 
»Hast du auch keine von Mutterseite?« 
»Nein, sie war das einzige Kind.« 
»So wie meine Eltern auch einzige Kinder waren. Daher 
stehe ich jetzt so allein da.« 
Allein? wäre es Ilga fast entschlüpft, was sie gerade noch 
hinunterschlucken konnte. Denn sie hatte von der Mutter 
strikte Anweisung – wie auch die andern im Haus –, in 
Gegenwart Lenores deren Gatten nicht zu erwähnen. So 
meinte sie denn herzlich: 

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»Du hast ja jetzt uns, Nore – und wir haben dich alle sehr 
gern.« 

»Das werde ich euch ewig danken. Doch nun erzähle 
weiter. Wird es dir nicht langweilig in dieser 
Abgeschiedenheit?« 
»Na, du, dazu fehlt es mir wirklich an Zeit. Ich erledige den 
schriftlichen Kram für Paps, führe die Bücher und springe, 
wenn nötig, in der Hauswirtschaft ein. Da wird der Tag 
manchmal viel zu kurz.« 
»Sag mal, Ilga, wie alt bist du eigentlich?« 
»Siebzehn. Bis sechzehn Schule, ein Jahr Handelsschule – 
und jetzt die tüchtige Sekretärin des Tierarztes Dr. 
Hermann Hollgart auf Hollgartshof. Klingt das nicht 
nobel?« 

»Außerordentlich.« 
»Also! Übrigens ist Abgeschiedenheit für unser Rittergut 
keine richtige Bezeichnung. Fünf Kilometer entfernt ist die 
Kreisstadt, die du per Auto und wenn das unterwegs ist, per 
Equipage – bitte sehr! – jederzeit erreichen kannst. Und in 
dieser Stadt, die immerhin über hunderttausend 
Einwohner zählt, gibt es Vergnügungen noch und noch. 
Bist du Großstadtkind jetzt zufrieden? Oder glaubst du 
dich hier immer noch wie von aller Welt abgeschnitten? – 
Was heißt überhaupt Welt? Ich kenne sie nicht – und 
möchte sie auch gar nicht kennenlernen. Es mag darin 
schön, herrlich, wunderbar, einzigartig sein, aber: Tohuus 

ist tohuus – und ich habe ein trautes Zuhause, nie möchte 
ich von ihm fort.« 
»Und wenn du heiratest, Ilga?« 
»Dann nur einen Mann, der gewillt ist, hier zu wohnen.« 
»Aber du hast doch einen Bruder. Wenn er später das 
Vätererbe übernimmt?« 
»Das tut er gewiß, will sogar aus alter Tradition Tierarzt 
werden. Er wird wahrscheinlich auch heiraten und Kinder 
haben. Aber das Haus ist ja groß, es bietet zwei Familien 
genügend Platz. Mit Günther verstehe ich mich glänzend, 
und sollte ich es mit seiner Frau nicht tun, so kann jeder 

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für sich allein leben. – Aber soweit ist es ja noch länge 
nicht. Günther ist fünfzehn, ich bin siebzehn. Bis wir eine 

Familie gründen, hat es noch gute Weile. Apropos heiraten 
– meine Mutter sagt, man soll es nie zu früh tun, weil 
einem dann die Reife zur Ehe fehlt. So Mitte zwanzig, das 
wäre das richtige Heiratsalter.« 
Weiter sprach sie nicht, weil sie sich dessen bewußt wurde, 
daß Lenore erst zwanzig zählte und doch schon verheiratet 
war. 
»Na ja, dem Heiratsalter sind schließlich keine Grenzen 
gesetzt«, versuchte sie ihren Lapsus zu bemänteln. 
»Außerdem bin ich müde – du auch?« 
»Sehr.« 
»Dann gute Nacht. Schlaf wohl und träume süß, Norelein! 

Merk dir gut, was du träumst. Denn die ersten Träume 
unter fremdem Dach sollen in Erfüllung gehen.« 
Und Lenore träumte einen Traum von Liebe und Glück, in 
dem Ralf Skörsen eine große Rolle spielte. Von seinem Arm 
umschlungen schritt sie dahin durch einen blühenden 
Garten im Sonnenschein, pflückte lachenden Mundes rote 
Rosen, die Blumen der Liebe. In dem Paradies gab es keine 
Schwiegermutter, keine Schwägerin, ein liebend Paar war 
allein im Garten der Glückseligkeit. 
Träume sind Schäume, darum erwache und lache. 
Nun, Lenore lachte beim Erwachen nicht, dafür war sie zu 
benommen von diesem merkwürdigen Traum. Es dauerte 

sekundenlang, bis sie sich aus ihm zurückfand in die 
Wirklichkeit, die sie dann allmählich erfaßte. 
Richtig, sie befand sich ja auf dem Hollgarthof. Angestrengt 
lauschte sie durch die offene Tür zum Nebenzimmer hin, 
doch nichts rührte sich. Demnach schien Ilga noch zu 
schlafen. Erst als sie einen Blick auf die Uhr warf, welche 
die zehnte Stunde anzeigte, wunderte sie sich nicht mehr, 
daß nebenan alles still war. 
Wohlig streckte Lenore sich im Bett und ließ dabei den 
Blick durch das Zimmer schweifen. Wie gemütlich es hier 
war, wie warm und traut. Durch das Fenster lachte die 

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Wintersonne so hell und klar, daß es die Langschläferin 
nicht mehr im Bett hielt. Sie erhob sich aus dem weichen 

Pfühl, griff nach dem Bademantel und ging ins Bad, das 
ihrem Zimmer gegenüber lag. 
Als sie dann wieder, erfrischt von der Dusche, dahin 
zurückkehrte, streifte ihr Blick die großen Koffer, die in der 
Ecke standen – und schon war ihre frohe Stimmung wie 
weggeweht. 
Welche Hoffnung hatte sie auf die Zukunft gesetzt, als sie 
kurz nach der Hochzeit die Koffer packte. Das zweite Mal 
hatte es ein anderer getan, und dieser andere… 
Nein, nicht mehr daran denken, vorwärts schauen und 
nicht zurück! Was ihr die Zukunft auch bringen mochte, es 
würde alles nicht so schwer zu ertragen sein wie das, was 

sie so qualvoll erleiden mußte. 
Als Lenore das Wohnzimmer betrat, begrüßte Gertraude sie 
lachend: 
»Guten Morgen, kleine Siebenschläferin, hast du jetzt 
wenigstens ausgeschlafen?« 
»Danke, ich fühle mich herrlich frisch. Aber bitte, laß mich 
in Zukunft nicht mehr so lange schlafen.« 
»Kindchen, du versäumst doch nichts.« 
»Ich möchte aber nicht müßig sein, wo alle so fleißig sind. 
Eine Arbeit mußt du mir schon zuteilen, Tante Traude.« 
»Dafür bist du noch zu sehr Rekonvaleszentin. Werde erst 
ganz gesund, dann wird sich schon alles finden.« 

»Dann meine ich… Hör mal zu, Tante Traude, ich kann 
doch nicht – du kannst doch nicht…« 
»Er kann doch nicht«, lachte Gertraude in das Gestammel 
hinein. »Kind, was stotterst du da bloß zusammen. Was 
soll ich – du – nicht können?« 
»Mich in Pension nehmen. Ach, Tante Traude, merkst du 
denn gar nicht, wie peinlich mir das ist?« 
»Warum sprichst du dann darüber, du Dummchen?« 
»Ich muß doch.« 
»Kein Mensch muß müssen, behauptet Lessing in seinem 
weisen Nathan. Und nun komm, iß erst einen Scheffel Salz 

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bei uns. Was drumrum ist, werde ich dir in Rechnung 
stellen. Doch vorher möchte ich nichts davon hören. 

Übrigens ist hier ein versiegelter Umschlag, der mit den 
Koffern zusammen abgegeben worden ist. Wahrscheinlich 
sind die Schlüssel darin. Pack also die Sachen aus und 
richte dich häuslich ein.« 
Das tat Lenore denn auch, nachdem sie ihr Frühstück 
eingenommen hatte. Als sie dann in einem Chaos von 
Kleidungsstücken stand, kam Ilga hereingewirbelt. 
»Himmel, Nore, das ist ja wie in einem Warenhaus! Wie 
kann ein Mensch sich nur so viele Sachen anschaffen!« 
»Die meisten stammen noch aus meiner Jugendblütezeit, 
wo Mutti mich wie ein Äffchen putzte. Ich wäre froh, wenn 
ich alles Unbrauchbare loswerden könnte.« 

»Du, da weiß ich gute Abnehmer«, wurde Ilga eifrig. »Erst 
einmal unser Hausmädchen, und dann ihre Schwestern, 
vier an der Zahl. Mutti gibt unsere ausrangierten Sachen 
auch dorthin, denn die Leute sind arm. Ich hole rasch 
einen Korb – und dann alles hinein, was dir nur Ballast 
bedeutet!« 
Und tatsächlich wurde der große Korb voll, mit dem das 
Mädchen Grete glückstrahlend abzog. Denn wie sagt 
Reuter: Was dem einen sin Uhl, is dem andern sin 
Nachtigall. 
Eine Woche hielt Lenore es ohne Arbeit aus, doch dann 
machte sie kurzen Prozeß und suchte sich ihre 

Beschäftigung. Als sie in der Küche erschien, war Riekchen 
skeptisch, doch als die junge Frau unter Beweis stellte, daß 
sie von der Hauswirtschaft etwas verstand, durfte sie hier 
und da mal einspringen. 
Auch Ilga traute dem Frieden nicht, als die Freundin bei ihr 
im Büro auftauchte. 
»Ja, sag mal, was willst du denn eigentlich helfen?« fragte 
sie lachend. »Unsinn machen, den ich dann in Ordnung 
bringen muß?« 
»Wollen wir es erst einmal darauf ankommen lassen«, blieb 
Lenore hartnäckig. »Gib mir irgend etwas, woran ich nichts 

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verderben kann. Wenn ich mich dann gar zu dumm 
anstelle, kannst du meine Hilfe mit Fug und Recht 

ablehnen, früher nicht.« 
»Na schön«, gab Ilga gutmütig nach. »Du wirst schon bald 
kneifen.« 
»Abwarten!« 
Und tatsächlich zeigte Lenore sich so anstellig, daß Ilga ihr 
nach und nach leichte Arbeiten anvertrauen konnte. 
So sprang Lenore denn da ein, wo gerade eine Hilfe 
gebraucht wurde, und nannte sich stolz: Mädchen für alles. 
Wobei ihr jedoch immer noch Zeit genug blieb, mit Ilga, 
die sich bei der Arbeit auch »kein Beinchen ausriß«, wie der 
Vater es schmunzelnd nannte, dem Wintersport zu 
huldigen. 

Dabei erholte sie sich zusehends, wurde so strahlend frisch 
und froh, daß der Professor, der an einem Sonntag die 
Verwandten besuchte, seine ehemals so elende Patientin 
kaum wiedererkannte. 
»Na, Sie haben sich aber mal herausgemacht, kleine Frau«, 
sagte er bewundernd. »Prächtig, ganz prächtig sehen Sie 
aus.« 
»Das hat sie mir zu verdanken, die ich ihr mit so gutem 
Beispiel vorangehe«, prahlte Ilga, und man glaubte es ihr 
sogar. Denn ihre Munterkeit ließ keine seelischen 
Komplexe aufkommen, und die gerade waren es, an denen 
Lenore am meisten gekrankt hatte. 

An diesem Tag sollte die junge Frau auch den dritten der 
Brüder kennenlernen, die doch alle so ganz verschieden 
aussahen. Rudolf, der älteste, mittelgroß, rundlich, rosig, 
der jüngste durch die Verwachsung klein geblieben, mit 
einem klugen, durchgeistigten Gesicht, der mittlere ein 
kraftstrotzender Hüne. Charakterlich jedoch waren sie sich 
ähnlich, waren grundanständige Männer mit hohen 
Ehrbegriffen. 
Als Lenore den kleinen Herrn begrüßte, hatte sie das 
Gefühl, als ob diese klaren, forschenden Augen ihre Seele 
ergründen wollten. Doch als es in ihnen humorvoll 

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aufzuckte, faßte sie ein spontanes Vertrauen und lachte den 
Mann so strahlend an, daß es ihm warm ums Herz wurde. 

»Ein reizendes Geschöpfchen!« sprach er ihr nach, als sie 
nach dem Nachmittagskaffee mit Ilga und Günther 
hinausging, um sich mit ihnen bis zur Dunkelheit noch im 
Freien zu tummeln. »Ihr Mann muß tatsächlich ein Narr 
sein – oder blind.« 
»Im allgemeinen ist er es nicht«, bemerkte der Professor. 
»Wenn es um seine Kranken geht, verfügt er sogar über 
einen bewundernswerten Scharfsinn. Die kranken Frauen 
versteht er wunderbar zu nehmen, sonst würden sie gewiß 
nicht so für ihn schwärmen, nur den gesunden gegenüber 
scheint er zu sein wie Parzival, der tumbe Tor. Sonst hätte 
er sich von zwei Intrigantinnen, wie seine Mutter und 

Schwester es sind, unmöglich so einwickeln lassen können. 
Übrigens war erstere kürzlich bei mir und flehte mich mit 
magdalenenhafter Demut an, ihr doch die Adresse ihres 
Sohnes zu verraten.« 
»Hast du es womöglich getan?« warf Gertraude ein. 
»Nein, ich weiß sie ja selbst nicht. Und wenn, hätte ich sie 
hübsch für mich behalten, weil ich ein Menschenfreund 
bin. Wie der in jeder Beziehung vornehme Ralf zu der 
Mutter kommt, das mögen die Götter wissen.« 
»Vielleicht ähnelt er seinem Vater«, meinte der Tierarzt. 
Doch der Bruder winkte ab. 
»Ich glaube nicht, daß Ralf dazu fähig wäre, so 

ehrenrührige Dinge aufs Kerbholz zu kriegen wie der alte 
Geck.« 
»Was hat der denn verbrochen?« fragte Reinhard 
interessiert. 
»Darüber wird Traude besseren Bericht geben können, weil 
Lenore mit ihr über alles gesprochen hat. Also sprich, 
geliebte Schwägerin.« 
Sie tat’s, und am aufmerksamsten hörte der verwachsene 
Mann zu. Als sie schwieg, wandte er sich an seinen Bruder 
Rudolf. 
»Du kennst diesen Dr. Skörsen ja am besten. Ob da 

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wirklich keine Liebe mitsprach, als er sich zu der 
überstürzten Heirat entschloß?« 

»Vielleicht – vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall halte ich 
ihn für fähig, einer sterbenden Frau, der er durch den Vater 
zu Dank verpflichtet war, eine inbrünstige Bitte zu erfüllen 
und ihr so das Sterben leichter zu machen.« 
»Das soll es geben«, meinte Reinhard nachdenklich. 
»Wahrscheinlich wäre diese Ehe nicht schlechter verlaufen 
als viele andere, wenn der Mann nicht die Torheit 
begangen hätte, seine junge Frau zu seiner Mutter zu 
bringen, der er so blind vertraute. Nun, was er verbrach, 
muß er jetzt auch büßen. Ich jedenfalls möchte in seiner 
Haut nicht stecken. Ob er nun wenigstens mit seiner 
Mutter Abrechnung gehalten hat?« 

»Soviel ich deren Tiraden entnehmen konnte, hat er sich 
vollständig von ihr losgesagt«, berichtete der Professor. 
»Daß sie somit den Sohn verlor, scheint ihr nicht viel 
auszumachen; doch daß seine nicht unerhebliche 
Unterstützung jetzt fortfällt, das bereitet ihr argen Kummer. 
Wohl bezieht sie als Regierungsratswitwe eine gute 
Pension, muß jedoch die Hälfte davon an ihre 
Schwiegertochter abgeben – die Erbin des Mannes, der 
ihrem Gatten damals ein Kapital lieh, damit er seine 
Spielschulden bezahlen konnte. Nun ist sie gezwungen, 
mit ihrer Tochter in einer primitiven Wohnung von zwei 
Zimmern und Küche zu hausen, hat kaum satt zu essen, 

und so weiter und so weiter. Es wäre einfach 
unverantwortlich von dem Sohn, sie in dieser Misere zu 
lassen. In ihrer Not hätte sie es einmal versucht, die 
monatliche Rate nicht zu entrichten. Doch schon schaltete 
sich das Vormundschaftsgericht ein, weil Lenore ja noch 
nicht mündig ist – und vor dieser Behörde schien die sonst 
gewiß nicht furchtsame Dame einen Heidenrespekt zu 
haben.« 
»Da muß Dr. Skörsen ja ganz nett aufgeräumt haben«, 
meinte der Tierarzt ungerührt. »Der Ruck wird aber auch 
brutal genug gewesen sein, mit dem man ihm die Binde 

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der Verblendung von den Augen riß. Jetzt kann er sprechen 
mit den Worten Wilhelm Teils: Was ich mir gelobt in jenes 

Augenblickes Höllenqualen, ist eine heil’ge Schuld – ich 
will sie zahlen.« 
Nun weilte Lenore bereits vier Wochen auf dem 
Hollgarthof und sah aus wie das blühende Leben, so 
wunderbar hatte sie sich körperlich wie seelisch erholt. An 
die Vergangenheit dachte sie kaum noch, außer an die 
toten Eltern. Doch während das Bild des Vaters strahlend 
hell vor ihren Augen stand, war das der Mutter getrübt. 
Auch an das keimende Leben dachte sie, das brutal zerstört 
worden war. Aber Schmerz konnte sie darüber nicht 
empfinden, eher eine Beruhigung, daß dieses Kind nie 
geboren wurde. Denn Kinder sind ja immer die 

Leidtragenden, wenn Eltern sich trennen. 
Und Ralf? Nun, der war in ihrem jungen Leben nichts 
weiter als eine Episode gewesen- und zwar eine trostlose. 
Was sie für ihn empfunden, war längst verweht wie Spreu 
im Wind. Sie hatte geirrt und diesen Irrtum schwer büßen 
müssen. 
Somit schien sie mit dem Schicksal quitt zu sein, denn jetzt 
ging es ihr wieder gut, sehr gut sogar. Man betrachtete sie 
hier ganz als Tochter des Hauses, was sie immer wieder 
beglückte. 
Lenore war ganz aufgeregt, als sie an einem 
Sonntagmorgen an den Tisch trat, wo Familie Hollgart 

beim Frühstück saß. In der Hand trug sie Schneeglöckchen, 
die sie der Hausherrin überreichte. 
»Die ersten, die ich gefunden habe«, erklärte sie eifrig. »Die 
sind natürlich für dich, Tante Traude.« 
»Möchte bloß gern wissen, was dich dabei so aufregt«, 
meinte Günther pomadig. »Schneeglöckchen sind doch 
nun wirklich nichts Besonderes.« 
»Für dich natürlich nicht, du unpoetisches Gemüt.« 
»Fangt um Himmels willen nicht an, euch zu zanken!« hob 
Gertraude beschwörend die Hände, während der Herr 
Gemahl schmunzelte. »Stopf dir deinen großen Mund mit 

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dem Schinken, den du gerade auf dem Teller hast, mein 
Sohn.« 

»Und das verhätschelte Töchterchen hat wohl einen 
kleinen Mund, wie?« 
Da mußten sie alle lachen, und der Friede trat ein. 
Als Lenore gerade das obligate Morgenei aufklopfte, sprach 
Ilga sie an: 
»Kommst du mit?« 
»Wohin?« 
»Zu Onkel Reinhard.« 
»Dort oben auf der Höh?« 
»Jawohl. Er hat nämlich heute Geburtstag. Ich bin beordert 
worden, ihm mit Blumenstrauß und Knicks zu gratulieren.« 
»Und was soll ich dabei?« 

»Dasselbe tun.« 
»Er kennt mich doch kaum.« 
»Er ist trotzdem vernarrt in dich. Kommst du nun, oder 
kommst du nicht?« 
»Ich komme.« 
»Erledigt.« 
»Das nennt man kurz angebunden«, schmunzelte der 
Hausherr, der immer Spaß an dem Geplänkel seiner Kinder 
hatte, zu denen er auch Lenore zählte. »Recht so, ihr 
Marjellchen! Warum da viele Worte machen? Was sein 
muß, muß eben sein.« 
»Muß ist eine harte Nuß, die ein jeder knacken muß«, 

setzte der Sohn des Hauses sein Siegel darauf, dabei mit 
vollen Backen kauend. »Also knackt sie, ihr Holden. Ich 
werde per Fernglas geruhsam zusehen, wie ihr mühsam 
den Berg erklimmt.« 
Nun, so arg war es nun auch wieder nicht. Was der 
Pennäler großartig mit Berg bezeichnete, war eine Anhöhe, 
welche die beiden Freundinnen später emporstiegen, dem 
lockenden Ziel zu. 
Denn lockend war es, was sich vor ihren Blicken 
ausbreitete. Schneeweiße Gebäude mit prangend roten 
Dächern, umstanden von Bäumen, die jetzt allerdings 

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unbelaubt waren und daher freie Sicht boten. 
»Und das alles gehört deinem Onkel?« fragte Lenore 

bewundernd. 
»Ja. Er ist stolz darauf, dieses prachtvolle Werk sein eigen 
nennen zu dürfen.« 
»Dann müssen deine Großeltern doch sehr reich gewesen 
sein, wenn sie ihren Söhnen so viel hinterlassen konnten. 
Ich meine…« 
»Was du meinst, weiß ich schon«, unterbrach Ilga sie 
trocken. »Nimm zur Kenntnis, daß meine Großeltern wohl 
ganz gut situiert waren, aber um ihrem Sohn das da zu 
schaffen, so viel hatten sie denn doch nicht, zumal die 
beiden anderen Söhne ja auch nicht leer ausgehen durften. 
Onkel Reinhard beerbte eine reiche Großtante, die 

kinderlos starb. Er nur allein, weil er von der Natur so 
benachteiligt wurde. Aha, da naht bereits der Hund, also 
kann sein Herr nicht weit sein.« 
Und tatsächlich tauchte dieser auf, lachend über das ganze 
Gesicht. 
»Ei, ei, so viel Holdseligkeit darf der Wanderer schauen. 
Wohin des Wegs, ihr süßen Grazien?« 
»Zu dir, vieledler Herr«, gab Ilga schlagfertig zurück. »Das 
heißt, wenn dein Zerberus gewillt ist, uns den Weg 
freizugeben.« 
»Hierher, Zotter!« rief er den prächtigen Neufundländer an 
seine Seite. »Mit dem einen Frauchen bist du doch längst 

gut Freund, nun geh mal zu dem anderen.« 
»Bitte nicht!« wehrte Lenore ängstlich. »Er ist so groß…« 
»Und so gutmütig«, fiel der Arzt lächelnd ein. 
»Aber nicht, wenn man dir etwas tut, Onkelchen.« 
»Nanu, seid ihr denn hierhergekommen, um mir etwas zu 
tun?« fragte er lachend, und fröhlich fielen die beiden ein. 
Dann fragte Ilga: 
»Weißt du überhaupt, warum wir gekommen sind?« 
»Wahrscheinlich, um mir zum Geburtstag zu gratulieren.« 
»Ein Wunder, daß du überhaupt an den denkst. Meinen 
allerherzlichsten Glückwunsch, und noch viele, viele 

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Lebensjahre zum Heil deiner Patienten, du lieber Onkel!« 
Damit drückte sie ihm den Strauß in den Arm, küßte ihn 

auf die Wange und sagte dann lachend zu der steif 
dastehenden Lenore: 
»Tu desgleichen, Norchen, der Onkel nimmt’s nicht übel.« 
»Wo werde ich denn!« bestätigte dieser schmunzelnd. »Ein 
Kuß von süßen Lippen ist jede Sünde wert.« 
Da mußte Lenore denn doch lachen. Wenn auch nicht 
gerade mit einem Kuß, so doch voller Herzlichkeit brachte 
sie ihren Glückwunsch an. 
Einträchtig stieg man die letzte Strecke der Anhöhe hinauf, 
bis ihr Begleiter vor einem villenartigen Gebäude 
haltmachte und sich mit Grandezza verneigte. 
»Darf ich die holden Grazien bitten, in meinem 

bescheidenen Heim zu verweilen?« 
»Bescheiden ist gut«, lachte Ilga. »Tritt näher, Lenore, du 
wirst staunen!« 
Und Lenore staunte über alles, was sich ihren Augen 
darbot. 
Wie reich muß der Mann sein, um sich so ein feudales 
Heim leisten zu können. Aber ob er auch glücklich ist? 
Die Finken schlagen, der Lenz ist da, und keiner kann 
sagen, wie es geschah. 
Dieses Lied sollte die junge Lenore begreifen lernen bis in 
des Wortes tiefster Bedeutung. Denn gestern noch hatte der 
launische April sich verzweifelt gegen den Einzug des 

Götterknaben Mai gewehrt und hatte doch weichen 
müssen dem drängenden, sprühenden Leben der Natur. 
Gestern noch hatte es geregnet und gestürmt, doch als 
Lenore am nächsten Morgen erwachte, war ihr Zimmer wie 
in Sonne getaucht. 
Mit einen Satz war sie aus dem Bett, trat an das geöffnete 
Fenster und breitete die Arme aus, als wollte sie das 
lachende Land da draußen umfassen. 
»Er ist gekommen so über Nacht, der Frühling ist 
gekommen in all seiner Pracht«, sang sie jubelnd in die 
prangende Natur hinaus. 

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»Als erster Gratulant zu deinem Geburtstag!« kam es von 
unten herauf, wo Ilga stand. »Nun mach schon, daß du 

bald erscheinst!« 
Eiligst verschwand sie, und Lenores eben noch lachendes 
Gesicht wurde ernst. 
Richtig, sie hatte ja heute Geburtstag. 
Im vorigen Jahr war noch die Mutter bei ihr gewesen, hatte 
ihr voll Liebe gratuliert, ihr alles Glück der Erde gewünscht. 
Und hatte sie dann… 
Hastig griff sie nach dem Foto, das neben dem des Vaters 
auf dem Nachttisch stand. Es war ein gütiges Antlitz, in das 
sie schaute, mit Augen so rein und klar, wie sie nur 
Menschen haben können, die ohne Fehl sind. 
Und diese Frau sollte einen Mann überredet haben, ihr 

einziges, so sehr geliebtes Kind zu heiraten? 
Überredet – so hatte Ralf sich ausgedrückt. Ein Wunder, 
daß er nicht das Wort aufgedrängt gebraucht hatte. 
Weiter kam sie nicht in ihren verbitterten Gedanken, weil 
es klopfte und sich gleich darauf das Hausmädchen durch 
die Tür schob. In der einen Hand hielt sie einen flachen 
Karton, in der anderen einen Brief. 
»Das ist eben per Eilboten gekommen«, erklärte sie wichtig. 
»Per Eilboten und per Einschreiben. Bitte, hier sind die 
Zettel zur Unterschrift.« 
Nachdem Lenore diese erledigt hatte, gratulierte ihr das 
Mädchen und zog dann ab. 

Die junge Frau überlegte, was sie zuerst öffnen sollte, den 
Karton oder den Brief. Ersterer trug als Absender den 
Namen eines Blumengeschäfts, letzterer den eines Notars. 
Doch schon nestelten die Finger an dem Bindfaden, der 
Deckel hob sich – und was er verdeckt hatte, waren rote 
Rosen, sorgfältig in feuchtes Moos gebettet. Obenauf lag 
ein Umschlag, den Lenore mit bebenden Fingern öffnete. 
Sie zog ein Kärtchen heraus, auf dem stand: 
 
Im Auftrag von Herrn Dr. Skörsen. 

 

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Von ihm selbst keine Zeile, kein Glückwunsch, nur 
einundzwanzig Rosen. 

Rote Rosen – Blumen der Liebe. Ausgerechnet von dem 
Menschen, von dem sie nichts mehr wissen wollte. 
Doch halt, da lag ja noch eine Karte, auf der etwas gedruckt 
stand: 
 
Nie soll weiter sich durchs Land
 
Lieb von Liebe wagen, 
als sich blühend in der Hand 
läßt die Rose tragen. 

 
Liebe? dachte Lenore, während ein bitteres Lächeln ihren 
Mund umzuckte. Liebe? 
Es war gewiß keine, aus der du mich gefreit, und es war 
auch keine von mir, aus der ich dich zum Ehemann nahm. 
Ein Irrtum beiderseits, mein lieber Ralf. Wir sind beide 
quitt. 
Schroff schob sie die prangende Pracht zur Seite, griff nach 
dem Brief. Und was sie zuerst aus dem Umschlag zog, war 
ein zweiter, der die Schriftzüge ihrer Mutter trug, die 
Lenore fassungslos anstarrte. 
Aber die Mutter war doch tot! 

Bis ihr hilfloser Blick den Namen des Notars auf dem 
Umschlag erfaßte, da begann sie langsam zu begreifen. 
Behutsam, als ob sie etwas Heiliges berührte, öffnete sie 
den hinterlassenen Brief, den letzten, den ihre Mutter 
geschrieben hatte, wie das Datum bewies. Demnach war er 
an Lenores Hochzeitstag geschrieben worden. 
 
Mein geliebtes Kind! 
Wenn Du diese Zeilen liest, bin ich schon längst von Dir 
gegangen. Ich kann jetzt ruhiger sterben, da ich Dich in der Hut 
eines Mannes zurücklasse, dem ich voll und ganz vertraue. 
Darum bat ich ihn auch, sich Deiner anzunehmen, sich um 
Dich zu kümmern.
 
Er warb um Dich, und wie er seine Werbung anbrachte, daraus 

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konnte ich ersehen, daß es aus Liebe geschah. Aus Liebe, Nore, 
hörst Du? Daran darfst Du nie zweifeln, auch wenn es Dir 
manchmal anders erscheinen will.
 
Damit Du nicht womöglich denkst, daß Ralf Dich des Geldes 
wegen geheiratet hat, habe ich Dir und ihm verschwiegen, daß 
Du recht vermögend bist. Du sollst heute erst in den Besitz des 
Geldes gelangen, heute, am Tag Deiner Volljährigkeit. Da ich 
Dein gescheites Köpfchen kenne, brauche ich wohl nichts weiter 
zu erklären. Ich kann es auch nicht, da meine Kräfte erschöpft 
sind.
 
Grüße Ralf sehr herzlich von mir, der mir lieb war wie ein 
eigener Sohn. Gottes Segen über Euch, meine lieben Kinder! 
Eure Mutter
 

 
Das letzte war kaum noch leserlich und mußte mit großer 
Anstrengung geschrieben worden sein. 
»Mutti«, stöhnte Lenore gepeinigt auf. »Meine liebe, liebe 
Mutschi! Wie gut, daß du nicht wußtest, was deinem Kind 
bevorstand, als du es dem Mann so vertrauend übergabst. 
Auch du bist einem Irrtum unterlegen.« 
Es waren wohl die bittersten Tränen, die je ein Mensch 

geweint, die über das zuckende Gesicht liefen. 
So fand Gertraude das Geburtstagskind vor, die nachsehen 
wollte, warum es sich gerade heute so vertrödelte. 
»Nore, Kind, was hast du denn?« fragte sie zutiefst 
erschrocken. »Weinst du etwa über diesen flammenden 
Liebesgruß?« 
»Nein, deswegen«, kam die Antwort leise. »Bitte lies!« 
Gertraude, die es eilig hatte, wollte die Zeilen stehend 
überfliegen. Als sie jedoch feststellte, von wem sie waren, 
wurden ihr die Knie weich. Also setzte sie sich und las das 
Schreiben mit einem Gefühl der Andacht, einmal – 
zweimal. Dann gab sie es Lenore zurück und fragte 

behutsam: 
»Nun, mein Kind, bist du immer noch von dem Wahn 
befangen, daß deine Mutter den Mann zu der Heirat 
überredet hat, wie du es so geschmacklos nanntest?« 

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»Der Ausdruck stammt von Ralf, nicht von mir.« 
»Das kling verflixt trotzig, Nore.« 

»Tante Traude, hab’ doch Nachsicht mit mir – nach diesem 
erschütternden Brief!« 
»Das habe ich wahrlich, mein Herzchen«, strich sie zärtlich 
über den geneigten, goldflimmernden Kopf. »Wenn dir die 
Rosen da nichts zu sagen haben, dann nützen auch tausend 
eindringliche Worte nichts.« 
»Wie weißt du denn, daß die Rosen von Ralf sind?« 
»Na, hör mal, wer sonst würde es wohl wagen, einer jungen 
Ehefrau so einen Liebesgruß zu senden? Lag kein 
Glückwunsch dabei?« 
»Nein. Außer der Karte des beauftragten Blumengeschäftes 
fand ich nur diese gedruckten Zeilen.« 

Nachdem Gertraude sie gelesen hatte, nickte sie 
bestätigend. 
»Das sollte sich jedes junge Paar zur Warnung dienen 
lassen. Steckte übrigens der Brief deiner Mutter allein in 
dem Umschlag da?« 
»Ich weiß nicht.« 
»Dann sieh mal nach. Da ein Notar dir den Brief 
übersandte, wird er ein Begleitschreiben beigefügt haben.« 
Das zog Lenore denn auch aus dem Umschlag. Der Notar 
teilte mit, daß er auf Wunsch seiner Klientin, Frau Melanie 
Ingwart geb. Höveking, ihrer Tochter Frau Skörsen, geb. 
Ingwart, am Tage ihrer Volljährigkeit heiligenden Brief 

nebst beiliegenden Papieren überreiche. Die Empfängerin 
wolle recht bald Bescheid geben, wie sie über das 
deponierte Geld verfügen möchte. 
»Großer Gott, was soll ich bloß mit dem vielen Geld 
anfangen?« Lenore zeigte erschrocken auf die hohe 
sechsstellige Zahl, und da mußte Gertraude denn doch 
lachen. 
»Wird dir schon noch einfallen, du kleiner Krösus. Doch 
nun mal hopp, zieh dich an! Deine Gratulanten warten mit 
Schmerzen auf dich.« 
Eilig entfernte sie sich, um dem Gatten rasch mitteilen zu 

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können, was ihr fast den Atem verschlagen hatte. Und da 
sich auch die beiden Kinder des Hauses im Raum 

befanden, wurde Gertrude die Neigkeit in Bausch und 
Bogen los. 
»Und was sagst du nun?« fragte sie am Ende des Berichts 
herausfordernd. 
»Ich sage, daß jetzt für Skörsen die Chancen schlechter 
stehen denn je«, entgegnete der Gatte sehr ernst. »Nun 
Lenore  so  viel  Geld  hat,  wird  er  sich  ihr  kaum  zu  nähern 
wagen.« 
»Da kannst du recht haben«, nickte Traude. 
Doch ihr Filius war anderer Ansicht, die er auch in seiner 
drastischen Art kundtat: 
»Ein übergeschnappter Kerl, der vor dem Geld seiner Frau 

davonläuft! Ich täte es jedenfalls nicht.« 
»Darüber sprechen wir mal zehn Jahre später«, tat der Vater 
schmunzelnd ab. »Und was sagt unser Marjellchen dazu?« 
»Vorläufig bin ich noch ganz benommen, Paps. So viel 
Geld – nein, das möchte ich nicht haben. Dann die Rosen, 
die roten – und deren Spender – Muttilein, gibt das nicht 
zu denken? Kombiniere mal…« 
»Um Himmels willen!« hob der Vater lachend die Hände. 
»Du willst wohl heute ohne Frühstück bleiben? Denn bis 
die Mutti auskombiniert hat, ist es bestimmt Mittagszeit.« 
»Ich brauche erst gar nicht zu kombinieren«, tat Traudchen 
großartig. »Ich bin schon längst im Bilde. Jetzt auch über 

das, woran ich bis vor einer Stunde noch herumrätselte.« 
»Und das wäre?« 
»Wo wohl das viele Geld geblieben sein mochte, das 
Melanies Eltern ihr als Mitgift aussetzten – außerdem soll 
auch ihr Mann noch vermögend gewesen sein. Wohl lebten 
die Ingwarts bis zum Tod des Dozenten auf recht großem 
Fuß, wie ich den Erzählungen Lenores entnehmen konnte. 
Aber selbst wenn man die Tausende hinzurechnet, die 
Ingwart diesem gewissenlosen Skörsen lieh, konnte dieses 
Geld das große Portemonnaie noch lange nicht geleert 
haben. Mir kam es gleich sonderbar vor, als Lenore mir den 

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Bankauszug zeigte, auf dem nicht viel mehr als 
zweitausend Mark standen, die hauptsächlich von den 

Raten, welche ihr die Schwiegermutter zahlen mußte, 
zusammengekommen waren.« 
Sie konnte nicht weitersprechen, weil Lenore eintrat, 
wieder einmal anzuschauen wie ein bezauberndes Bild. 
Nichts mehr war ihr anzumerken, daß sie vor einer halben 
Stunde noch so bitterlich geweint hatte, sie strahlte wie eh 
und je. 
Beglückt nahm sie die Gaben entgegen, die man ihr 
überreichte. Alles Kleinigkeiten, doch mit Liebe gewählt. 
Vor Freude fiel sie jedem einzelnen um den Hals, selbst 
Günther, der sich das zwar gefallen ließ, aber dann 
verlegen brummte: 

»Tu man nicht so, wo du jetzt so reich bist und dir alles 
leisten kannst! Aber ich weiß jetzt wenigstens, wen ich 
anpumpen kann, wenn ich mal in der Klemme bin.« 
»Wage es!« drohte die Mutter. »Und du wagst es, Nore, 
seinem Leichtsinn womöglich noch Vorschub zu leisten!« 
»Wir haben auch gerade Angst«, lachte diese sie aus. »Und 
jetzt habe ich Hunger.« 
Den hatten die anderen auch, weil es bereits eine Stunde 
über die gewohnte Frühstückszeit war. Daher ließ man sich 
das Mahl besonders gut munden, und als die Mutter den 
Sohn mahnte, den Schulweg anzutreten, lachte er sie 
schadenfroh aus: 

»Geliebte Mutz, wir haben heute den ersten Mai.« 
»Da hast du wieder einmal Glück gehabt, du Schlingel. 
Rücksichtsvoll von Lenore, gerade heute Geburtstag zu 
haben. Und was machen wir nun?« 
»Wir feiern«, schmunzelte der Hausherr. »Denn heute ist 
doppelter Feiertag.« 
Dabei sollte man sogar einen Gast haben. Denn wer sich 
um die Kaffeezeit einstellte, war kein anderer als Dr. 
Wilmar Hörse. 
»Da bin ich«, erklärte er einfach. »Ich gehöre zu den 
Menschen, die jede Einladung wahrnehmen. Und Sie 

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haben mich doch eingeladen, gnädige Frau?« 
»Selbstverständlich«, begrüßte diese ihn herzlich. »Sie 

kommen gerade zurecht, um mit uns Geburtstag zu feiern.« 
»Wer ist denn da so leichtsinnig, ein Jahr älter zu werden?« 
»Ihre Süße.« 
»Na, die kann’s noch vertragen«, entgegnete er schlagfertig. 
»Meinen herzlichsten Glückwunsch, gnädige Frau.« 
»Wie formell!« lachte Lenore ihn aus. »Das ist man gar 
nicht an Ihnen gewohnt.« 
»Na ja, so ab und zu muß man sich mal wieder auf seine 
gute Kinderstube besinnen.« 
Er begrüßte nun auch die anderen, die ihm ja allesamt 
bekannt waren durch die Besuche im Krankenhaus, die 
Gertraude oft von ihren Angehörigen bekam. Nur als 

Lenore in ihr Zimmer gelegt wurde, blieben Gatte und 
Sohn aus Taktgefühl fern. 
Also war der junge Arzt kein Fremdling in der Familie 
Hollgart und war bei ihr beliebt – außer bei Ilga. 
Die fand »diesen Menschen« nämlich bodenlos frech- und 
Frechheit siegt nicht immer. Hauptsächlich bei einer 
Siebzehnjährigen nicht, die sich als Dame fühlt und 
dementsprechend behandelt sein will – was dieser lange 
»Schlacks« leider außer acht ließ. 
Daher sah sie ihn als Luft an – er übrigens sie auch – was 
Ilga immer mehr gegen ihn aufbrachte. 
Die anderen hingegen amüsierten sich köstlich über den 

trockenen Humor des Gastes, der außerdem noch ein guter 
Gesellschafter war mit seinen Schnurren und Späßchen. 
Daß er jedoch auch ernst sein konnte, bewies er, als Lenore 
und Ilga sich entfernten, um Riekchen zur Hand zu gehen, 
die sich nicht wohl fühlte, während Günther seine 
Schulaufgaben zu erledigen hatte. Da sprach Gertraude zu 
dem jungen Arzt über das, was sich heute ereignet hatte. 
»Auch das noch!« sagte Wilmar darauf so ernst wie selten. 
»Das reiche Erbe seiner Frau wird bei Skörsen die 
Hemmungen noch verstärken, die er ohnehin schon ihr 
gegenüber hat.« 

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»Der Ansicht bin ich auch«, nickte der Tierarzt, 
gedankenvoll seine Pfeife rauchend. »Zwar kenne ich Dr. 

Skörsen nur vom Hörensagen. Doch was ich von ihm 
hörte, demnach scheint er ein Mann zu sein, der nicht um 
Geld freien würde.« 
»Das kann ich sogar bestätigen«, meinte Gertraude eifrig. 
»Denn wie Lenore mir erzählte, hat die Schwiegermutter 
ihr mehr als einmal erbost entgegengeschrien, daß Ralf 
eine reiche Partie ausschlug, weil er zu den Trotteln 
gehörte, die leider nie alle würden. Und diese Trottelei 
müßten leider ihre Tochter und sie nun büßen. Ja, wenn 
man wenigstens die monatlichen Raten nicht mehr zu 
zahlen brauchte.« 
»Aha, die Raten«, nickte der Hausherr verständnisinnig. 

»Die müssen die impertinente Dame wohl sehr wurmen. 
Da der Sohn darauf bestand, daß diese über das Bankkonto 
seiner Frau gingen, ist deutlich zu erkennen, daß er in der 
Ehe getrennte Kasse wünschte.« 
»Die er auch weiter wünschen wird – falls diese 
angeknackste Ehe überhaupt noch geleimt werden kann.« 
»Um Himmels willen, Wilmar, unken Sie da bloß nicht!« 
hob Gertraude beschwörend die Hände. »Die Ehe muß 
wieder in Ordnung kommen – was soll sonst wohl aus 
Lenore werden?« 
»Sie läßt sich scheiden und nimmt mich«, kam es pomadig 
zurück. »Ich laufe vor ihrem Geld bestimmt nicht davon.« 

»Genau das behauptet mein Sohn Günther«, schmunzelte 
der Tierarzt. »Aber ich glaube, er nimmt den Mund genauso 
voll wie Sie, mein lieber Hörse. Er aus kindlichem 
Unverstand. Sie aus jugendlicher Prahlerei.« 
»Wie wollen Sie das denn so genau wissen?« 
»Mein junger Freund, wer so viel mit Tieren zu tun hat wie 
ich, erwirbt sich eine untrügliche Menschenkenntnis.« 
»Da kann man nur mit Schiller sagen: Herr, dunkel ist der 
Rede Sinn«, schüttelte Wilmarchen sein strohblondes 
Haupt. »Na, mag der Ralf in seiner Ehe auch gefehlt haben, 
er tut mir dennoch mehr leid, als seine Frau, die darin 

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gewiß Schweres erdulden mußte. Doch während sie alles 
gut überstanden hat, plagt er sich mit Gewissensbissen 

herum, soweit ich ihn kenne. Nanu, wer klagt denn da die 
Männer so jammervoll an?« horchte er gleich den anderen 
auf den Gesang, der da so herzzerreißend zu ihnen drang. 
»Soll das etwa meine Süße sein?« 
»O nein, Ihre Süße stimmt ganz andere Töne an, wenn es 
um die Männer geht«, lachte Gertraude. »Etwa so: Die 
Männer sind alle Verbrecher! Wer da so rührend über die 
Treulosigkeit der Herren der Schöpfung klagt, ist unser 
Hausmädchen, das wohl schon eine trübe Erfahrung hinter 
sich hat…« 
»Ich such die Blum der Männertreu, kann sie aber nirgends 
finden«, klang es jetzt jammervoll zu den Lauschenden hin, 

und dann weiter: 
 
»Stelle nur dein Suchen ein, 
daraus kann nichts werden, 
denn die Blume Männertreu 
blühet nicht auf dieser Erden…« 
 
Und nun fielen zwei andere Stimmen ein, welche man als 
die Lenores und Ilgas erkannte: 
 
»Mädchen, traut den Männern nicht, 
wenn sie mit euch scherzen! 

Keiner hält, was er verspricht, 
spielen nur mit Mädchenherzen…« 
 
»Nein, vor so viel Männerfeindlichkeit reiße ich aus!« 
sprang Wilmar lachend auf. Und da er ja seine Schnurren 
nicht lassen konnte, formte er die Hände zum Sprachrohr 
um den Mund und sang mehr laut als schön: 
 
»Oh, wie so trügerisch sind Weiberherzen, 
mögen sie klagen, mögen sie scherzen! 
Oft spielt ein Lächeln um ihre Züge, 

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oft fließen Tränen – alles ist Lüge…« 
 

»Nun sehen Sie aber zu, daß Sie Land gewinnen und so 
den Prügeln entgehen!« lachte der Hausherr nebst der 
Gattin herzlich. »Am besten, Sie verkriechen sich hinter 
meinen breiten Rücken.« 
»Ich sage ja, daß er ein bodenlos frecher Mensch ist!« hörte 
man jetzt deutlich Ilgas empörte Stimme. »Der müßte eine 
Frau kriegen…« 
Was für eine, das erfuhren die Lauschenden nicht mehr, 
weil die Stimme sich mehr und mehr entfernte. 
»Ei weh, jetzt türme ich aber wirklich!« kratzte Wilmar sich 
den Kopf, während in seinen sehr hellen blauen Augen der 
Übermut nur so blitzte. 

»So bleiben Sie nicht zum Abendessen?« 
»Leider unmöglich, gnädige Frau, meine Freizeit ist 
abgelaufen. Halte ich sie nicht ein, singt mir der Herr 
Professor zwar nicht das Lied von der holden Blume 
Männertreu, auch nicht von trügerischen Weiberherzen, 
sondern das von dem unseligen Knaben, der immer zu spät 
kam.« 
So nahm er denn Abschied. 
Doch bevor Wilmar in seinem kleinen Wagen davonfuhr, 
sang er noch den Gastgebern, die ihm das Geleit gaben, 
verschmitzt zu: 
»Grüßt mir euer herziges Kind, sagt ihm, ich kehre wieder!« 

Der Frühling verging, der Sommer kam und brachte Mitte 
August als Gast Schwester Agathe, die sich in dem 
harmonischen Kreis äußerst wohl fühlte. 
»Das kann Ihnen hier so passen«, brummte ihr 
Vorgesetzter, als er wieder einmal die Verwandten 
besuchte. »Leben hier herrlich und in Freuden, während ich 
schwer schuften muß.« 
»Auch im Urlaub, Herr Professor?« 
»Natürlich nicht. Den pflegt ein Arbeitstier wie ich 
geruhsam zu verleben.« 
»Sehen Sie, das tue ich mit meinem hier auch.« 

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»Na, geruhsam?« lachte der Hausherr. »Dafür dürfte es bei 
uns wohl zu munter zugehen. Hauptsächlich unsere beiden 

Marjellchen haben Sie straff am Bändel, Frau Oberin. Die 
gönnen Ihnen kaum eine Stunde Ruhe, wenn sie nicht 
gerade in Wald und Flur umherschweifen, wie zum Beispiel 
jetzt.« 
»Mir sehr recht, daß sie nicht da sind«, sagte der Professor. 
»Da kann ich wenigstens ungeniert über das sprechen, 
weswegen ich eigentlich hier bin. Dr. Skörsen war heute bei 
mir.« 
»Was?« war Hermann Hollgart gleich den beiden Damen 
so überrascht, daß er die geliebte Pfeife anzuzünden 
vergaß, was er gerade vorhatte. »Seit wann ist er denn 
wieder im Lande?« 

»Seit ungefähr einer Woche.« 
»Will er denn wieder zu uns zurück?« fragte die 
Oberschwester interessiert. 
»Leider nicht. Er will die Praxis des kürzlich verstorbenen 
Arztes Blonky übernehmen.« 
»Wovon will er die denn bezahlen, etwa vom Geld seiner 
Frau?« 
»Er wußte bisher noch gar nichts von diesem reichen 
Segen, Traude. Wer hätte es ihm auch mitteilen sollen?« 
»Seine Mutter zum Beispiel.« 
»Weiß sie denn von Lenores Erbschaft?« 
»Und ob! So was spricht sich schnell herum. Jedenfalls 

erhielt Nore von ihrer Schwiegermutter kürzlich einen 
Brief, in dem diese sie ganz unverblümt anbettelte. Erst 
einmal um fünftausend Mark, die sie zur Aussteuer der 
Tochter benötigte, die in nächster Zeit zu heiraten 
gedächte.« 
»Alle Wetter!« sagte der Professor verblüfft. »Die Frau ist 
bestimmt nicht schüchtern. Und wie hat Lenore darauf 
reagiert?« 
»Sie riß den Wisch mittendurch, tat ihn in einen Umschlag 
und ließ ihn an den Absender zurückgehen.« 
»Bravo! Anders hätte sie mich auch enttäuscht. Jedenfalls 

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erwähnte Skörsen von der Erbschaft seiner Frau nichts, auf 
die er übrigens gar nicht angewiesen ist. Denn wie er mir 

kurz erklärte, kehrt er nicht mit leeren Händen zurück. Es 
ist ihm nämlich gelungen, das einzige Kind eines sehr 
reichen Australiers von einer Krankheit zu heilen, an der 
bisher Jahrelang vergebens herumgedoktert worden war. 
Da hat der überglückliche Vater den Retter seines Kindes 
natürlich fürstlich belohnt. Nun will er sich von dem Geld 
eine Praxis erwerben und seine Frau wiederhaben, das ist 
sein fester Entschluß, den er wahrscheinlich in die Tat 
umsetzen wird, auf Biegen oder Brechen. Der Mann hat 
sich in dem halben Jahr nämlich sehr verändert, äußerlich 
wie charakterlich. Er ist irgendwie hart geworden, hart und 
unnachgiebig.« 

»Mein Gott, da kann man ja Angst kriegen!« sagte 
Gertraude unbehaglich. »Will er etwa hierherkommen?« 
»Ja, morgen, vielleicht auch heute schon, um sich mit 
seiner Frau auszusprechen.« 
Wie auf ein Stichwort trat Lenore, gefolgt von Ilga, hinzu, 
sprühend vor Lebensfreude und Gesundheit. Sie trug einen 
bunten Waldblumenstrauß, den sie lustig schwenkte. 
»Hier, Tante Traudeleinchen, für dich, weil du diese 
Sträuße so liebst. – Nanu, wer kommt denn da?« 
Sie zeigte durch das Fenster auf den Wagen, der soeben 
durch das Tor fuhr. 
Nun wurden auch die anderen aufmerksam, und Günther, 

der sich wie alle Jungen seines Alters für Autos brennend 
interessierte, brummte anerkennend: 
»Schicke Karre. Wer sich so eine leisten kann, muß ganz 
nett in der Wolle sitzen. Will doch mal nachsehen.« 
An der Tür stieß er mit dem Hausmädchen zusammen, das 
wichtig meldete: 
»Herr Dr. Skörsen wünscht seine Aufwartung zu machen.« 
Und schon wurde dieser sichtbar, ging unbeirrt auf die 
Hausherrin zu und verharrte vor ihr in tadelloser 
Verbeugung. 
»Verzeihung, gnädige Frau, daß ich hier so unformell 

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eindringe…« 
»Von Eindringen kann gar keine Rede sein«, entgegnete sie 

rasch gefaßt. »Seien Sie uns willkommen, Herr Dr. Skörsen. 
Das ist mein Mann, das meine Tochter Ilga, das mein Sohn 
Günther. Alle anderen sind Ihnen ja bekannt.« 
Nachdem die Begrüßung erfolgt war, stand der Mann vor 
Lenore, die ihn anstarrte wie etwas Grausiges. Erst als er 
nach ihrer Hand faßte, kam Leben in sie. Ganz fremd klang 
ihre Stimme, die nun schroff fragte: 
»Was willst du hier?« 
»Lenore!« mahnte Gertraude. »Du bist ja ungezogen. So 
begegnet man doch nicht seinem Mann.« 
Da schluchzte sie hart auf, eine rasche Wendung, und ehe 
noch jemand sie zurückhalten konnte, war sie auch schon 

hinausgestürmt. 
»Na, so ein kleiner Feigling«, sagte der Tierarzt genauso 
perplex wie die anderen alle. »Geh ihr nach, Traudchen, 
und bring sie mal ein bißchen zur Raison!« 
»Wird nicht einfach sein«, setzte sie sich seufzend in 
Bewegung. Ilga folgte, und der Professor lachte. 
»Echt weiblich, sein Heil in der Flucht zu suchen.« 
»Es soll auch solche Männer geben«, bemerkte die 
Oberschwester trocken. »Die bleiben auch nicht stehen, 
wenn ihnen ein Schreck eingejagt wird.« 
»Soll das ein Vorwurf für mich sein, Schwester Agathe?« 
»Gewiß, Herr Dr. Skörsen. Ehe Sie Ihre Gattin so – na ja…« 

»Überfielen«, half er gelassen aus, als sie unter seinem 
ironischen Blick stockte. »Das wollten Sie doch wohl sagen, 
Frau Oberin, nicht wahr?« 
»Ja«, gab sie ehrlich zu. »Wir anderen wußten von dem 
Herrn Professor, daß Sie wieder im Lande sind, nur Lenore 
wußte es nicht. Wenn Sie uns Zeit gelassen hätten, Ihre 
Frau vorzubereiten…« 
»Dann wäre sie erst recht vor mir davongelaufen.« 
»Lassen Sie sich nur nicht beirren«, griff jetzt der Professor 
ein. »Sie handelten schon ganz richtig, mein lieber Ralf.« 
In dem Moment trat Gertraude hinzu, hochrot im Gesicht. 

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»Na, das ist vielleicht ein kleiner Trotzteufel«, blies sie die 
Backen auf. »Bei allem, was ich auch sagen mochte, erfolgte 

ein glattes Nein! – Nun gehen Sie ins Nebenzimmer, Herr 
Doktor, und plagen Sie sich weiter mit ihr ab! Bis zu Ihrem 
Erscheinen hält meine Tochter sie energisch fest.« 
Als Ralf das Zimmer betrat, sagte Ilga gerade aufgebracht: 
»Wie kann man bloß so feige sein. Schäm dich! Hör doch 
erst einmal an, was dein Mann dir zu sagen hat.« 
»Sehr richtig«, sprach eine sonore Stimme dazwischen, und 
nun war es die couragierte Ilga, die ihr Heil in der Flucht 
suchte. 
Doch als Lenore ihr nacheilen wollte, hielt Ralf sie zurück. 
»Du bleibst hier!« gebot er herrisch, während er sie 
kurzerhand in einen Sessel drückte und in dem 

gegenüberstehenden Platz nahm. 
»Sag mal, was erlaubst du dir eigentlich?« fragte sie empört. 
»Du maßt dir Rechte an…« 
»Die mir als Gatten zukommen.« 
»Ich lehne dich als solchen ab.« 
»Meinst du, daß das so einfach ist?« 
»Nichts einfacher als das«, flog ihr Kopf in den Nacken. 
»Ich lasse mich von dir scheiden.« 
»Aus welchem Grund?« 
»Ralf, so kommen wir doch nicht weiter«, preßte sie nervös 
die Finger gegen die Schläfen. »Laß uns doch in aller 
Sachlichkeit die Ehe lösen, in die man uns gezwungen hat.« 

»Gezwungen, Lenore?« 
»Na, was denn sonst? Du sagtest doch selbst, daß meine 
Mutter dich zur Heirat allerdings nicht gezwungen, aber 
überredet hat.« 
Da stieg dem Mann dunkle Röte ins Gesicht, ganz langsam, 
bis zum Blondhaar hinauf. Leise wie ein Hauch wehte es zu 
ihr hin: 
»Verzeih, Lenore, so war das nicht gemeint.« 
»Na schön«, zog sie unbehaglich die Schultern hoch. 
»Unsere Ehe war eben ein Irrtum.« 
»Ein Irrtum, Lenore? Ich habe dich aus Liebe gefreit und 

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liebe dich heute noch.« 
»Liebe – du?« fuhr sie nun auf in leidenschaftlichem 

Zürnen. »Lüg doch nicht, Ralf!« 
»Lenore, ich warne dich!« 
»Ach was, laß mich doch in Ruhe! Es war so schön ohne 
dich.« 
Er zuckte zusammen wie unter einem Hieb, erblaßte bis in 
die Lippen. Doch sie sah es nicht, schrie ihm in höchster 
Erregung entgegen: 
»Ein Leben mit deiner Mutter zusammen halte ich ein 
zweites Mal nicht mehr aus. Und wenn du mich dazu 
zwingen willst, bringe ich mich um.« 
»Du wirst mich jetzt endlich reden lassen!« wurde seine 
Stimme so scharf und schneidend, daß sie zusammenfuhr. 

»Ich habe damals, als ich aus Berlin zurückkehrte, 
sozusagen das Tischtuch zwischen mir und meiner Mutter 
zerschnitten. Ich wäre noch nicht aus Australien 
zurückgekehrt, wenn ich nicht durch einen Glücksfall so 
viel  Geld  verdient  hätte,  um  mir  eine  Praxis  erwerben  zu 
können. Auch zu einer Wohnung reicht es noch. Du wirst 
also deinen eigenen Hausstand haben. Und sollte meine 
Mutter es wagen, dich zu belästigen, so steht dir das Recht 
zu, ihr dein Haus zu verbieten. Aber zu mir zurückkehren 
mußt du, Lenore, das kämpfe ich durch auf Biegen oder 
Brechen.« 
So hart, so fest und unerschütterlich war es gesagt, daß sie 

nicht zu widersprechen wagte. 
Scheuen Blickes sah sie zu dem Mann hinüber, der ihr so 
fremd vorkam, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen. Hart war 
das Gesicht, hart und blaß, die Augen blitzten darin wie 
blanke Kiesel. Seine Kleidung war von ausgesuchter 
Eleganz, an der Linken steckte ein schwergoldener 
Siegelring. 
Nein, das war ja gar nicht der Mann, den sie geheiratet 
hatte. Das war ja ein ganz anderer, ein viel bedeutenderer, 
im Aussehen wie in der ganzen Art. Auch die Stimme kam 
ihr ganz anders vor, sonor und herrisch. 

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»Hast du dich beruhigt, Lenore? Kann ich jetzt vernünftig 
mit dir reden?« 

»Laß mir doch wenigstens Bedenkzeit!« 
»Na schön. Ich gehe, aber ich komme wieder, Tag für Tag.« 
»Was haben Sie erreicht?« fragte der Professor, als der junge 
Arzt wieder erschien. 
»Immerhin so viel, daß Lenore mich zum Schluß 
wenigstens anhörte. Fürs erste bin ich zufrieden. Gnädige 
Frau, darf ich mich verabschieden und morgen 
wiederkommen?« 
»So oft Sie wollen, Herr Doktor.« 
»Verbindlichen Dank.« 
Tief neigte er sich über die Hand, die sich ihm 
entgegenstreckte, verabschiedete sich auch von den 

anderen und ging, vom Hausherrn begleitet. 
»Na, der gibt vielleicht an!« brummte Günther. »Soll der 
bloß die Nore in Ruhe lassen, sonst kriegt er es mit mir zu 
tun!« 
»Das ist ja eine ganz fürchterliche Drohung«, schmunzelte 
der Onkel. »Nun, Agathchen, habe ich übertrieben, als ich 
sagte, daß der Mann sich sehr verändert hat?« 
»Und wie er sich verändert hat. Früher war er, wenn auch 
nicht gerade liebenswürdig, so doch verbindlich, aber jetzt 
ist er geradezu herrisch.« 
»Wird ja auch genug durchgemacht haben«, gab der 
Hausherr zu bedenken, der zurückkam und die Bemerkung 

der Oberschwester gehört hatte. »Auf mich hat der Mann 
jedenfalls den allerbesten Eindruck gemacht. Der weiß, was 
er will, und das allein ist bei einem Menschen schon viel 
wert.« 
»Und wenn Lenore an seinem starren Willen zerbricht?« 
»Trudchen, fang um Himmels willen nicht an zu 
kombinieren!« hob er lachend die Hände. »Wir wollen 
lieber auf den Schreck einen Kognak trinken.« 
»Aber ohne mich.« Gertraude stand auf. »Ich gehe zu 
Lenore. Das Kind wird ja ganz durcheinander sein.« 
Damit hatte sie recht. Denn was da auf dem Bett lag, war 

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ein schluchzendes, erbarmungswürdiges Elendsbündel. 
»Tante Traude, ich gehe nicht zu ihm zurück!« rief sie der 

Eintretenden entgegen. »Ich gehe nicht, eher bringe ich 
mich um!« 
»Na, na, na«, beschwichtige Gertraude, sich auf den 
Bettrand setzend und das verzweifelte junge Menschenkind 
in die Arme ziehend. »Du bist viel zu verstört, um eine 
Entscheidung treffen zu können. Erhole dich erst mal von 
dem Schreck, den dir das plötzliche Erscheinen deines 
Mannes eingejagt hat, dann erst wirst du prüfen und 
erwägen können.« 
»Tante Traude, ich will doch nicht von hier fort«, 
schluchzte sie jammervoll. »Ich habe euch alle doch so 
lieb, fühle mich bei euch glücklich und zufrieden. Warum 

mußte Ralf wiederkommen?« 
Ja, was sollte Gertraude wohl darauf erwidern? Jetzt mit 
Ermahnungen zu kommen, wäre zwecklos. Zärtlich 
streichelte sie das zuckende Köpfchen und sagte gütig: 
»Komm, mein Herzchen, ich bringe dich zu Bett. Dann 
bekommst du eine Tablette und schläfst erst mal über 
deinen Kummer hinweg. Wenn du dann erwachst, wird er 
gar nicht mehr so groß sein, wie er dir jetzt erscheint.« 
Als Gertraude später zu den anderen zurückkehrte, sagte sie 
befriedigt: 
»Sie schläft jetzt. Wißt ihr, was ich nun mache? Ich gehe zu 
Reinhard hinauf und hole mir bei ihm Rat, wie wir uns 

Lenore gegenüber verhalten sollen.« 
»Seine Antwort darauf kann ich dir jetzt schon sagen.« 
»Und die wäre, Hermann?« 
»Es Skörsen allein zu überlassen, seine Frau zur Vernunft zu 
bringen.« 
»Ganz meine Meinung«, nickte der Professor. »Doch jetzt 
muß ich mich wieder so ein bißchen um meine Patienten 
kümmern.« 
»Und ich um die meinen«, erhob sich der Tierarzt gleich 
dem Bruder. »Ich habe nämlich auch welche.« 
»Die sich bedeutend leichter behandeln lassen.« 

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Dr. Skörsen saß im Hotelzimmer und sah die Bedingungen 
durch, zu denen die Witwe des Arztes Blonky die Praxis 

abgeben wollte. Was sie verlangte, konnte man schon mit 
unverschämt bezeichnen, so daß Skörsen die Lust verging, 
sich weiter mit der Sache zu befassen. 
Und da er ein Mensch von kurzen Entschlüssen war, tippte 
er auf der kleinen Schreibmaschine eine zwar höfliche, aber 
nicht mißzuverstehende Absage. 
Er war gerade damit fertig, als der Fernsprecher anschlug 
und der Portier durchsagte, daß ein Herr Hollgart den 
Herrn Dr. Skörsen zu sprechen wünsche. 
»Schicken Sie den Herrn sofort zu mir herauf«, gebot Ralf 
kurz, da er annahm, daß der Besucher ihn Lenores wegen 
sprechen wollte. 

Unruhig sah er ihm entgegen und war dann nicht wenig 
erstaunt, als statt des kraftstrotzenden Hünen ein kleiner 
verwachsener Mann eintrat. 
»Dr. Hollgart?« fragte er gedehnt. 
»Jawohl, Dr. Hollgart der Dritte«, kam es lächelnd zurück. 
»Der jüngste der Brüder. Hat mein Bruder Rudolf Ihnen nie 
von meiner Existenz erzählt?« 
»Nein. So vertraut war ich mit dem Herrn Professor nicht, 
daß er über seine Familienangehörigen mit mir sprach. 
Nehmen Sie bitte Platz, Herr Doktor! Darf ich Ihnen etwas 
anbieten?« 
»Danke, jetzt nicht, vielleicht später. Ich hege nämlich die 

Hoffnung, mit Ihnen dann in bestem Einvernehmen 
anstoßen zu dürfen.« 
»Da bin ich aber neugierig«, gab Ralf unumwunden zu, 
während er sich dem Gast gegenüber setzte, der ihn 
prüfend ansah und dann sagte: 
»So will ich versuchen, mich möglichst kurz zu fassen. Ich 
bin der Besitzer des Sanatoriums Friedberg, das in der Nähe 
des Hollgarthofes liegt. Schon davon gehört?« 
»O ja, es ist bekannt genug.« 
»Also, wie ich hörte, haben Sie die Absicht, die Praxis des 
verstorbenen Dr. Blonky zu erwerben?« 

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»Die Absicht habe ich jetzt nicht mehr, da die Bedingungen 
denn doch zu übersteigert sind. Ich werde die Absage heute 

noch abschicken.« 
»Und was gedenken Sie jetzt zu tun?« 
»Mich nach etwas anderem umzusehen.« 
»Ins Krankenhaus wollen Sie nicht mehr zurück?« 
»Nein.« 
»Auch nicht als Oberarzt?« 
»Nein. Ich möchte selbständig werden.« 
»Schade.« 
»Warum?« 
»Weil Sie dann auf meinen Vorschlag nicht eingehen 
werden.« 
»Aber anhören könnte ich ihn trotzdem.« 

»Ja? Na, denn man zu. Also, Herr Dr. Skörsen, ich habe in 
den letzten Jahren mit meinen Mitarbeitern Pech gehabt. Es 
war nicht einer unter denen, die da kamen und gingen, auf 
den ich mich ganz und voll verlassen konnte. Nun wollte 
ich Ihnen vorschlagen, zu mir zu kommen.« 
»Um Sie auch noch zu enttäuschen«, warf Ralf trocken ein, 
und der andere lachte. 
»Sie scheinen wirklich kurz angebunden zu sein, wie man 
Ihnen nachsagt. Ich glaube nicht, daß Sie mich enttäuschen 
werden – und wenn, dann sagen wir uns hübsch säuberlich 
Adieu.« 
»Ihr Angebot könnte mich schon reizen, wenn ich dort 

meinen eigenen Hausstand haben dürfte.« 
»Das kommt nicht in Frage, mich werden Sie schon als 
Anhängsel dulden müssen.« 
»Wie soll ich das verstehen?« 
»Ganz einfach, mein lieber Freund. Ich bewohne nämlich 
ein großes Haus, in dem ich mir so einsam vorkomme, so 
verlassen und verloren. Denn ich bin unverheiratet, was Sie 
ja nicht wundern wird. Ich habe es bisher noch nicht 
bedauert, aber wenn man älter wird, sehnt man sich nach 
Wärme und Herzlichkeit, munterem Geplauder, 
herzfrohem Lachen. Und das alles könnte ich bei Ihrer 

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Lenore finden.« 
»Lenore wohl, Herr Doktor, aber das ›Ihre‹ ist ein kühnes 

Wort.« 
»Dazu würde mein Bruder, der Viehdoktor, sagen: Man 
immer sachte mit den jungen Pferdchen! Die junge Frau 
wird sich schon wieder darauf besinnen, daß sie aus Liebe 
geheiratet hat.« 
»Ein Irrtum, wie sie mir gestern sagte.« 
»Den ihr das eigenwillige Köpfchen eingibt. Aber das Herz 
irrt sich nicht, das bleibt nach wie vor unbestechlich. Das 
sage ich Ihnen als Psychologe, der sich ein 
Vierteljahrhundert mit Seelenkunde befaßt hat.« 
»Dann brauche ich Ihnen ja nicht zu beteuern, daß ich 
Lenore aus Liebe freite, daß ich sie imitier liebte, auch als 

ich sie in meiner Verblendung für ein launenhaftes, 
unverträgliches, verlogenes Geschöpf hielt – und daß diese 
Liebe in meinem Herzen klebt so zäh wie…« 
Jäh hielt er inne, seine Zähne bissen sich zusammen wie in 
rasendem Schmerz. 
»Nein, das brauchen Sie mir nicht zu erklären«, sprach 
Hollgart in die bedrückende Stille hinein. »Sie haben wohl 
gefehlt, aber auch dafür gebüßt.« 
»Weiß Gott, das habe ich. Aber für Lenores Rachedurst 
wahrscheinlich immer noch nicht genug.« 
»Skörsen, ich will Ihnen mal was sagen, ganz offen und 
ehrlich: Lenore hat in den ersten Monaten ihrer Ehe so 

entsetzlich viel leiden müssen, daß sie bestimmt daran 
zerbrochen wäre, hätten sich nicht warmherzige Menschen 
gefunden, die sich ihrer annahmen. Von Herzlichkeit 
umgeben lernte sie wieder das Leben lieben, fand sie 
Frohsinn und Lachen wieder, was ihr alles so ganz 
abhanden gekommen war. Sie lernte aber auch, Sie zu 
vergessen, Ralf – was für ihre seelische sowie körperliche 
Genesung sogar gut war. Als Sie nun gestern so ganz 
unerwartet vor ihr standen, brach alles wieder auf, was 
noch nicht ganz vernarbt war. Die so plötzlich aufgerissene 
Wunde wird sich jedoch wieder langsam schließen, wenn 

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man die richtige Salbe anwendet. Und die heißt nicht 
unnachgiebige Härte, sondern Nachsicht und Geduld. Also 

reißen Sie dieses sensible Geschöpf nicht von heute auf 
morgen aus seiner Umgebung, an der es hängt. Reißen Sie 
es nicht von Menschen, die es von ganzem Herzen liebt. 
Zwar ist es Ihr Recht, die Gattin an Ihre Seite zu zwingen, 
aber lassen Sie nicht das Recht sprechen, sondern Ihr Herz, 
dann werden Sie schon das Richtige treffen. Erst einmal 
damit, daß Sie meinen Vorschlag annehmen. Der 
Hollgarthof und der Friedberg liegen so nahe zusammen, 
daß man, wenn man den Pfad durch die Wiesen wählt, in 
zehn Minuten hüben wie drüben sein kann. Wenn Sie ein 
Fernglas nehmen, können Sie von der Höhe beobachten, 
was unten vor sich geht. Und diese Nähe braucht Lenore 

zuerst einmal, damit sie in kurzer Zeit dahin eilen kann, 
wohin das Herzchen sie gerade treibt. Und das wird sie 
allmählich mehr und mehr zum Herzen des Gatten ziehen. 
Wetten, daß es geschieht?« 
»Herr Doktor, wissen Sie, was Sie sind? Ein ganz listiger 
Verführer.« 
»Meinetwegen auch das«, lachte er herzlich. »Wenn wir 
dabei nur zum Ziel kommen. Hier haben Sie meine Hand, 
schlagen Sie ein, es wird Sie bestimmt nicht gereuen.« 
Noch ein kurzes Zögern Ralfs, dann fanden sich zwei 
Männerhände zu festem Druck. 
Es war ein Eldorado, das Dr. Skörsen nach einer guten 

Stunde zu sehen bekam. Alte Bäume mit mächtigen 
Kronen, blühende Straucher, gepflegte Rasen, herrliche 
Blumenrabatten, Springbrunnen, ein großer See, auf dem 
Boote schaukelten; schmucke Badehäuschen reihten sich 
am Ufer. Ferner gab es Liegewiesen, Tennisplätze, eine 
kleine Reithalle, Wandelgänge, saubere Kieswege. Und 
inmitten von all dem herrlichen Grün und der 
Blumenpracht standen die schneeweißen Gebäude mit 
ihren großen Fenstern, Baikonen und Terrassen. 
Erklärend schritt der Besitzer all der Herrlichkeit neben 
dem jungen Arzt dahin, der schon ganz benommen war 

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vom Schauen. 
Jetzt hob Hollgart die Hand und zeigte auf ein abgelegenes 

Gebäude, das ganz aus Glas zu bestehen schien. 
»Sehen Sie mal dort hin, Ralf! In dem Haus befindet sich 
der Operationssaal, der eigentlich nur als Staffage dient. 
Denn die größeren Operationen, die ja auch mal bei den 
Patienten notwendig werden, wimmele ich mir ab, weil ich 
ja kein Chirurg bin. Nur kleinere führe ich in dringenden 
Fällen aus.« 
»Aber der Herr Professor ist doch ein vorzüglicher Chirurg. 
Da wundere ich mich, daß er sich mit Ihnen nicht 
zusammen tut, Herr Doktor.« 
»Den Vorschlag machte ich ihm selbstverständlich, er wies 
ihn jedoch entrüstet zurück. Ob er sich in diesem Klub 

wohl zuschanden faulenzen sollte? Jedes halbe Jahr 
vielleicht eine Operation, das hätte er gern. Und dann und 
überhaupt, was sollte er wohl bei solchen Menschen, die 
sich den Luxus leisten könnten, hier zu sein, wohl 
wegoperieren? Doch nur bei den unverstandenen Frauen 
ihre Extravaganzen und bei seitenspringenden Ehemännern 
ihre Amouren.« 
»Das sieht dem Professor ähnlich!« lachte Ralf so herzlich, 
daß sein Begleiter überrascht aufhorchte. Wohlgefällig hing 
sein Blick an der prachtvollen Erscheinung. 
So hätte ich auch aussehen mögen, dachte er wehmütig. 
Aber nur einige Herzschläge lang, dann war es vorbei. 

»Beherbergt das Sanatorium denn nur Menschen von der 
eben geschilderten Art?« fragte der junge Arzt jetzt 
interessiert. 
»Natürlich nicht. Es sind wirklich Leidende darunter, sogar 
in der Mehrzahl.« 
»Na, Gott sei Dank, sonst würde ich ausreißen.« 
»Etwa vor den unverstandenen Frauen?« 
»Allerdings.« 
»Na, hören Sie mal, ein Kerl wie Sie! Wetten, daß die 
Damen sich samt und sonders in Sie verlieben?« 
»Da sei Gott vor!« hob Ralf so entsetzt die Hände, daß der 

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andere amüsiert lachte. 
»Tja, mein Lieber, man muß seinem Beruf auch Opfer 

bringen.« Er hakte sich bei dem Jüngeren ein. »Meine Füße 
sind müde, und mein Magen hängt schief. Also habe ich 
Sehnsucht nach einem weichen Lehnstuhl und einem 
guten, reichlichen Mahl.« 
Beides sollte ihm in dem Haus werden, das sie bald darauf 
betraten und das auf Ralf einen fast beklemmenden 
Eindruck machte in seiner beinahe unnahbaren 
Vornehmheit. 
Das Mahl servierte ein Diener, der in diese Pracht 
wunderbar hineinpaßte. 
Er war seinem Herrn ebenso treu ergeben wie die Dame, 
die sich an der Tafel einfand und dem Gast als »betuliches 

Haushuhn« vorgestellt wurde. Sie lachte dazu, die 
Fünfzigerin mit leicht ergrautem Haar, dem frischen 
Gesicht und den guten Augen. 
Nach dem vorzüglichen Mahl zog die Dame sich zurück, 
und die Herren gingen in ein lauschiges Gemach, das ganz 
mit dicken Teppichen ausgelegt war. Die Wände bedeckten 
Gobelins, um einen Marmorkamin standen tiefe, weiche 
Sessel, inmitten ein niedriger Tisch mit herrlichen 
Intarsien, und an der einen Schmalwand prunkte eine Bar. 
Die Kaffeemaschine summte, Mokkatassen standen bereit, 
und aus dem Kühler ragte ein Flaschenhals. 
»So, mein Lieber, jetzt möchte ich das tun, was ich bereits 

andeutete«, schmunzelte der Hausherr. »Nämlich, mit 
Ihnen im besten Einvernehmen anstoßen.« 
Was denn auch geschah. Dabei bot der sonst so reservierte 
ältere Arzt dem jüngeren das trauliche Du an, was diesen 
geradezu verwirrte. 
»Herr Doktor, womit habe ich das verdient?« fragte er, und 
lachend kam es zurück: 
»Das weiß ich selbst nicht. Aber was macht man schon 
gegen die Liebe auf den ersten Blick? Man kapituliert. 
Zuerst tat ich es bei Lenore, dann bei ihrem Ehgespons.« 
Da mußte Ralf lachen, und sein Gastgeber nickte befriedigt. 

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»Das habe ich gern, Lachen und Frohsinn zu Hause, nach 
all dem Jammer und den Klagen im Beruf. So was wünsche 

ich mir schon lange. Und wenn unser Täubchen erst hier 
sein wird, dann zieht es andere nach. Denn wo Tauben 
sind, da fliegen Tauben zu. Ja, ja, ich weiß, dein Gesicht ist 
nämlich ein einziges Fragezeichen«, besah der Mann sich 
schmunzelnd seinen Gast. 
»Ist das vielleicht ein Wunder?« 
»Bei deinem sonstigen Scharfsinn schon. Somit gebe ich 
denn den Kommentar: wenn erst Lenore zwischen hier und 
dort pendelt, schließt sich Ilga ihr bestimmt an. Und unser 
Traudchen flattert hinterher, von wegen des Kombinierens. 
Und dann habe ich endlich das frohe Leben im Haus, nach 
dem ich mich immer sehnte. Kapiert?« 

»Das schon. Aber deine Verwandten sind doch schon 
immer hier aus und eingegangen?« 
»Eben nicht. Sie erschienen selten, weil es ihnen hier zu 
ungemütlich war.« 
»Ist Günther dein einziger Neffe?« 
»Ja, und Ilga meine einzige Nichte.« 
»Vielleicht bringt sie dir durch Heirat den erwünschten 
Nachfolger.« 
»Kann schon sein, daß sie sich langsam mit Dr. Hörse 
zusammenzankt«, war die lachende Erwiderung. »Aber 
darüber können noch Jahre vergehen. Also, mein lieber 
Ralf, du kannst dich drehen und winden, wie du willst, ich 

habe dich mir als Nachfolger in den Kopf gesetzt, und der 
kann manchmal hart sein wie Granit. Ich weiß, du hast 
Hemmungen, die jedoch Unsinn sind. Durch Lenores 
Erbschaft bist du sehr wohl in der Lage…« 
»Lenore? Erbschaft?« horchte Ralf auf. »Davon weiß ich ja 
gar nichts.« 
»Na, nun schlägt’s dreizehn! Hat sie dir denn nichts davon 
gesagt?« 
»Nein, das hat sie in ihrer Erregung wohl vergessen. Wen 
hat sie denn beerbt?« 
»Ihre Mutter.« 

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Kurz gab er wieder, was er über die Angelegenheit wußte. 
Und je länger er sprach, desto mehr verfinsterte sich Ralfs 

Gesicht. 
»Wieviel ist es denn?« fragte er, als der andere schwieg. 
»So um eine dreiviertel Million herum.« 
»Das hat mir gerade noch gefehlt!« lachte Ralf hart auf. »Da 
dachte ich, mit meinem bißchen Geld… Weißt du übrigens 
davon?« 
»Ja.« 
»Da dachte ich, mit meinem bißchen Geld mir meine Frau 
zurückzuerobern, indem ich ihr eine eigene Wohnung 
einrichte, und nun dies. Es ist, um auf die Akazien zu 
klettern.« 
»Tu’s nicht, mein Sohn«, entgegnete der andere ungerührt. 

»Die Dinger sollen nämlich erbärmlich stechen. Freu dich 
lieber über den reichen Segen, den du als mein Nachfolger 
mal nötig brauchen wirst. Oder glaubst du etwa, daß ich 
dir das alles hier ringsum mal schenken werde?« 
»Ich würde so ein Riesengeschenk gar nicht annehmen.« 
»Vorläufig ist es ja noch nicht soweit«, meinte Reinhard 
pomadig. »Ich gedenke noch so einige Jährchen zu leben 
mit meinen jetzt fünfundvierzig Jahren. Bis dahin zahle ich 
dir Gehalt, von dem ich dir allerdings die Verpflegung für 
dich und deine Familie, die sich hoffentlich bald und viel 
vergrößern wird, abziehen muß.« 
»Dann wird von dem Gehalt wohl nicht viel übrigbleiben«, 

warf Ralf trocken ein, und der andere lachte. 
»Na, du, ich zahle anständig, Junge, was habe ich bloß für 
eine Mordsfreude, daß ich nun auch eine Familie haben 
darf. Denn zusehen, und immer nur zusehen, das macht 
bitter.« 
Ganz leise war das letzte gesagt. Und was der junge Arzt 
darauf erwiderte, klang wie ein Schwur: 
»Du sollst nie mehr allein sein, Reinhard, das verspreche 
ich dir.« 
»Danke, das war ein gutes Wort. Sag mal, hat mein Bruder 
nichts von Lenores Erbschaft erzählt, als du ihn im 

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Krankenhaus aufsuchtest?« 
»Nein.« 

»Merkwürdig. Und auch deine Mutter schwieg sich darüber 
aus?« 
»Meine Mutter? Woher soll die denn das wissen? Reinhard, 
du wirst ja ganz verlegen. Verschweigst du mir etwas?« 
»Junge, sei doch nicht so gründlich!« 
»Doch, ich muß es sein. Also?« 
So blieb dem anderen nichts anderes übrig, als über Frau 
Rosahas Brief zu sprechen. 
»Und was hat Lenore getan?« 
»Den Brief mittendurch gerissen und zurückgesandt.« 
»Gott sei Dank!« atmete Ralf auf. »Sag mal, Reinhard, graut 
dir eigentlich nicht vor dem Sohn so einer Mutter?« 

»Keine Spur! So weiß deine Mutter noch gar nicht, daß du 
wieder im Lande bist?« 
»Doch, irgendwo muß sie es erfahren haben. Sie war 
nämlich im Hotel und wollte mich sprechen, was ich aber 
ablehnte.« 
»Ist das nicht zu hart, Ralf?« 
»Nein, nur gerecht. Es ging ihr ja nicht um meine Person, 
sondern um mein Geld. Nun, ich habe ihr schriftlich 
mitgeteilt, daß ihr die Raten für Lenore erlassen sind. 
Fortan werde ich dafür aufkommen.« 
»Es paßt gut, daß heute Sonntag ist«, sagte Reinhard, als er 
an Ralfs Seite den Wiesenpfad entlangschritt. »Da haben 

wir wenigstens Aussicht, die gesamte Familie anzutreffen, 
wenn wir so treulich vereint auf der Bildfläche erscheinen. 
Für meinen Bruder gibt es allerdings keinen Sonntag, wie 
für uns ja auch nicht. Wir Ärzte müssen ständig in 
Bereitschaft stehen. Da heißt es eben: werde nicht Arzt, 
wenn du nicht aus dem Beruf die Konsequenzen ziehen 
willst! – Doch, Hermann ist da. Ich erspähe ihn bereits auf 
der Terrasse im trauten Kreis seiner Lieben. Auch die 
Oberschwester ist dabei, hat also immer noch Urlaub.« 
Fünf Minuten später standen sie dann vor den sechs 
Menschen, die nicht gerade geistreiche Gesichter machten, 

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was dem kleinen Arzt ein amüsiertes Lächeln entlockte. 
»Kinderchen, klappert nicht mit den Augen, ihr seht richtig, 

Ralf und ich – ich und Ralf. Ist denn das so 
verwunderlich?« 
»Also, Onkel Reinhard, wenn du nicht deine Späße machen 
kannst, ist dir einfach nicht wohl«, sagte Ilga als erste 
mobil. »Steckst ganz so voller Ulk wie Wilmar.« 
Erschrocken hielt sie inne, rot lief ihr Gesichtchen an. Doch 
die anderen waren taktvoll genug, ganz harmlos zu tun. 
»Spaß muß sein, sagte die Katze und fraß den Spatz«, 
meinte Günther pomadig und half so der Schwester über 
ihre Verlegenheit hinweg. 
Inzwischen hatten die beiden Besucher Platz genommen, 
und nun bequemte Reinhard sich endlich zu einer 

Erklärung, die dann gewissermaßen wie eine Bombe 
einschlug. 
Alles rief und fragte durcheinander, nur Lenore saß mit 
erschrockenen Augen da. Niemand kümmerte sich um sie, 
alle sprachen auf die beiden Herren ein, bis sie restlos alles 
wußten. 
»Wo wird denn Dr. Skörsen wohnen?« fragte Ilga, zappelnd 
vor Aufregung. 
»Bei mir, natürlich. Der Kasten ist ja groß genug.« 
»Fein, da werde ich dich oft besuchen.« 
»So, so«, sagte der Onkel. »Aber warum auch nicht, wo ich 
jetzt einen so schmucken jungen Mann bei mir habe. Doch 

den wirst du wenig zu sehen kriegen, weil die weiblichen 
Patienten ihn mit Beschlag belegen werden. Sie reckten sich 
schon heute ihre reizenden und minder reizenden 
Hälschen nach ihm aus.« 
»Hört, hört!« schmunzelte der Hausherr. »Da wird es aber 
bald Palastrevolution um den schönen Ralf geben.« 
Dabei schielte er zu Lenore hin, die noch immer 
unbeweglich dasaß. Man zog sie absichtlich nicht ins 
Gespräch, nahm auch keine Notiz davon, als sie sich 
entfernte. 
Doch als sie außer Hörweite war, sagte Reinhard befriedigt: 

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»Den ersten Schock hat sie weg, weitere werden folgen.« 
»Und du willst ein Seelenarzt sein?« empörte Gertraude 

sich. »Ein ganz gefühlloser Mensch bist du. Los, Dr. 
Skörsen, gehen Sie ihr nach!« 
»Um mich beleidigen zu lassen? Nein, gnädige Frau, ich 
habe von der ersten Aussprache genug und werde mich 
Lenore fortan nicht mehr nähern. Wenn sie mir etwas zu 
sagen hat, wird sie wohl das erste Wort sprechen müssen, 
denn jetzt ist sie es, die sich an mir schuldig macht.« 
»Na, das kann ja gut werden!« seufzte Traude. »Hoffentlich 
sind Lenores Nerven stark genug, um dem allen, was auf sie 
einstürmen wird, ohne Schaden standzuhalten. Was meinst 
du dazu, Reinhard?« 
»Ihre Nerven sind durchaus intakt.« 

»Und wenn ihr das Herz bricht?« 
»Das soll es ja gerade«, blieb er ungerührt. »Ruhig brechen 
lassen. Dann wird sie schon den Weg zu dem finden, der es 
mit behutsamen Händen leimen kann.« 
»Onkel Reinhard, du bist abscheulich!« 
»Aber warum denn, Ilgalein?« tat er scheinheilig. »Ich bin 
doch an dem allen nicht schuld.« 
»Das nicht, aber du hetzt Dr. Skörsen auf.« 
»Ilga, werde nicht ungezogen!« tadelte der Vater sie scharf. 
Da weinte sie auf und lief davon. 
»Na, so ein dummes Ding!« brauste der Vater auf, kam 
jedoch nicht weiter, weil der Sohn mit Pathos die Hände 

hob und zitierte: 
»Ach, man fühlt mit siebzehn Jahren leicht der Liebe Lust 
und Schmerz.« 
Da mußten alle lachen, und die patzige Ilga kam um ein 
Strafgericht herum. 
»So, mein lieber Ralf, nun wir alles so hübsch 
durcheinander gebracht haben, können wir ja wieder 
gehen«, schmunzelte der kleine Arzt. »Aber wir kommen 
wieder.« 
»Soll das ein Trost sein?« 
»Na, was denn sonst, Traudchen? Hauptsächlich für die 

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Nore. Grüß mir ihr Herz!« 
»Warum das?« 

»Weil es den Gruß besser verstehen wird als das 
eigenwillige Köpfchen. Denn die beiden stehen jetzt in ach 
so hartem Streit.« 
»Nun geh doch bloß schon!« schob Gertraude ihn lachend 
ab. »Sonst verwirrst du uns noch immer mehr mit deinen 
rätselhaften Worten. Soll ich Lenore auch von Ihnen etwas 
bestellen, Herr Doktor?« 
»Nein, gnädige Frau.« 
»Aber von mir kannst du ihr noch was bestellen und zwar: 
aber das Herz irrte nicht!« 
»Wie soll ich das nun wieder verstehen?« 
»Du brauchst es nicht, Traudchen. Hauptsache, daß Lenore 

es versteht.« 
Damit ging er endgültig in Ralfs Begleitung davon, und der 
Bruder sprach ihm warm nach: 
»Ist doch ein prächtiger Kerl, unser Reinhard. Weißt du 
auch, daß wir uns ihm gegenüber schämen müssen, 
Fraule?« 
»Warum denn?« 
»Weil wir uns viel zu wenig um ihn gekümmert haben. Wie 
schmerzlich er das entbehrt hat, konnte man heraushören, 
als er sagte, wie glücklich er doch wäre, daß das Alleinsein 
für ihn nun endlich ein Ende hätte.« 
»Er hat doch nie gesagt, daß er sich einsam fühlt«, 

entgegnete Traude kläglich. 
»Er gehört eben nicht zu den Menschen, die um Liebe 
betteln. – Aber was ist mit Ihnen los, Schwester Agathe? Sie 
sind ja völlig verstummt.« 
»Das kann einem schon die Sprache verschlagen«, seufzte 
sie. »Ich bin nur neugierig, was der Herr Professor zu dem 
Entschluß Skörsens sagen wird. Wie gern hätte er den 
vorzüglichen Arzt wieder im Krankenhaus gehabt.« 
»Wenn er vernünftig ist, muß er einsehen, daß Skörsen im 
Krankenhaus nicht annähernd das geboten werden kann, 
was ihm mein Bruder bietet. Außerdem hat Rudolf Dr. 

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Hörse zur Seite, den er sich als tüchtige Kraft heranbilden 
kann, während Reinhard in den letzten Jahren mit seinen 

Ärzten nur Pech hatte.« 
»Sie haben schon recht, Herr Doktor, aber schade ist es 
doch.« 
»Auch für Sie?« Er kniff ein Auge zu, und da mußte sie 
lachen. 
»Auch für mich. Ich mag den Ralf nun mal gern. Außerdem 
möchte ich betonen, daß ich an der Grenze der Fünfzig 
stehe.« 
»Das sagt noch gar nichts.« 
»Schwester Agathe, nehmen Sie diesen gräßlichen 
Menschen doch mal bei den Ohren!« entrüstete sich 
Gertraude, doch der Sohn warnte: 

»Ei, Mutti, lieber nicht, der Paps befindet sich im 
gefährlichen Alter.« 
»Na, warte bloß, du Schlingel!« fiel Hermann in das 
hellklingende Lachen der Damen ein. »Ich weiß ja nun 
nicht, wer von uns beiden sich im gefährlicheren Alter 
befindet.« 
»Worüber lacht ihr denn so?« stürmte Ilga herbei, während 
Lenore langsamer folgte. »Wo sind denn die beiden 
Herren?« 
»Zutiefst gekränkt davongegangen.« 
»Etwa meinetwegen?« fragte Ilga erschrocken. 
»Na, weshalb denn sonst?« 

»Ach, Paps, du willst mich bloß ärgern. Du bist genauso 
wie…« 
»Ahmmmmm?« 
»Mit dir ist ja heute nicht zu reden. Komm, Nore, wir 
gehen baden.« 
»Aber kühlt euch nicht zu sehr die Herzchen ab. Apropos 
Herz – Onkel Reinhard läßt das deine grüßen, Lenore.« 
»Wie soll ich das verstehen, Onkel Hermann? Was sagte er 
denn?« 
»Aber das Herz irrte nicht.« 
Zuerst sah sie ihn verblüfft an, doch dann flog der Kopf in 

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ihren Nacken. 
»Wenn sich da der Herr Doktor nur nicht irrt. Komm, Ilga!« 

Als sie gegangen war, zwinkerte der Tierarzt der Gattin zu. 
»Siehst du, Traudchen, wie rasch die Kleine den Sinn 
erfaßte! Wetten, daß sie sich von dem guten Psychiater 
durchschaut fühlt?« 
»Auch noch wetten. Nein, lieber Mann, dafür ist die ganze 
Sache denn doch zu verworren. Ich muß mal so richtig 
kombinieren.« 
Für Lenore begann nun eine Zeit, wo sie sich selbst nicht 
begriff. Von Ralf wollte sie nichts wissen – und sehnte ihn 
dennoch herbei. War sie mit ihm zusammen, verhielt sie 
sich ablehnend, war er wieder fort, tat es ihr leid. 
Und sie traf fast täglich mit ihm zusammen, und zwar in 

Friedberg, wohin sie eigentlich gar nicht gehen wollte. 
Doch ging Ilga hinauf, folgte sie ihr wie einem Magneten. 
Nur gut, daß Lenore keine Ahnung davon hatte, daß man 
im Tal wie auf der Höh ein abgekartetes Spiel mit ihr trieb. 
Dann hätte sich ihr Trotz, von dem sie nicht wenig besaß, 
gehörig aufgelehnt und ihr die Zukunft verpfuscht. 
Nun ging sie schon seit zwei Wochen im Friedberger 
Herrenhaus aus und ein, aber stets war Ilga dabei. 
Langsam begannen die blendende Persönlichkeit Ralfs und 
die feudale Umgebung Friedbergs auf das empfängliche 
Herz zu wirken. Seine prachtvolle Geltung. Die ausgesucht 
elegante Kleidung, sein selbstsicheres Auftreten, seine 

tadellosen Manieren, überhaupt das ganze Drum und 
Dran. Wer ließ sich davon nicht bestechen? 
Und dann kam bei Lenore noch die Eifersucht hinzu. 
Wenn sie nämlich sah, wie die weiblichen Patienten sich 
um »ihren« Doktor scharten, ihn anhimmelten, stieg 
jedesmal Zorn in ihr auf, den sie jedoch unterdrückte – 
vorläufig noch. 
Doch eines Tages ging ihr sozusagen der Hut hoch, als sie 
beobachtete, wie Ralf von den »unverstandenen Frauen« 
umschwärmt wurde. Sie stand neben Dr. Hollgart, der sie 
mit den Augen des Psychiaters scharf beobachtete. 

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»Sag mal, Onkel Reinhard, muß das sein, daß Ralf sich von 
den Damen so anhimmeln läßt?« fragte sie unmutig. 

»Es muß sein«, kam die Antwort scheinheilig. »Und ich 
glaube, daß Ralf sich das gern gefallen läßt. Welch ein 
Mann ließe das schließlich nicht? Ich wünschte, man täte 
es auch bei mir.« 
»Um das zu wünschen, dafür bist du ja viel zu klug«, 
entgegnete Lenore warm, dabei die Schulter des 
verwachsenen Mannes liebevoll umfassend. »Schwärmerei 
verfliegt, nur die Liebe bleibt.« 
»Wirklich, Nore?« 
»Ganz wirklich, Onkel Reinhard. Wir haben dich lieb – 
nicht wahr, Ilga?« 
»Ehrensache!« warf diese sich in die Brust. »Laß doch die 

dummen Gän…« 
»Ei, Ilga!« 
»Na ja, Onkelchen, ich halte schon den Mund«, murmelte 
sie beschämt. »Aber sag doch selbst, wie sie um Ralf 
herumscharwenzeln, das ist denn doch zu arg. Es ist gar 
nicht gut, wenn ein Mann so blendend aussieht. Ich 
jedenfalls möchte einen solchen gar nicht haben. Aha, jetzt 
hat Ralf uns erspäht und schwenkt ab von den ihn 
verhimmelnden Damen.« 
»Apartes Wort«, schmunzelte der kleine Arzt und sah dann 
dem hochgewachsenen Mann entgegen, der rasch näher 
trat – frisch und froh, braungebrannt, ein Bild sieghafter 

Männlichkeit. 
»Ihr seid hier?« tat er scheinheilig. »Wenn ich das früher 
bemerkt hätte…« 
»Tu bloß nicht so«, zog Ilga ein Mäulchen. »Wirklich, Ralf, 
du wächst dich zu einem Schwerenöter schlimmster Sorte 
aus. Nie hätte ich das von dir jemals gedacht.« 
»Also enttäuscht von mir?« 
»Nicht mehr, wenn du uns in deinem aufregend feudalen 
Wagen zur Stadt fährst, Mutti hat mir nämlich einen 
ellenlangen Besorgungszettel in die Hand gedrückt. Paps ist 
mit dem Auto natürlich wieder unterwegs. Deshalb sollten 

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wir das Gespann nehmen.« 
»Und das ist dir Irrwisch natürlich zu langsam«, zwinkerte 

Ralf ihr zu, der bereits merkte, wo sie hinauswollte. 
»Bekomme ich Urlaub von meinem gestrengen Chef?« 
»Nun zieh schon ab, du Schlingel!« schmunzelte sein Chef. 
»Ich werde dich indes bei deinen Anbeterinnen würdig 
vertreten.« 
Bei dem lustigen Geplänkel hatte Lenore schweigend 
dagestanden und blieb auch schweigsam, als sie dann an 
Ralfs Seite dahinschritt, während Ilga sich zutraulich an 
seinen Arm hängte. Lächelnd hörte er auf ihr munteres 
Geplauder, hatte für die Gattin weder Worte noch Blick. 
Und dabei sah sie doch so reizend aus in dem duftigen 
Sommerkleid, mit dem leichten Seidenmantel darüber. Das 

Haar, unbedeckt, funkelte und gleißte im Sonnenlicht. Die 
blauen Augen leuchteten aus dem gebräunten Gesichtchen 
– alles in allem ein junges Menschenkind von 
bezaubernder Schönheit. 
Aber auch die dunkellockige Ilga konnte sich sehen lassen, 
und einem Mann, der zwischen beiden hätte wählen 
sollen, wäre die Wahl wohl schwergefallen. 
Geschickt steuerte Ralf seinen eleganten Wagen aus der 
Garage, und bevor Lenore noch so recht zur Besinnung 
kam, hatte Ilga sich auf dem hinteren Sitz placiert. 
»Ich spiele Herrschaft!« sagte sie großartig, sich so richtig 
ausbreitend. Also blieb Lenore nichts übrig, als sich neben 

den »Chauffeur« zu setzen, der so ganz respektwidrig vor 
sich hin pfiff. Ruhig hielten die Hände das Steuerrad, an 
deren linker der kostbare Stein funkelte und blitzte. 
Woher mag er den Ring haben? dachte Lenore versonnen. 
Gekauft hat er ihn bestimmt nicht. Also ein Geschenk. Aber 
von wem? 
Scheu tastete sich ihr Blick zu seinem Gesicht hinauf, das 
man in seiner gesunden Bräune mit kühn bezeichnen 
konnte, hauptsächlich dann, wenn durch den Mund die 
blendendweißen Zähne blitzten. Das blonde Haar, sonst 
sorgfältig geordnet, zauste der Wind, der in den offenen 

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Wagen ungehindert Zugang fand. 
Es ist nicht gut, wenn Männer so blendend aussehen, 

kamen ihr Ilgas Worte in den Sinn. 
Nein, es ist wirklich nicht gut, sann Lenore weiter. Sie 
können unmöglich treu sein, weil sie zu vielen Gefahren 
ausgesetzt sind durch die Frauen, die sie umschwärmen wie 
die Falter das Licht. 
Es war wohl ein Zufall, daß gerade jetzt Ralf das Lied aus 
dem »Paganini« pfiff und Ilga munter dazu sang: 
»Gern hab’ ich die Frau’n geküßt, hab’ nie gefragt, ob es 
gestattet ist. Dachte mir: Nimm sie dir, küß sie nur, dazu 
sind sie ja hier.« 
»Ich sage ja, daß aus dir ein ganz schlimmer Schwerenöter 
geworden ist«, lachte Ilga nach dem frischfröhlichen Duett. 

»Wenn ich deine Frau wäre, dann würde ich dich 
einsperren!« 
»Wie grausig!« 
»Könnte gar nicht grausig genug sein. Und nun denk mal 
nicht an andere schöne Frauen, sondern an die, welche du 
mit dir führst als kostbare Fracht. Steuere sie nicht in das 
Gewimmel, in das wir gleich geraten werden.« 
Und tatsächlich mußte er jetzt scharf aufpassen, weil sie in 
die Hauptstraße der Stadt fuhren, wo der Verkehr nur so 
brandete. 
»Wo mußt du überall hin, Ilga?« 
»Ein Dutzend Geschäfte langen kaum. Halte bitte auf dem 

Parkplatz am Markt, von dem aus ich meine Fühler 
ausstrecken werde. Wir treffen uns im Lindencafe wieder.« 
Kaum daß der Wagen hielt, hüpfte das Mädchen hinaus 
und war verschwunden, ehe Lenore so recht zur Besinnung 
kam. 
»Das nennt man sitzenlassen«, bemerkte Ralf trocken. »Na, 
laß ihn laufen, den kleinen Irrwisch. Wir tun uns indes im 
Cafe gütlich.« 
Obwohl es bald Mitte September war, herrschte immer 
noch eine sommerliche Wärme. Also nahm das junge Paar 
auf der Terrasse Platz, die zum See hinausführte, auf dem 

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Segelboote kreuzten und Ruderboote glitten. Abseits lag die 
Badeanstalt, in der reger Betrieb war. 

»Ich bin zum erstenmal hier«, begann der Mann die 
Unterhaltung. »Aber ich muß schon sagen, daß es ein 
idyllisches Plätzchen ist.« 
»Das finde ich auch«, kam die Antwort einsilbig. 
»Dann warst du schon oft hier?« 
»Oft gerade nicht, aber einige Male schon.« 
»Worauf hast du Appetit?« 
»Auf Eis, bitte.« 
Das war rasch zur Stelle. Während Lenore es langsam 
löffelte, dachte sie daran, daß sie nach der Aussprache mit 
Ralf zum erstenmal wieder mit ihm allein war, obwohl sie 
ihm fast täglich begenete. Aber nie allein, immer war Ilga 

dabei und meist auch Onkel Reinhard, wie sie ihn jetzt 
nennen durfte. 
Würde Ralf jetzt die Gelegenheit benutzen und erneut eine 
Aussprache herbeiführen? 
Nein, er tat es nicht. Er unterhielt sie zwar, aber so 
oberflächlich, wie er es mit einer Dame seiner 
Bekanntschaft getan haben würde. Jedenfalls war von 
Annäherung keine Spur. 
Sehr günstig für Lenore, die immer noch nicht soweit war, 
um sich zu ergeben. Sie hätte auch jetzt den Gatten schroff 
zurückgewiesen, und ihre Ehe endgültig zerbrochen. Denn 
ein Mann wie Ralf Skörsen ließ sich wohl einmal 

beleidigen, doch beim zweiten Mal hätte er daraus die 
Konsequenzen gezogen. 
Das Laub auf den Bäumen verfärbte sich, leuchtete so 
prächtig in allen Farben, wie sie nur die Natur zu mischen 
versteht. Die Herbstblumen blühten in buntem 
Durcheinander, überall, wohin das Auge auch schaute, 
prangende, glühende Pracht. 
Schade, daß nicht immer die Sonne schien, daß es 
zwischendurch auch Regen gab, aber schließlich war es ja 
Herbst. An solchen Tagen blieb Lenore auf dem 
Hollgarthof. Denn es machte wirklich keinen Spaß, bei 

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Regenwetter den Wiesenpfad entlangzugehen, und der 
Umweg nach Friedberg betrug vier Kilometer. 

Aber blieb Lenore nicht gern in ihrem trauten Zuhause? 
Ach, sie wußte jetzt überhaupt nicht mehr, wohin sie 
eigentlich gehörte. Hier war es schön, dort war es schön. 
Hier liebe Menschen, dort liebe Menschen. Auf dem 
Hollgarthof war es die Familie Hollgart, in Friedberg der 
gute Onkel Reinhard, an dem sie mit töchterlicher Liebe 
hing. 
Und wer noch? 
Nein, der natürlich nicht. 
Und dabei klopfte ihr Herz immer sehnsuchtsvoller, immer 
lauter und fordernder. 
Es war an einem sonnigen Tag im Oktober, als Lenore 

ohne ihre treue Begleiterin den Wiesenpfad hinauf zum 
Friedberg stieg. Denn llga fühlte sich nicht wohl, klagte 
über Kopf- und Halsschmerzen. 
»Ausgerechnet heute muß das sein«, sagte Lenore 
enttäuscht. »Wo Ralf doch Geburtstag hat und ich ihm 
anstandshalber gratulieren muß.« 
»Anstandshalber ist gut«, lachte Gertraude, dabei mit der 
Tochter einen verschmitzten Blick wechselnd. »Also, sei 
anständig und bemühe dich zum Friedberg hinauf.« 
»Muß das wirklich sein, Tante Gertraude?« 
»Und wie das sein muß, mein Herzchen. Geh schon vor, in 
einer Stunde komme ich nach.« 

»Warum kommst du nicht mit mir?« 
»Weil ich noch etwas Dringendes zu erledigen habe. Nun 
hopp, ab mit dir, sonst werde ich böse!« 
So blieb denn Lenore nichts anderes übrig, als sich allein 
auf den Weg zu machen. Im Friedberger Herrenhaus fand 
sie bereits eine fidele Gesellschaft vor, bestehend aus dem 
Hausherrn, der Hausdame und Ralf. Man schien schon 
ganz nett auf das Geburtstagskind angestoßen zu haben, 
wie die geleerten Champagnerflaschen bewiesen. 
»Spät kommt sie, doch sie kommt!« sang der Besitzer all 
der Herrlichkeit ringsum mehr laut als schön, den 

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Sektkelch der Eintretenden entgegenschwenkend. »Sei mir 
gegrüßt in diesen heiligen Hallen!« 

»Onkelchen, du hast ja einen Schwips«, lachte Lenore, 
doch dieser sang stimmkräftig weiter: 
»Schier dreißig Jahre bist du alt, hast manchen Sturm 
erlebt.« 
»Aber ich doch nicht!« lachte Lenore immer hellklingender. 
Es hörte sich an, als ob Frühlingsglöckchen den Lenz 
einläuten, und dabei war es doch Herbst. 
»Wer spricht denn von dir, du herziges Kind? So sonnig du 
auch sein magst, aber mein Gesang gilt einem 
dreißigjährigen sonnigen Sohn.« 
»Ein sonniger Mann? Gräßlich!« 
»Geschmackssache. Nun komm und sag dein Sprüchlein 

auf!« 
Lenore tat es. Wünschte dem Gatten viel Glück zu seinem 
dreißigsten Geburtstag und überreichte ihm einen Strauß 
leuchtender Georginen. Dann nahm sie in der Runde Platz 
und hatte gerade mit dem Gatten auf sein Wohl 
angestoßen, als der würdige Diener erschien und meldete: 
»Frau Rosalia Skörsen und Fräulein Tochter.« 
Danach war es erst einmal bedrückend still. Doch dann 
sprach eine sonore Stimme gelassen: 
»Ich lasse bitten.« 
Und schon sauste Rosalia herein, und hinter ihr stöckelte 
Anka. Beide sehr elegant, sehr selbstbewußt. Beide gerührt 

bis zu Tränen. 
»Ralf, mein lieber Junge!« breitete die Frau Mama die Arme 
aus. 
Allein der »liebe Junge« sank nicht hinein, sondern sagte 
gelassen: 
»Darf ich vorstellen?« 
Nachdem das geschehen war, ließ er die Glückwünsche 
geduldig über sich ergehen. 
Und nun war es der Hausherr, der die Gäste Platz zu 
nehmen bat. Sie taten es mit dem größten Vergnügen, 
ließen die Blicke neugierig umherschweifen. Und was sie 

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erfaßten, ließ ihre Augen kugelrund werden vor 
ehrfürchtigem Staunen. 

Das war mal eine Pracht. Dieser Hollgart mußte ja Geld 
haben wie Heu. Da mußten sie zusehen, daß sie so viel wie 
möglich aus dieser fetten Pfründe profitierten. Also flötete 
Rosalia süß: 
»Wie wunderbar schön Sie es hier haben, Herr Professor!« 
»Der Titel kommt mir nicht zu, gnädige Frau.« 
»Na, wem sonst? So ein berühmter Mann wie Sie? Na ja, 
der Titel kommt schon noch, muß ja kommen, bei so einer 
Kapazität. Meine Tochter und ich haben uns bereits ein 
wenig auf Ihrem Besitz umgesehen. Das reinste Paradies für 
leidende Menschen. Eine Kur hier würde bei mir und 
meiner Tochter direkt Wunder wirken, denn unsere Nerven 

befinden sich in einem schauderhaften Zustand.« 
»Eine Kur hier ist aber sehr teuer, gnädige Frau.« 
»Kann ich mir denken. Aber da mein Sohn hier Mitbesitzer 
ist…« 
»Du irrst, Mama«, fiel der Sohn mit einer Stimme ein, die 
so klang, als wenn Eisschollen aneinanderklirrten. »Ich bin 
hier weiter nichts als ein Angestellter und beziehe nur 
Gehalt.« 
Ach, wie wurde da Frau Rosalias Gesicht lang und immer 
länger. Konsterniert fragte sie: 
»Wirklich, nur ein Angestellter? Aber mein Sohn, du hast 
doch Geld, deine Frau hat Geld. Da verstehe ich nicht…« 

»Das können Sie auch gar nicht, gnädige Frau«, schaltete 
sich nun Reinhard ein. »Das Geld liegt hier als Kaution 
fest.« 
»Aber so etwas gibt es ja gar nicht!« 
»Und wie es das gibt! Schließlich sind es ja nur lumpige 
paar tausend Mark.« 
»Wie – was? Ich hörte doch aber…« 
»Man hört so viel, gnädige Frau.« 
»So ist es etwa auch nicht wahr, daß meine 
Schwiegertochter geerbt hat?« 
»Eine Lappalie, gnädige Frau. Aber wie ist es nun mit der 

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Kur? Allerdings müßte ich um eine größere Vorauszahlung 
bitten.« 

»Nein, danke. Wir müssen nun leider gehen. Komm, mein 
Kind.« 
Ein gnädiges Kopfnicken, begleitet von einem sauren 
Lächeln. Und Frau Rosalia rauschte hinaus, zutiefst 
enttäuscht. Hinterher trippelte Anka wie ein begossenes 
Pudelchen. 
Dunkel stieg Ralf das Blut ins Gesicht. Er schämte sich 
seiner Mutter. 
»Mach dir nichts draus, mein Junge!« legte Reinhard ihm 
die Hand auf die Schulter. »Sei froh, daß du diese Gäste auf 
so leichte Art losgeworden bist. Die werden nicht 
wiederkommen. Und nun kümmere dich um deine Frau!« 

flüsterte er ihm zu. »Der Schreck wird sie endlich in deine 
Arme treiben. Nutze ihre Verstörtheit aus!« 
Er ging in Begleitung der Hausdame hinaus, und Ralf sah 
erschrocken auf Lenore, die reglos im Sessel lehnte – 
todblaß, mit schreckgeweiteten Augen. 
Als Ralf sich zu ihr neigte, kam Bewegung in sie. Die 
zitternden Hände krallten sich in seinen Ärmel, die Lippen 
bebten so sehr, daß sie kaum die Worte formen konnten: 
»Bitte, Ralf, bring mich nach dem Hollgarthof.« 
»Aber warum denn, Lenore?« 
»Weil sie wiederkommen werden, immer wieder. Ich kenne 
sie doch. Und ich habe vor ihnen doch so große Angst.« 

»Aber Kind, so werde doch endlich ruhig! Du zitterst ja an 
allen Gliedern.« 
»Ist das vielleicht ein Wunder? Du kennst sie nicht.« 
»Doch, Nore, ich kenne sie und werde nicht dulden, daß 
sie noch einmal herkommen.« 
»Wie willst du das wohl anfangen? Die kleben zäh wie 
Pech, wenn sie etwas erreichen wollen. Du wirst dich schon 
wieder von ihnen einwickeln lassen.« 
»Niemals, Lenore, das schwöre ich dir!« 
»Ach, Ralf, du bist ihnen gegenüber ja viel zu schwach.« 
»Gewesen – das gebe ich offen zu, weil ich sie eben nicht 

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kannte. Aber jetzt kenne ich sie und will nichts mehr mit 
ihnen zu tun haben. Außerdem werden sie sich nie mehr 

hierher wagen, weil sie Reinhard fürchten. Wenn du mir 
nicht vertrauen willst, so vertraue ihm. Er sorgt schon 
dafür, daß seinem Liebling kein Härchen gekrümmt wird. – 
Und nun komm mal her, du kleiner Feigling!« Er hob sie 
lachend hoch, setzte sich in den Sessel und zog sie auf 
seine Knie. 
»Halt, hiergeblieben!« Er hielt sie fest, als sie aufspringen 
wollte. »Du kommst nicht früher von diesem Platz, bis du 
mir den Kuß gegeben hast, den ich an meinem Geburtstag 
zu beanspruchen habe. Ach, du willst nicht?« 
Schon hatte er sie beim Nacken gepackt, zog ihren Kopf zu 
sich heran – und Mund brannte auf Mund. Das wurde 

solange wiederholt, bis das eine Lippenpaar nicht mehr 
widerstrebte. 
»So, mein Kind«, ließ der draufgängerische Mann endlich 
von seinem Opfer ab. »Hast du eine Ahnung, wie ich nach 
diesen Küssen geschmachtet habe?« 
»Nein.« 
»Sieht dir ähnlich, du grausame kleine Person. Ist schön 
wie eine junge Göttin, verführerisch wie eine Circe…« 
»Und dumm wie ein Gänschen.« 
»Warum das?« 
»Weil ich dir listigem Fuchs so brav in die Falle tappte. Und 
wie denkst du dir das weiter?« Nun trat wieder der 

ängstliche Ausdruck in ihre Augen. »Deine Mutter…« 
»Lenore, ich möchte davon nichts mehr hören.« 
»Doch, du mußt es«, beharrte sie hartnäckig. »Es gibt da 
noch manches zu klären. Zum Beispiel mit den Raten. Ob 
wir sie ihr nicht erlassen?« 
»Ach, was bist du doch für ein dummes kleines Ding!« Er 
nahm sie lachend beim Schopf und küßte sie herzhaft ab. 
»Hat sie das um dich verdient?« 
»Das wohl nicht. Aber schau mal, Ralf, ich bin doch jetzt so 
glücklich, und wenn man glücklich ist, soll man großmütig 
sein.« 

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»Und wenn ich es bereits gewesen bin, hm?« 
»Inwiefern?« 

»Sie zahlt diese Raten schon seit meiner Rückkehr nicht 
mehr, sondern ich.« 
»Ralf, das darfst du nicht.« 
»Ruhig, jetzt spreche ich! Also hat die Dame ein ganz nettes 
Einkommen, von dem sie und ihre Tochter schon leben 
können.« 
»Und wenn deine Mutter stirbt und somit die Pension 
wegfällt, was wird dann aus Anka?« 
»Ach, du gutmütiges, kleines Schaf!« Er mußte sie nun 
wieder küssen. »Müßte dir das nicht egal sein, was aus 
dieser Schmarotzerin wird, die gerade von dir wahrlich 
kein Mitleid verdient?« 

»Ja, aber dann käme sie vielleicht hierher.« 
»Aha, das ist es also. Beruhige dich, sie wird wahrscheinlich 
bald heiraten, denn sie und ihre Mutter angeln bereits jetzt 
fleißig nach einem Dummen, der auf den Nichtsnutz 
hereinfällt.« 
Womit er recht behalten sollte. Denn schon nach einem 
halben Jahr heiratete Anka einen reichen Ausländer – und 
war dann mit ihrer Mutter wie vom Erdboden 
verschwunden. 
Jetzt war es noch nicht soweit. Jetzt gab es zwischen den 
jungen Gatten, deren Herzen in Liebe zueinander 
brannten, noch verschiedenes zu klären. 

Zuerst einmal war es der kostbare Ring an der 
Männerhand, auf den Lenore zaghaft deutete. 
»Woher hast du den, Ralf?« 
»Von einer jungen Dame«, zuckte es ihm verdächtig um 
Augen und Lippen. »Sie kommt sogar nächstens zu einer 
Kur hierher, und dann werden wir herzliches Wiedersehen 
feiern.« 
»Ist sie schön?« 
»Sehr schön.« 
»Ralf, muß ich da Angst haben?« 
»Wenn du diese Schönheit nicht ausstechen kannst, wirst 

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du es wohl müssen. Also, sieh zu, daß du mich immer 
wieder bezauberst, mich so einwickelst mit deinem 

Charme, daß ich nur dich sehe, immer nur dich.« 
»Wie alt ist die Dame denn?« 
»Sieben Jahre.« 
»Pfui, Ralf!« sagte sie jetzt aufgebracht. »Ist es etwa nett von 
dir, dich über mich lustig zu machen?« 
»Es ist doch zu schön, wenn du eifersüchtig bist.« 
»Na, du, das kann man bei dir schon sein. Nun sei aber 
mal ernsthaft, ja? Von wem hast du den Ring?« 
»Von der kleinen Australierin, die ich von einer schweren 
Krankheit heilen durfte. Sie kommt mit ihren Eltern zu 
einer Kur hierher. So, und nun habe ich für meine 
Lammsgeduld wohl einen Kuß verdient, will ich meinen.« 

Nachdem er den vervielfältigt hatte, hob er die süße Last 
von seinem Knie, sprang auf und dehnte lachend die Arme. 
»So, jetzt fangen wir unsere Ehe einfach von vorn an, in der 
es keine böse Schwiegermutter gibt, keine impertinente 
Schwägerin, sondern nur gute, wertvolle Menschen wie die 
vom Hollgarthof, Onkel Reinhard, sein betuliches 
Haushuhn, den Professor, die Oberschwester und Dr. 
Hörse – von wegen Ilgalein. Die müssen sich aber erst noch 
zusammenzanken, wie Reinhard schmunzelnd behauptet. 
Hast du überhaupt eine Ahnung, wie glücklich ich bin?« 
»Doch, ich bin es ja auch.« 
»Na, dann sind wir uns ja beide einig. Und nun komm, 

meine Süße. Oder steht diese Bezeichnung nur dem langen 
Wilmar zu?« 
»Auch eifersüchtig?« blitzte sie ihn an. 
»Mein liebes Kind, Vorsicht ist hier vonnöten.« 
Lachend faßte er ihre Hand und zog sie mit sich fort, durch 
die weite Halle, die teppichbelegte Treppe hinauf, öffnete 
oben eine Tür und schob Lenore über die Schwelle. 
»Oh!« war zuerst alles, was sie sagen konnte. Denn was sie 
da erblickte, war die Wohnzimmereinrichtung aus ihrem 
Elternhaus, durch manches ergänzt und verschönt. 
Genauso wie in dem Schlafzimmer, das in diesem Raum 

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natürlich ganz anders wirkte als in der primitiven 
Vorstadtwohnung. 

»Sogar Gardinen sind diesmal an den Fenstern«, erklärte 
der Gatte lachend. »Gefallen sie dir?« 
»Ach, Ralf, ich bin vor Überraschung wie benommen. Kneif 
mich mal, damit ich merke, daß ich nicht womöglich 
träume.« 
»Na, ein herzhafter Kuß wird wohl dieselbe Wirkung 
haben«, ließ er den Worten die Tat folgen. 
»Nun, bist du jetzt wach?« 
»So halbwegs. Eigentlich bist du doch sehr kühn, mein 
Herr Gemahl.« 
»Inwiefern?« 
»Daß du die Möbel so mir nichts dir nichts herkommen 

ließest. Wenn ich nun nicht mehr zu dir zurückgekehrt 
wäre?« 
»Nore, fang doch nicht wieder an!« 
»Aber Ralf, sei doch nicht so empfindlich! Na, laß gut sein, 
ich werde heikle Themen nicht mehr berühren. Aber was 
sagt Onkel Reinhard zu dem allen hier?« 
»Er hat mich sogar auf den guten Gedanken gebracht. Wie 
wir ihm überhaupt zu großem Dank verpflichtet sind, 
Herzliebste. Den können wir nun abtragen, indem wir sein 
Haus als unser Heim betrachten und ihn nie mehr 
verlassen.« 
»Was mir durchaus nicht schwerfallen wird. Und nun muß 

ich noch einen Punkt berühren, der dir nicht genehm sein 
wird, und zwar mein Geld. Oder weißt du nichts davon?« 
»Doch, Nore. Aber vorläufig ist das unwichtig. Ich beziehe 
ein so hohes Gehalt, daß wir gut davon leben können. 
Aber nach Jahrzehnten, wenn Reinhard… Ach, nicht daran 
denken! Immer den Herrgott bitten, daß dieser gütige 
Mann ein sehr hohes Alter erreichen möge. Gehen wir zu 
ihm.« 
Hand in Hand betraten sie das Wohngemach. Der kleine 
Arzt sah ihnen schmunzelnd entgegen. 
»Na also! Eigentlich müßten wir der Frau Rosalia dankbar 

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sein, daß sie dem schwierigen Persönchen da einen 
gehörigen Schock versetzte. Sonst hättest du auf diesen Tag 

noch lange warten können, mein Sohn! – Aha, da naht ja 
die gesamte Familie Hollgart.« Er zeigte lachend auf die 
Tür, durch die die erwähnte Familie trat. »Ihr kommt 
gerade recht, um einem glückseligen Paar zur Hochzeit zu 
gratulieren.« 
»Zur Hochzeit?« wiederholte Gertraude verständnislos. 
»Na, was denn sonst? Die erste Hochzeit, so mit Kranz und 
Schleier war nicht die richtige. Denn wie sagt Schiller: Mit 
dem Gürtel, mit dem Schleier, reißt der schöne Wahn 
entzwei.« 
Nun hatten sie alle begriffen, und jubelnde Freude brach 
durch. Man setzte sich zusammen, und als kurz darauf 

noch der Professor erschien, konnte man sagen: Der 
Familienkreis ist geschlossen. 
Oder doch nicht? Denn wer sich da so vergnügt durch die 
Tür schob, war kein anderer als Wilmarchen. 
»Nur auf einen Sprung«, sprach er mit Stentorstimme in 
das jubelnde Lachen hinein. »Nur mich so ein bißchen von 
den Brosamen nähren, die von des Reichen Tische fallen.« 
Man wußte sehr wohl, was er damit meinte. Außer Ilga, die 
kopfschüttelnd sagte: 
»Das verstehe ich nicht.« 
»Kindchen, dann wären Sie ja auch viel zu schlau.« 
»Also, Herr Dr. Hörse, ich verbitte mir diese Bezeichnung!« 

»Aber wenn sie doch stimmt?« tat er scheinheilig. »Werden 
Sie bloß ganz schnell älter, so wenigstens zwanzig, dann 
finde ich für Sie bestimmt eine andere Bezeichnung.« 
Jetzt platzten die anderen denn doch mit dem 
zurückgehaltenen Lachen heraus. Und was blieb Ilga da 
wohl anderes übrig, als mitzuhalten? 
Indes hatte die Hausdame für ein exquisites Gabelfrühstück 
gesorgt, bei dem der Sekt nicht fehlen durfte. 
Und als der Hausherr sein Glas an das Lenores klingen ließ, 
sagte er schmunzelnd: 
»Nun, mein Kleines, wie ist es nun mit dem Irrtum, hm? 

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Was hat sich denn da so fürchterlich geirrt?« 
»Der Kopf!« Sie blitzte ihn an. 

»Und weiter?« 
»Muß das sein, Onkelchen?« 
»Es muß sein, du kleiner Trotzteufel.« 
Da hob sie das Glas dem Gatten entgegen, lächelte ihn 
lieblich an und sagte: 
»Aber das Herz irrte sich nicht.«