background image

LENI BEHRENDT

 

Als die Rosen blühten am 

Rosenhaus

 

 

 

background image

 

 
Es ist einem Witwer von fünfzig Jahren gewiß nicht zu 
verdenken, wenn er noch einmal heiraten will. Zumal dann 
nicht, wenn dieser über ein gutes Aussehen verfügt, gesund 
und vital ist und mit keinen wirtschaftlichen 
Schwierigkeiten zu kämpfen hat, wie dies alles bei dem 
Besitzer der großen Spirituosenfabrik und Weinkellereien 
der Fall ist. 
Und doch gab es einige Menschen, die Egon Grodes eine 
Heirat verdachten. In erster Linie seine Tochter Alix, was 

den Mann mit tiefem Groll erfüllte, dem er auch heute 
wieder freien Lauf ließ, da es besonders hart auf hart ging, 
sozusagen als Endspurt. 
»Zum Kuckuck, ich habe es doch wirklich nicht nötig, mir 
von so einem Gör Vorschriften machen zu lassen!« brauste 
der tiefgereizte Mann auf. »Entweder läßt du von deiner 
aufsässigen Haltung ab, oder ich werde dir beibringen, wie 
man sich seinem Vater gegenüber zu benehmen hat.« 
»Bitte«, kam die Antwort fast gelangweilt von den Lippen 
des jungen, rassigen Menschenkindes. »Da bin ich 
tatsächlich neugierig, wie du das anstellen wirst.« 
»Alix, noch eine so schnippische Antwort – und du hast die 

erste Ohrfeige von Vaterhand weg!« schrie der Mann jetzt 
hochrot vor Zorn. »Und wenn die eine nicht hilft, dann 
ohrfeige ich dich so lange, bis ich dich zur Raison gebracht 
habe, verstanden?!« 
»Gewiß«, versetzte sie mit aufreizender Ruhe. »Verstanden 
habe ich schon, aber…« 
»Kein Aber!« schnitt er ihr herrisch das Wort ab. »Du wirst 
dich bei dem heutigen Besuch meiner zukünftigen Frau so 
benehmen, wie es einem guterzogenen Mädchen 
zukommt. Ich möchte mich nicht deiner schämen 
müssen.« 

»Eben«, blitzte es nun gefährlich in den blauen 
Mädchenaugen auf. »Um dich dieser Blamage nicht 
auszusetzen, werde ich – falls dieses Fräulein von Tees 

background image

mein Elternhaus durch eine Tür betreten sollte – durch die 
andere verschwinden.« 

»Was soll das heißen?« fragte er scharf dazwischen, und die 
Tochter fragte kühl dagegen: 
»Ist das denn so schwer zu verstehen, Vater?« 
Bei der Bezeichnung zuckte der Mann 
zusammen, denn er war noch nie von der Tochter so 
genannt worden. Immer war er der Paps für sie gewesen – 
und zwar ein guter, der an seinem einzigen Kind mit 
zärtlicher Liebe hing. 
»Und wie ich dich verstehe, meine liebe Alix«, lachte er auf, 
so ein Lachen, von Grimm und Schmerz gemischt. »Wage 
es ja nicht, dein Vaterhaus gegen meine Einwilligung zu 
verlassen. Ich hole dich zurück – und wenn ich da gleich 

Gewalt anwenden müßte!« 
»Du scheinst zu vergessen, Vater, daß ich vor kurzem 
einundzwanzig Jahre und daher mündig geworden bin«, 
entgegnete sie achselzuckend – und der Mann hatte nun 
wirklich alle Beherrschung nötig, um nicht seine vorherige 
Drohung wahr zu machen und das Mädchen zu ohrfeigen, 
das wie die personifizierte Gelassenheit dasaß und ihm 
hartnäckigen Widerstand entgegensetzte. Um sich zu 
beruhigen, griff er nach einer Zigarette, steckte sie in Brand 
und sagte mit gemachter Gleichmütigkeit: 
»Also du willst Kampf, mein Kind – schön, den sollst du 
haben. Aber willst du mir nicht verraten, wovon du zu 

leben gedenkst, wenn du diese schützenden Mauern 
verläßt?« 
»Von dem Geld, das mir meine Mutter hinterließ – und 
über das ich seit dem Tage meiner Volljährigkeit frei 
verfügen darf«, kam prompt die unerwartete Antwort. »Es 
ist, soviel ich weiß, mündelsicher angelegt…« 
»Was hat das nun wieder zu bedeuten? Traust du mir etwa 
gar noch zu, daß ich mich an deinem Geld vergriffen hätte? 
Geh jetzt, damit ich mich nicht doch noch zu etwas 
hinreißen lasse…« 
Die Tür klappte hinter der grazilen Mädchengestalt zu – 

background image

und der Mann fuhr sich in die Haare. Dann trat er an die 
Hausbar, goß zwei ausgewachsene Kognaks in die vor 

Grimm geengte Kehle und ließ sich dann wie erschöpft in 
den nächsten Sessel sinken. 
Dem allen sah seelenruhig die Dame zu, die schon 
während der Debatte zwischen Vater und Tochter 
dagewesen war und sich schweigend verhalten hatte. Auch 
jetzt sagte sie noch nichts, bis der tiefgereizte Bruder sie 
anschrie: 
»Sitz nicht da wie eine Pagode!« 
»Wie was?« fragte sie lachend. »Na hör mal, mit dem 
komischen Männchen habe ich doch nun wirklich keine 
Ähnlichkeit. Außerdem müßte ich dann unausgesetzt mit 
dem Kopf nicken, wobei sich meine Nackenmuskeln 

langsam ausleiern würden…« 
»Hör bloß auf!« herrschte er sie an. »Schäm dich, jetzt zu 
ulken. Die Situation ist doch wohl ernst genug, will ich 
meinen.« 
»Es liegt ja an dir, sie zu ändern«, kam es ungerührt zurück. 
»Gib deine törichten Heiratspläne auf – und es herrschen 
hier wieder Friede und Eintracht.« 
»Nein, ich gebe sie nicht auf«, beharrte er eigensinnig. 
»Jetzt gerade nicht! Als ob ich der erste Mann wäre, der sich 
mit fünfzig Jahren noch einmal verheiraten will. Anstatt 
mir mein Glück zu gönnen, versucht ihr, es mir mit 
lächerlichen Vorstellungen zu verleiden. Aber ich werde 

euch schon zeigen, wer hier der Herr im Hause ist.« 
»Bitte sehr, mein lieber Egon, jeder blamiert sich, so gut er 
kann.« 
»Grit, ich verbitte mir…« 
»Na ja, ist schon gut«, winkte sie beschwichtigend ab. 
»Narren und Verliebte soll man nicht reizen, sonst könnten 
sie am Ende zum Berserker werden. Man kann erst wieder 
vernünftig mit dir reden, wenn sich dein jetzt so heißes 
Herz abgekühlt hat.« 
»Wie meinst du das?« 
»Genauso, wie es gesagt ist.« 

background image

»Daß ihr Frauen doch nicht von euren Spitzfindigkeiten 
lassen könnt«, brummte er verdrießlich. »Wann soll mein 

Herz sich wohl abkühlen, wie?« 
»Gleich nach den Flitterwochen – oder gar schon 
mittendrin. Und nun sieh mich nicht an, als ob du mich 
fressen woll test, sondern hör hübsch zu, was ich dir sagen 
werde, nämlich: Daß es kein gutes Ende nehmen kann, 
wenn ein Fünfzigjähriger eine Zweiundzwanzigjährige 
heiratet, Bruderherz. Nimmst du etwa an, daß das junge 
Mädchen dich liebt?« 
»Gewiß tut sie das.« 
»Gott segne deinen kindlichen Sinn«, versetzte sie 
achselzuckend. »Taumle also in dein vermeintliches Glück, 
aus dem es bald ein böses Erwachen für dich geben wird. 

Und mach deinen Geldbeutel nur recht weit auf, damit du 
dessen Inhalt möglichst schnell in das Danaidenfaß 
schütten kannst. Denn bedenke, deine Auserwählte bringt 
in die Ehe nicht nur ihre sehr anspruchsvolle Mutter mit, 
sondern auch ihren Bruder, der als Leichtfuß und Tagedieb 
bekannt ist. Da wirst du die Taler flott rollen lassen 
müssen, mein Lieber.« 
»Handelt es sich etwa um dein Geld?« fragte er bissig. 
»Gottlob, nein. Und zum Glück auch um das deiner 
Tochter nicht. Sonst würde das jetzt so reiche Mädchen 
wohl bald am Hungertuch nagen müssen . 
Egon, so geh doch endlich in dich«, sprach sie jetzt 

beschwörend auf ihn ein. »Daß du in deiner Vitalität noch 
einmal heiraten willst, wird dir kein Mensch verdenken. 
Aber suche dir als Gattin ein weibliches Wesen, das zu dir 
paßt und alle Qualitäten besitzt, um dich auch wirklich 
glücklich zu machen. Von der Weiblichkeit gibt es nämlich 
eine ganze Menge, das darfst du mir schon glauben.« 
»Ach so, da soll ich mir wohl eine Omama anheiraten«, 
höhnte er. »Gib dir keine Mühe, meine Wahl ist getroffen.« 
»Na – dann herzlichen Glückwunsch«, versetzte sie trocken. 
»Werde selig – aber ohne mich und Alix.« 
»Grit, auch du willst mich verlassen?« fragte er betroffen. 

background image

»Was soll denn aus dem Haushalt werden?« 
»Das laß deine Sorge sein«, erwiderte sie kühl. »Ich sage 

jetzt dasselbe, was Alix vorhin tat: Sowie deine Auserwählte 
in einer Tür hier erscheint, entschwinde ich durch die 
andere.« 
»So schert euch denn zum Kuckuck!« brüllte er nun los. »Es 
wird auch ohne euch gehen!« 
Dann starrte er auf die Tür, die sich hinter seiner Schwester 
schloß, mit der ihn von jeher ein herzliches Verhältnis 
verbunden hatte und die seit dem Tod seiner Frau, die vor 
zwei Jahren starb, seinem Haus vorstand mit Geschick und 
Energie. Eine Verwünschung zwischen den Zähnen 
verbeißend, trat der tiefgekränkte Mann an die Hausbar, 
um seinen Verdruß in Alkohol zu ertränken. 

Frau Grit von Alkes stieg die Stufen der mit Teppichläufern 
belegten Treppe hinauf – ganz langsam und schwer, als 
trüge sie Blei an den Füßen. Sie hatte ja auch Kummer 
genug, daß sie das Haus, an dem sie hing, verlassen sollte. 
Und es war ein gutes Haus, vornehm und gediegen. Man 
legte Wert darauf, nur saubere und einwandfreie Elemente 
darin zu beherbergen. So hatten es bereits die Eltern Grits 
gehalten, dann ihre Schwägerin und zuletzt sie selbst. 
Die Firma Grodes hatte schon zu Zeiten des Großvaters 
einen guten Klang gehabt, und die beiden Nachfahren 
waren stets bemüht gewesen, diesen guten Klang nicht nur 
zu erhalten, sondern noch zu festigen. Hauptsächlich dem 

jetzigen Besitzer war das nicht schwergefallen, weil er von 
Hause aus schon recht vermögend, noch dazu eine reiche 
Frau geheiratet hatte. Also konnte er seinen Besitz immer 
noch erweitern. Auch das bisher wohl behagliche, doch 
schlichte Wohnhaus wurde durchgebaut und mit allem 
Komfort versehen. Es herrschte eine Harmonie darin, wie 
sie leider nicht oft zu finden ist. Und das lag hauptsächlich 
an der Hausherrin, die mit Güte und Liebe ihr mildes 
Zepter schwang, dem sich alle gern und willig beugten. 
Daher war es für Vater und Tochter ein harter Schlag, als 
die gütige Frau nach einer schweren Operation die Augen 

background image

für immer schloß. Und da war es die verwitwete Grit von 
Alkes, die den beiden verstörten Menschen langsam über 

ihren Schmerz hinweghalf. 
Sie war aber auch ein prächtiger Mensch, die jetzt 
zweiundfünfzigjährige 
Grit! Klug, welterfahren, charmant und immer frohgemut 
und guter Dinge. Selbst durch ihre unglückliche Ehe mit 
einem namhaften Bildhauer hatte sie sich nicht 
unterkriegen lassen. Sie ließ den leichtsinnigen Menschen 
gewähren, nur von dem in die Ehe gebrachten Geld gab sie 
nicht eine Mark her, was ihr sehr zugute kam, als der Gatte 
tödlich verunglückte. Zwar fand sie im Nachlaß keine 
Schulden vor, aber auch keine nennenswerte Rücklage. 
Allerdings brachte dann der Verkauf der Villa samt ihrer 

Einrichtung einen guten Batzen, den sie zu ihrer 
unangetasteten Mitgift tat und und nun sehr gut davon 
leben konnte. Sie mietete sich eine kleine, komfortable 
Wohnung in Berlin und richtete sich ihr Leben ganz nach 
Wunsch ein. 
Bis dann der Bruder sie nach dem Tod der Gattin in sein 
Haus rief, dem sie sich dann auch in ihrer charmanten Art 
annahm. Ihre Nichte Alix schloß sich fest an sie an, und 
auch der Bruder fühlte sich unter ihrem Zepter so wohl, 
daß er kein Verlangen danach trug, ein zweites Mal zu 
heiraten. 
Bis – ja bis er das Fräulein von Tees kennenlernte, da 

überkam es den sonst so Besonnenen wie ein Rausch. Da 
half kein Bitten und kein Trotz der Tochter, kein 
Insgewissenreden der Schwester, der alternde Mann war 
förmlich davon besessen, mit einer jungen Frau sich ein 
Stück seiner Jugend zurückzuerobern, sich ein spätes Glück 
zu schaffen. 
Oben betrat Grit das reizende kleine Reich der Nichte, die 
untätig dasaß und die Tante nun fragend ansah. 
»Ja, mein Mädchen«, meinte sie traurig. »Da werden wir 
nun wohl unsere Siebensachen packen müssen – denn dein 
Vater gibt nicht nach, das ist mir heute zur Gewißheit 

background image

geworden. Im Gegenteil, er verbeißt sich immer mehr in 
seinen Entschluß, je hartnäckiger wir beide ihm 

Widerstand entgegensetzen. Er tut mir bitter leid, der 
törichte Mann, aber wem nicht zu raten ist, dem ist nun 
einmal nicht zu helfen. Wie sagt Wilhelm Busch: 
Mit Gründen ist da nichts zu machen, was einer mag, ist 
seine Sache – denn kurz gesagt: In Herzenssachen, geht 
jeder seiner Nase nach. Wenn er sich die verbrannt hat, 
wird er es schon merken«, setzte sie lachend hinzu. »Und 
nun wollen wir packen. Zuerst mal je einen Koffer, die 
andern Sachen können uns nachgeschickt werden. Und 
zwar von Alma, der wir auch die Schlüssel von unsern 
Zimmern anvertrauen. Soweit ich die brave Seele kenne, 
wird sie diese der neuen Herrin bestimmt nicht ausliefern. 

Ich vermute sogar, daß sie ihren Dienst kündigen wird, 
sobald die Tees mit Anhang hier einzieht.« 
Eine Stunde später waren dann die Koffer gepackt – und 
noch eine Stunde später brachte das Auto die Auserwählte 
des Hausherrn nebst dem unvermeidlichen Anhängsel. Grit 
und Alix, die oben am Fenster standen, sahen voll Grimm, 
wie herzlich die Besucher von Egon Grodes empfangen 
wurden. 
»So, mein Kleines, jetzt wird die Sache ernst«, ermunterte 
die Tante ihre Nichte, indem sie diese vom Fenster fortzog. 
»Nun müssen wir das Feld räumen, wenn wir all den 
Widerwärtigkeiten entgehen wollen, die sich fortan hier 

abspielen werden. Ich weiß, es fällt dir schwer, mein 
Kind…« 
»Durchaus nicht.« Das Mädchen warf den Kopf in den 
Nacken, während in den Augen der Trotz nur so funkelte. 
»Ich würde hier doch nur geduldet sein, und das paßt mir 
nicht. Es wird schon der Tag kommen, wo Vater mich 
liebend gern wieder hierhaben möchte, aber dann werde 
ich genauso störrisch sein, wie er es heute ist. Werde ihm 
zeigen, daß mir an ihm genauso wenig gelegen ist, wie ihm 
an mir.« 
Zehn Minuten später saßen sie in. Alix’ elegantem 

background image

Zweisitzer. Und während der Wagen dahinflitzte, widmete 
Egon Grodes sich seinen Gästen, die immer wieder 

beteuerten, welch ein entzückendes Heim dieses wäre. 
Beunruhigt wartete der Hausherr auf seine Angehörigen, 
bis er seine Ungeduld nicht länger zügeln konnte, sich bei 
den Gästen entschuldigte und zorngeladen zum Zimmer 
der Tochter ging. Jetzt sollte das widerspenstige Mädchen 
ihn aber kennenlernen! 
Doch gleich darauf mußte er feststellen, daß die Türen zu 
den Zimmern der beiden Damen verschlossen waren. Am 
liebsten hätte er ja in seiner Wut wie irrsinnig gegen das 
Holz geschlagen, aber das ging nicht gut an, weil er die 
Gäste unten nicht hellhörig machen wollte. 
»Alix, sofort machst du auf!« gebot er leise, aber scharf – 

doch nichts rührte sich. Gleichfalls blieb es nach seiner 
Aufforderung hinter der andern Tür still. Mit einem 
Gesicht, als ob er sie fressen wollte, sah er der adretten 
Köchin entgegen, die den Gang entlang kam. 
»Was haben Sie hier zu suchen?« fuhr 
er sie an, worauf sie ihn erstaunt musterte. 
»Ich habe hier zu tun, Herr Grodes.« 
»Na schön«, kam er langsam zur Besinnung. »Nun Sie 
einmal hier sind, so sagen Sie den beiden Damen Bescheid, 
daß sie sich unverzüglich nach unten bemühen möchten.« 
»Das ist nicht gut möglich…« 
»Warum nicht?« fuhr er ihr ärgerlich ins Wort. 

»Weil die beiden Damen vor ungefähr einer halben Stunde 
im Auto fortgefahren sind«, entgegnete sie kühl. Er erblaßte 
vor Schreck, doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt. 
»Wo sind die Schlüssel von den Türen?« fragte er kürz. 
»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben die Damen sie 
mitgenommen.« 
Dann wandte er sich brüsk ab und hastete davon, während 
sie ihm mit schadenfrohem Lächeln nachsah. 
Das geschieht dir recht – dachte sie dabei. Du sollst noch 
dein blaues Wunder erleben. Denn sofern du diese Pute als 
deine Frau ins Haus bringst, wirst du deine gesamte 

background image

Dienerschaft los, wie du deine Tochter und deine Schwester 
bereits losgeworden bist, du blindverliebter Narr. 

Damit ging sie zur Küche, wo das Hausmädchen, der junge 
Diener und der Chauffeur sich lebhaft unterhielten. Eben 
sprach letzterer: 
»Das ist ein ganz schofles Pack, sage ich euch. Und sollte 
heute die Verlobung steigen, so kündige ich morgen.« 
»Ich auch«, bekannte das Mädchen Ella. »Ich habe nämlich 
keine Lust, mich von der künftigen Gnädigen schikanieren 
zu lassen. Denn diese Sorte kenne ich, die sind die reinen 
Teufel ihren Untergebenen gegenüber. Dem Herrn werden 
noch die Augen auf- und übergehen. Schade um ihn.« 
»Sollte mir einfallen, so was zu bedauern«, meinte der 
Diener wegwerfend. »Der Mann müßte in seinem Alter 

doch schon Verstand genug haben…« 
»Der ist ihm eben futsch gegangen«, lachte der Chauffeur 
dazwischen. »Sonst könnte er unmöglich auf die verrückte 
Idee kommen, ein Mädchen heiraten zu wollen, das nur 
ein Jahr älter ist als seine Tochter. Hoffentlich bereitet diese 
ihrer zukünftigen Stiefmutter einen Empfang…« 
»Oder keinen«, schaltete sich jetzt die Köchin Alma ein. 
»Die gnädige Frau und Fräulein Alix sind nämlich bereits 
auf und davon. Da staunt ihr, wie?« 
Das taten sie auch wirklich. Ella war die erste, die sich von 
ihrer Überraschung erholte. 
»Bravo!« rief sie begeistert. »Da wird der Alte schön toben – 

herrlich!« 
»Stopp ab«, lachte die Köchin gleich den anderen über das 
begeisterte Mädchen. »Sieh lieber zu, daß die da drinnen 
ihren Kaffee bekommen.« 
Vergnügt schob die kecke Kleine mit dem Servierwagen ab 
und erreichte mit dem Hausherrn zu gleicher Zeit das 
Zimmer, in dem die drei Gäste saßen. Und während sie 
flink den Tisch deckte, ließ sie ihre munteren Braunaugen 
diskret umherwandern. 
Brrr, dachte sie schaudernd. Die Alte sieht aus wie eine 
drapierte Hopfenstange. Und die Junge – na ja, ganz 

background image

hübsch, aber durchaus nichts Besonderes. Und 
der junge Mann gleicht einer Schaufensterpuppe, mein 

Geschmack ist der Porzellanjüngling jedenfalls nicht. 
Nach diesen respektlosen Betrachtungen zog sie sich 
zurück und kaum, daß sie verschwunden war, flötete der 
Schwarm des Hausherrn süß: 
»Oh, welch eine umdüsterte Stirn,

 

mein lieber Herr Grodes. 

Sie haben doch nicht etwa Ärger gehabt?« 
»Leider, gnädiges Fräulein«, erwiderte ermißmutig. 
»Ausgerechnet heute mußten meine beiden Damen zu 
einer Verwandten fahren, die erkrankt ist.« 
»Das tut mir aber leid«, flötete nun die Mutter dieser 
hoffnungsvollen Tochter noch um einen Ton süßer. »Ich 
hätte die beiden Damen so gern begrüßt.« 

»Und ich erst«, näselte der Porzellanjüngling enttäuscht. 
»Hauptsächlich Fräulein Alix, die einfach ein Wunder an 
Schönheit und Rasse ist, die ich bisher nur aus der Ferne 
bewundern konnte. Schade, sehr schade.« 
»Ja«, bestätigte die Schwester. »Mich macht es direkt traurig, 
daß ich Ihre Tochter nicht begrüßen kann, mein lieber Herr 
Grodes. Denn nach allem, was man von ihr hört, muß sie 
ein liebenswertes Menschenkind sein.« 
»Kunststück – bei dem Vater«, kicherte die Hopfenstange 
was ihren gut fünfzig Jahren lächerlich genug anstand. 
Und in der Art ging es weiter. Der Hausherr wurde umgarnt 
und umgirrt wie eine Primadonna, was den Mann 

eigentlich hätte anwidern müssen, wenn – ja wenn – die 
Liebe ihm nicht seinen sonst so klaren Verstand getrübt 
hätte. So jedoch fühlte er sich geschmeichelt und sein Herz 
war von Liebe umnebelt, wie in seiner Jugend Blütezeit. 
Allein, so ganz und gar umnebelt doch noch nicht, um 
seiner Auserkorenen einen Heiratsantrag zu machen, wie er 
es sich heute fest vorgenommen hatte. Warum er es nicht 
tat, war ihm selbst unerklärlich. Aber irgend etwas hielt ihn 
davon ab, obgleich er das Mädchen nach wie vor zu seiner 
Frau begehrte. Er schalt sich einen Narren, als sie nebst 
Anhang gegangen war. 

background image

Warum plötzlich diese Hemmungen? Etwa weil Grit und 
Alix ihn verlassen hatten? Das wäre ja gelacht, wenn er da 

nachgeben wollte! Gerade jeder Unkerei zum Trotz wollte 
er glücklich werden. Er war ja schließlich ein Mann, der es 
noch mit jedem Jungen aufnehmen konnte. 
Worauf er dann an einen großen Spiegel trat und sich darin 
so eingehend betrachtete wie ein Mädchen vor dem ersten 
Ball. 
Na also, war er nun ein forscher Kerl oder nicht? Zwar war 
das dunkle Haar an den Schläfen leicht ergraut, aber gerade 
das soll ja verheerend auf Mädchenherzen wirken. 
Und dann seine schlanke Gestalt, sein gutgeschnittenes 
Gesicht, die elegante Kleidung – er jedenfalls fand sich 
schön wie einen jungen Gott. 

Zum Kuckuck, was machten da schön achtundzwanzig 
Jahre Altersunterschied? Auch solche Ehen sind schon 
glücklich geworden. 
Also nicht lange gefackelt, sondern nachgeholt, was er 
versäumt hatte. Wenn er nur wüßte, wie er zur Stadt 
kommen sollte. Mit dem großen Wagen brachte der 
Chauffeur die Gäste nach 
Hause – und mit dem kleinen waren Grit und Alix auf und 
davon. 
Einfach auf und davon, ohne ihm auch nur eine Zeile zu 
hinterlassen. Na wartet, ihr sollt schon noch bei mir zu 
Kreuze kriechen! 

Mit dem grimmigen Gedanken machte der verbitterte 
Mann sich über die Hausbar her, die all die exquisiten 
Getränke barg, die er als Erzeuger sich leisten konnte. Und 
ehe er sich so recht versah, hatte er seinen Kummer ertränkt 
und befand sich in einer Stimmung, in der alles im 
rosigsten Licht schimmerte. 
Morgen – ja morgen wollte er zu seiner geliebten Daisy 
fahren und sie an sein Herz nehmen – aller Welt und selbst 
dem Teufel zum Trotz. 
Das waren seine Gedanken, bevor er sich auf den Diwan 
streckte und selig lächelnd entschlummerte. 

background image

Die beiden Reiter sahen verwundert dem schmucken Auto 
entgegen, das über den Landweg schaukelte. Denn es war ja 

keine glatte Asphaltstraße, sondern ein Privatweg, der zum 
Rittergut Isen gehörte. Das war durch ein großes Schild 
auch deutlich genug gekennzeichnet – wer also erdreistete 
sich, die Warnung außer acht zu lassen? 
Diese Frage stellte sich hauptsächlich der ältere Reiter, der 
dem schnittigen Gefährt alles andere als freundlich 
entgegensah, und kaum, daß es vor ihm hielt, wetterte er 
auch schon los: 
»Ja, sagen Sie mal, Sie weiblicher Chauffeur, können Sie 
denn nicht lesen, 
was an der Straße, die von der Chaussee abbiegt, 
geschrieben steht? Ein Privatweg ist das hier und keine 

Durchfahrt für Benzinkutschen! Und wenn Sie nicht sofort 
umkehren…« 
»Na, was denn?« lachte es hellklingend in seine 
geharnischte Rede hinein. »Wollen Sie mich dann etwa zur 
Polizei schleppen? Aber, aber, Herr Durschmann, man 
immer sachte mit den jungen Pferdchen!« 
Mit einem eleganten Satz schwang sich die grazile Gestalt 
über die Tür des offenen Wagens und stand nun vor dem 
Erbosten. Die Augen blitzten, der Mund lachte so 
unschuldsvoll, als gehöre er einem Wesen aus himmlischen 
Gefilden. 
»Donner noch eins«, kratzte der rigorose Reiter sich 

verblüfft den Kopf – ein Stutzen, ein scharfes Nachdenken 
– und dann ein schallendes Lachen. 
»Hilf, Himmel, das ist ja die Alix -Verzeihung, das Fräulein 
Grodes wollte ich natürlich sagen. Ja, wo kommen Sie 
denn so plötzlich her?« 
»In der Benzinkutsche frisch importiert aus meiner 
Vaterstadt. Sie sind aber in den drei Jahren, da ich Sie 
zuletzt sah, kein bißchen älter geworden, Herr Verwalter.« 
»Schade, daß ich kein eitles Fräulein bin«, strich er vergnügt 
über sein Bärtchen, da dieses zum Zwirbeln zu kurz war. 
»Das wäre dann Musik für meine Ohren. Aber das 

background image

Kompliment gebe ich zehnfach zurück, das heißt, was 
Schönheit und Charme anbetrifft. Da kann einem 

tatsächlich warm unter der Weste werden.« 
»Die Sie gar nicht anhaben«, lachte Alix ihn an und wandte 
sich dann langsam dem anderen Reiter zu, der amüsiert 
dem Vorgang gefolgt war. Und nun sagte Druschmann: 
»Gestatten Sie, gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen meinen 
Herrn und Gebieter vorstelle. Also darf ich bekannt 
machen: Herr Baron von Isenhardt – Fräulein Alix Grodes, 
die Tochter eines reichen Vaters, der sich als Besitzer einer 
Spirituosenfabrik und Weinkellereien umsonst einen 
andudeln kann. Beneidenswerter Mann.« 
Der junge Mann, der aus dem Sattel geglitten war, nahm 
zart das Händchen, das sich ihm entgegenstreckte. Dann 

ging sein Blick zum Auto hin. 
»Das ist meine Tante, Grit von Alkes«, stellte Alix einfach 
vor. »Und dazu noch mein herzliebes Treugespann. Zwar 
ist sie als Schwester meines Vaters zwischen Alkohol 
geboren, aber eine hoffnungslose Trinkerin ist sie trotzdem 
nicht geworden.« 
»Komische Vorstellung«, lachte Grit, indem sie die beiden 
Herren begrüßte. »Aber meine Alix ist und bleibt nun mal 
ein übermütiger Strolch.« 
»Wohl ihr«, schmunzelte der Verwalter und rief dann Alix 
warnend zu, die furchtlos auf den Cocker-Spaniel zuging, 
der neben seinem Herrn saß: 

»Vorsicht, gnädiges Fräulein, der Hund ist Fremden 
gegenüber unzugänglich!« 
»Aber nicht bei mir«, tat sie unbekümmert ab. »Bist du aber 
ein prächtiger Bursche. Komm her, komm zu Frauchen.« 
Tatsächlich ging der Hund hin und ließ sich streicheln. 
»Na also«, nickte das Mädchen zufrieden. »Der weiß genau, 
wie gern ich Hunde mag. Ganz besonders, wenn sie so 
bildschön sind wie dieser.« 
»Alix, wir müssen weiter, damit wir noch vor 
Dunkelwerden unser Ziel erreichen.« 
»Die Damen wollen ins Rosenhaus?« fragte Druschmann, 

background image

und lachend gab Alix Antwort: 
»Jawohl. Und wir fahren sogar den Weg weiter, weil uns 

das zukommt.« 
»Allerdings«, schmunzelte der Verwalter. »Ich darf da nicht 
mal Wegzoll verlangen.« 
»Könnte Ihnen so passen«, blitzte sie ihn an. Ein kurzer 
Abschied, dann nahm sie am Steuer Platz und fuhr ab. 
»Ist doch ein Mordsmarjellchen, die Alix«, sprach 
Druschmann ihr nach. »Immer noch frohgemut und guter 
Dinge, wie sie es von jeher war.« 
»So kennen Sie die junge Dame schon länger?« forschte 
Gernot Isenhardt, und der Gutsverwalter nickte. 
»Schon als Schulmädchen, Herr Baron. Sie verbrachte ihre 
Ferien größtenteils bei ihrer Großtante im Rosenhaus. So 

schrullig und unzugänglich die alte Dame sonst auch war, 
aber ihr Sonnenkind, wie sie Alix Grodes nannte, 
vergötterte sie förmlich. Diese erbte dann auch nach dem 
Tod der Tante deren kleinen Besitz. Das war vor ungefähr 
drei Jahren, und seitdem ist die junge Besitzerin nicht mehr 
dort gewesen. Sehr zum Kummer der braven Eheleute 
Brasch, die das Anwesen verwalten. Denn auch in ihren 
guten Herzen sitzt die frohgemute Alix tief drin. Daher 
wird es für die Leutchen eine riesige 
Freude sein, wenn ihr Abgott nach so langer Zeit bei ihnen 
aufkreuzt.« 
Und es wurde eine. Muttchen Brasch zerdrückte 

Freudentränen, und ihr Ehegespons war nahe daran. Als 
Alix gar verriet, daß sie für länger zu bleiben gedächte, da 
gab es strahlende Gesichter. 
Das Rosenhaus trug seinen Namen daher, weil es ringsum 
von Rosen umrankt war, die vom Frühjahr bis in den 
Spätherbst hinein blühten; denn die Rosen waren eine 
wahre Leidenschaft Tante Riekchens gewesen. Ihnen 
gehörte ihre Liebe, ihre Sorgfalt. Sie wuchsen nicht nur am 
Haus, sondern auch im Garten an allen Ecken und Enden, 
sogar auf dem Hof, wo nur ein Fleckchen Erde frei war. 
Das Haus war zwar altmodisch, aber recht behaglich 

background image

eingerichtet. Unten befanden sich zwei große Zimmer, eine 
kleine Diele, die Wirtschaftsräume, oben drei weitere 

geräumige Stuben. Die beiden zusammenhängenden 
bezogen Grit und Alix. 
»Das ist ja hier urgemütlich«, sagte erstere, sich vergnügt in 
dem Raum umsehend. »Wenn man sich reckt, kann man 
fast an die Balkendecke reichen. Dann das altmodische 
Mobiliar, das braune Holzbett mit seinen hochgetürmten 
Kissen. Und alles so blitzsauber. Ob Muttchen Brasch etwa 
gewußt hat, daß du kommst und daher ein Scheuerfest 
veranstaltet hat?« 
»Das tut sie von Zeit zu Zeit sowieso«, gab Alix lachend 
zurück. »Das liegt ihr so im Blut. Also gefällt es dir hier. 
Gritchen?« 

»Sehr.« 
»Na, Gott sei Dank! Ich fürchtete 
nämlich schon, daß du bei all dem herrlich Altmodischen 
hier verächtlich die Nase rümpfen würdest.« 
»Na eben, ich bin ja auch noch so neu mit meinen 
zweiundfünfzig Jahren, daß alles um mich her 
hypermodern sein muß«, entgegnete die andere trocken, 
und die Nichte sah sie spitzbübisch an. 
»Wenn auch nicht mehr nagelneu, aber immerhin noch 
nicht alt und vor allen Dingen sehr charmant.« 
»Bloß gut, daß du das wenigstens findest, du 
Schmeichelkatze.« 

Lachend wirbelte Alix die Tante herum und verschwand 
dann im Nebenzimmer, das dem anderen ziemlich glich. 
Nur daß der kleine Schreibtisch mit den Etageren hier 
durch einen Sekretär ersetzt war. Sonst gab es auch hier 
einen braunen Schrank aus glänzendem Nußbaum, die 
passende Kommode dazu, ein Plüschsofa mit Rosenmuster, 
Tisch, Stühle und einen Teppich mit Rosenmotiven. An 
den mäßig großen Fenstern hingen duftige Gardinen 
zierlich gerafft. Auch in sie waren Rosen hineingewebt. 
Da Brasch die Koffer bereits nach oben gebracht hatte, 
machten die Damen sich daran, sie auszupacken, wobei 

background image

Alix vergnügt vor sich hin sang. Grit brummte die Melodie 
mit, bis sie dann rief: 

»Sag mal, mein Mädchen, wo wäscht man sich hier? Ich 
kann nirgends eine Gelegenheit dazu entdecken.« 
»Oh bitte sehr.« Alix erschien auf der Schwelle, »öffne die 
schmale Tür neben dem Schrank dort, dann erblickst du 
ein Bad. Hast du etwa angenommen, daß es so was hier 
nicht gibt?« 
»Jedenfalls bin ich angenehm überrascht«, kam es vergnügt 
zurück. »So werde ich mich denn einer Säuberung 
unterziehen.« 
»Ja, geh nur. Wenn du fertig bist, werde auch ich mich 
blankputzen.« 
Bis es soweit war, räumte Alix ihre Sachen ein. Dabei 

dachte sie an ihren Vater, und es wurde ihr bang ums Herz. 
Doch nicht lange, dann meldete sich der Trotz. 
Ach was, er hatte sie ja aufgegeben, ein Zeichen, daß ihm 
nichts an ihr lag. Alix war nun wirklich nicht so abgünstig, 
daß sie dem Vater eine zweite Frau nicht gönnte. Aber auch 
nur eine, bei der er auch wirklich sein Glück finden konnte. 
Nicht eine Zweiundzwanzigjährige, die den 
Fünfzigjährigen bestimmt nicht um seiner selbst heiraten 
wollte, sondern diese Ehe nicht nur als glänzende 
Versorgung für sich ansah, vielmehr auch noch für Mutter 
und Bruder, wobei die Tochter des Hauses nur als 
unabwendbares Übel angesehen werden würde. Davon war 

auch Tante Grit überzeugt, und die hatte 
Menschenkenntnis genug, um sieh ein richtiges Urteil 
bilden zu können. Und wenn sie den Bruder als 
verblendeten Narren bezeichnete, dann war er auch einer. 
Und Narren müssen durch Schaden klug werden – basta! 
Als die beiden Damen das geräumige Speisezimmer 
betraten, umfing es sie wie mit linden Armen. Auch hier 
gab es zwar veraltete, aber gutgepflegte Möbel. Der Plüsch 
des behäbigen Sofas zeigte Rosenmuster, der Teppich, die 
Gardinen, die Sofakissen, das Damasttischtuch, das 
Porzellan, das darauf stand, selbst die schweren 

background image

Silberbestecke und natürlich auch die Tapeten. In dem 
großen Kachelofen flackerte ein lustiges Feuer, was bei dem 

launischen Gesellen April als wohltuend empfunden 
wurde. 
»Schön ist das hier«, sagte Grit froh. »So läßt es sich schon 
aushalten. Alles um uns atmet Behaglichkeit, genauso, wie 
ich es liebe. Jetzt kann ich auch verstehen, mein Kleines, 
daß du gern hier weiltest. Das Rosenhaus mutet an wie 
eine kleine Insel des Friedens.« 
»Ja«, nickte Alix versonnen. »Obwohl ich eine glückliche 
Kindheit habe, konnte ich kaum die Ferien erwarten, die 
ich bei Tante Riekchen verleben durfte. Und es war der 
erste Schmerz in meinem bisher so behüteten Dasein, als 
die gute Tante, die äußerlich so brummig wirkte und so ein 

weiches Herz besaß, starb. Ich war richtig krank vor 
Aufregung und Jammer, als ich nach dem Begräbnis mit 
Mutti wieder nach Hause zurückkehrte. 
Seitdem bin ich nicht mehr hiergewesen. Ich hätte mich in 
dem Haus gefürchtet, das mir ohne Tante Riekchen so öd 
und leer erschien. Und daß mein kleiner Besitz von den 
Braschchen tadellos verwaltet wurde, darüber gab es für 
mich keinen Zweifel. Es war rührend, wenn ich jedes 
Vierteljahr einen Bericht erhielt, in dem bis auf jeden 
Pfennig Rechenschaft abgelegt wurde. 
Vielleicht hätte ich mich nach geraumer Zeit doch dazu 
entschließen können, hier nach dem Rechten zu sehen. 

Aber dann starb Mutti – und wie mir das zusetzte, das 
weißt du ja.« 
In dem Moment trat Muttchen Brasch 
ein, hochrot vor Eifer und von der Hitze des Herdfeuers. 
Sie trug auf einem Tablett Schüsseln mit Speisen, deren 
Duft lieblich in die Nase stieg. Mariechen strahlte über das 
ganze gute Gesicht, das so blitzblank war, wie alles an der 
rundlichen Frau. Sie strotzte gewissermaßen vor Sauberkeit. 
»Die Damen werden entschuldigen, daß ich Sie mit dem 
Essen warten ließ«, begann sie, doch schon schnitt Alix ihr 
lachend das Wort ab. 

background image

»Muttchen Brasch, wir können froh sein, daß wir 
überhaupt etwas zu essen kriegen, da wir Sie so unverhofft 

überfallen haben.« 
»Aber gnädiges Fräulein…« 
»Wie bitte?« 
»Ja, das muß sein«, trumpfte Mariechen auf. »Mein Alter 
sagt, das gehört sich so bei unserer Herrin. Fräulein Alix 
genügt nicht mehr.« 
Damit stellte sie resolut die Speisen auf den Tisch und 
entfernte sich gewichtigen Schrittes. 
»Die ist ja köstlich«, lachte Grit hinter ihr her. »Daß es 
heutzutage noch so was gibt, hätte ich nicht für möglich 
gehalten. Dieses Muttchen Brasch kommt mir vor wie eine 
gute, betuliche Glucke, die alles, was ihr in den Weg 

kommt, unter ihre Flügel nehmen möchte. Und dabei ist 
sie wohl kaum älter als ich.« 
»Sie ist sogar noch ein Jahr jünger«, zwinkerte Alix 
vergnügt. »Sie hat ja auch noch ein glattes Gesicht und 
kaum ein graues Haar.« 
»Habe ich das etwa?« fragte die Tante drohend, während 
ihre Augen lachten. 
»Bewahre, Gritchen. Dafür bist du ja auch meine immer 
noch so jung wirkende und sehr charmante Tante, auf die 
ich stolz bin.« 
Und sie war auch tatsächlich charmant mit ihrer 
vollschlanken Figur, dem feinen Gesicht, aus dem die 

großen blauen Augen so froh in die Welt schauten, dem 
mittelblonden gepflegten Haar und der eleganten 
Aufmachung. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes, der 
vor sieben Jahren starb, drei ernstgemeinte Heiratsanträge 
von gutsituierten Herren bekommen, den letzten sogar 
noch vor einigen Monaten. Doch sie dachte gar nicht 
daran, ihr jetzt so behagliches, friedliches Leben zu ändern, 
sie hatte von einer Ehe genug. 
Außerdem liebte sie ihre Nichte, wie es eine Mutter nicht 
zärtlicher hätte tun können, und mochte sich von ihr nicht 
trennen. Gleichfalls war der Bruder ihr ans Herz 

background image

gewachsen, und es tat ihr bitter weh, daß der alternde 
Mann wie ein verliebter Jüngling ein junges Mädchen 

anschmachtete. Aber gegen Verliebtheit ist nun einmal kein 
Kraut gewachsen. 
Also resignierte Grit. Sie hätte nach der Heirat des Bruders 
sowieso sein Haus verlassen, auch wenn Alix geblieben 
wäre. Denn es fiel ihr gar nicht ein, sich von der 
Schwägerin und deren Anhang schikanieren zu lassen. 
Gottlob war sie von ihrem Bruder nicht abhängig. Sie hatte 
Geld genug, um behaglich davon leben zu können. 
Trotzdem schloß sie sich der Nichte an, erstensmal, weil sie 
sich nicht von ihr trennen wollte, und dann, um das bisher 
so behütete und daher unerfahrene Mädchen nicht allein 
zu lassen. Zwar kannte sie das Landleben nicht, hatte sogar 

eine Scheu davor – und dennoch, sie 
wäre selbst ihrer geliebten Alix in die Verbannung gefolgt. 
Nun, einer solchen glich das Rosenhaus mit allem, was 
damit zusammenhing, wahrlich nicht! Grit war direkt 
freudig überrascht. Es würde sich hier gut leben lassen. 
Die beiden Damen ließen sich das ländliche Mahl 
vortrefflich munden. Sie aßen mit solchem Appetit, wie 
schon lange nicht mehr. Doch den Wein, mit dem 
Mariechen anrückte, lehnte Alix vorerst ab. 
»Den trinken wir zusammen in Ihrer gemütlichen Klause, 
Muttchen Brasch.« 
»Aber das schickt sich doch nicht, gnädiges Fräulein.« 

»Warum denn nicht? Wenn es sich schickt, daß Sie in so 
selbstloser Weise für mich arbeiten, dann muß es sich auch 
schicken, mit Ihnen anzustoßen.« 
»Und was sagt die gnädige Frau dazu?« 
»Daß meine Nichte recht hat.« 
»Na, das freut mich denn aber. Ich wasch’ nur noch rasch 
ab, und in einer Stunde dann herzlich willkommen.« 
Weg war sie und empfing später ihre Gäste in dem kleinen 
Anbau, in dem sie mit ihrem Mann wohnte. Er barg zwei 
geräumige Zimmer, die durch eine Tür mit der Küche 
verbunden waren. Beide blitzsauber und die Wohnstube 

background image

urgemütlich. In dem Kachelofen prasselten Holzscheite, 
der ovale Tisch vor dem riesigen Sofa war mit kleinem 

Gebäck und Gläsern bestellt. Auf der gepolsterten 
Ofenbank schnurrte der dicke Hauskater, und vor der Bank 
lag ein prächtiger Neufundländer, der die beiden Fremden 
zuerst mißtrauisch musterte, 
dann langsam zu ihnen ging, sie vorsichtig unter die Nase 
nahm und dann den buschigen Schwanz freudig in 
Bewegung setzte. 
»Na, Barry, du lebst ja auch noch«, sagte Alix froh, den 
riesigen Kopf in die Hände nehmend. »Kennst du denn 
dein kleines Frauchen noch?« 
»Wuuuufff«, wedelte der schwarze Geselle lustig, und eine 
alte Freundschaft war aufgefrischt, während die mit Grit 

rasch geschlossen wurde. 
»Ein prächtiger Kerl«, sagte sie bewundernd, und Muttchen 
Brasch nickte stolz. 
»Das ist er, gnädige Frau. Unser Fräulein Riekchen hat ihn 
sehr lieb gehabt, deshalb lieben wir ihn auch und halten 
ihn in Ehren. Nicht wahr, Alter?« 
»Ehrensache«, schmunzelte Vater Brasch, der sich 
ordentlich in Wichs geworfen hatte und direkt schneidig 
aussah mit der großen, hageren Gestalt. Wie gegerbtes 
Leder wirkte das Gesicht, aus dem zwei hellblaue Augen 
vergnügt herauslachten. Im Mundwinkel hing eine Pfeife 
mit Porzellankopf – denn seinen geliebten 

Abendschmauch gab der Mann selbst solcher Ehrengäste 
wegen nicht auf. 
»So, jetzt wollen wir aber trinken«, wurde die Gastgeberin 
energisch. »Bitte die Damen, auf dem Sofa Platz zu 
nehmen.« 
»Muß das sein?« fragte Grit kläglich. 
»Das gehört sich so, gnädige Frau.« 
»Na, denn man los, Alix, kommen wir uns würdig vor.« 
Wenig später funkelte der edle Saft in den Gläsern. Er 
stammte aus der Kellerei Grodes – denn Alix vergaß nie, 
jeden 

background image

Herbst einige Kisten mit Wein, Likören, Rum und Kognak 
nach dem Rosenhaus zu schicken. Da Tante Riekchen sich 

nichts daraus gemacht und auch die Braschchen keine 
großen Trinker waren, hatte sich mit den Jahren im Keller 
eine stattliche Anzahl Flaschen angesammelt, bei deren 
Anblick einem Trinklustigen vor Freude das Herz im Leibe 
gehüpft hätte. 
Nachdem man die erste Flasche geleert hatte, wurde die 
zweite in Angriff genommen, was die Stimmung steigen 
ließ und die Zungen löste. Alix, die natürlich wissen wollte, 
was sich in den drei Jahren, da sie nicht hier war, in der 
Nachbarschaft ereignet hatte, sprach zuerst mal von dem 
Gutsverwalter von Isen, der ihnen einen so grimmigen 
Empfang bereitet hatte. 

»Ja, er ist ein energischer Herr«, schmunzelte Brasch, 
genießerisch sein Pfeifchen schmauchend. »Aber das muß 
sein, wenn er alles in Ordnung halten will. Der Baron kann 
Gott danken, daß er einen so treuen und tüchtigen 
Verwalter für seinen Besitz hat.« 
»Aber der Besitzer ist doch ein anderer«, sagte Alix 
verwundert. »Wo ist denn der alte?« 
»Vor einigen Monaten gestorben. Und da er keinen Sohn 
hinterließ, trat der nächste Agnat das Erbe an, so ist es 
Gesetz bei den Isenhardts. Dieser Erbe ist nun der 
Stiefbruder des Verstorbenen…« 
»Und er hat es gar nicht leicht mit diesem Weibsbild am 

Hals…« 
»Mariechen, was sprichst du da für einen Unsinn«, 
unterbrach der Eheliebste sie mißbilligend. »Was sollen die 
Damen bloß von deiner Ausdrucksweise denken, die du dir 
soviel auf deine Bildung zugute tust. Wie kann eine 
Baronin Isenhardt ein Weibsbild sein.« 
»Na ja, ich meinte auch nur so«, bekannte sie kläglich. 
»Aber du mußt doch selbst sagen, August, daß sie sich wie 
ein – ja na – wirklich nicht schön benommen hat und 
immer noch nicht benimmt. Das gnädige Fräulein ist wohl 
auch im Bilde.« 

background image

»Das bin ich eben nicht«, widersprach Alix. »Ich weiß nur, 
daß der Baron, gerade als ich das letzte Mal hier auf Ferien 

war, ein bedeutend jüngeres Mädchen heiratete…« 
»Was ihm schlecht bekommen ist«, platzte Mariechen nun 
doch wieder heraus, ohne von dem warnenden Blick des 
Ehegemahls Notiz zu nehmen. »Dieser Fledderwisch…« 
»Mariechen!« 
»Laß man, Augustchen, dann bin ich heute eben mal nicht 
gebildet. Denn wie soll man so was wohl anders nennen? 
Der Baron war eben ein Narr, daß er in seinem Alter noch 
so eine junge Frau nahm – und kränklich war er noch 
dazu. So was kann doch nicht gut ausgehen.« 
Grit und Alix warfen sich einen verständnisvollen Blick zu. 
Sie dachten beide dabei an Egon Grodes, der im Begriff 

stand, eine gleiche Torheit zu begehen. Dann hörten sie 
amüsiert zu, was das liebe, mitteilsame Mariechen weiter 
erzählte: 
»Sie müssen wissen, meine Damen, daß diese Baronin 
Meduse -.« 
»Wie heißt sie?« fragte Alix lachend dazwischen. 
»Meduse – oder so ähnlich jedenfalls.« 
»Frau – Frau«, schüttelte der Mann bekümmert den Kopf. 
»Daß du doch alle Namen verdrehen mußt. Modeste heißt 
die Baronin.« 
»Aber das heißt doch übersetzt: bescheiden, sittsam«, 
bemerkte Grit, die gleich Alix über dieses spaßige Ehepaar 

kaum noch das Lachen verbeißen konnte. 
»Von wegen«, meinte Muttchen wegwerfend. »Davon ist bei 
der wahrhaftig nichts zu bemerken. Fladusia, das wäre der 
richtige Name für so was.« 
Jetzt konnten Grit und Alix nicht mehr ihr unterdrücktes 
Lachen länger zurückhalten, hell und perlend brach es 
hervor. Da das gute Mariechen kein Spielverderber war, 
lachte es vergnügt mit, und der Eheliebste schmunzelte. 
»Nun werde ich mal das Wort ergreifen«, drückte er sich 
gewählt aus, was er gern tat. »Denn aus der Erzählung 
meiner Frau können die Damen bestimmt nicht klug 

background image

werden. Also diese Baronin Modeste hat ihren Mann in gar 
nicht langer Zeit durch ihre Verschwendungssucht ruiniert. 

Aber nur, soweit es sein Privatvermögen betrat, an Isen 
konnte sie gottlob nicht heran. Das darf weder verkauft, 
noch dürfen Privatschulden darauf gemacht werden. Ein 
Glück, sonst hätte die Verschwenderin auch den herrlichen 
Besitz noch kleingekriegt.« 
»Und wie ging es weiter?« fragte Alix interessiert, als der 
Mann schwieg und nachdenklich an seiner Pfeife zog. »Ich 
glaube, wir lassen Muttchen Brasch doch weitererzählen.« 
»Na also«, triumphierte Mariechen. »Was ich erzähle, das 
hat schon Hand und Fuß. Sie wissen doch, gnädiges 
Fräulein, wie versessen der alte Baron auf einen Erben 
war?« 

»Wissen ist zuviel gesagt, Muttchen Brasch. Ich hörte wohl 
davon reden, aber ich war damals ja noch so jung, daß so 
eine Äußerung in ein Ohr ‘rein und aus dem andern 
‘rausging. Allerdings weiß ich, daß der Baron bereits die 
dritte Frau nahm, obwohl er eine erhöhte Schulter hatte 
und auch sonst kein Adonis war. So hat sich also seine 
Sehnsucht nach einem Erben nicht erfüllt?« 
»Nein«, entgegnete Mariechen schadenfroh. »Was die 
Meduse ihm schenkte, war ein Mädchen.« 
»Das ist Pech«, lachte Grit. »Wie nahm der Mann das auf?« 
»Ihn rührte erst mal der Schlag. Und der zweite, nach dem 
er gleich starb, traf ihn bei der Entdeckung, daß seine Frau 

ihn betrog.« 
»Und nun ist sie wahrscheinlich hinter dem jetzigen 
Besitzer von Isen her«, folgerte Grit, und Muttchen nickte. 
»Stimmt. Aber der ließ sie ganz gehörig abfallen und 
verwies sie in das kleine Haus, das am Ende des Parkes für 
die Isenhardtschen Witwen erbaut wurde. Da müssen die 
‘rein, ob sie wollen oder nicht. Es ist ja auch sehr schön da, 
aber der Meduse paßt das nicht. Es ist ihr auch zu wenig 
Geld, das sie aus der Familienfront bekommt…« 
»Mariechen, Fond heißt das doch. Laß mich man 
weitererzählen, jetzt kommst du doch nicht damit zurecht. 

background image

In Isen existiert nämlich ein Familienfond, den mal ein 
Ahn angelegt hat und der sich im Laufe der Zeit schon gut 

angehäuft haben soll. Aus dem beziehen nun die Witwen 
und ihre Kinder, wenn die noch nicht volljährig sind, den 
Lebensunterhalt. Die Summe soll gewiß nicht klein sein, 
wie man so hört, aber so ein verschwenderischer Mensch 
wie die Modeste kommt damit natürlich nicht aus. Nun 
liegt sie ständig damit dem Herrn Baron in den Ohren, 
aber der darf ihr nicht mehr geben, als vorgeschrieben ist. 
Sonst müßte er es aus seiner Tasche zahlen, und das fällt 
ihm gar nicht ein. Er ist nämlich kein Frauenfreund, 
müssen die Damen wissen.« 
»O weh, dann stehen für die Modeste die Chancen aber 
schlecht«, lachte Grit. »Wie sieht sie denn aus?« 

»Mir ist sie zu angemalt«, meinte Muttchen wegwerfend. 
»Aber die andern sagen, sie ist eine – wie heißt das nun 
wieder, August?« 
»Eine Mondäne.« 
»Ja, so was soll sie sein. Und so verrückt, wie das genannt 
wird, so benimmt sie sich auch.« 
»Oh, Muttchen Brasch!« lachte Grit gleich Alix herzlich. 
»Prosit! Es gefällt mir ausnehmend gut im Rosenhaus.« 
»Das freut mich aber«, strahlte Mariechen. »Es lebt sich 
wirklich gut hier, und verhungern werden wir auch nicht. 
Wir haben eine Kuh, zwei Schweine, allerlei Geflügel, 
Kartoffeln, Gemüse, Obst und ein Pferd…« 

»Das wir hoffentlich nicht so bald zu schlachten 
brauchen«, warf Alix lustig ein, und die Gute sah sie 
konsterniert an. 
»Aber, gnädiges Fräulein, wo gibt es denn so was!« 
»Och – geben wird es das schon – aber bestimmt nicht bei 
uns. Und nun bin ich dafür, daß wir uns zur 
wohlverdienten Ruhe begeben.« 
Dafür waren die andern auch, und so trennte man sich in 
vergnügter Stimmung. Der Einfachheit halber nahmen die 
beiden Damen den Weg durch die Küche, und oben 
angelangt, gähnte Alix herzhaft und dehnte die schlanken 

background image

Glieder. 
»Wenn du Lust zu einem abendlichen Bad hast, Tante Grit, 

dann tu’s. Ich jedenfalls krieche ungewaschen und 
ungeplättet ins Bett.« 
»Ich auch. Ich fürchte nur, daß ich in diesem Federberg 
versinken werde, wie eine Rosine im Kuchen.« 
Nun, so arg wurde es nicht. Denn Kissen und Deckbett 
waren aus Daunen und daher leicht. Behaglich legte Grit 
sich zurecht und wunderte sich gar nicht, als Alix in ihrem 
koketten Nachtkleid erschien und sich zur Tante aufs Bett 
setzte. Reizend sah sie aus in dem duftigen Habit mit dem 
hellbraunen, gleißenden Lockenhaar, mit dem feinen, 
rosigen Gesicht, aus dem die Augen wie des Himmels Bläue 
herausstrahlten. 

Das Kind ist ja bildschön – dachte die Tante beglückt. Von 
einer köstlich reinen, kristallklaren Schönheit. Noch nie ist 
mir das so aufgefallen wie heute. Aber was noch mehr wert 
ist als diese Schönheit, das ist ihr liebenswerter Charakter. 
»Nun, mein Kleines, was haben wir auf dem Herzchen, 
hm?« fragte sie zärtlich. »Denn umsonst sitzt du doch nicht 
hier.« 
»Oh, Tante Grit, ich bin ja so glücklich, daß es dich gibt«, 
kam die Antwort aus tiefstem Herzensgrund. »Denk mal, 
wenn ich ohne dich hier leben müßte. Zwar sind die 
Braschchen liebe, gute Menschen, aber die richtige 
Gesellschaft trotzdem nicht für mich. Erst heute wird es mir 

so recht klar, wie lieb ich dich eigentlich habe. Daher mußt 
du immer bei mir bleiben, willst du?« 
»Hm«, machte sie vielsagend. »Und wenn du heiratest, wie 
wird es dann?« 
»Dann bringe ich dich mit in die Ehe«, perlte ein köstlich 
frisches Lachen auf. »Und wenn mein Zukünftiger, der ja 
vorläufig noch in den Sternen geschrieben steht, dich nicht 
haben will, dann laß ich ihn eben laufen.« 
»Wirst dich hüten, mein Kind«, kam die Antwort trocken. 
»Und nun bitte keine Beteuerungen, werden wir leben, 
werden wir sehen. 

background image

Jedenfalls fühle ich mich äußerst behaglich. Übrigens war 
das, was die Braschchen uns von der dritten Ehe des Barons 

erzählten, sehr aufschlußreich, weil dein Vater ja im Begriff 
ist, dieselbe Dummheit zu machen. Wie kommt es 
eigentlich, daß du die Herrschaften nicht kennst? Pflegte 
Tante Riekchen denn keinen nachbarlichen Verkehr?« 
»Nein, sie war sehr menschenscheu. Ab und zu kamen mal 
Druschmanns, aber bei ihnen ist sie nie gewesen. Ich hörte 
sie nur damals, als der Baron die dritte Frau nahm, zu 
Muttchen Brasch sagen: >Das sieht diesem verblendeten 
Narren ähnlich. Dasselbe hätte sie auch von Vater gesagt – 
und mit Recht. Was meinst du, Tante Grit, ob ich ihm von 
dem Reinfall des verstorbenen Barons schreibe?« 
»Auf keinen Fall«, winkte die andere entschieden ab. »Du 

würdest ihn dadurch nur noch verbissener machen. Was 
wir nur tun konnten, um ihn zur Vernunft zu bringen, ist 
geschehen, mehr können wir nicht tun. Mag er also nach 
seiner Fasson selig werden. 
Nun geh schlafen, mein Kind«, streichelte sie zärtlich die 
weiche Mädchenwange. »Und mach dir deswegen keine 
Gewissensbisse, weil du dein Elternhaus verließest. Wenn 
das falsch gehandelt wäre, hätte ich dich gewiß nicht dabei 
unterstützt, sondern dir im Gegenteil ernstlich ins 
Gewissen geredet. 
Und nun husch, ins Körbchen! Ich bin rechtschaffen müde 
und werde wunderbar schlafen in diesem weichen Pfühl.« 

»Ich in dem meinen auch, Gritchen. Bist doch die 
Allerallerbeste!« 
Eine stürmische Umarmung, ein herzlicher Kuß, dann 
huschte sie davon, und die Tante sah ihr gerührt nach. 
Es war der Hahn, der Alix am nächsten Morgen weckte. 
Noch traumumfangen, mußte sie sich erst besinnen, wo sie 
überhaupt war, doch dann streckte sie sich wohlig im Bett. 
Mit einem Blick auf die altmodische Uhr, die ihren Pendel 
geschäftig hin und her bewegte, stellte sie fest, daß es erst 
kurz nach sechs war. Also eine Stunde, zu der sie zu Hause 
noch zu schlafen pflegte. Sieben Uhr war ihre Aufstehzeit, 

background image

die hatte sie von ihrer Schulzeit her 
einbehalten, und die war lang gewesen, bis zum Abitur. 

Denn ihr Vater hatte darauf bestanden, daß sie es machte, 
zumal ihr das Lernen leicht fiel. Er war der Ansicht, daß 
man diese Abschlußbildung immer irgendwie verwerten 
konnte, ob man da studieren wollte oder nicht. Er sorgte 
auch dafür, daß seine Tochter zwei Jahre die Höhere 
Handelsschule besuchte, damit sie eine gewisse Grundlage 
zu einem Beruf hatte. Denn man konnte nie wissen, wie es 
im Leben kommt. 
Ach ja, ihr Paps – aber jetzt war er ja nur noch ein Vater für 
sie. 
Hastig sprang Alix aus dem Bett, um sich nicht mit 
unerquicklichen Gedanken das Herz schwer zu machen. Sie 

trat ans Fenster, dessen zarte Gardinen im sachten 
Morgenwind blähten, und schaute hinunter auf den Hof, 
wo Muttchen Brasch das Geflügel fütterte. An die zwanzig 
Hühner, zwei Hähne, Gänse und Enten, die zur Zucht 
zurückbehalten waren. Selbst ein prächtiger Truthahn mit 
seinem Weibchen fehlte nicht. 
Das alles gehört nun mir – dachte Alix mit Besitzerstolz. 
Zwar ist das Anwesen klein, aber mein. Da mußte sie 
einfach ein Ventil für ihre Freude finden, das sich dann 
auch in einem Jauchzer Luft machte. 
»Ja, was ist denn mit dir los?« kam eine verschlafene 
Stimme aus dem Nebenzimmer – und schon stand Alix am 

Bett der Tante. 
»Guten Morgen, Gritchen«, grüßte sie fröhlich. »Stell dir 
mal vor, die Sonne scheint.« 
»Ist das denn etwas Besonderes?« fragte sie gähnend. 
»Für den griesgrämigen April schon. Man spürt direkt, wie 
der sonnige Knabe Mai ihn verdrängen will.« 
»Und deshalb jauchzt du mich aus tiefem Schlaf? Mädchen, 
ich glaube, du bist frühlingstrunken.« 
»Besser als liebestrunken, Gritelein. Erhebe dich aus 
deinem weichen Pfühl, es frühlingt an allen Ecken und 
Enden. Hast du gut geschlafen?« 

background image

»Wunderbar! Und geträumt habe ich, daß ein junger 
Königssohn dir die diamantene Krone auf deinen 

gleißenden Schopf setzte.« 
»Träume sind Schäume, darum erwache und lache«, zitierte 
der Schelm mutwillig. »Ich jedenfalls träumte, daß ein 
männliches Wesen mit seinen rosenumwundenen Speer 
mitten ins Herz hineinstieß…« 
»Hör auf, du Übermut«, unterbrach die Tante sie 
schaudernd. »Wie spät ist es?« 
»Zwischen sechs und sieben Uhr. Du befindest dich jetzt 
mittendrin im Landleben, das keine Langschläfer duldet, 
meine mondäne Stadtdame. Heraus aus den Federn, der 
Hahn hat gekräht!« 
»Und du bist dabei das verrückte Huhn«, gähnte Grit 

wieder herzhaft. »Mach, daß du unter die Dusche kommst, 
damit ich nachfolgen kann.« 
Also machte Alix sich an ihre Morgentoilette. Zuerst ein 
lauwarmes Duschbad, dann den Körper frottiert, bis er 
heiß und rot wurde, dann angekleidet und hinunter ins 
Speisezimmer, das von dem Kachelofen mollig 
durchwärmt wurde. Zwar war es draußen ganz nett warm, 
aber in den Zimmern immer noch kühl. 
Der runde Tisch inmitten des großen niederen Raumes war 
bereits für zwei Personen gedeckt. Alix öffnete die Tür, die 
zur Küche führte und steckte den Kopf durch den Spalt. 
»Guten Morgen, Muttchen Brasch!« rief sie ihr fröhlich zu, 

die am Herd hantierte. »Ich habe Hunger.« 
»Soll gleich gestillt werden«, kam es vergnügt zurück. »Ist 
die gnädige Frau auch schon unten?« 
»Nein, muß aber jede Minute erscheinen.« 
»Dann bring ich schon die Kaffeemaschine und alles 
andere.« 
Zehn Minuten später konnte dann der Schmaus beginnen. 
Es gab Brot, Toast, eine Platte mit rosigen 
Schinkenscheiben nebst delikater Rauchwurst, Butter, 
Marmelade, Honig und einem Kännchen mit gelber fetter 
Sahne. Dazu duftete es aus der brodelnden Kaffeemaschine 

background image

aromatisch. Eifrig sprach man den guten Dingen zu, dann 
griff man zur Zigarette und legte sich behaglich im 

Polsterstuhl zurück. 
»Nun, Tante Grit, hat’s geschmeckt? Du siehst jedenfalls 
satt und zufrieden aus.« 
»Zu gut hat’s geschmeckt, leider. Wehe meiner armen 
Taille! Ich glaube, ein Spaziergang würde uns beiden 
guttun.« 
»Wird gemacht, Tantchen. Aber wetterfest müssen wir uns 
schon anziehen. Zwar scheint jetzt die Sonne, aber ich 
traue dem April nicht.« 
Bald darauf traten sie auf den Hof, wo ihnen Barry 
entgegenkam und sie freundlich begrüßte. Vater Brasch, der 
vor dem Stall den wohlgenährten Braunen striegelte, zog 

beim Anblick der Damen die Mütze und lachte sie an. 
»Schönen guten Morgen mal erst, die Herrschaften. Ich 
glaube, jetzt wird der April sich ausgetobt haben. Ist auch 
Zeit, denn in den nächsten Tagen kommt schon der Mai. 
Wie ist es, gnädiges Fräulein, wollen Sie einen Ritt auf 
unserm Guten hier wagen, wie Sie es schon als Kind und 
später als Jungfräulein taten?« 
»Ist er etwa immer noch derselbe?« fragte Alix lachend, und 
er schmunzelte. 
»Jawohl, er ist ja auch noch gar nicht alt. Der macht’s schon 
noch ‘ne Weile. Soll ich den Sattel auflegen?« 
»Danke sehr«, wehrte sie Vergnügt. »Ein Ritt auf diesem 

lammfrommen, dicken Braunen kann mich nicht mehr 
reizen. Ich habe in den Jahren, da ich nicht hier war, nun 
wirklich reiten gelernt. Leider besaß ich nicht mein eigenes 
Pferd, sondern ritt eins aus dem Tattersall.« 
»So schaffen Sie sich doch ein Reitpferd an, gnädiges 
Fräulein«, schlug Vater Brasch eifrig vor. »Platz ist in 
diesem Stall reichlich, da steht bloß der Braune drin. Das 
Viehzeug ist auf dem andern Ende untergebracht.« 
Alix betrat den Stall und konnte zu ihrer Freude feststellen, 
daß sich in dem luftigen und hellen Raum noch sehr gut 
eine Pferdebox einrichten ließ. Also sah sie gar nicht ein, 

background image

warum sie sich nicht ihrer Sehnsucht Traum erfüllen sollte^ 
Fragte sich nur, woher sie ein passendes Tier bekam. 

Doch dafür wußte Vater Brasch guten Rat. 
»Sprechen Sie doch mit dem Verwalter von Isen. Die haben 
dort eine prima 
Pferdezucht, sogar wunderbare Trakehner sind darunter. 
Pferdchen sage ich Ihnen, gnädiges Fräulein, daß einem das 
Herz im Leibe lacht. 
Fragt sich nur, ob Sie so viel Geld haben – denn die Dinger 
sind unverschämt teuer«, kratzte er sich verlegen am Kopf, 
und Alix lachte. 
»Nun, dann quetsche ich mein Portemonnaie eben kräftig, 
vielleicht kommt dann soviel heraus. Was meinst du dazu, 
Tante Grit?« 

»Versuch es nur«, riet diese trocken. »Dafür ißt du dann 
fortan Kartoffeln und Salz. Denn so eine kostspielige 
Angelegenheit kann nur durch Opfer erkauft werden.« 
Unsicher sah Brasch von einer zur andern und meinte dann 
schmunzelnd: 
»Es liegt aus dem Nachlaß unseres Fräulein Riekchens noch 
eine ganz nette Summe für die Erbin auf der Bank. Und 
dann – und überhaupt…« 
»Hat unsere Alix immer fünf Pfennig mehr in der Tasche, 
als sie braucht«, warf Grit lachend ein. »Wie kommen wir 
aber mit dem Verwalter ins Geschäft?« 
»Indem Sie ihn in Isen aufsuchen und ihm Ihren Wunsch 

vortragen, gnädige Frau. Herr Druschmann ist nämlich ein 
prima Pferdekenner und wird daher dem gnädigen 
Fräulein, von dem er außerdem noch große Stücke hält, 
bestimmt was Erstklassiges aussuchen. Gehen die Damen 
doch gleich mal zu ihm hin. Denn heute, am 
Sonntagvormittag, werden Sie ihn bestimmt zu Hause 
antreffen. Es ist ja nur knappe drei Kilometer weit.« 
»Wird gemacht«, entschied Alix fröhlich. »Komm, Grit, 
setzen wir unsere Piedestale in Bewegung.« 
Dem schmunzelnden Brasch zunickend, gingen sie davon, 
von dem Neufundländer treu begleitet. Es machte wirklich 

background image

Freude, geruhsam durch die erwachende Natur zu 
wandern. Herrlich war das zarte Grün der Weiden. Die 

Birken umhüllte es wie ein hauchdünner Schleier, an den 
hohen Kastanienbäumen saßen die Knospen dick und 
prall. Die Erlen, die den munter hüpfenden Bach säumten, 
warteten nur darauf, bei Sonnenschein ihre Blätter zu 
entfalten. Ab und zu trieb ein Strauch auch schon zaghaft 
Blüten. 
»Ist das nicht wunderbar, Tante Grit?« sagte Alix versonnen. 
»Sieh dir das alles nur an. Christian Morgenstern hat ja so 
recht, wenn er sagte: 
Butterblumengelbe Wiesen, feuerampferrot getönt, o du 
überreiches Sprießen, wie das Aug’ es nie gewöhnt. 
Vogelsangdurchschwellte Bäume, 

wunderblütenschneebereift – ja fürwahr, ihr zeigt mir 
Träume, wie die Brust sie nie begreift.« 
»O ja, der Mann hat’s erfaßt«, bekräftigte Grit. »Es gibt 
schon Dichter, die das in Worten klarmachen, was wir 
gewöhnliche Sterbliche unklar empfinden – wenigstens wir 
Stadtmenschen, die mit der Natur nicht verwachsen sind. 
Bei uns ist manches Wunder leider nur 
Selbstverständlichkeit. Ich jedenfalls erlebe das Erwachen 
der Natur zum ersten Male direkt auf dem freien Land, und 
ich muß sagen, daß ich jetzt erst die Landbewohner so 
recht verstehe, die so zäh an ihrer Scholle hängen.« 
»So wird dir das Landleben wirklich 

nicht langweilig werden?« forschte Alix bang, und ein gutes 
Lächeln beruhigte sie. 
»Ich glaube nicht. Mach nicht so ängstliche Augen, mein 
Kleines, ich laufe dir nicht davon, solange du meiner 
bedarfst.« 
»Als ob ich nicht immer deiner bedürfen würde«, kam es 
spontan über die jungroten Lippen, und die weit- und 
lebenserfahrene Grit von Alkes lächelte nachsichtig. 
»Jetzt keine Phrasen, mein Kind. Die gehören nicht in diese 
wundersame Natur.« 
»Na schön«, meinte Alix wie abschließend, schob den Arm 

background image

unter den der Tante und wanderte so mit ihr dahin. Der 
Weg, den sie gingen, war holprig und schlecht. Aber sie 

achteten dessen nicht. Es gab ja so viel Herzerquickendes 
rundum zu schauen. 
Bis Grit den Schritt verhielt und auf das Schloß zeigte, das 
sich unweit in seiner Herrlichkeit preisgab. Wie eine Feste 
wirkte es mit seinen weißen Mauern, seinen Altanen und 
Türmen. Auf dem Mittelturm flatterte eine Fahne lustig im 
sachten Frühlingswind. Er ließ nicht das Wappen darauf 
erkennen und nicht die Inschrift. 
»Ist das Isen?« fragte Grit lebhaft, und Alix nickte. 
»Ja. Ein trutzig Gebäude.« 
»Hast du eine Ahnung, was das Wappen bedeutet und was 
darin steht?« 

»O ja, Tante Riekchen erklärte es mir. Das Wappen zeigt ein 
Schwert, dazu sich zwei drückende Männerhände, die 
Inschrift lautet: Isenhardt und treu. Also 
eisenhart im Kampf, eisenhart in der Treue.« 
»Interessant. Also muß es ein uraltes Geschlecht sein, da 
Isen noch Eisen bedeutete.« 
»Nehme ich auch an. Aber schau mal, Tantchen, wie 
golden die Sonne sich in den Fensterreihen spiegelt. 
Demnach müßte es nur Sonne in der trutzigen Feste geben. 
Doch wie die Braschchen erzählen, scheint auch hier nicht 
alles Gold zu sein, was glänzt.« 
»Wohl dir, mein Kind, daß du den wahren Sinn erfaßt hast. 

Doch nun komm. Mich gelüstet es nach einem warmen 
Trunk und gutdeutscher Behaglichkeit.« 
Beides wurde ihnen zuteil, als sie das schmucke Haus 
betraten, in dem der Verwalter von Isen wohnte. 
Schmunzelnd trat er ihnen entgegen, und gleichfalls 
schmunzelnd nahm seine getreue Ehehälfte die Gäste in 
Empfang. Zwar glich sie keinem betulichen Muttchen mit 
ihrer zierlichen Gestalt, aber die vergnügten Augen in dem 
lieben Gesicht ließen erkennen, daß sie ein guter Mensch 
war mit Sinn für Humor. 
»Grüß Gott, Fräulein Grodes«, sagte sie herzlich. »Endlich 

background image

erblickt man Sie einmal wieder. Reichlich lange haben Sie 
das Rosenhaus vernachlässigt. Und die Dame…« 

»Ist Frau Grit von Alkes, die Schwester meines Vaters«, 
stellte Alix vor. »Ich liebe sie sehr.« 
»Dann soll auch sie uns von ganzem Herzen willkommen 
sein«, entgegnete Frau Druschmann einfach. »Bitte, meine 
Damen, treten Sie ein und bringen Sie Glück herein.« 
Wenig später saß man denn im Wohnzimmer, dessen 
Gemütlichkeit dem Charakter seiner Bewohner entsprach. 
Alix, die es bereits kannte, ließ sich von der Traulichkeit 
aufs neue einspinnen, und auch Grit fühlte sich äußerst 
behaglich. Der prickelnde Trank, den der Hausherr 
servierte, löste die Zungen, und man plauschte vergnügt. 
»Werden Sie nun länger im Rosenhaus bleiben, Fräulein 

Grodes?« erkundigte sich Frau Druschmann, und das 
Mädchen nickte. 
»Ja. Ich habe das Abitur hinter mir und seit Ostern auch die 
Höhere Handelsschule. Also darf ich jetzt mit ruhigem 
Gewissen für längere Zeit Freifräulein spielen.« 
»Das ist recht«, lobte der Verwalter. »Der Wissenschaft ist ja 
nun Genüge getan. Hoffentlich wird es den Stadtdamen 
mit der Zeit auf dem Lande nicht zu langweilig werden.« 
»Mir bestimmt nicht«, gab Alix fröhlich Antwort. »Denn Sie 
wissen ja, wie gern ich immer im Rosenhaus weilte. Und 
wenn meine Tante Abwechslung haben will, kann sie ja zur 
Stadt fahren, die gewissermaßen nur einen Katzensprung 

weit von hier liegt. 
Und nun komme ich zum eigentlichen Zweck meines 
Besuches. Ich möchte mir nämlich ein Reitpferd anschaffen 
und wollte Sie fragen, ob Sie mir dazu verhelfen können. 
Vater Brasch sagte mir, daß Sie hier sogar Trakehner 
haben.« 
Fragend sah sie ihn an, der umständlich eine Zigarre in 
Brand steckte, sie um die Nase kreiste und genießerisch das 
Aroma einzog. Dann meinte er bedächtig: 
»Tja, das ist so’ne Sache. Ein schönes Tier wäre ja wohl da. 
Ein ganz besonderer Prachtkerl, nicht direkt fromm, aber 

background image

leicht an der Hand. Doch ich weiß nicht, ob mein Herr sich 
dazu entschließen könnte, ihn abzugeben, weil er sehr an 

dem Burschen hängt, der ja eigentlich nur als Luxus 
herumsteht. Und über ein anderes eingerittenes Rassepferd, 
das abgegeben werden könnte, verfügen wir zur Zeit noch 
nicht.« 
»Das ist aber schade«, war Alix enttäuscht. »Ich habe so 
große Hoffnung auf Sie gesetzt, Herr Verwalter. Können Sie 
nicht bei Ihrem Herrn ein gutes Wort für mich einlegen? 
Ich selbst will alles versuchen, um ihn zu betören.« 
»Hm«, schmunzelte der Mann, während die beiden älteren 
Damen amüsiert lachten. »Ich würde dabei weich werden 
wie Butter in der Sonne. Aber mein Herr läßt sich nicht so 
leicht betören – er ist nämlich durchaus kein 

Damenfreund.« 
»O jeh«, seufzte das Mädchen. »Dann lieber nicht. Vor 
solchen Männern habe ich Angst.« 
»Nun, so arg ist es auch wieder nicht«, tröstete Frau 
Druschmann. »Der Herr Baron ist sogar ein ritterlicher 
Mann. Er hat nur so seine Grundsätze, zu denen er durch 
böse Erfahrungen gekommen ist.« 
»Ich brauche ja gar nicht mit ihm zu verhandeln«, schlug 
Alix eifrig vor. »Der Herr Verwalter tut es, während ich 
mich im Hintergrund halte.« 
»Wird sich schlecht machen lassen«, meinte der Mann 
bedauernd. »Wenn mein Herr sich dazu entschließen 

sollte, das Pferd zu verkaufen, dann werden Sie, gnädiges 
Fräulein, ihm erst einmal eine Probe Ihrer Reitkunst 
ablegen müssen. Denn er hält davon bei den Stadtdamen 
nicht viel – und gerade das Tier soll keinem Stümper in die 
Hände fallen. Dafür ist es zu edles Blut. Hatten Sie denn 
schon zu Hause ein Reitpferd?« 
»Nein, leider nicht. Mein Vater hat mir keines bewilligt. 
Also mußte ich mich mit einem aus dem Tattersall 
begnügen, wo ich auch reiten lernte.« 
»Naja«, brummte der Mann. »Wollen mal sehen. An meiner 
Fürsprache soll es jedenfalls nicht liegen.« 

background image

»Dann bin ich aber froh«, lachte Alix, und die Tante fragte: 
»Hast du überhaupt deinen Reitdreß mit?« 

»Nein. Aber ich rufe heute noch zu Hause an, damit er mir 
sofort nachgeschickt wird. Übermorgen kann ich ihn dann 
haben.« 
»Ich glaube, mein Kind, die Sache fängt an, dich zu reizen, 
weil sie schwierig ist«, lachte Grit. »Oder ich müßte das 
Eisenschädelchen meiner Kleinen nicht kennen.« 
»Hat sie das?« fragte der Verwalter schmunzelnd. 
»Und wie!« 
»Grit, du übertreibst«, verteidigte sich das Mädchen. »Was 
nützt überhaupt ein harter Schädel, wenn die Wand, gegen 
die er anrennt, noch härter ist?« 
»Gut ausgedrückt«, meinte die Tante trocken. »Und nun 

müssen wir uns verabschieden, damit wir zum Mittagessen 
zur Zeit kommen. Sonst ringt Muttchen Brasch die Hände 
über dem verbrutzelten Sonntagsbraten.« 
Also machte man sich auf den Weg 
und kam gerade noch zu einem guten Mahl zurecht. 
Sobald am nächsten Morgen der Verwalter seines Herrn 
habhaft werden konnte, trug er ihm den Wunsch des 
Fräulein Grodes vor. Doch als er ein ironisches Lächeln in 
den Winkeln des hartgeschnittenen Mundes bemerkte, sah 
er seine Sache schon fast verloren. 
»So so – eine Sonntagsreiterin will ausgerechnet meinen 
>Goldlack< erwerben«, sprach dann die sonore Stimme 

gelassen. »Und nur weil sie Geld hat, um sich so eine 
Kostspieliegkeit leisten zu können. O nein, mein lieber 
Herr Druschmann, dafür ist mir der prächtige Bursche 
denn doch zu schade.« 
»Aber, Herr Baron, verkaufen müssen wir ihn doch«, wagte 
der andere einzuwenden. »Er steht doch nur als Luxus hier 
herum und wird viel zu wenig bewegt. Ich glaube 
bestimmt, daß >Goldlack< bei Fräulein Grodes bestens 
aufgehoben wäre.« 
»Somit hat die junge Dame Sie bereits betört«, traf ihn ein 
schräger Blick aus den blauen Männeraugen, in denen es 

background image

humorvoll aufblitzte, und Druschmann lachte verlegen. 
»Sie kennen eben die Alix nicht, Herr Baron. Das ist schon 

ein entzückendes Rackerchen. Und daß auch ein guter Kern 
in der gleißenden Hülle stecken muß, ist daraus zu 
ersehen, daß die verstorbene Besitzerin vom Rosenhaus, 
eine mürrische, fast menschenfeindliche Dame, in das süße 
Balg vernarrt war.« 
»Eben – vernarrt«, warf Isenhardt 
trocken ein. »So was macht blind, mein lieber 
Druschmann. Wo hat denn die junge Dame reiten gelernt?« 
»Im Tattersall, Herr Baron, wo sie sich auch ein Pferd 
mietete. Ein eigenes bewilligte der Vater ihr nicht.« 
»Da wird der Herr ja auch wissen warum. Denn an Geld 
dazu dürfte es dem doch wahrlich nicht fehlen, wie ich 

zufällig weiß. Er wird ja die Launen seiner Tochter kennen, 
die heute etwas dringend begehrt, um es morgen 
überdrüssig in die Ecke zu werfen. So eine Laune ist es 
wohl auch, sich im Rosenhaus einzuquartieren, das, so 
schön es auch ist, immerhin zu primitiv für ein so 
verwöhntes Mädchen sein dürfte. Und der charmanten, 
kultivierten Frau Tante nicht minder. Also werden die 
Damen bald flüchten – und was würde dann aus Goldlack 
werden?« 
»Allerdings.« Der Verwalter kratzte sich den Kopf. »Aber ich 
glaube – hm - Ihre wenige Sympathie für Frauen macht Sie 
da ungerecht, Herr Baron.« 

»Mag sein«, knurrte der Baron. »Daher möchte ich nicht 
sozusagen das Kind mit dem Bade ausschütten und den 
Verkauf des Pferdes nicht von vornherein brüsk 
ausschlagen. Leider kann ich es nicht immer behalten, das 
sehe ich ein«, setzte er seufzend hinzu. »Es hat zu wenig 
Daseinsberechtigung und verkommt bei der wenigen 
Bewegung. Und den lieben Burschen mir als Reitpferd zu 
erwählen, geht auch nicht. Denn erstens liebe ich meinen 
Rappen, und dann ist Goldlack mehr ein Damenpferd. 
Also, Herr Verwalter, sagen Sie Fräulein Grodes Bescheid, 
daß ich nicht abgeneigt bin, ihr den Goldfuchs zu 

background image

verkaufen. Aber erst, wenn ich mich von ihrer Reitkunst 
habe überzeugen können – und mir das Zurückkaufsrecht 

zugebilligt wird.« 
Das ging ja besser, als ich befürchtete – dachte 
Druschmann, dem der berühmte Stein vom Herzen fiel. 
Kleine entzückende Alix, ich habe getan, was ich konnte – 
nun zeige du, was du kannst. 
Am Dienstag traf dann der Reitdreß im Rosenhaus ein und 
noch vieles andere, was Grit und Alix für unbedingt nötig 
hielten. Letztere hatte am Fernsprecher Alma persönlich 
gesprochen, die das Gewünschte notierte und den Auftrag 
gewissenhaft ausführte. 
Einem der fünf großen, schweren Pakete lag ein Zettel bei, 
auf dem in flüchtiger Schrift vermerkt stand: 
 
Alles noch unverändert bei uns. Mir scheint, als ob der Herr 
Papa sich den Polypenarmen, die ihn umklammert halten, nicht 
mehr entwinden kann – oder es müßte ein Wunder geschehen. 
Unser verehrtes Fräulein Alix nebst der gnädigen Frau fehlen 
uns sehr. Ja, das waren noch Zeiten, so voller Friede und 
Eintracht. Wir sind sehr traurig, daß sie zu Ende sind. Falls das 
Gefürchtete eintreten sollte, kündigen wir, weil wir wissen, daß 
dann fortan hier der Teufel los sein wird. Wenn es soweit ist, 
gebe ich die mir anvertrauten Schlüssel den Gärtnersleuten ab, 
die sind treu und verschwiegen.
 
Alles Gute der gnädigen Frau und dem gnädigen Fräulein 
wünschend, bin und bleibe ich
 
Ihre traurige Alma 

 
Nachdem Alix diese Zeilen gelesen 
hatte, gab sie das Blatt an die Tante weiter, die es auch las 
und dann seufzend meinte: 
»Also nimmt das Unheil seinen Lauf. Gott möge dem 
Verblendeten gnädig sein.« 
Alex sagte nichts darauf, weil ihr die Tränen nahe waren. 
Um sich abzulenken, ging sie an den Apparat und rief 
Druschmann an, der sich gleich persönlich meldete: 

background image

»Gutsverwaltung Isen.« 
»Der gestrenge Herr Verwalter selbst?« 

»Wer will mich denn da auf den Arm nehmen?« 
»Die Sehnsucht nach dem schwer zu erringenden 
Goldfuchs hat.« 
»Ah, Dornröschen persönlich«, lachte der Mann in seinem 
dröhnenden Baß. »Bitte sehr, ich bin ganz Ohr.« 
»Spötter! Lohnt es, im Reitdreß nach Isen zu kommen, um 
sich vor Ihrem Herrn und Gebieter niedlich zu machen? 
Niedlichmachen verpönt – aber als gute Reiterin 
präsentieren? Was hat er gesagt – Sonntagsreiterin?! Nun, 
der Mann soll sich wundern!« 
Damit knallte sie den Hörer in die Gabel und sah 
verdrießlich zur Tante hin, die amüsiert lachte. 

»Ist das nun nett von dir, Gritchen? Ich hätte nie geglaubt, 
daß ein Pferdekauf mit solchen Schwierigkeiten verbunden 
sein könnte. Scheint ein ausgewachsenes Ekel zu sein, der 
Herr Baron von Isenhardt.« 
»Hast du etwa vor, ihm das ins Gesicht zu sagen?« fragte 
die Tante schmunzelnd, und die Nichte warf den 
flimmernden Kopf in den Nacken. 
»Wenn er mir gar zu arrogant kommt, dann kann es schon 
passieren. Lächerlich, so ein Theater zu machen! Wozu 
züchtet der Mann denn Rassepferde, wenn sie kein Geld 
einbringen sollen?« 
»Ei, Alix, nicht zu hochtrabend«, warnte Grit. »Du hast es 

hier nicht mit einem deiner Anbeter zu tun, die sich, ohne 
zu murren, von dir schlecht behandeln ließen. Zwar sah ich 
den Baron nur kurz, doch ich habe nicht von ihm den 
Eindruck, daß er sich von einem so jungen Ding wie dir 
über den Mund fahren ließe. Da wirst du dich ihm 
gegenüber wohl auf deine gute Kinderstube besinnen 
müssen – wenn du Wert auf den Trakehner legst.« 
»Grit, du bist manchmal abscheulich.« 
»Habe ich bei dir Trotzteufelchen auch nötig«, kam es 
ungerührt zurück. »Dein Reichtum hat dich nämlich sehr 
selbstherrlich gemacht. Daher möchte ich dir zu bedenken 

background image

geben, daß Geld nicht überall seine Macht hat. Und nun 
zieh keinen Flunsch, sondern gib der alten Tante recht, 

welche die Menschenkenntnis besitzt, die dir 
Grünschnäbelchen noch fehlt.« 
Da mußte Alix lachen – und Grit hatte wieder einmal über 
das eigenwillige Persönchen gesiegt. 
Am nächsten Vormittag fuhren die beiden Damen in dem 
schnittigen Zweisitzer nach Isen. Alix, die den Reitdreß 
trug, tat zwar lieb und brav, doch welche Gedanken hinter 
der zarten Stirn rebellierten, konnte Grit sich so ungefähr 
denken. Sie war wirklich gespannt, ob 
der ersehnte Pfedekauf zum Abschluß kommen würde. 
Als Alix auf den großen Gutshof fuhr, stand der Verwalter 
vor dem Stall, der die Rassepferde beherbergte. 

Schmunzelnd winkte er, und gleich darauf hielt das 
chromblitzende Gefährt mit einem kühnen Schwung. Das 
Mädchen sprang heraus und stand nun vor dem Mann, ihn 
lieblich anlachend. 
»Grüß Gott, Herr Verwalter! Wie stehen meine Chancen?« 
»Bis jetzt nicht besonders, mein gnädiges Fräulein«, drang 
von der Stalltür her eine sonore Stimme, die Alix 
herumfahren ließ. 
Es war kein guter Blick, der die rassige Männergestalt 
streifte – und erst ein lautes Räuspern Tante Grits ließ die 
heftigen Worte ungesprochen, die dem jungroten Mund 
entschlüpfen wollten. Statt diesen kam die Antwort 

scheinheilig: 
»Das tut mir aber leid, Herr Baron. Darf ich dann 
wenigstens meiner Sehnsucht Traum in Augenschein 
nehmen?« 
»Ein Pferd – der Sehnsucht Traum einer jungen Dame?« 
kam es sarkastisch zurück. »Ist das denn nicht der Mann – 
der Einzigeine?« 
»Sollte mir einfallen«, klang ein köstlich frisches Lachen 
auf. »Der steht für mich noch in den Sternen geschrieben. 
Ein Pferd scheint mir auf jeden Fall greifbarer zu sein.« 
In den blitzblauen Männeraugen zuckte ein Lachen auf – 

background image

und der Verwalter schmunzelte. Potztausend, das 
Marjellchen schien Haare auf den Perlzähnen zu haben! 

Aber recht so, sicherlich erreichte es bei diesem 
unbestechlichen 
Herrn damit mehr, als wenn es ihn becircte. 
Und tatsächlich rief die herrische Männerstimme zum Stall 
hin: 
»Gustav, ist der Goldfuchs gesattelt?« 
»Jawohl, Herr Baron.« 
»Dann führe ihn vor.« 
Gleich darauf stand das Pferd, ein wahres Prachtexemplar 
an Schönheit und Rasse, in all seinen Reizen da. In den 
wunderschönen Mädchenaugen leuchtete es auf. Eine zarte 
Mädchenhand griff nach dem Kopf des nervösen Tieres, 

schmeichelnd drückte eine blütenweiche Wange sich gegen 
die geblähten Nüstern. 
»Du bist schon ein Prachtkerl«, sprach eine zärtliche 
Stimme auf den mißtrauischen Goldfuchs ein. 
»Wollen wir es mal miteinander versuchen? Ich glaube, wir 
verlieben uns gegenseitig unsterblich. Da magst du wollen 
oder nicht.« 
Ein eleganter Schwung – und die grazile Gestalt saß im 
Sattel. Hochauf bäumte das überrumpelte Tier, schäumte 
ins Gebiß und gab sich alle Mühe, sich der leichten Last zu 
entledigen. Alle, die es sahen, hielten vor Spannung den 
Atem an. Gernot Isenhardt stand sprungbereit, um zu 

gegebener Zeit ein Unglück zu verhüten. 
Allein, seine Bereitschaft erwies sich als unnötig. Eisern 
schien die kleine Faust zu sein, die den störrischen Gaul 
allmählich meisterte. Langsam resignierte er und ging dann 
schließlich federnd leicht unter der zarten, doch 
energischen Hand. 
»Bravo!« klatschte Druschmann begeistert in die Hände, als 
die charmante 
Reiterin nach einigen Runden um den großen Hof vor der 
Stalltür hielt. »Olala, gnädiges Fräulein! Sie können reiten, 
das muß Ihnen der Neid lassen.« 

background image

»Also!« Sie sprang lachend ab und reichte dem nun 
friedlichen Tier ein Stückchen Zucker, das es behutsam mit 

den weichen Lefzen nahm. Dann wurde Goldlack 
schmeichelnd umhalst und zärtlich auf das samtweiche 
Maul geküßt. 
»Siehst du, mein Liebchen, wie prächtig wir beide uns 
bereits verstehen. Das muß selbst dein skeptisches 
Herrchen zugeben.« 
Ein mutwilliger Blick ging zu Isenhardt hin, der sich 
lächelnd verneigte. 
»Vor so spontaner Liebe bleibt mir nichts anderes übrig, als 
klein beizugeben, mein gnädiges Fräulein. Wenn man aber 
auch solch einen Nixenzauber ausstrahlt.« 
»Herr Baron, bitte sachlich bleiben.« Das feine Naschen 

hob sich hochmütig. »Bin ich nun würdig, um das Juwel zu 
erwerben?« 
Da huschte ein Schatten über das stolze Männerantlitz. Die 
blauen Augen sahen fast melancholisch dem Trakehner 
nach, den der Pferdepfleger jetzt in den Stall zurückführte. 
Und dann kam es kurz über die hartgeschnittenen Lippen: 
»Gnädiges Fräulein, ich verkaufe Ihnen das Pferd nur unter 
der Bedingung des Zurückkaufrechtes.« 
»Wie soll ich das verstehen?« fragte sie befremdet. 
»Daß ich Goldlack von Ihnen wieder erwerben kann, 
sofern Sie seiner nicht mehr benötigen.« 
»Und wann sollte das sein?« 

»Wenn Sie des Rosenhauses überdrüssig sind und in die 
Stadt zurückkehren.« 
»Ach so«, dehnte sie. »Jetzt bin ich im Bilde. Also 
abgemacht, Herr Baron. Falls ich des Rosenhauses und des 
Goldfuchses überdrüssig sein sollte, können Sie ihn von 
mir zurückerwerben. Gilt nun der Verkauf?« 
»Ja.« 
Da strahlte es in den Mädchenaugen auf. Wie 
Sonnenfunken flirrte es darin, die über glänzendblauen 
Atlas hüpfert. Der jungrote Mund lachte, daß die gesunden 
Zähne nur so blitzten. In dem Moment trat der 

background image

Pferdepfleger in die Stalltür und fragte zögernd: 
»Soll ich Goldlack den Sattel abnehmen, Herr Baron?« 

»Nein!« rief Alix, bevor der Gefragte noch antworten 
konnte. »Führen Sie ihn wieder vor – er gehört jetzt mir.« 
»Stimmt das, Herr Baron?« 
»Ja, Gustav.« 
Gleich darauf stand der Goldfuchs wieder vor dem Stall. 
Mit Besitzerstolz legte Alix ihren Arm um den Hals des 
Tieres und rief der Tante, die dem allem mit fast atemloser 
Spannung gefolgt war, mutwillig zu: 
»Kutschiere den Wagen nach Hause, 
Gritchen, ich eile dahin hoch zu Roß.« 
Damit schwang sie sich in den Sattel, 
machte vergnügt »Winke-winke« und 

ritt ab. 
»Da stehe ich nun wie eine Glucke und schaue resigniert 
dem Entenküken nach, das auf dem Teich entschwindet«, 
klagte Grit, und Druschmann zwinkerte ihr zu. 
»Nicht immer leicht, die Beschützerin dieser eigenwilligen 
jungen Dame zu 
sein, stimmt’s, gnädige Frau? Aber keine Angst, sie meistert 
den Goldlack schon. Wie lange reitet sie überhaupt?« 
»Ungefähr drei Jahre. Sie hat einen Reitlehrer gehabt, der 
dafür bekannt ist, sich nur mit Reiterinnen zu beschäftigen, 
bei denen es sich lohnt. Die andern lehnt er einfach ab.« 
»Na also«, schmunzelte Druschmann. »So können wir die 

kleine Amazone ruhig gewähren lassen.« 
Grit verabschiedete sich von ihm und wandte sich dann 
Isenhardt zu, ihm liebenswürdig die Hand 
entgegenstreckend, über die er sich artig neigte. 
»Besten Dank, Herr Baron. Sie haben mit dem Pferd meiner 
Nichte eine große Freude bereitet.« 
Dann fuhr sie ab, und der Verwalter sprach ihr 
anerkennend nach: 
»Eine fesche Dame, klug und energisch dazu. Ganz das, 
was die kapriziöse kleine Alix als Ehrendame braucht.« 
»Lebt denn die Mutter von Fräulein Grodes nicht mehr?« 

background image

fragte Isenhardt. 
»Nein, sie starb vor zwei Jahren. Das weiß ich von Brasch, 

der mit seiner jungen Herrin in Briefwechsel stand. Na ja – 
nun sind wir unseren Goldlack sozusagen Hals über Kopf 
losgeworden, Herr Baron. Mir tut es bestimmt leid, aber 
behalten konnten wir ihn auch nicht.« 
»Soll das etwa ein Trost sein, mein Getreuer?« fragte sein 
Herr lächelnd. »Dann bemühen Sie sich nicht. Ich bin viel 
zu vernünftig, um die Notwendigkeit, mich von dem Tier 
zu trennen, nicht einzusehen. Ich wollte es nur in gute 
Hände geben, was mir ja nun auch gelungen ist.« 
»Und wie steht es mit der Bezahlung, Herr Baron?« 
»Nun, die junge Dame wird zahlen, was dieses edle Tier 
wert ist.« 

»Ganz meine Meinung«, schmunzelte Druschmann. »Sie 
hat es ja, und wir können es gebrauchen.« 
Alix zahlte. Sogar mit Vermittlungsgebühr für 
Druschmann, dem sie ein Kistchen mit extragutem Wein 
überreichte. 
»Nehmen Sie nur«, zwinkerte sie ihm vergnügt zu, als er 
zögerte, »Sie haben es sich redlich verdient – und ich gebe 
aus meinem Überfluß. Das Zeug hat sich mit der Zeit hier 
so angesammelt, daß wir es allein bestimmt nicht schaffen 
können.« 
»Na, wenn es so ist, dann will ich mich erbarmen. Aber ich 
werde diesen Reichtum mit meinem Herrn teilen, 

einverstanden, gnädiges Fräulein?« 
»Wenn Sie ihm damit nicht auf seine hochnoble Zehe 
treten, dann bitte sehr«, schnitt das Mädchen eine 
Grimasse, und die Tante berief es, halb lachend, halb 
ärgerlich. 
»Alix, du hast einen verflixt losen Schnabel. Was sagen Sie 
bloß dazu, Herr Durschmann?« 
»Daß sie nicht so ganz Unrecht hat«, schmunzelte der 
Gefragte. »Man muß bei dem Herrn Baron tatsächlich sehr 
vorsichtig sein. Selbst ich weiß sogar manchmal nicht, 
woran ich bei ihm bin.« 

background image

»Na also«, entgegnete Alix lachend. »Für mich ist er 
jedenfalls ein Mensch, um den man im großen Bogen 

herumgehen sollte. Denn so was von Arroganz ist mir noch 
nicht vorgekommen.« 
»Da tun Sie ihm aber Unrecht, gnädiges Fräulein. Zwar ist 
er verschlossen und unzugänglich – aber er ist ein Mensch. 
Verstehen Sie, was ich damit meine?« 
»Ja. Doch Ihr Urteil ist befangen, weil Sie in Ihren Herrn 
vernarrt sind.« 
»Stimmt«, gab der Mann freimütig zu. »Ich habe aber auch 
alle Veranlassung dazu, es zu sein. 
Schauen Sie, meine Damen, ich bin jetzt bereits zwölf Jahre 
Verwalter auf Isen – und ich habe davon mehr als elf unter 
dem verstorbenen Baron gearbeitet. Er war nicht gerade ein 

schlechter Gebieter, aber an den jetzigen reichte er 
keineswegs heran. Der hat nämlich ein Herz für seine 
Untergebenen, was man bei dem andern vermißte. 
Na ja, reden wir nicht davon. Ich jedenfalls weiß, was ich 
an meinem Herrn habe. Der ist vornehm in jeder 
Beziehung.« 
»Amen«, schloß Alix pathetisch, und da mußte der Mann 
denn doch lachen. Man konnte dem Schelm einfach nicht 
böse sein, wie er so dastand mit blitzenden Augen und 
spitzbübischem Lächeln. 
»Nun zieh dein loses Zünglein ein«, riet die Tante amüsiert. 
»Sorg lieber für einen guten Tropfen, den wir uns auf der 

Terrasse einverleiben werden. Es ist nämlich 
unverantwortlich, bei diesem herrlichen Maiwetter im 
Zimmer zu sitzen.« 
Während Alix enteilte, legte Druschmann den Scheck, den 
er als Bezahlung des Pferdes von dem Mädchen zu treuen 
Händen überreicht bekommen 
hatte, sorgfältig in die Brieftasche. Dann folgte er Grit auf 
die Terrasse, wo man unter dem großen Schirm 
sonnengeschützt sitzen konnte. Auf den Beeten blühten die 
ersten Frühlingsrosen, auch über das Terrassengeländer 
rankten sich schon einige. Ein Rosenmuster zeigte auch die 

background image

Decke auf dem Tisch, selbst die Gläser, die Alix brachte, 
waren mit eingeschliffenen Rosenranken verziert. 

»Man kommt sich hier wirklich wie bei Dornröschen vor«, 
schmunzelte Druschmann. »Da kann man wirklich singen: 
Tausend rote Rosen blüh’n, in dem Land der Liebe. Ist das 
so, gnädiges Fräulein?« 
»O ja. Hier liebt sich alles, von dem kleinsten Küken 
angefangen bis zu meiner charmanten Tante. Wir sind ein 
liebend Volk von Rosenduft umnebelt. Und damit Prost, 
Herr Verwalter!« 
»Prosit, Dornröschen!« 
»O wie schön. Da habe ich ja Aussicht auf einen 
Märchenprinzen. Denn das Märchenschloß besitze ich 
bereits.« 

»Das ist fast so, als ob du schon einen Knopf zum 
kommenden Mantel hättest«, meinte Grit trocken. 
In dem vergnügten Tön ging die Unterhaltung weiter. Der 
Gast konnte sich kaum trennen von den beiden fröhlichen 
Menschen und ritt erst ab, als die Sonne sich dem Horizont 
näherte. Vorher hatte er sich davon überzeugt, daß 
Goldlack in dem Stall vorzüglich untergebracht war. Er 
stand zufrieden in seiner Box und hatte mit dem dicken 
Braunen bereits Freundschaft geschlossen. 
Vergnügt vor sich hinpfeifend, ritt Otto Druschmann durch 
den knospenden Maiabend. Er fühlte sich so wohl in 
seiner Haut, wie es nur ein Mensch tun kann, der mit 

seinem Leben restlos zufrieden ist. 
Als er auf den Gutshof ritt, kam sein Herr ihm vom Stall 
entgegen, wo er gerade sein Pferd abgeliefert hatte. Der 
Verwalter saß ab und grüßte lustig: 
»Guten Abend, Herr Baron! Ich komme aus dem 
Rosenhaus und bin nicht nur von dem Duft der Rosen, 
sondern auch von dem des Weins zart umnebelt. Und da 
oben, in dem Kistchen, liegt meine Vermittlungsprovision.« 
Lachend hob er die kleine Kiste, die er vorn am Sattel 
befestigt hatte, ab und übergab das Pferd dem 
herbeieilenden Stallburschen. Als der abgezogen war, 

background image

machte Druschmann ein pfiffiges Gesicht. 
»Wie ist es, Herr Baron, wollen wir uns den Inhalt nicht 

teilen? Ich wette, daß Alix für Nachschub sorgt, wenn wir 
diesen Wein verposementuckelt haben. Sie liebt mich 
nämlich.« 
»Ich glaube, Sie haben im Rosenhaus so ein wenig über 
den Durst getrunken, mein Getreuer«, lachte sein Herr 
amüsiert. »Sonst würden Sie so eine kühne Behauptung 
sicherlich nicht aufstellen. Nun ziehen Sie ab mit Ihrem 
Reichtum, und gegen eine kleine Schmeckprobe habe ich 
nichts einzuwenden. Kommen Sie nach dem Abendessen 
zu mir.« 
Eine Stunde später ging der Verwalter zum Schloß, das 
einen imposanten Eindruck machte. Unnahbar stand es da 

in seiner schneeigen Weiße, durch Anlagen von dem 
großen Gutshof getrennt. Die wehende Fahne auf dem 
Mittelturm schien dem Mann lustig zuzuwinken, als ob sie 
wüßte, daß in seinem Herzen eingeprägt war, was auf dem 
Wappen stand: Isenhardt und treu. Denn ein Getreuer war 
Otto Druschmann, das hatten schon zwei Träger dieses 
Geschlechts erproben können. 
An der Portaltür, in deren dickem, geschliffenem Glas sich 
die untergehende Sonne spiegelte, drückte der 
Einlaßbegehrende auf den Knopf und wurde von dem 
Diener in Empfang genommen. In der großen Halle, die 
ihr Licht teils durch das Glasdach, teils durch die 

spitzbogigen, buntverglasten Fenster erhielt, war es bereits 
dämmrig. Wie Schemen wirkten die reichgeschnitzten 
Truhen, die wuchtigen Sessel mit dem Gobelinüberzug, 
den Geweihen, Bildern und Borden, auf denen manch 
Altertümliches und Kostbares stand. Laut hallten die 
Schritte auf dem Mosaikboden wider, wurden gedämpft, 
wenn der Fuß über die dicken Teppiche glitt. 
An eine der breiten Flügeltüren klopfte der Diener, meldete 
den Verwalter, der nun einen hohen, weiten Raum betrat, 
der so feudal wirkte, wie es nur alte Tradition zuwege 
bringen kann. Die breite Glastür, die zu einer kleinen 

background image

Terrasse führte, war weit geöffnet. 
Der Besitzer all der Herrlichkeit ringsum erhob sich von 

dem mächtigen Schreibtisch, der inmitten des Zimmers 
stand, und trat dem Verwalter entgegen. 
»Da sind Sie ja, mein Getreuer. Was halten Sie denn da so 
krampfhaft unterm Arm geklemmt?« 
»Die Kostprobe, Herr Baron!« Er stellte zwei Flaschen auf 
den Tisch, und sein Herr schmunzelte. 
»Na, Sie haben’s ja gut vor, bedenken Sie, daß der Wein aus 
der Privatschatulle 
der Grodes kommt, also wird er es wahrscheinlich in sich 
haben.« 
Wenig später funkelte dann der herrliche Burgunder in den 
geschliffenen Gläsern. Druschmann atmete genießerisch 

den Duft ein und schnalzte mit der Zunge. 
»Nun, duftet er etwa nach Rosen?« fragte sein Herr lachend. 
»Beinahe. Prosit, Herr Baron! Er setzt ihn an, er trank ihn 
aus. 
Nein, so ganz geht es doch nicht«, stellte er nach einem 
langen Zug das Glas auf den Tisch. »Das Zeug geht ja wie 
Feuer durch die Adern. Da hat Alix wirklich in ihre 
Privatschatulle gegriffen. Mag sich dabei schön ins 
Fäustchen gelacht haben, der entzückende kleine Racker.« 
Er horchte auf. Denn weiter hinten aus dem Park kam 
Gesang – wenn man das überhaupt noch damit bezeichnen 
konnte. Im Witwenhaus ging es wieder einmal hoch her. 

Dort befand die Bewohnerin sich in Gesellschaft 
gleichgesinnter Seelen, die sie jedesmal nach Erhalt des 
Monatswechsels einzuladen pflegte. Und vorgestern war 
der erste Mai gewesen, da mußte also das Geld möglichst 
schnell vergeudet werden. 
»Hab’ ich nur deine Liebe, die Treue brauch’ ich nicht«, 
grölte es durch den stillen Abend. Da stand Isenhardt auf, 
schloß die Tür, ließ die Jalousien herunter und machte 
Licht. Dann nahm er wieder Platz und trank dem Verwalter 
zu. 
»Herzlichen Dank für diesen guten Tropfen, mein Getreuer. 

background image

Es ist leichtsinnig, mir davon abzugeben. Denn so eine 
Extramarke erwischen Sie sobald nicht 

wieder, da Sie einen zweiten Pferdekauf bei Fräulein 
Grodes wohl kaum vermitteln werden. Wie haben Sie 
übrigens Goldlack vorgefunden?« 
»In bester Verfassung, Herr Baron. Er ist in dem Stall 
vorzüglich untergebracht, und an guter Behandlung und 
Pflege mangelt es ihm wahrlich nicht. Der gute Brasch ist 
über den Zuwachs begeistert.« 
»Nun, dann bin ich über Goldlacks Geschick beruhigt.« 
Damit wechselte Isenhardt das Gespräch, das sich 
hauptsächlich um die Landwirtschaft drehte. Dabei tranken 
sie den schweren Wein, von dem sie jedoch nur eine 
Flasche schafften. 

Trotzdem war Druschmann quietschvergnügt, als er dem 
schmucken Haus zuging, von dem er sagen konnte: Mein 
Heim ist meine Welt. Als er das Wohnzimmer betrat, traute 
er seinen Augen kaum… 
Da saß nämlich seine Eheliebste, stopfte seine Socken – 
und vor ihr stand ein Glas, in dem es rubinrot funkelte. 
Ihren geröteten Wangen und den glänzenden Augen nach 
zu schließen, mußte dieses Glas nicht das erste sein, das 
getrunken wurde. 
»Ja, sag mal, mein ehelich Weib, seit wann bist du unter die 
heimlichen Säufer gegangen«, zwinkerte er ihr zu. »Bisher 
war der Wein für dich doch nur Sündenwasser.« 

»Aber dieser nicht«, bekannte sie vergnügt. »Der flutscht 
wie Öl durch die Kehle und umnebelt so süß den Kopf. 
Glaubst du etwa, wenn du mit dem Herrn Baron trinkst, 
dann werde ich hier trocken sitzen? Gleiches Recht für alle, 
mein lieber Mann! Gieß dir auch ein Glas ein und halte 
mit. Wir können ruhig ein bißchen feiern, weil morgen ja 
Sonntag ist, und wir nicht so früh aus den Federn müssen.« 
»Hm – aber grauwollene Socken und blumiger Burgunder, 
wie verträgt sich das denn, Muttchen«, schmunzelte er. 
»Dazu mußt du poesievolle Gedichte lesen.« 
»Na, ist das hier wohl keine Poesie?« hielt sie ihm lachend 

background image

den Strumpf entgegen, durch dessen Loch beinahe der 
Stopfpilz rutschen konnte. Beim Stiefeltragen war das mal 

nicht anders. Das wußte die Frau und stopfte daher die 
Löcher mit Ausdauer und Geduld, schon einundzwanzig 
Jahre, seitdem sie verheiratet war. 
»Weißt du, wenn ich so die Fäden hin- und herziehe, dabei 
läßt es sich wunderbar träumen. Wenn auch nicht gerade 
von Lenz und Liebe, so doch davon, wie gut es doch das 
Schicksal mit uns meint. Nicht mehr Arbeit, als wir 
schaffen können, ein gutes Auskommen, Gesundheit, einen 
guten Jungen, der, so Gott will, mal dein Nachfolger hier 
werden wird – und eine glückliche Ehe«, schloß sie leise, 
und der Gatte sah sie gerührt an. 
»Mit dir eine solche zu führen, ist ja auch weiter kein 

Kunststück, du liebes Fraule. Und jetzt werde ich mir ein 
Glas von dem Feuerwasser einschenken, damit ich mit dir 
anstoßen kann.« 
Hell klangen die Gläser zusammen. Dabei sahen die Gatten 
sich in die Augen und verstanden sich wie stets, ohne 
darüber viele Worte zu machen. 
»Na ja«, meinte der Mann. »Uns geht es auch wirklich 
beneidenswert gut. 
Hauptsächlich unter unserm jetzigen Herrn. Ist das ein 
Prachtkerl, immer wieder muß ich das feststellen. Ein 
Jammer, daß er das Kreuz mit der Modeste hat. Die feiert 
heute wieder mal.« 

»Ich weiß«, nickte die Frau bekümmert. »Das Mädchen Else 
war hier, um Butter auszuleihen. Sie will den Dienst 
kündigen, weil sie die viele Arbeit nicht schaffen kann, 
zumal das Kindermädchen weggelaufen ist und Else nun 
auch noch das Kind betreuen muß. Kein leichtes Amt, da 
die Kleine wohl ein reizendes Dirnlein aber sehr verzogen 
ist.« 
»Kein Wunder, da die Mutter ihr allen Willen tut, um nur 
ihre Ruhe zu haben. Und wiederum straft sie das Kind für 
nichts, immer gerade so, wie ihr die Laune steht. 
Hoffentlich findet sie bald einen Mann, damit sie unsern 

background image

Herrn nicht andauernd belästigt.« 
»Oder er bleibt an ihr hängen.« 

»Da sei Gott vor, Frauchen! Nun, zerbrechen wir uns nicht 
den Kopf, es kommt ja doch alles so, wie das Schicksal es 
will. Bitten wir den Herrgott, damit er für unsern Gernot 
alles zum Besten lenkt.« 
Hell und klar stieg der Maimorgen herauf. Er weckte mit 
seinen goldenen Strahlen die holde Schläferin im 
Rosenhaus. Die leuchtendblauen Augen öffneten sich, 
blinzelten ins Sonnenlicht, ein herzhaftes Gähnen, ein 
Strecken der schlanken Glieder – und Alix Grodes ward der 
Wirklichkeit wiedergegeben. Mit einem Satz sprang sie aus 
dem weichen Pfühl, trat an das geöffnete Fenster 
und dehnte die Arme weit, als wollte sie alles um sich her 

freudig umfassen. 
»Heute macht die Welt Sonntag für mich«, sang sie 
verhalten vor sich hin, um die nebenan noch 
festschlafende Tante nicht zu wecken – denn sechs Uhr war 
für die Stadtdame als Aufstehzeit noch zu früh. Man durfte 
ihr auch nicht zuviel zumuten. Alix war ja schon so froh, 
daß die Städterin das Landleben überhaupt ertrug. 
Herzliebes Gritchen – dachte sie zärtlich. Wie glücklich bin 
ich doch, dich zu haben. Du bist mir Mutter und Freundin 
zugleich, dafür sei dem Herrgott Dank. 
Leise ging Alix dann ins Badezimmer, duschte, zog danach 
den Reitdreß an, einen flauschigen Pullover darüber, 

schlich vorsichtig aus dem Haus und begrüßte den 
Hausgeist fröhlich, der aus dem Stall trat. 
»Guten Morgen, Vater Brasch! Was macht Goldlack?« 
»Hat soeben sein Frühstück intus, gnädiges Fräulein. 
Gestriegelt ist er auch, also steht einem Morgenritt nichts 
im Wege.« 
»Wunderbar! Eine Wonne soll das werden, bei diesem 
herrlichen Maisonntag.« 
Wenig später ritt Alix ab, das Herz zum Bersten voll vor 
Frühlingsseligkeit. Munter trabte das Pferd dahin, durch 
sprossende Fluren, an saftigen Wiesen vorbei, das 

background image

geschwätzige Bächlein entlang, auf dessen Erlenbäumen 
sich die Blätter entfalteten. Wie ein hauchdünner Schleier 

wirkte der Nebel, der sich sacht zur Erde senkte. Also gab es 
heute nicht nur einen sonnigen Morgen, es würde auch 
einen sonnigen Tag geben. 
Frohgemut ritt Alix dahin, ein Frühlingslied vor sich 
hinsummend. Wie im Takt trabte der prächtige Goldfuchs, 
munter dazu schnaubend. Da seine Meisterin die Zügel 
locker ließ, suchte er seinen Weg allein, bis die Reiterin 
dann lachend Einhalt gebot. 
»Nein, du, dahin wollen wir nun wirklich nicht. Hinter 
dieser Mauer liegt Isen, wo du nichts mehr zu suchen hast 
– und ich erst recht nicht. Rechts ab, mein Lieber, an dieser 
vornehmen Abgeschiedenheit vorbei.« 

Ein leichter Schenkeldruck, und Goldlack trabte gehorsam 
den Weg an der Parkmauer entlang, die oben mit zwei 
Reihen Stacheldraht versehen war. Also eine 
Unmöglichkeit, darüber hinwegzusetzen. Was sich hinter 
dieser stacheligen Angelegenheit zeigte, waren die Wipfel 
der alten Bäume – alles andere blieb dem Auge des 
Unbefugten verdeckt. Selbst der Reiterin, so hoch war die 
Mauer. 
Isen mit seinem prächtigen Schloß war schon von jeher ein 
Anziehungspunkt für die junge Alix Grodes gewesen. Doch 
nie war es ihr vergönnt, die Stätte ihrer Sehnsucht anders 
als von außen in Augenschein zu nehmen. Denn Tante 

Riekchen pflegte keinerlei Verkehr und den mit den 
Bewohnern von Isen schon gar nicht. Im Gegenteil, sie 
stand mit dem buckligen Besitzer in ewigem Streit. 
In des Mädchens Gedanken hinein wieherte unweit ein 
Pferd, dem Goldlack freudig Antwort gab. Er preschte ab 
und hielt bald darauf vor einem Rappen, der als Reiter den 
Herrn aller Reußen hier trug. Daneben lief Harras, der 
prächtige Spaniel, auf den nun der nicht 
minder prächtige Neufundländer Barry, der Alix stets auf 
ihren Ritten begleitete, zuging und ihn mißtrauisch unter 
die Nase nahm. Zuerst ein Knurren auf beiden Seiten – 

background image

dann wurden die buschigen Schwänze in Bewegung gesetzt. 
»Guten Morgen, gnädiges Fräulein«, grüßte der Reiter 

lachend. »Hoffentlich vertragen wir beide uns auch so gut 
wie unsere Hunde. So früh schon unterwegs?« 
»Ja, und zwar auf verbotenem Wege.« 
»Nun, wenn die verbotenen Wege bei jungen Damen alle 
so harmlos sind, lassen sie sich schon verzeihen.« 
»Sie scheinen ja von der Weiblichkeit eine schöne 
Auffassung zu haben, Herr Baron«, versetzte Alix 
schulterzuckend. »Aber immer, wie jedem schön ist.« 
»Ganz meine Meinung. Wie sind Sie mit Goldlack 
zufrieden, gnädiges Fräulein?« 
Bei der Frage leuchtete es in den Mädchenaugen auf, und 
was der blutrote Mund sprach, kam von Herzen: 

»Zufrieden ist gar kein Ausdruck, Herr Baron. Glücklich bin 
ich über den prächtigen Kerl! Er ist genau das Pferd, das ich 
mir immer wünschte. Nicht wahr, mein Süßer, wir haben 
uns lieb?« 
Als ob das Tier die Frage verstanden hätte, schnaufte es 
lustig, und Isenhardt lachte. 
»Von der beiderseitigen Liebe bin ich restlos überzeugt.« 
»Also. Tut es Ihnen immer noch leid, das Tier einer 
Sonntagsreiterin ausgeliefert zu haben?« 
»Gnädiges Fräulein, ich bin beschämt.« 
»Dazu haben Sie auch alle Veranlassung«, lachte sie hellauf 
über seine gemacht zerknirschte Miene. Dann jedoch 

horchte sie auf. Denn jenseits der Mauer schienen zwei 
Weiblichkeiten in Meinungsverschiedenheit geraten zu 
sein, und dazwischen weinte ein Kind. Ein klatschender 
Laut, als würde jemand geohrfeigt, und dann ein empörter 
Aufschrei: 
»Das lasse ich mir nicht gefallen, Sie -Sie 
Menschenschinderin! Ich gehe – und zwar sofort!« 
Laufende Schritte wurden hörbar, eine Tür krachte zu – 
und dann Stille. 
»Großer Gott, was war denn das?« fragte Alix erschrocken, 
und den Männermund umzuckte ein verächtliches Lächeln. 

background image

»Nichts Beunruhigendes, gnädiges Fräulein«, gab der Mann 
gelassen Antwort. »So was gehört zur Tagesordnung in dem 

kleinen Haus am Ende des Parkes. Sie ist nämlich sehr 
temperamentvoll, die Baronin Modeste. Wenn sie nicht 
gerade mit Gegenständen um sich wirft, ohrfeigt sie ihre 
Angestellten oder schlägt ihr Kind.« 
»Und was tut die Dame in der Zwischenzeit?« 
»Dann ist sie eine lustige Witwe.« So trocken kam es 
heraus, daß Alix lachen mußte. 
»Kurz aber erschöpfend erklärt. Doch nun muß ich eilen, 
damit ich zum Frühstück zur Zeit komme. Welches ist der 
kürzeste Weg zum Rosenhaus, Herr Baron?« 
»Das läßt sich von hier aus schlecht erklären, gnädiges 
Fräulein. Ich will Ihnen gern das Geleit geben, bis Sie sich 

von selbst zurechtfinden können.« 
»Besten Dank, ich will Sie nicht bemühen.« 
»Bemühen?« blitzte ein Lachen in seinen Augen auf. 
»Vielleicht ist es mir ein Vergnügen.« 
»Dann allerdings«, gab sie mutwillig zurück. »Dann will ich 
Ihnen Ihr Vergnügen gnädigst lassen.« 
Sie ritten die Mauer zu Ende, und dann tat sich eine weite 
Wiese auf, der sich im Halbrund der Wald anschloß. 
Zwischendurch schlängelte sich das Bächlein, und links 
blinkte ein See auf. 
»Oh, hier bin ich ja noch gar nicht gewesen.« Alix zeigte 
lebhaft in die Runde. »Wunderschön ist das hier, und Sie 

sind ein glücklicher Mann, Herr Baron, das alles Ihr eigen 
nennen zu dürfen.« 
»Das bin ich.« Es leuchtete in seinen Augen auf. »Und jetzt 
wollen wir uns etwas erlauben, was sonst streng verboten 
ist, nämlich: den schmalen Weg entlang durch die Wiese 
reiten. Damit schneiden wir eine gute Ecke ab. Darf ich die 
Führung übernehmen?« 
»Bitte sehr.« 
Hintereinander ritten sie nun den Wiesenpfad entlang, bis 
das Bächlein Einhalt gebot. Gernot wandte sich zu Alix um 
und sah sie forschend an. 

background image

»Können Sie den Sprung wagen, gnädiges Fräulein?« 
»Warum denn nicht?« war die verwunderte Gegenfrage. Ein 

leichter Schenkeldruck, ein aufmunterndes Wort – und 
schon setzte der Goldfuchs mit elegantem Satz über das 
Hindernis. Der Rappe folgte, und dann lachte Alix den 
Mann vergnügt an. 
»Hat er das nicht fein gemacht, mein Goldfuchs? Ich habe 
gar nicht gewußt, welch ein eleganter Springer er ist.« 
»Aber ich wußte es«, entgegnete der Reiter lächelnd. »Sonst 
hätte ich diesen Sprung verhindert, indem ich erst gar nicht 
diesen Weg mit Ihnen geritten wäre. Und nun wollen wir 
weiter.« 
Der Pfad stieg jetzt allmählich an, bis der Wald erreicht 
war. Bevor sie einritten, warf Alix einen Blick zurück, und 

ihre Augen strahlten. 
»Herrlich ist das hier, man könnte fast zum Dichter 
werden. Aber leider ist meine poetische Ader verstopft. Und 
so will ich denn mit Wieland sprechen: 
Nicht im Getümmel, nein, im 
Schöße der Natur, 
am Silberbach, im unbelauschten 
Schatten, 
besuchet uns die holde Freude nur 
und überrascht uns oft auf einer 
Spur, 
wo wir sie nicht vermutet hatten. Ist das nicht schön gesagt, 

Herr Baron?« 
»Gewiß, gnädiges Fräulein«, schmunzelte er. »Jedenfalls so, 
daß ich Stoppelhopser mit meinem nüchternen Gemüt 
diese poetischen Worte zu erfassen vermag.« 
»Na, Stoppelhopser«, dehnte sie, dabei mit raschem Blick 
seine elegante, rassige Gestalt umfassend. »Den stelle ich 
mir ja nun anders vor. Aber jeder muß wohl seinen Wert 
kennen«, setzte sie mutwillig hinzu – und da lachte der 
Mann so warm und herzlich, daß sie ihn ganz erstaunt 
ansah. 
Komisch, so ein Lachen hätte sie dem arroganten Spötter 

background image

bestimmt nicht zugetraut. Da soll sich einer in den 
Männern auskennen! 

Sie ritten nun in den Wald ein, blieben eine kurze Strecke 
auf der glatten Straße, und dann lenkte Gernot sein Pferd 
in eine Schneise. Der weiche Boden dämpfte den Hufschlag 
der Tiere, die lustig schnaubten, das Sattelzeug knirschte. In 
der Nähe hämmerte ein Specht, Wildtauben gurrten 
zärtlich, in der Ferne bellte ein Hund, was Harras und Barry 
knurrend zur Kenntnis nahmen. Sie brachen jedoch nicht 
aus, wie sie gern gemocht, sondern hielten sich brav an 
Frauchens und Herrchens Seite. 
»Wie artig die Hunde sind«, sagte Alix bewundernd. »Ich 
hatte bis vor kurzem einen kleinen Schnauzer, der leider an 
Altersschwäche starb. Doch der war sehr ungezogen.« 

»Dafür war er ja auch weder ein Jagdhund noch ein 
Wachhund, sondern das eigenwillige Schoßhündchen einer 
nicht weniger eigenwilligen jungen Dame.« 
»Pfui, Herr Baron!« blitzte sie ihn entrüstet an, und er 
lachte. 
»Daß der Mensch doch nicht die Wahrheit vertragen kann.« 
»Na, das können Sie bestimmt nicht«, schnitt sie eine 
Grimasse. »Möchte mal sehen, wenn ich Ihnen sagen 
würde…« 
»Bitte, genieren Sie sich nicht«, ermunterte er, als sie mitten 
im Satz schwieg, doch sie winkte hochmütig ab. 
»Lassen wir das, Kommentar überflüssig.« 

Doch dann weiteten sich ihre Augen vor Entzücken. Vor 
ihnen lag ein grünendes Tal, und weiter hinten leuchtete 
ein rotes Ziegeldach. Heller Rauch kräuselte aus dem 
Schornstein zum klarblauen Himmel empor. 
»Das Rosenhaus grüßt sein Dornröschen«, sprach da eine 
sonore Stimme neben ihr, und da mußte sie trotz ihrer 
Verstimmung lachen. 
»Diese Benennung haben Sie doch sicherlich von Herrn 
Druschmann aufgeschnappt.« 
»Stimmt. Und ich finde sie so bezeichnend, daß ich sie mir 
zu eigen gemacht habe. Oder darf ich das nicht?« 

background image

»Nein.« 
»Auch nicht denken?« 

»Das kann ich Ihnen nicht verbieten.« 
»Böse?« 
»Sehr.« 
»Schade.« 
Sie sah ihn an und bemerkte nun auch das Vibrieren der 
Nasenflügel und das Zucken in den Mundwinkeln. In den 
Augen blitzte ein Lachen. 
»Hoffnungsloser Fall«, meinte sie achselzuckend. »Und nun 
finde ich meinen Weg allein. Haben Sie Dank für Ihre 
Begleitung, Herr Baron.« 
»Ist der Dank ehrlich?« 
»Nein, höflich.« 

Ein Blick zu ihm hin, in dem tausend Teufelchen lachten, 
dann senkte sie die Gerte und ritt in schlankem Trab 
davon. 
Als Alix die Terrasse betrat, fand sie die Tante bereits beim 
Frühstück vor. Lachend und strahlend, wie dieser 
Maimorgen selber, stand das Mädchen da, und Grit 
betrachtete es eingehend. 
»Na, dir scheint ja ganz was besonders Erfreuliches auf 
deinem Morgenritt begegnet zu sein. Nimm Platz und 
beichte.« 
»Mit hungrigem Magen ist das zuviel verlangt, Tantchen. 
Außerdem gibt es nichts zu beichten – höchstens, daß ich 

in den sonnigen Knaben Mai verliebt bin. 
Guten Morgen, Muttchen Brasch!« grüßte sie dann fröhlich 
die Wirtschafterin, die frischen Kaffee brachte. »Da will ich 
mich mal gleich laben.« 
»Das tun Sie nur, gnädiges Fräulein. Der Kaffee ist heute 
ganz besonders gut. Ja – und was ich noch sagen wollte.« 
Sie strich verlegen die blütenweiße Schürze glatt. »Die 
Damen meinten doch, daß ich jetzt in der Wirtschaft ohne 
Hilfe nicht auskommen kann. Ich bin ja zwar anderer 
Ansicht – aber wenn es durchaus sein soll…« 
»Sind Sie nicht abgeneigt«, half Grit freundlich aus. »Es will 

background image

mir fast scheinen, als hätten Sie diese Hilfe bereits 
gefunden.« 

»Stimmt«, nickte Mariechen strahlend. »Und zwar die Else, 
die bisher bei der Meduse…« 
»Modeste«, unterbrach Alix sie lachend. 
»Na, meinetwegen, verrückt ist alles. Auch Megäre…« 
»Dieser Name ist bestimmt der richtige«, warf Alix wieder 
übermütig ein, und da wurde die Tante energisch. 
»Sei still, du Strolch, du bringst Muttchen Brasch ja ganz 
aus dem Konzept. Was ist nun mit dieser dreifach 
benamsten Dame?« 
»Sie hat Else so geschlagen, daß Blut aus der Nase kam, die 
dann dick anschwoll«, platzte Muttchen empört heraus, 
und diesmal war es Grit, die sie lachend unterbrach. 

»Also, stimmt Megäre.« 
»Hab ich doch gesagt«, triumphierte Mariechen. »Zwar 
weiß ich nicht, was das ist, aber mein Alter sagt immer 
auch so was, und der ist gebildet.« 
»Also – wir bleiben bei Megäre – die hat Else, welche, wie 
ich vermute, in ihren Diensten stand, geschlagen, und nun 
will das Mädchen Knall und Fall den Dienst verlassen. 
Dazu hat sie auch ein volles Recht.« 
»Das sagt mein August auch. Geschlagen darf keiner im 
Dienst werden. Schon gar nicht so doll, daß die Nase 
anschwillt. Und da setzte die Else sich aufs Rad und kam zu 
mir, weil sie doch mein Schwesterkind ist und keine Eltern 

mehr hat. Da bin ich als Tante ihre einzige Zuflucht. Daß 
Gott erbarm, hat das Kind geweint, das Herz im Leib 
konnte sich einem umdrehen. Es weiß ja jetzt auch gar 
nicht, wohin es soll – na ja – und da dachte ich mir – weil 
wir doch hier jemand zur Hilfe brauchen – und weil unsere 
Damen so Seelen von Menschen sind…« 
»Ist schon gut, Muttchen Brasch«, sprach Grit in ihr 
Gestammel hinein. »Wenn Sie für das Mädchen gut sagen, 
wird es schon was wert sein. Ist es im Hause?« 
»Ja.« 
»Dann rufen Sie es bitte hierher.« Das ließ Mariechen sich 

background image

nicht zweimal sagen. Hurtig entschwand sie und kam 
gleich darauf in Elses Begleitung zurück. Die Nase war 

tatsächlich dick angeschwollen, auch das eine Auge hatte 
was 
abgekriegt. Verschüchtert stand das Mädchen da, und Grit 
sagte freundlich: 
»Setzen Sie sich, Else. Und dann erzählen Sie, was sich 
heute auf Ihrer Dienststelle zugetragen hat.« 
Sie tat es unter Schluchzen. Und daß sie die Wahrheit 
sprach, konnte Alix bezeugen, die ja hinter der Parkmauer 
die Ohrfeigen gehört hatte. Also stimmte es wohl auch, 
daß, als das Mädchen ins Haus gelaufen war, die Megäre 
sich an ihm noch weiter vergriff. 
»Ist doch ein Skandal«, sagte Grit empört. »Wo gibt es denn 

so was, daß man seine Wut an Angestellten auslassen darf! 
Wie lange waren Sie denn in dem merkwürdigen Haus, 
Else?« 
»Vier Monate, gnädige Frau. Und das ist lange, andere 
liefen viel eher weg. Aber ich bin ein Waisenkind…« 
Sie weinte wieder, und da sprach Grit beschwichtigend auf 
sie ein: 
»Nun weinen Sie nicht mehr, Else. Sie können hierbleiben 
und Ihrer Tante in der Wirtschaft helfen. Wollen Sie das?« 
Oh, wie strahlte das Mädchen vor Freude. 
»Und ob ich will, gnädige Frau! Ich werde arbeiten fast Tag 
und Nacht, daran bin ich ja schon gewöhnt. Nicht genug, 

daß ich die ganze Wirtschaft allein besorgte, mußte ich 
auch noch die Gnädige bedienen und das Kind warten. 
Denn die Kindermädchen liefen ständig fort, weil die 
Gnädige sie immer gleich ohrfeigte, wenn ihr was nicht 
paßte. Eine gab ihr mal einen Schlag zurück, aber das 
wagten die andern nicht – und ich auch nicht. 
Und zu der vielen Arbeit, der schlechten Behandlung, auch 
noch miserables 
Essen. Wenn nichts da war, mußte ich zur Frau Verwalter 
gehen und Lebensmittel borgen – es war fürchterlich!« 
Jetzt weinte Else wieder und mit ihr die Tante. 

background image

»So ein armes Kind, daß Gott erbarm! Aber laß man, 
Eischen, jetzt sollst du es dafür auch ganz besonders gut 

haben. Unsere beiden Damen sind die reinen Engel…« 
»Zum mindesten lassen sie an den Angestellten nicht ihre 
Wut aus«, unterbrach Grit sie trocken. »Also, Else, Sie 
können gleich hierbleiben, wenn Sie wollen. Wie steht es 
mit Ihren Sachen?« 
»Ich habe Angst, sie zu holen«, bekannte sie kläglich, und 
da wurde Mariechen kriegerisch. 
»Na, da soll die Meduse sich hüten, dich noch einmal 
anzurühren! Onkel August geht mit dir und nimmt den 
Barry mit. Der ist nämlich auf den Mann dressiert.« 
Verdutzt sah sie Grit und Alix an, die in ihre geharnischte 
Rede hineinlachten. 

»Na, wenn Sie so scharfe Geschütze auffahren, Muttchen 
Brasch, dann wird Ihre Meduse sich wirklich hüten, zum 
Angriff überzugehen«, sagte erstere. »Nun ziehen Sie mit 
Ihrer Nichte ab.« 
Ehe sie es verhindern konnte, griff Mariechen nach ihrer 
Hand und küßte sie. Dann ging sie mit Else hinaus, und 
Grit blies die Backen auf. 
»Puh, so was ist anstrengend. Hauptsächlich, Dank in so 
einer Form anzunehmen. Die Baronin scheint ja eine recht 
lockere Hand zu haben – das heißt, wenn alles stimmt, was 
Else erzählte.« 
»Doch, das stimmt, Tante Grit. Zufällig war ich Zeuge, als 

sie das Mädchen 
ohrfeigte. Allerdings hörte ich’s nur hinter der 
abgrenzenden Mauer des Parkes von Isen. 
Gritchen, ein geistreiches Gesicht machst du gerade nicht«, 
wollte der Schelm sich über die verblüffte Tante halbtot 
lachen, bis diese Einhalt gebot. 
»Lach nicht so übermütig, du Schlingel, sondern erstatte 
ausführlichen Bericht darüber, wie du an die Mauer geraten 
konntest. Du wolltest doch nicht etwa dem Herrn Baron 
einen Morgenbesuch machen?« 
»O nein, so vermessen bin ich nicht«, kam die Antwort 

background image

mutwillig. »Daß ich in die vornehme Abgeschiedenheit 
geriet, daran ist Goldlack schuld, dem ich beim Ritt freien 

Lauf ließ. Wenn es nach ihm gegangen, wäre ich in Isen 
eingeritten, wonach mir nun gar nicht der Sinn stand. Also 
lenkte ich mein Roß an der Parkmauer entlang – und 
begegnete so dem Herrn aller Reußen. Na ja, da der Zufall 
im Leben nun mal eine Rolle spielt, wurden wir beide 
Zeuge von dem, was sich hinter der Mauer abspielte, 
nämlich: daß die Frau Baronin wie ein ordinäres Weib 
keifte und dann blindwütig ihre Angestellte ohrfeigte.« 
»Interessant. Und was sagte der Herr Baron dazu?« 
»Daß so was in dem kleinen Haus am Ende der Parkmauer 
zur Tagesordnung gehört. Wenn die Baronin Modeste nicht 
gerade mit Gegenständen um sich wirft, ohrfeigt sie die 

Angestellten oder schlägt ihr Kind. Auf meine Frage, was 
die Dame in der Zwischenzeit tut, erfolgte die Antwort: 
Dann ist sie eine lustige Witwe.« 
»Das ist ganz der Herr Baron von Isenhardt«, lachte Grit. 
»Und weiter?« 
»Weiter nichts. Er war so huldvoll; mir den nächsten Weg 
zum Rosenhaus zu zeigen, machte sogar das Maß seiner 
Güte voll, indem er mir bis kurz davor das Geleit gab – 
aus.« 
Nach diesem mutwilligen Bericht war es zuerst einmal still. 
Dann sagte Grit: 
»Ich wundere mich, daß der Mann seine temperamentvolle 

Schwägerin so einfach gewähren läßt.« 
Die Antwort darauf konnte Muttchen Brasch geben, die 
wieder auf der Terrasse erschien, um den Tisch abzudecken. 
»Mein August ist mit der Else unterwegs zur Meduse«, 
erzählte sie wichtig. »Er hat zum Schutz außer dem Hund 
noch einen Stock mitgenommen. Da kann ihm nichts 
passieren.« 
»Will ich meinen«, schmunzelte Grit. »Aber was wird der 
Herr Baron dazu sagen, wenn man so ins Haus seiner 
Schwägerin einbricht?« 
»Der hat sich darum nicht zu kümmern, die Meduse kann 

background image

in ihrem Haus machen, was sie will. Bloß den Park darf sie 
nicht betreten, sie hat einen Garten für sich. Der Herr 

Baron muß ihr bloß pünktlich das monatliche Geld 
zahlen. Was sie damit macht, darf ihn nichts angehen. Aber 
Schulden bezahlt er auch keine, das wissen alle Kaufleute 
und geben nichts auf Pump. 
Sie müssen nämlich wissen, meine Damen«, fuhr sie leise 
fort, als müßte sie ein Geheimnis enthüllen. »Der 
verstorbene Baron hat seinen Stiefbruder gehaßt, solange er 
auf der Welt ist. Er war schon zwanzig Jahre alt, als sein 
Vater 
noch einmal heiratete – und zwar eine Mondäne. Die 
rückte dann aus, als sie ihren Sohn Gernot abgelegt hatte, 
und soll in der Fremde verdorben und gestorben sein. 

Etwas Genaues weiß man da nicht. Wahr ist aber, daß der 
alte Baron nach vier Jahren starb.« 
»Und was wurde aus seinem zweitgeborenen Sohn?« fragte 
Grit interessiert. 
»Den gab der Stiefbruder fort, weil er den kleinen Jungen 
nun mal nicht leiden konnte. Wo er all die Jahre war, liegt 
im dunklen. Er taucht erst wieder auf, um Isen zu erben, 
weil die Meduse doch bloß ein Mädchen gekriegt hatte. 
Und so was erbt niemals Isen, immer nur Jungens. In 
seinem Testament hat der Bucklige bestimmt, daß der 
Gernot die Modeste und ihr Kind ungeschoren lassen soll. 
Er soll ihr bloß das ihr Zustehende aus der Kasse zahlen.« 

So primitiv diese Erklärung auch abgegeben wurde, so 
waren Grit und Alix dennoch im Bilde. Nun konnten sie 
sich auch erklären, warum Isenhardt die Schwägerin ließ 
und auch, daß er kein Damenfreund war, wie Druschmann 
sich ausdrückte. Er war aus Erfahrung klug geworden, 
durch Mutter und Schwägerin. Und wer weiß, welchen 
minderwertigen Frauen er noch begegnete, die er verachten 
mußte. 
»Wieder ein Beweis mehr, wie töricht es ist, wenn alternde 
Männer Mädchen heiraten, deren Vater sie sein könnten«, 
sagte Grit, nachdem Muttchen Brasch gegangen war. »Hier 

background image

gibt es sogar zwei Fälle in einer Familie: Isenhardt der 
Ältere, Isenhardt der Bucklige, wie Mariechen ihn nennt – 

und so wird es auch deinem verblendeten Vater gehen, 
mein 
Kind. Es ist schon eine Tragik um die Männer, die ihre 
Jugend mit aller Gewalt festhalten wollen. Ob er nun so 
richtig glücklich ist?« 
Diese Frage hätte Egon Grodes sich noch nicht einmal 
selbst beantworten können, weil er das, was man den 
»Himmel voller Geigen hängen« nennt, nicht ohne jeden 
Mißton empfand. Denn ihrer gab es manche, die seines 
Herzens Harmonie störten. 
Schon allein, daß seine Tochter und seine Schwester, an 
denen sein Herz hing, ihn verlassen hatten. Das kränkte 

und tat weh. War er nicht immer ein liebevoller Vater und 
ein guter Bruder gewesen? Jetzt mußte er erfahren, daß 
Undank der Welt Lohn ist. 
Nun, mochten die Undankbaren zusehen, wie sie ohne ihn 
fertig wurden. Er mußte seinem Glücksverlangen 
nachgeben – und dieses Glücksverlangen hieß Daisy. 
Morgen wollte Egon Grodes das entscheidende Wort 
sprechen und dazu alles ein wenig festlich gestalten. Und 
da fehlte ihm seine Schwester Grit, die alles so wunderbar 
zu arrangieren verstand, ohne daß er sich darum zu 
kümmern brauchte. Ach was, es mußte auch so gehen. 
Alma, die schon jahrelang im Hause war, würde doch wohl 

ein kleines Festmahl zusammenstellen und für 
Tafelschmuck sorgen können. 
Also beorderte er sie zu sich und atmete auf, als sie 
versprach, alles bestens zu erledigen. Als sie jedoch fragte, 
ob es 
ein Verlobungsmahl werden sollte, fuhr er sie scharf an: 
»Kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts 
angehen, verstanden?« 
»Doch, Herr Grodes, Ihre Verlobung geht mich schon was 
an – ich möchte dann nämlich kündigen. Und auch das 
Hausmädchen, der Diener und Chauffeur würden in dem 

background image

Fall mit demselben Anliegen an Sie herantreten.« 
»Ja, seid ihr denn plötzlich alle verrückt geworden?« fragte 

er grob, und die intelligente und gewandte Alma lächelte 
liebenswürdig. 
»Keineswegs, Herr Grodes. Wir haben im Gegenteil unseren 
Verstand recht gut beisammen. Und der sagt uns, daß wir 
unter der neuen Herrin nichts zu lachen haben würden. 
Darin sind wir derselben Ansicht wie unsere beiden 
Damen, die ja auch aus dem Grund das Haus verließen.« 
Gerade das hätte sie nicht sagen dürfen, das brachte den 
ohnehin schon gereizten Mann sozusagen zur Weißglut. Er 
schlug mit der Faust auf den Schreibtisch und schrie: 
»Schert euch alle zum roten Kuckuck – und zwar noch 
heute! Laßt euch das Zustehende im Büro auszahlen – und 

dann aber rrrausssss!!!« 
Die Tür klappte hinter Alma zu – und der Mann lachte 
grimmig auf. 
Also auch von der Seite setzte man ihm Widerstand 
entgegen. Es war tatsächlich, als befände er sich unter lauter 
Narren! 
Noch bevor er seinen Ärger hinuntergewürgt hatte, 
klingelte es an der Portaltür anhaltend, so daß er schon 
ganz nervös wurde. 
Wo steckte denn der Diener wieder – ach so, dessen Dienst 
war ja beendet, wie bei der übrigen Dienerschaft. Also 
mußte der Hausherr persönlich sich dazu bequemen, an 

die Tür zu gehen, um nachzusehen, wer da so stürmisch 
Einlaß begehrte. Gleich darauf konnte er seinen 
angehenden Schwager in Augenschein nehmen, der 
geschniegelt und gebügelt vor ihm stand. 
»Ah, Herr von Tees, das ist mal eine freudige 
Überraschung«, zwang er sich zu einem höflichen Ton. 
Denn freudig überrascht war er nun wirklich nicht, der 
junge Mann kam ihm im Gegenteil sehr ungelegen. Doch 
er beherrschte sich meisterhaft und bat den Gast 
näherzutreten, der lachend sagte: 
»Sie höchstpersönlich an der Haustür, Herr Grodes? Wo ist 

background image

denn Ihr Musterdiener?« 
»Das erzähle ich Ihnen später. Zuerst wollen wir uns 

gemütlich placieren.« 
Das taten sie im Arbeitszimmer. Und nachdem man mit 
Zigaretten und Likör versorgt war, sagte der Hausherr 
ärgerlich: 
»Ich habe die Dienerschaft Knall und Fall entlassen 
müssen, weil sie unbotmäßig wurde. Es fehlt eben hier die 
Hausherrin.« 
»Nun, das wird ja bald anders werden«, tröstete der 
Modejournaljüngling mit vielsagendem Lächeln. »Übrigens 
soll ich einen lieben Gruß von Daisy bestellen. Sie ist 
untröstlich, daß sie ihres Herzens Schwarm einige Tage 
nicht wird besuchen können, sie muß nämlich das Bett 

hüten…« 
»Oh, ist sie etwa ernstlich krank?« 
fragte Grodes betroffen dazwischen, doch der andere 
winkte beruhigend ab. 
»Nein, nur eine Erkältung mit leichtem Fieber, die bald 
behoben sein wird. 
Ja – und nun habe ich etwas auf dem Herzen, mein lieber 
Herr Grodes«, räusperte sich dieser hoffnungsvolle junge 
Mann und gab sich alle Mühe, verlegen dreinzuschauen. 
»Ich befinde mich in einer scheußlichen Klemme – habe 
Pech gehabt. Wollte Fortuna herausfordern, doch die hatte 
verdammt schlechte Laune. Ja, wie das so ist – ähmmm – 

jetzt soll ich zahlen und kann nicht. 
Kurz und gut: Können Sie mir mit dreißigtausend Mark 
aushelfen, Herr Grodes? Natürlich nur kurzfristig, versteht 
sich. Habe eine Masse Geld liegen, kann es aber nicht so 
rasch abrufen. Für Sie ist die Summe doch nur eine 
Lappalie 
- und mir würde aus einer Verlegenheit geholfen.« 
Darauf erwiderte Grodes zuerst einmal nichts. Es war ihm 
direkt anzumerken, wie unbehaglich er sich fühlte. Denn 
das Peinlichkeitsgefühl, das dem andern abging, hatte er. 
Dreißigtausend Mark – eine Lappalie 

background image

- was dachte der Mann sich eigentlich? Nahm er etwa an, 
daß er im Geld schwimme? So arg war es nun nicht, wenn 

er auch einen ganz netten Batzen besaß. Und nur deshalb, 
weil er zwar ein großzügiger Mensch, aber kein 
Verschwender war, dafür besaß er zu viel Ehrfurcht vor 
dem Geld. 
»Tja, mein lieber Herr von Tees«, sprach er dann bedächtig. 
»So happig ist es bei mir auch wiederum nicht, daß 
dreißigtausend Mark eine Lappalie bedeuten. Und wenn, 
dann hat ein Kaufmann sie nicht gleich flüssig.« 
Er sprach zwar nicht die Wahrheit, aber irgendwie mußte er 
sich doch herausreden, wenn er nicht das Geld opfern 
wollte. Denn daß er es nie zurückbekam, das sagte ihm 
sein Verstand, der ganz gut intakt war, wenn es sich nicht 

gerade um seine angebetete Daisy handelte. 
»Ja, dann weiß ich nicht, was ich anfangen soll«, sprach 
nun der junge Mann wie ein Schauspieler, der Verzweiflung 
mimen muß. »Da bleibt mir weiter nichts als die Kugel. 
Das wird meine arme Mutter schwer treffen – und meine 
Schwester gleichfalls, die sehr an mir hängt. Leben Sie 
wohl, Herr Grodes, lassen Sie es sich gutgehen.« 
Damit wankte er hinaus – und der Zurückbleibende fuhr 
sich in die Haare. 
Verflixt noch mal, hatte sich denn alles gegen ihn 
verschworen? Mußten sich denn immer mehr Hindernisse 
auftürmen, die zwischen ihm und Daisy standen? Es war, 

um auf die Akazien zu klettern. 
Nun, das hätte er tun können, weil zwei solch stachelige 
Dinger im Garten standen. Aber er tat es nicht, sondern 
holte den Wagen aus der Garage und fuhr zuerst einmal zu 
einem Blumengeschäft, wo er einen Strauß roter Rosen 
erstand. So duftend bewaffnet, lenkte der Mann das Auto 
zu einem Mietshaus, wo in der ersten Etage sein Glück 
wohnte. Er hielt, sicherte den Wagen und betrat das Haus, 
das, wie man sagen konnte, von »schäbiger Eleganz« war. 
Denn was da vorgetäuscht wurde, war alles Talmi, was dem 
geübten Auge des Mannes natürlich nicht entging. Mit 

background image

widerstreitendem Empfinden stieg er die Treppe hinauf, 
deren abgetretene Läufer dringend einer Erneuerung 

bedurften. 
Dann stand er vor der Etagentür. Doch ehe er den 
Klingelknopf drückte, hatte er mit Hemmungen zu 
kämpfen. 
Was wollte er überhaupt hier? Daß er Daisy nicht sprechen 
konnte, war ihm klar. Denn ein Freier pflegt nicht 
rosenbewaffnet an das Bett der Liebsten seines Herzens zu 
treten. Aber ihrer Mutter wollte er den Strauß abgeben und 
sich hinterher diplomatisch erkundigen, ob ihr die 
Spielschulden des Sohnes bekannt waren. Wenn ja, nun, 
dann mußte man beraten, was zu machen wäre. Wußte sie 
es nicht, was dann? Er konnte der Frau doch unmöglich 

gewissermaßen den Dolch ins liebende Mutterherz stoßen. 
Allein, das zu tun, sollte dem bekümmerten Mann, der sich 
schon seufzend einen Scheck über 30.000 Mark ausstellen 
sah, um damit herzzerreißenden Jammer zu verhüten, 
denn doch erspart bleiben. Denn bevor der Finger, der 
bereits auf dem Klingelknopf lag, zudrücken konnte, wurde 
hinter der Glastür eine lachende Stimme laut. Diese 
Stimme gehörte Daisy und klang kein bißchen heiser und 
verschnupft. 
»Haltet den Daumen, damit es mir gelingt, den Alten zu 
betören«, drang es an das Ohr des atemlos Lauschenden. 
»Jedenfalls werde ich nichts unversucht lassen, um dem 

verliebten Narren das Geld aus der Tasche zu ziehen, das er 
meinem Brüderlein versagte. Hinterher mache ich gleich 
die Verlobung fest – und dann soll der Trottel erfahren, was 
er einer jungen, schönen Frau schuldig ist. Und 
wenn ich mein Schäfchen im trockenen habe, dann adieu, 
mein Herr Gemahl!« 
»Na, Daisy, wenn du den Mann nur nicht unterschätzt«, 
sprach nun die Mutter dieses herzigen Wesens. »So ein 
Trottel, wie du annimmst, ist er bestimmt nicht.« 
»Ach was, Mama, er ist verliebt – und ich verstehe 
wunderbar zu schauspielern.« 

background image

Damit hatte der wie erstarrt stehende Mann genug gehört. 
Mit Aufbietung aller Kraft riß er sich zusammen und eilte 

die Treppe hinab, als wären Furien hinter ihm her. Erst als 
die Haustür hinter ihm zufiel, gab er seiner Erschütterung 
nach. Er lehnte sich gegen das Holz und wischte sich mit 
zitternder Hand den Schweiß von der Stirn, schluckte 
kräftig, als müßte er einen harten Brocken hinunterwürgen. 
Doch dann holte er so tief Luft, als müßte er die Lungen 
bersten. 
»Pfui Teufel!« machte er dann seinem bedrängten Herzen 
Luft, wobei ihn etwas störte. Und zwar der Duft der Rosen, 
der ihm durch das umhüllende Papier lieblich in die Nase 
stieg. Mit einer Verwünschung schleuderte der erbitterte 
Mann den Strauß in den Rinnstein und setzte sich in den 

Wagen. Bevor er abfuhr, bemerkte er ein niedliches junges 
Mädchen, das die Straße entlangwippte. Beim Anblick der 
Rosen, von denen sich nach dem schwungvollen Wurf das 
Papier gelöst hatte, stutzte es, bückte sich dann rasch und 
hob diese Blumen der Liebe aus dem Rinnstein. Sah sich 
scheu nach allen Seiten um und hastete dann davon, als 
könnte man ihr diesen köstlichen Fund entreißen. 
Recht so, mein Kind – dachte Grodes 
grimmig. Geh nach Hause, setz dich ans Klavier und singe 
schmelzend und süß: Tausend rote Rosen blüh’n, in dem 
Land der Liebe… 
Damit brachte er den Wagen in Gang und sauste ab. Ein 

Glück, daß die stille Straße augenblicklich unbefahren war, 
sonst hätte es dem blindwütigen Fahrer des eleganten 
Wagens übel ergehen können. 
So jedoch erreichte er heil die Hauptstraße, wo ein 
Schutzmann den Verkehr regelte. Da kam der leichtsinnige 
Fahrer zur Besinnung und fuhr ein gemäßigtes Tempo. 
Das Herz tat ihm so erbärmlich weh, daß dieser Schmerz 
ihm Tränen erpreßte. Und dabei meinte das Schicksal es 
doch so gut mit ihm – was er jetzt allerdings noch nicht 
wußte, sondern es bitter anklagte. 
Als Egon Grodes zu Hause ankam, trank er erst einmal eine 

background image

Flasche Sekt leer, um sein Herzleid einigermaßen würdig 
zu ertränken. Und siehe da, es schien ihm alles längst nicht 

mehr so todtraurig. Er pfiff sogar vor sich hin, zwar 
wehmütig, aber immerhin. Wäre er ein Tenor gewesen, 
hätte er herzzerreißend von falschen Frauen gesungen und 
von den armen Männern, die auf sie hereinfielen. Aber 
singen konnte er nicht, nur pfeifen – und das noch nicht 
einmal gut. 
Im Sessel lehnend, die Beine weit von sich gestreckt, die 
Hände in den Hosentaschen, so saß er da, der reiche 
Spirituosenfabrikant Egon Grodes, der für seine vornehme 
Eleganz bekannt war. Aber 
jetzt wirkte er entschieden salopp – hemdärmelig, den 
Kragen geöffnet, die Bügelfalte der Hose zerdrückt, das 

Haar zerzaust, weil er sich immer wieder mit seinen zehn 
Fingern hineinfuhr. 
Da konnten einem aber auch die Haare zu Berge stehen, 
bei dem, was er heute erfahren mußte. Die Binde der 
Verblendung begann sich von seinen Augen zu lösen, und 
er war nun dazu fähig, seine angebetete Daisy als das zu 
erkennen, was sie wirklich war: Eine raffinierte Kanaille. 
Jedes Wort, das er hinter der Etagentür gehört, empfand er 
jetzt noch wie einen Schlag ins Gesicht – hauptsächlich die 
beiden Bezeichnungen: Verliebter Narr und Trottel. 
Jetzt blieb sein Blick an dem großen Bild seiner 
verstorbenen Frau hängen – und da schämte er sich vor 

den klaren Augen, die ihn mißbilligend anzusehen 
schienen. Hastig sprang er auf und wanderte im Zimmer 
umher. Die Stille um ihn wurde unerträglich, so daß er auf 
den Altan trat und in den blühenden Garten hinabschaute. 
An einem Blumenbeet arbeiteten der Gärtner und seine 
Frau. Sie grüßten ihren Herrn, dann trat der Mann zögernd 
näher. 
»Fräulein von Tees war hier, Herr Grodes«, sagte er 
verlegen. »Sie wollte alle Rosen schneiden, die hier blühen. 
Da es jedoch die ersten sind, die unsere liebe gnädige Frau 
aufs Grab bekommen soll, habe ich die Blumen verteidigt. 

background image

Da wurde die Dame wütend und meinte, wenn sie erst die 
Herrin hier wäre, flöge ich unweigerlich ‘raus. 

Na ja – und da möchte ich doch schon lieber von selbst 
gehen. Nichts für ungut, Herr Grodes.« 
Dabei sah er seinen Herrn so bekümmert an, daß diesem 
das Rot der Beschämung ins Gesicht stieg. Er dachte daran, 
daß der Gärtner und seine Frau ihm schon zwanzig Jahre 
dienten, daß sie Getreue wären, wie man sie nicht oft 
findet. Und da kam nun so eine Kanaille. Es gab einen 
knirschenden Laut, so fest biß der ergrimmte Mann die 
Zähne zusammen. Und gleichzeitig schoß ihm etwas durch 
den Sinn, das er sofort in Worte faßte: 
»Darüber sprechen wir noch, wenn ich von meiner Reise 
zurückkehre, mein lieber Krause. Ich möchte das Haus 

nicht gern allein lassen.« 
»Natürlich nicht, Herr Grodes«, nickte der Mann eifrig. 
»Wir bleiben ja auch gern…« 
»Dann sind wir uns ja einig«, unterbrach der andere ihn 
hastig. »Wie lange ich wegbleibe, weiß ich noch nicht. Ich 
übergebe Ihnen nachher die Schlüssel.« 
Damit wandte er sich ins Zimmer zurück und trank einen 
Kognak, weil ihm flau im Magen war. Er hatte seit dem 
Frühstück nichts gegessen, und jetzt war es bereits drei Uhr. 
Gern hätte er sich etwas zu essen gemacht, aber er wußte 
damit nicht Bescheid. Es war ja auch das erste Mal in 
seinem verwöhnten Leben, daß sich niemand um ihn 

kümmerte, daß er sein Essen nicht pünktlich bereit fand. 
Seufzend machte er sich daran, die Koffer zu packen. 
Denn die spontane Idee mit der Reise war gut, die wollte er 
ausführen. 
Wenn er nur wüßte, was er alles mitnehmen sollte. Auch 
darum hatte er sich nie zu kümmern brauchen, er fand vor 
jeder Reise fürsorglich die nötigen Sachen gepackt. Zuerst 
von seiner Frau, später von seiner Schwester. 
So dauerte es auch eine ganze Weile, bis das schwierige 
Werk geschafft war. Ob alles in den Koffern lag, was er auf 
der Reise brauchte, wußte er allerdings nicht. Na egal, 

background image

wenn er etwas vermißte, kaufte er es unterwegs. Er konnte 
sich das ja leisten, weil er heute eine Unmenge Geld 

gespart hatte. 
Jawohl, gespart. Erstens einmal die dreißigtausend Mark, 
die dieser Gauner in Modejournalaufmachung ihm 
kaltblütig aus der Tasche ziehen wollte – und dann weitere 
Unsummen, die diese irrsinnige Ehe ihn gekostet hätte. 
Mußte er nicht dem Herrgott dankbar sein, der ihm die 
verblendeten Augen öffnete, bevor es zu spät war? Nein, 
noch war er ihm nicht dankbar, dazu war die 
Enttäuschung, die er heute hatte erleben müssen, noch zu 
groß. 
Unzufrieden mit sich und der ganzen Welt ging er zum 
Fernsprecher, um den ersten Prokuristen seines großen 

Unternehmens von dem plötzlichen Entschluß seiner Reise 
in Kenntnis zu setzen. Er wußte bei dem gewissenhaften 
Mann, der schon lange im Betrieb arbeitete, alles in 
zuverlässigen Händen. 
Nachdem auch das geklärt, stand der Abreise nichts mehr 
im Wege. Grodes verschloß das Haus und übergab die 
Schlüssel dem Gärtner, der eifrig versprach, das Eigentum 
seines Herrn treulich zu hüten. Dieser verabschiedete sich 
freundlich, nahm im Wagen Platz, in dem zuvor die Koffer 
verstaut  waren,  und  fuhr  nach  einem  Hotel,  wo  er  seinen 
Hunger stillte. 
Und dann konnte er sich endlich auf den Weg machen. 

Wohin? Das wußte er selbst nicht – es war ja auch so egal. 
Hauptsache, er kam über die schwere Enttäuschung 
hinweg, die ihm jetzt zu schaffen machte. Denn einen 
Traum begraben müssen, zerrt an Herz und Nerven – ob 
man da zwanzig Jahre zählt oder fünfzig. 
Im Rosenhaus lebte man unbekümmert dahin. Es schien, 
als wäre dieses herrliche Fleckchen Erde gefeit gegen alle 
Kümmernisse des Lebens. Da gab es weder Hetzen noch 
Jagen, Haß noch Streit, kein Mißton klang in die Harmonie 
hinein. Hier vertrug sich alles, hier liebte sich alles, hier gab 
es keine schwerwiegenden Probleme zu wälzen. 

background image

Grit wunderte sich, daß ihr das Landleben nicht langweilig 
wurde. Sie ertappte sich sogar dabei, daß sie Sehnsucht 

nach dem Rosenhaus verspürte, wenn sie mit Alix in der 
Stadt war, um Besorgungen zu machen, ins Cafe oder auch 
ins Kino zu gehen. 
Als sie einmal ihre Sehnsucht der Nichte gegenüber laut 
werden ließ, meinte diese skeptisch: 
»Nun, Tantchen, du bist ja erst vier Wochen auf dem Lande 
und nimmst es noch als Sommerfrische hin. Warte nur ab, 
ob du nach einem halben Jahr noch genauso denkst wie 
heute. 
Das heißt, länger als einige Wochen hintereinander weilte 
ja auch ich nicht im Rosenhaus, immer nur die Ferien über. 
Und damals war ich ein Kind, respektive Backfisch, die von 

den Genüssen der Stadt sowieso noch nichts zu schmecken 
kriegen. Außerdem sind so blutjunge Menschen, mit 
Ausnahmen natürlich, naturverbunden.« 
»Demnach man dich mit deinen einundzwanzig Jahren als 
mittelalterliches Fräulein betrachten muß«, warf Grit 
trocken ein, und Alix lachte. 
»Immerhin bin ich mündig.« 
»Wohl dir, mein Kind. Sonst wäre es jetzt nicht so gut um 
dich bestellt.« 
Was sie damit meinte, wußte Alix genau, nämlich: daß sie 
jetzt unter der Fuchtel der Stiefmutter, die nur ein Jahr 
mehr zählte als sie selbst nichts zu lachen haben würde. 

Denn daß der Vater das Fräulein von Tees geheiratet hatte, 
darüber gab es für Alix wie für Grit keinen Zweifel. 
Sie hatten nichts mehr aus der Villa Grodes gehört und 
wollten es auch nicht. Sie konnten sich ja denken, wie es 
jetzt da zuging. Und ändern konnten sie daran nichts. 
Ihr Zuhause war jetzt das Rosenhaus, für das Alix der Tante 
Riekchen über das Grab hinaus dankte. 
Überhaupt das Rosenhaus, man mußte sich ja darin 
heimisch fühlen. Mußte sich einspinnen lassen von der 
Traulichkeit, die alles wie ein Rosenhauch umwehte. Alles 
war so einfach darin, so gut und lieb. 

background image

Tante Riekchens Geist schien über dem Rosenhaus zu 
schweben, das sie sich geschaffen hatte wie eine Insel des 

Friedens, nachdem ihr Verlobter, den sie über alles geliebt, 
kurz vor der Hochzeit gestorben war. Und dieser Mann war 
ein Rosennarr gewesen. 
Ein großes Bild hing im Wohnzimmer, das die Verlobten 
zeigte. Kopf an Kopf geschmiegt, lachende Lippen, 
glückstrahlende Augen, so sah das junge Paar dem 
Beschauer entgegen. 
Alix liebte das Bild schon als Kind und jetzt noch mehr, da 
sie reif genug war, um die Grausamkeit zu erfassen, mit der 
das unergründliche Schicksal so viel Glückseligkeit 
zerstörte. 
Heute stand sie vor dem Bild und legte ein Kränzlein 

darum, das sie aus Mairosen gewunden hatte. Wehmütig 
sah sie in die strahlenden Gesichter und schrak zusammen, 
als Tante Grit neben ihr gütig fragte: 
»Heute ist wohl ein besonderer Tag für Tante Riekchen, 
mein Kind?« 
»Ja, ihr Verlobungstag«, kam die Antwort traurig. 
»Ich weiß es von Mutti, die mir, als Tante Riekchen 
gestorben war, von deren kurzem Glück erzählte. Sie selbst 
sprach nie darüber, es tat ihr wohl zu 
weh. 
Ach, Tante Grit, warum mußte das Schicksal zwei 
Menschen auseinanderreißen, die sich so sehr liebten? 

Warum trennt es nicht Menschen, die voneinanderstreben, 
wie es doch so oft der Fall ist?« 
»Ja, Kind, wenn man sich erst mit der Frage befaßt, könnte 
man am Leben schier verzweifeln«, entgegnete Grit leise. 
»Wie sagt der Dichter: 
Halte dich still, halte dich stumm, nur nicht forschen, 
warum – warum? 
Nur nicht bittere Fragen tauschen, Antwort ist doch nur wie 
Meeresrauschen. 
Und nun komm, mein Liebes, beschwere dir das Herzchen 
nicht mit diesem unerklärlichen Warum. Gebe Gott, daß 

background image

du in deinem Leben niemals die Frage an das Schicksal zu 
stellen brauchst.« 

Damit nahm sie der Nichte das Kränzchen aus der schlaff 
herabhängenden Hand, befestigte es am Rahmen des 
Bildes und zog das betrübte Mädchen auf die Terrasse, wo 
der Kaffeetisch gedeckt war. Ein Berg goldbrauner Waffeln 
stand da, die Kaffeemaschine summte traulich. 
Vom Garten her duftete es nach Rosen und Flieder. Die 
Kastanien hatten ihre Lichtlein aufgesteckt – und über dem 
allen lachte strahlender Sonnenschein. 
»Das nennt man Poesie«, schmunzelte Grit, indem sie sich 
an dem einladend gedeckten Tisch niederließ. »Auch die 
Waffeln, die sich in lauter Herzen verteilen. Ich weiß nur 
nicht recht, warum Muttchen Brasch sich am 

Pfingstsonnabend die Arbeit macht, diese knusprigen 
Dinger zu backen. Der Festkuchen dürfte doch schon längst 
fertig seih.« 
»Ist er, Tante Grit. Aber daß es Waffeln am 
Pfingstsonnabend zum Nachmittagskaffee gibt, das war 
von jeher so im Rosenhaus, und diese Gewohnheit hält 
Muttchen Brasch eben bei.« 
Nun, Grit sowie Alix hatten bestimmt nichts dagegen. Sie 
ließen sich die goldbraunen Herzen trefflich munden und 
tranken den vorzüglichen Kaffee dazu. Es herrschte eine 
himmlische Ruhe um sie her, in die plötzlich 
Kinderweinen hineinklang. Und zwar kam es von dorther, 

wo hinter dem Gartenzaun der Privatweg entlangführte, 
der die Chaussee mit Isen verband und nur von dem 
Besitzer selbst und seinem Gutsverwalter benutzt wurde, 
wenn sie sich den Weg nach einem der Vorwerke, das in 
der Nähe lag, abkürzen wollten. 
Denn das Rosenhaus mit seinen wenigen Morgen Land lag 
wie eine Enklave auf Isener Gebiet, sehr zum Ärger des 
buckligen Isenhardt. Aber da der Vertrag, den sein Vater 
mit dem damaligen Besitzer schloß, auf 99 Jahre lautete, 
mußte der Sohn die Eindringlinge verbissen dulden, zumal 
die Pacht pünktlich bezahlt wurde. Dazu durften sie aus 

background image

dem Rosenhaus auch noch den Isener Privatweg, der an 
ihrem Gehöft vorbeiführte, benutzen, was den Buckligen 

ganz besonders gewurmt hatte. 
Doch für alle andern aus der Umgegend war der Weg tabu. 
Und so waren die beiden Damen auf der Terrasse des 
Rosenhauses neugierig, zu erfahren, wie sich ein Kind 
darauf verirren konnte. 
Doch es schien nicht allein zu sein; denn jetzt wurde auch 
eine Frauenstimme zwischen dem Weinen hörbar. Also 
blieb Alix, die schon dem Kind zu Hilfe eilen wollte, ruhig 
sitzen und erspähte dann gleich Grit auch bald den kleinen 
Schreihals, der an der Hand einer weiblichen Person den 
Weg entlangstolperte. 
»Fuß wehweh – Fuß wehweh«, jammerte das Kind, doch 

die Frau hörte nicht darauf. Sie verhielt erst den Schritt, als 
sie vor der Gartentür stand, von wo aus sie die beiden 
Damen auf der Terrasse erspähen konnte. 
»Liebes Fräulein, kommen Sie doch mal her!« rief sie Alix 
an, die dann auch aufstand und, von Grit gefolgt, an die 
Gartentür trat. 
»Ich bin die Baronin von Isenhardt«, erklärte die Dame 
jenseits des Zaunes leutselig. »Und Sie sind doch sicher 
Fräulein Grodes, nicht wahr?« 
»Allerdings«, dehnte Alix. »Sie wünschen?« 
»Ach, liebes Fräulein, ich habe Pech gehabt mit meinem 
Wagen, der unweit von hier steht. Er streikte einfach, zu 

dumm. Was mache ich bloß!« 
»Eine Autowerkstätte anrufen und einen Fachmann zu 
Ihrem Wagen bitten«, riet Grit trocken, was ihr einen Blick 
sehr von obenherab eintrug. 
»Sie sind wohl die Wirtschafterin hier?« 
»Kann man auch sagen.« 
»Dann nehmen Sie mir das Kind ab. Es hat die ganze 
Strecke laufen müssen und kann sich kaum noch auf den 
Beinchen halten.« 
»Tun wehweh«, jammerte die Kleine wieder, während dicke 
Tränen über die verschmierten Bäckchen rollten. Da siegte 

background image

das gute Herz Grits, die dieser impertinenten Dame schon 
eine Abfuhr erteilen wollte. Sie nahm das Kind entgegen, 

das die Mutter über den Zaun reichte und dann versuchte, 
die Gartentür zu öffnen. 
»Sie ist verschlossen«, bemerkte Alix kühl. 
»Dann holen Sie den Schlüssel!« 
»Bedaure sehr, er ist verlegt. Sie werden sich schon durch 
die Tür bemühen müssen – wenn Sie Wert darauf legen, 
das Haus zu betreten.« 
Ein feinfühliger Mensch hätte sich nach diesen ironischen 
Worten verletzt zurückgezogen. Doch der Baronin Modeste 
war Feingefühl ein fremder Begriff 
- hauptsächlich dann, wenn sie einen Zweck verfolgte. So 
ging sie denn am Zaun weiter, bis sie die Haustür erreicht 

hatte, wo Grit sie bereits erwartete. Aber nicht etwa aus 
Höflichkeit, sondern um unliebsame Überraschungen zu 
vermeiden. 
»Sagen Sie mal, meine Liebe, was ist dieses Fräulein Grodes 
eigentlich für ein Mensch?« hielt die Frau Baronin es nicht 
unter ihrer Würde, die vermeintliche Wirtschafterin 
vertraulich auszufragen und erhielt die lakonische Antwort: 
»Meine Nichte.« 
»Oh, also ein Fauxpas«, lachte sie ohne Spur von 
Verlegenheit. »Nehmen Sie ihn mir übel?« 
»Bewahre. Jeder benimmt sich so, wie er kann. Wenn Sie 
telefonieren wollen, hier rechts im Zimmer befindet sich 

der Fernsprecher.« 
»Ach, das hat noch Zeit, zuerst möchte ich mal sehen, wie 
es meinem Töchterchen geht. Wo finde ich es?« 
»Auf der Terrasse.« 
»Wie gelangt man dahin?« 
»Geradeaus.« 
Bevor die Modeste weiterging, sah sie sich neugierig in der 
behaglich eingerichteten Diele um. 
»Das sieht ja beinahe herrschaftlich aus«, stellte sie dann 
erstaunt fest. 
»Nahmen Sie etwa an, daß wir hier wie die Banausen 

background image

wohnen?« 
Ein wenig melodisches Lachen, in dem verhaltene Wut 

mitschwang, war die Antwort. Dann tänzelte die Gnädige 
weiter, sah sich in dem Speisezimmer, das sie durchquerte, 
wieder neugierig um, enthielt sich jedoch diesmal jeder 
Bemerkung und stand dann auf der Terrasse, wo Alix 
bemüht war, mit einer in Wasser getauchten Serviette dem 
kleinen Mädchen das verschmierte Gesichtlein und die 
Händchen zu säubern. 
»Ja, sie ist ein schreckliches Kind«, seufzte die Mutter. »Wie 
oft muß ich sie am Tag umziehen, doch sie ist nie sauber. 
Ist das aber mal eine gute Tante, nicht wahr, Gelalein?« 
flötete sie jetzt süß. »Gibt unserm Herzchen eine Waffel. 
Darf Mami mal davon beißen?« 

Nein, das durfte sie nicht. Denn als sie sich zur Waffel 
neigte, schlug ihr die Kleine mit dem dicken Patschchen ins 
Gesicht. Aber das schien die Frau Mama nicht weiter 
tragisch zu nehmen. Sie lachte und drohte dem unnützen 
Töchterlein: 
»Na warte, du kleiner Strolch, gleich gibt’s was aufs böse 
Händchen. Du scheinst dich ja bei der lieben Tante sehr 
sicher zu fühlen.« 
Ohne dazu aufgefordert zu sein, setzte sie sich an den Tisch 
und schaute begehrlich auf die Waffeln, was die beiden 
Damen jedoch nicht zu bemerken schienen. Sie wunderten 
sich wiederum auch nicht, als die Modeste sich eines der 

Herzen langte und genießerisch hineinbiß. 
»Ich mag Waffeln so schrecklich gern«, bekannte sie ohne 
jede Spur von Verlegenheit. »Leider bekomme ich sie so 
selten, weil ich Pech mit den Dienstboten habe. Ich muß 
sie immer wieder entlassen, wie auch die Else, die ja, wie 
ich hörte, jetzt in Ihrem Haushalt beschäftigt ist. Nehmen 
Sie sich nur vor ihr in acht, sie taugt absolut nichts, weder 
in der Arbeit noch charakterlich. Sie wird es sich bestimmt 
zunutze machen, daß 
sie die Nichte Ihrer Köchin ist.  So  ein  Pack  steckt  immer 
unter einer Decke. Das sieht darauf, die Herrschaft zu 

background image

schädigen, wo es kann. 
Köstlich schmecken die Waffeln, ich lange mir gleich noch 

eine davon. Wenn ich nun noch eine Tasse Kaffee dazu 
bekommen könnte…« 
»Bedaure sehr«, sagte Grit seelenruhig. »Die 
Kaffeemaschine ist leer.« 
»Schade, aber ich bin auch so zufrieden. Man muß sich 
eben bescheiden lernen, wenn man so eine arme, geplagte 
Witwe ist wie ich. Was meinen Sie wohl, wie ich unter dem 
jetzigen Besitzer von Isen, wo ich früher die Herrin war, zu 
leiden habe. Aber das ist Ihnen sicher schon zu Ohren 
gekommen, nicht wahr?« 
»Nein«, versetzte Grit gelassen. »Uns kommt nur das zu 
Ohren, was wir zu hören wünschen. Sonst ist unser 

Trommelfell mit Hornhaut überzogen.« 
»Sie scheinen witzig zu sein«, lachte die Modeste überlaut. 
»Aber Humor ist ja wohl die Würze des Lebens. 
Übrigens verstehen Sie mit Kindern prächtig umzugehen, 
mein liebes Fräulein«, wandte sie sich dann süßlächelnd an 
Alix, die noch immer das kleine Mädchen auf dem Schoß 
hielt und es mit Waffeln fütterte. »Und das gibt mir den 
Mut, Sie darum zu bitten, meinen kleinen Liebling so lange 
bei sich zu behalten, bis ich aus der Stadt zurückkehre…« 
»Ich dachte, Ihr Auto streikt«, warf Grit trocken ein, und da 
drückte die impertinente Dame mit wehleidigem Blick die 
Fingerspitzen gegen die Schläfen. 

»O ja, das hatte ich schon ganz vergessen. Das kommt 
davon, wenn man mit den Nerven so herunter ist wie ich. 
Und dabei noch das lebhafte Kind, es ist wirklich nicht 
immer leicht, Mutter zu sein. Sie täten mir tatsächlich 
einen großen Gefallen, mein liebes Fräulein, wenn Sie mir 
meinen Goldschatz einige Stunden abnehmen würden.« 
»Danke«, lehnte Alix ab. »Mit solch einer Kostbarkeit 
verstehe ich leider nicht umzugehen. Aber ich werde 
einmal in den Motor Ihres Wagens hineinschauen, ich 
verstehe nämlich etwas davon.« 
Es war ein sehr ironischer Blick, mit dem sie die Baronin 

background image

musterte, in deren bemaltem Puppengesicht sich deutlich 
die Wut widerspiegelte, die sie empfand. 

»Na ja, was kann man auch schließlich mehr verlangen«, 
lachte sie schrill, während sie aufsprang und nach dem 
Kind griff, das seine Ärmchen fest um Alix’ Hals legte. 
»Dea bleiben, bei dute Tante«, flehte sie. Da stand das 
junge Mädchen auf und sagte kurz: 
»Ich bringe die Kleine zum Wagen.« 
Da wandte Modeste sich achselzuckend ab und stelzte auf 
den sehr hochhackigen Schuhen davon. Sie war überhaupt 
so gekleidet, als wollte sie einen Ball besuchen, während 
die kleine Tochter ein Kleidchen trug, das gewissermaßen 
nach Wasser und Seife schrie. Auch die Schuhchen sahen 
so aus, als wären sie schon tagelang nicht mehr geputzt. 

Auch Hunger schien sie gehabt zu haben, sonst hätte sie 
nicht fünf Waffelherzen essen können. Jetzt saß sie satt und 
zufrieden auf Alix’ Arm und nuckelte am Däumchen. 
»Wird das Kind dir auch nicht zu schwer?« fragte die Tante, 
die neben der Nichte ging. Doch diese winkte ab. 
»Laß nur, die kurze Strecke schaffe ich es schon. Jedenfalls 
besser als der kleine Spatz mit seinen müden Beinchen.« 
Kurz bevor sie das Auto erreicht hatten, kam ihnen ein 
Reiter entgegen, der beim Anblick der Gruppe stutzte und 
dann mit höflichem Gruß vorüberritt. 
»Ganz mein Herr Schwager«, lachte die Modeste laut und 
höhnisch hinter ihm her. »Hält es natürlich für unter seiner 

Würde, uns gewöhnliche Sterbliche mit einem Wort zu 
beglücken.« 
»Warum gewöhnliche Sterbliche?« fragte Grit scheinheilig. 
»Ich halte mich dem Baron Isenhardt gegenüber nicht 
dafür.« 
»Na, hören Sie mal, meine Liebe – wie heißen Sie 
eigentlich?« 
»Frau von Alkes.« 
Mach den Mund zu, es zieht! hätte man jetzt rufen können 
bei dem dummen Gesicht der Frau Baronin. Sie war 
tatsächlich einige Herzschläge lang sprachlos, was ihr 

background image

bestimmt nicht oft passierte. Doch dann platzte sie heraus: 
»Sie heißen wirklich Alkes?« 

»Ich bin so frei.« 
»Aber das ist ja alter, guter Adel!« 
»Eben darum.« 
Das war zuviel für die liebe Modeste, zumal sie sich noch 
über die ironischen Blicke der beiden Damen ärgern 
mußte. Wütend riß sie den Schlag auf, stieg in den Wagen, 
und brachte ihn ohne Schwierigkeiten in Gang. Es gelang 
Alix gerade noch, das Kind neben die Wutentbrannte zu 
setzen, dann brauste die Frau Baronin ohne Gruß ab. 
»So, meine liebe Modeste, diesen Hieb mußte ich dir denn 
doch versetzen«, lachte Grit amüsiert hinter dem Wagen 
her. »Und der saß unter Garantie.« 

»Gritchen, seit wann brüstest du dich mit deinem Namen?« 
fragte Alix neckend, und schmunzelnd erfolgte die Antwort. 
»Immer da, wo es angebracht ist. Hat die Frau vielleicht 
eine Lebensart! Bricht in unser Haus ein, wo sie uns wie 
Kulis behandelt, obwohl sie uns ihr Kind aufhalsen will, 
was wir Plebejer uns selbstverständlich als Ehre anrechnen 
müßten. Ißt unaufgefordert unsere Waffeln, verlangt gar 
noch Kaffee dazu und wird ausfahrend, als sie ihren 
Goldschatz bei uns nicht horten kann. Was meinst du, 
Mädchen, ob wir ihr den Knigge zuschicken?« 
»Den würde sie vielleicht gar nicht verstehen«, lachte Alix. 
»Denn sie scheint ziemlich beschränkt zu sein.« 

»Und dazu noch reichlich unverschämt«, ergänzte Grit. 
»Könnte ihr so passen, das Kind, das sie nicht allein zu 
Hause lassen kann, bei uns abzugeben und so unbeschwert 
ihrem Vergnügen nachzugehen. Aber so ganz aus 
Dummsdorf sind wir auch nicht, daher wissen wir, was die 
Glocke geschlagen hat. Jedenfalls ist die Frau Baronin mit 
Vorsicht zu genießen. Und wenn sie trotz der Abfuhr, die 
ich ihr noch mit auf den Weg gab, wieder hier auftauchen 
sollte, werden wir ihr wohl die Zähne zeigen müssen.« 
Der Ansicht war Verwalter Druschmann, der wenig später 
den Weg entlangritt und den Damen auf der Terrasse lustig 

background image

zurief: 
»Darf ein müder Stoppelhopser eindringen in 

Dornröschens Reich – oder stört er die Harmonie?« 
»Nur immer hereingehopst!« rief Alix fröhlich zurück, 
während sie nach dem Schlüssel griff, der neben der 
Terrassentür hing. Also war er nicht verlegt, auch Kaffee war 
für den willkommenen Gast da, der, nachdem er sein Pferd 
dem herbeieilenden Brasch gegeben hatte, durch die 
geöffnete Gartentür zur Terrasse spazierte. Er fand die 
Waffeln delikat, den Kaffee erstklassig und verschmähte 
auch das Schnäpschen nicht, das Alix ihm kredenzte. Dann 
hörte er aufmerksam zu, was Grit ihm von dem 
unerwarteten Gast und dessen Unverfrorenheit erzählte. 
»Ach, sieh mal an, die Modeste«, dehnte er. »So bald schon 

witterte sie hier billige Kindermädchen. Was meinen Sie 
wohl, wie oft sie meiner Frau das kleine Gör angebracht 
hat. Bis es meiner guten Alten denn endlich doch zuviel 
wurde und sie mit ihrer Meinung nicht zurückhielt. 
Seitdem wagt die unverschämte Modeste sich nicht mehr 
an sie heran.« 
»Nun, heute habe ich mit meiner Meinung noch 
zurückgehalten. Aber wenn sie sich wieder herwagen sollte, 
wird sie diese wohl zu hören kriegen. Denn auf einen 
groben Klotz gehört ein grober Keil.« 
»Recht so, gnädige Frau, Sie haben den Sinn erfaßt.« 
»Wohl mir«, entgegnete sie trocken. »Übrigens kam uns, als 

wir den unerwünschten Gast zum Auto brachten, Baron 
Isenhardt entgegengeritten. Der mag nicht wenig gestaunt 
haben, uns so traulich vereint mit seiner Schwägerin zu 
sehen, zumal meine Nichte noch das Kind trug. Das sah so 
richtig nach dicker Freundschaft aus.« 
»Begrüßte er Sie denn nicht?« fragte der Mann gespannt. 
»Nein. Er grüßte im wahrsten Sinne des Wortes von oben 
herab und ritt vorüber, von den höhnenden Worten der 
Schwägerin begleitet.« 
Sie gab diese wieder, und Druschmann lachte grimmig auf. 
»So eine Kanaille! Und dabei ist mein Herr einer der 

background image

vornehmsten Menschen. Er hat wahrlich alles versucht, um 
mit der Witwe seines Stiefbruders in Frieden zu leben. Aber 

das Weibsbild macht es ihm ja unmöglich. Ja, wenn er das 
Geld geben würde, was sie von ihm verlangt – oder besser 
noch, sich ihren ewigen Nachstellungen willig zeigen, dann 
würde sie ihn natürlich loben und preisen. So jedoch 
macht sie ihn überall schlecht. Wenn der liebe Gott ein 
Einsehen hat, befreit er den armen Mann bald von seinem 
Kreuz. Aber das könnte nur sein, wenn sich ein Dummer 
findet, der sich dieses Kreuz auf den Hals lädt. Und so 
dumme Männer gibt es nicht viel.« 
»Mir tut das Kind leid«, sagte Alix mitleidig. »Das hat doch 
keine richtige Betreuung – und Erziehung schon gar nicht. 
Daß der Baron da nicht eingreift.« 

»Würde er bestimmt tun, wenn er das 
Recht dazu hätte«, nahm der Verwalter seinen verehrten 
Herrn in Schutz. »Aber sein Stiefbruder, der den Gernot 
von jeher haßte, hat ihn als Vormund seiner Tochter im 
Testament strikt abgelehnt. Im übrigen ist das kleine Gör 
gar nicht zu bedauern, es wird von der Mutter verwöhnt 
genug. Es bekommt für seine Ungezogenheit viel zu wenig 
Klapse.« 
»Echt männliche Logik«, lachte Grit. »Da geht eben Gewalt 
vor Recht.« 
»Wollen Sie mich ärgern, gnädige Frau?« 
»I bewahre, dafür bin ich viel zu friedfertig. Das kann man 

nämlich hier werden, auf dieser kleinen Insel des Friedens.« 
»Also sind die Stadtdamen des Landlebens noch nicht 
überdrüssig?« 
»Keineswegs! Meine Nichte und ich haben immer so viel 
zu tun, daß uns für Langeweile gar keine Zeit bleibt. Sie 
brauchen gar nicht so zu schmunzeln, mein Lieber. Gib 
ihm einen Schnaps, Alix.« 
»Nein, danke«, wehrte er, indem er sich erhob. »Für mich 
ist es höchste Zeit, wenn ich nicht zu spät zur Bahn 
kommen will, um meinen Jungen abzuholen. Erinnern Sie 
sich noch seiner, gnädiges Fräulein?« 

background image

»Aber natürlich, der Erich! Was treibt er denn jetzt?« 
»Er besucht seit Ostern die landwirtschaftliche Schule und 

findet sich über Pfingsten bei Muttern ein.« 
»Dann sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir.« 
»Danke, werde ihn bestellen. Vergnügte Feiertage wünsche 
ich den Damen. Für mich werden sie recht anstrengend 
werden, da wir zu Verwandten zur Hochzeit geladen sind. 
Viel lieber möchte ich mich ja in den beiden Tagen 
ausruhen, aber das würde der lieben Sippe in die falsche 
Kehle kommen.« 
»Und was machen wir?« fragte Alix, nachdem der Mann 
abgeritten war. »Hast du Lust, zur Stadt zu fahren?« 
»Hast du sie denn?« fragte die Tante dagegen. 
»Ich nicht.« 

»Also! Die Fahrt würde nämlich keine reine Freude werden, 
weil jetzt bereits die Pfingstausflügler unterwegs sind, da 
gibt es Trubel an allen Ecken und Enden. Wenn du dich da 
hineinstürzen willst, bitte sehr.« 
»Sollte mir einfallen. Mein Vorschlag geschah doch nur 
deinetwegen.« 
»Somit hätten wir ja nun die Rollen getauscht«, lachte Grit 
amüsiert. »Anstatt ich alte Tante bemüht sein müßte, der 
jungen Nichte Abwechslung zu verschaffen, ist es hier 
umgekehrt. Komm, machen wir einen Spaziergang durch 
die Natur, die sich zum Pfingstfest so herrlich geschmückt 
hat. Und wenn wir Glück haben, erleben wir etwas.« 

Allein, etwas gewiß nicht Alltägliches zu erleben, sollte Alix 
für den nächsten Tag vorbehalten sein. Denn auf ihrem 
Morgenritt kam ihr spontan der Gedanke, doch einmal zu 
dem Haus am Ende des Isener Parkes zu reiten. Warum, 
war ihr allerdings selbst nicht klar. Denn daß die Baronin 
so gewissenlos sein könnte, ihr kleines Kind über Nacht 
und Morgen allein zu lassen, um ihrem Vergnügen 
nachzugehen, das traute sie ihr denn doch nicht zu. 
Doch es zog Alix wie mit tausend 
Banden nach dem Haus, wo sie denn auch das Kind 
schreien hörte. Beunruhigt schaute sie an der Mauer hoch, 

background image

mußte jedoch einsehen, daß man da unmöglich 
hinüberklettern konnte. Und die festen Türen darin waren 

verschlossen. 
Es mußte doch aber eine Auffahrt zu dem Haus geben, und 
die entdeckte Alix denn auch, als sie die Mauer fast 
umritten hatte. Diese wurde hier von einem 
schmiedeeisernen Tor unterbrochen, das sogar offenstand. 
Alix band das Pferd an einen Baum und hetzte den breiten 
Kiesweg entlang zum Haus hin. Lugte durch ein geöffnetes 
Parterrefenster – und was sie da erblickte, ließ ihr vor 
Schreck fast den Atem stocken. 
Denn in der Küche saßen am Fußboden Mutter und Kind. 
Doch während letzteres wie am Spieß schrie, wimmerte 
erstere vor sich hin. 

Und da gab es für Alix kein Halten mehr. Sie schwang sich 
durchs Fenster und sah erschrocken auf den entblößten 
Schenkel der Frau, über den es sich wie ein Feuermal zog. 
»Um Gottes willen, Frau Baronin, was ist Ihnen denn 
geschehen?« fragte Alix entsetzt, und die Verletzte sah sie 
wie irr an. 
»Was wollen Sie, wie kommen Sie überhaupt hier herein! 
Machen Sie bloß, daß Sie verschwinden – aber nein, 
bleiben Sie hier und helfen Sie mir. Oh, verbrüht habe ich 
mich! Wenn das nun Narben zurückläßt, bin ich entstellt 
für mein ganzes Leben!« 
»Es braucht ja nicht zu sein«, tröstete das Mädchen. »Und 

wenn, sind sie ja 
durch die Kleider verdeckt. Haben Sie eine lindernde Salbe 
im Haus?« 
»Ich glaube nicht. Beruhigen Sie bloß das Kind! Es macht 
mich mit seinem Geschrei noch wahnsinnig!« 
Alix hob die Kleine hoch, die ihren Hals fest umklammerte. 
»Dea, Angst«, schluchzte sie jämmerlich. »Mami weint – 
Dea ßreit.« 
»Du mußt jetzt still sein«, sprach Alix auf das verstörte Kind 
ein, das barfuß und im Nachtkleidchen auf dem kalten 
Fußboden gesessen hatte und nun vor Kälte erschauerte. 

background image

»Komm, ich packe dich in eine Decke, damit du erst 
einmal warm wirst.« 

»Nein – Angst.« 
»Geben Sie ihr Bananen, damit sie sich den Mund stopft«, 
meldete sich nun die Mutter. »Im Eßzimmerschrank finden 
Sie welche.« 
Alix zog mit der Kleinen ab, fand auch bald, was sie suchte, 
und schon war des Kindes Jammer gestillt. Es ließ sich 
willig in eine Decke packen und auf den Diwan setzen, wo 
es nun eifrig bemüht war, die Schale von der begehrten 
Frucht zu ziehen. 
Indes eilte das junge Mädchen in die Küche zurück, wo die 
Modeste, nur mit einem dünnen Nachtkleid angetan, 
immer noch auf dem kalten Fliesenboden saß. 

»Ich habe entsetzliche Schmerzen«, wimmerte sie, was Alix 
ihr aufs Wort glaubte, denn die Verbrühung sah böse aus. 
»Versuchen Sie bitte aufzustehen«, sprach sie ihr mitleidig 
zu. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen dabei.« 
Es war ein schweres Stück Arbeit für 
Alix, die Frau erst einmal hochzuziehen und dann auf den 
Beinen zu halten. Sie umklammerte des Mädchens Hals so 
fest, daß dieses sich wehren mußte, um nicht erwürgt zu 
werden. 
»So geht das ja nun nicht«, erklärte sie energisch. »Luft 
müssen Sie mir schon lassen. Umklammern Sie lieber 
meine Schulter, das halte ich schon aus.« 

Mehr getragen als geführt, landete die Modeste endlich auf 
dem Diwan. Alix mußte sich erst einmal den Schweiß von 
der Stirn wischen und ein wenig verschnaufen. Dann 
breitete sie über den Unterkörper der Frau eine leichte 
Decke, die jedoch auf dem verletzten Bein nicht gelitten 
wurde. 
»Das ertrage ich nicht, das brennt wie Feuer!« 
»Lassen wir also den Schenkel frei.« 
»Dann friere ich.« 
»Also kann ich Ihnen nicht weiter helfen«, wurde Alix nun 
langsam ungeduldig. »Ich sehe schon, daß ich allein mit 

background image

Ihnen nicht fertig werden kann, daher werde ich Hilfe 
holen.« 

»Etwa den Herrn Baron?« höhnte die Modeste, »der wird 
Sie schön abblitzen lassen.« 
»Das kann ich ja mal erst versuchen.« 
»Da, dute Tante«, reichte Gela, die neben der Mutter auf 
dem Diwan saß, die Bananenschale hin. »Nu ißt Dea.« 
Rasch holte Alix noch eine Banane herbei und legte sie 
neben das Kind, damit es Beschäftigung hatte, bis sie 
zurückkam. Dann hetzte sie aus dem Haus und mußte nun 
doch über einen Staketenzaun setzen, der ihr den Weg zum 
Park versperrte. In langen Sätzen ging es dann weiter, hin 
und her, kreuz und 
quer, wie durch einen Irrgarten. Alix behielt dabei immer 

den Turm im Auge, der über die Wipfel der hohen Bäume 
ragte. Sonst hätte sie sich überhaupt nicht 
zurechtgefunden. 
Zum Kuckuck, wie groß war der Park denn überhaupt? Sie 
hatte das Gefühl, schon kilometerweit gelaufen zu sein. 
Ach was, jetzt achtete sie der Wege einfach nicht mehr. Jetzt 
nahm sie Kurs über die weiten, gepflegten Rasenflächen, 
die von herrlichen Blumenrabatten unterbrochen wurden. 
Aha, dort sprühte eine Fontäne, da konnte das Schloß nicht 
mehr weit sein. 
Und dann stand Alix endlich vor einer breiten Terrasse, auf 
der zwei Personen beim Frühstück saßen. Der Mann sprang 

auf und eilte die Stufen hinab zu dem Mädchen, das nun 
atemlos vom schnellen Lauf verharrte. 
»Gnädiges Fräulein, was ist denn geschehen?« fragte er 
beunruhigt, doch sie winkte kurz ab. 
»Keine Fragen jetzt, Herr Baron. Ihre Schwägerin hat sich 
arg verbrüht und leidet große Schmerzen.« 
Da fragte der Mann auch nicht weiter. Er rief der Dame, die 
unschlüssig am Tisch stand, hastig zu: »Verbrühung -Salbe 
– nachkommen ins Witwenhaus!« 
Dann eilte er Alix nach, die erst innehielt, als man vor dem 
Diwan stand, auf dem die Modeste lag. Da der verletzte 

background image

Schenkel freilag, sah der Mann sofort, wie arg die 
Verbrühung war, die sich von der Hüfte bis zum Knie 

hinzog. 
Nun eilte auch Frau Dieboldt, die Hausdame vom Schloß, 
herbei, die dann behutsam kühlende Salbe über die 
brennendrote Fläche strich. Dabei jammerte 
die Modeste unausgesetzt, daß sie nun für ihr ganzes Leben 
verunstaltet wäre. Dazwischen schrie das Kind, das nun 
auch die zweite Banane gegessen hatte. Alix holte die dritte 
herbei, und schon war die Kleine wieder still. 
»So, das ist nun die letzte, du niedlicher Schreihals. Und 
nun werde ich mich verfügen. Ich wünsche Ihnen gute 
Besserung, Frau Baronin.« 
»Besserung für mich – so was gibt’s ja gar nicht mehr«, 

jammerte die Frau in den höchsten Tönen. »Vielleicht 
nimmt man mir gar das Bein ab. Oh, ich Arme – ich Arme. 
Und Sie sehen sich das alles natürlich ruhig mit an«, 
wandte sie sich jetzt wütend an Isenhardt, der gegen den 
Türpfosten gelehnt stand und sich passiv verhielt. 
»Was soll ich denn wohl sonst?« fragte er gelassen. »Ich 
habe den Arzt bestellt, mehr kann ich nicht für Sie tun.« 
»Das sieht Ihnen ähnlich. Sie herzloser Mensch! Ach, habe 
ich Schmerzen, verrückt könnte man werden! Warum 
wollen Sie denn schon gehen, Fräulein Grodes?« 
»Ich kann mein Pferd, das ich an einen Baum band, nicht 
länger allein lassen. Befürchte ohnehin schon, daß ihm bei 

dem langen Warten etwas zugestoßen sein könnte.« 
Damit wollte sie gehen, doch hatte sie ihre Rechnung ohne 
Gela gemacht, die wie am Spieß schrie: 
»Dea, Angst – dute Tante bleiben - Dea, Angst.« 
Ehe Frau Dieboldt, die am Diwan saß, noch zufassen 
konnte, war die Kleine schon über die Mutter, die vor 
Schmerz laut aufschrie, hinweggeklettert, stolperte zu Alix 
hin und umklammerte ihre Beine. 
»Dute Tante – Angst!« 
Also blieb dem jungen Mädchen nichts anderes übrig, als 
das verängstigte Kind auf den Arm zu nehmen, das nun das 

background image

tränennasse Bäckchen an die weiche Mädchenwange 
schmiegte und zufrieden am Däumchen nuckelte. 

»Ja, dagegen kann man nichts machen«, meinte Frau 
Dieboldt lächelnd, und Isenhardt fragte: 
»Wo befindet sich Goldlack, gnädiges Fräulein?« 
»Vor dem Tor, Herr Baron.« 
»So werde ich mich um ihn kümmern, da die kleine 
Tyrannin Sie ja doch nicht fortläßt. Sie sind ihr 
wahrscheinlich vertraulicher, als Frau Dieboldt und ich. 
Da fällt mir übrigens ein, daß ich die Damen noch nicht 
bekannt miteinander gemacht habe. Es ging alles so 
schnell.« 
Rasch holte er die Vorstellung nach und ging hinaus. Als er 
bald darauf wiederkam, konnte er Alix über ihr Pferd 

beruhigen. 
»Ich habe Goldlack dem Gärtner übergeben, der ihn nach 
dem Stall bringen wird.« 
»Also ist er munter?« fragte sie hastig dazwischen. 
»Ja, sehr sogar. Die Zeit ist ihm bestimmt nicht lang 
geworden, da er die Blätter von einem Strauch, den er 
erreichen konnte, abgefressen hat.« 
»Sieht meinem Süßen ähnlich. Und nun werde ich meiner 
Tante fernmündlich Bescheid sagen, damit sie sich wegen 
meines langen Ausbleibens nicht ängstigt.« 
Damit wollte sie das Kind auf die Erde 
setzen, doch schon ging das Geschrei wieder los. 

»Nehmen Sie das Gör mit!« rief die Modeste ungehalten. 
»Man kann bei dem Gebrüll ja wahnsinnig werden! Wo 
bleibt bloß der Arzt, ich halte die Schmerzen nicht mehr 
aus. Es ist doch mindestens schon zwei Stunden her, daß 
Sie ihn anriefen, Gernot.« 
»Genau eine Viertelstunde«, entgegnete er nach einem Blick 
auf die Armbanduhr. 
Dann jammerte die Modeste weiter, während die andern 
dasaßen und ihr nicht helfen konnten. Wenn die eitle Frau 
nur gewußt, wie wenig vorteilhaft sie jetzt aussah, so ohne 
jedes sorgfältige Make up und mit einem nicht gerade 

background image

sauberen Nachtgewand bekleidet, sie hätte noch mehr 
gejammert – und zwar, daß ein Mann sie so sehen mußte. 

Und gar noch einer wie Gernot Isenhardt, dieser arrogante 
Spötter! 
Jetzt kam Alix, die fernmündlich mit der Tante gesprochen 
hatte, zurück. Sie setzte sich, behielt das Kind auf dem 
Schoß und besah sich kopfschüttelnd die Unordnung, die 
im Zimmer herrschte. Die Einrichtung des Raumes war 
wohl elegant, aber verunziert durch das, was da nicht 
hineingehörte. Kleidungsstücke lagen herum, 
unabgewaschenes Geschirr stand auf dem Tisch, dessen 
Decke große Flecke aufwies. Zigarettenstummel, Asche, 
Obstschalen und zerknülltes Papier waren über den 
Teppich gestreut, Staub lag dick auf Fußboden und 

Möbeln. 
Das alles besah Alix sich mit einem Gefühl leichten 
Grauens, das sich auf ihrem Gesicht widerspiegelte. Sie 
merkte 
nicht, daß sie von Frau Dieboldt und Isenhardt beobachtet 
wurde, sah auch nicht den lächelnden Blick, den sie sich 
zuwarfen. 
Reizend sah sie aus, die junge Reiterin in ihrem eleganten 
Dreß mit dem Kind auf dem Schoß. Blankgeputzt von 
innen und außen, hätte man sagen können bei diesem 
Menschenkind, das Reinheit und Unberührtheit förmlich 
ausstrahlte. 

Und die andere auf dem Diwan, die doch nur einige Jahre 
mehr zählte? Verschminkt, verlebt… 
»Hunger«, klagte das Kind kläglich, und Alix lachte. 
»Na, hör mal, du kleiner Vielfraß, drei Bananen dürften 
doch eigentlich genügen. Wollen wir in die Küche gehen 
und nachsehen, ob wir da etwas finden, womit wir dein 
Bäuchlein ganz füllen können.« 
Sie ging mit dem Kind hinaus, und Frau Dieboldt sprach 
ihr warmen Tones nach: 
»Scheint ein prächtiges Menschenkind zu sein, die junge 
Besitzerin des Rosenhauses. Jedenfalls hat sie nichts von 

background image

der Blasiertheit an sich, wie man sie oft bei reichen 
Mädchen findet.« 

»Haben Sie eine Ahnung!« lachte die Modeste hämisch, die 
es nun einmal nicht vertragen konnte, wenn eine 
Weiblichkeit gelobt wurde. »Eine ganz eingebildete Pute ist 
sie, diese Schnapsprinzeß.« 
Womit sie ihr Gift verspritzt hatte und ihre Jammerei 
fortsetzte. 
Dr. Bardel, ein gemütlicher älterer Herr, dem es oblag, die 
Menschen in der Umgegend zu verarzten, ließ die 
unberechtigten Vorwürfe der Modeste mit stoischem 
Gleichmut über sich ergehen. Er untersuchte das verletzte 
Bein und meinte dann sachlich: 
»Schmerzhafte Angelegenheit, aber weiter nicht 

lebensgefährlich.« 
»So werden Sie nicht das Bein abnehmen, Herr Doktor?« 
»Wie kommen Sie denn darauf, Frau Baronin? Das hier ist 
vorläufig noch ein ganz unkomplizierter Fall. Doch daß er 
womöglich nicht doch komplizierter wird, werde ich Sie in 
meinem Wagen mitnehmen und im Krankenhaus 
abliefern.« 
»Nein, das will ich nicht, auf keinen Fall!« wehrte sie sich 
fast schreiend. »Ich will zu Hause bleiben!« 
»Und wer soll Sie pflegen? Soviel ich gehört habe, sind Sie 
wieder mal ohne Dienerschaft.« 
»Dann verlange ich, daß der Baron mich ins Schloß nimmt 

und dort betreuen läßt. Oder paßt es dem hohen Herrn 
nicht, weil er seine eisigste Miene aufsetzt!« höhnte sie, 
und er entgegnete gelassen: 
»Da haben Sie recht – es paßt mir nicht. Ich habe nämlich 
keine Lust, durch eine unbeherrschte Kranke Unfrieden in 
mein Haus bringen zu lassen.« 
»So ein Grobian!« Sie schüttelte wütend die Fäuste nach 
ihm, wobei sie das wunde Bein streifte und wimmernd in 
sich zusammensank. 
»Oh, diese gräßlichen Schmerzen, ich halte sie nun 
wirklich nicht mehr länger aus. Aber ins Krankenhaus laß’ 

background image

ich mich 
nicht schleppen, die Grodes muß hierbleiben und mich 

pflegen.« 
»Fräulein Grodes aus dem Rosenhaus?« fragte Bardel 
verwundert. »Ist sie denn hier?« 
Wie auf ein Stichwort trat das Mädchen ein, immer noch 
die kleine Gela auf dem Arm, die zufrieden an einem 
Butterbrot kaute. 
»Tatsächlich die Alix«, schmunzelte der Mann, die er schon 
als Kind kannte, da er der Hausarzt Riekchens gewesen war. 
»Gnädiges Fräulein, Sie werden ja immerzu hübscher, was 
soll das bloß noch werden? Sind Sie womöglich 
Kindermädchen hier?« 
»Nur ehrenamtlich«, schnitt sie eine Grimasse und erzählte 

dann, wie sie zu dieser »Ehre« gekommen war. 
»Nun, wer A gesagt hat, der muß auch B sagen«, zwinkerte 
er ihr vergnügt zu. »Die Frau Baronin möchte gern von 
Ihnen gepflegt werden.« 
»Das kann ich nicht«, verwahrte sich das Mädchen dagegen 
ganz entschieden. »Erstens mal verstehe ich von 
Krankenpflege nichts – und dann fehlt mir dazu die 
Geduld.« 
»Also, Frau Baronin, da werden Sie wohl nicht um das 
Krankenhaus herumkommen.« 
Es gab nun noch einen heißen Kampf auszufechten, bis die 
unbeherrschte und hochfahrende Patientin neben dem Arzt 

im Auto saß. Auf seine Anordnung trug sie über dem 
Nachtkleid nur einen Mantel, auf den Knien lag eine 
leichte flauschige Decke, und die Füße steckten in weichen 
Schuhen. 
Frau Dieboldt hatte rasch ein Köfferchen mit 
Toilettengegenständen gepackt, und zum Glück unter dem 
Wust gebrauchter Wäsche noch ein sauberes Nachtkleid 
gefunden. 
»Puh, das war grausig!« Die distinguierte Dame ließ sich 
auf einen Stuhl fallen, nachdem das Auto abgefahren war. 
»So etwas von Unordnung, wie sie in diesem Haus 

background image

herrscht, ist mir denn doch noch nicht vorgekommen.« 
Sie sprach nicht weiter, weil Isenhardt eintrat. Man konnte 

nicht wissen, wie der verschlossene Mann ihre 
kritisierenden Worte auffassen würde. Denn die Modeste 
war immerhin die Witwe seines verstorbenen Stiefbruders. 
»Ja, so was kostet Nerven«, sagte er lächelnd, als er 
bemerkte, wie seine Hausdame sich den Schweiß von der 
Stirn wischte. »Ich gehe jetzt ‘rüber, Frau Dieboldt. Suchen 
Sie bitte des Kindes Sachen zusammen, und kommen Sie 
dann nach. Es bleibt mir nämlich nichts anderes übrig, als 
Gela so lange im Haus zu behalten, bis die Mutter wieder 
gesund ist. Es tut mir leid, daß ich Ihnen das verzogene 
Kind aufbürden muß. Sie werden keinen leichten Stand mit 
ihm haben.« 

»Ach, ich erziehe mir das eigensinnige Persönchen schon«, 
entgegnete sie zuversichtlich. »Es wird allerdings nicht 
einfach sein, es jetzt von Fräulein Grodes zu lösen.« 
»Das fürchte ich auch. Also muß ich schon wagen, die 
junge Dame darum zu bitten, ihren kleinen Quälgeist ins 
Schloß zu bringen. Wollen Sie so freundlich sein, gnädiges 
Fräulein?« 
»Warum denn nicht? Das heißt, wenn ich indes nicht 
Hungers sterbe«, setzte sie lachend hinzu. »Ich habe 
nämlich noch nicht gefrühstückt.« 
»Dann wird es aber Zeit«, fiel er in ihr fröhliches Lachen 
ein. »Ein gutgedeckter Frühstückstisch sei Ihnen in meinem 

Haus gewiß.« 
Damit ging er, und Frau Dieboldt machte sich daran, die 
Sachen des Kindes zusammenzusuchen. Ein mühsames 
Beginnen, da sie verstreut herumlagen und bis auf wenige 
Stücke schmutzig waren. Also mußten auch die mit. 
»Und was ziehen wir der Kleinen an?« fragte Alix, die der 
Packerei mit Interesse zuschaute. Sie selbst konnte sich 
daran nicht beteiligen, weil ihr kleiner Quälgeist sie nach 
wie vor mit Beschlag belegte. 
»Soweit ich übersehen kann, befindet sich unter den 
Sachen, die Sie in den Koffer tun, weder ein sauberes 

background image

Kleidchen, noch Wäsche, noch Strümpfe. Und das einzige 
Paar Schuhe starrt vor Schmutz.« 

»Ja, es ist ein Skandal«, seufzte Frau Dieboldt. »Man merkt 
hier an allen Ecken und Enden, daß seit längerer Zeit 
wieder einmal kein dienstbarer Geist im Hause war. Und 
die Aufwartung, die dann immer einspringen muß, ist eine 
Schlampe.« 
Und die Hausherrin nicht minder – setzte sie in Gedanken 
hinzu, die Alix ihr jedoch vom Gesicht ablesen konnte. 
»Na ja«, meinte sie wie abschließend. »Ziehen wir Gela das 
Mäntelchen darüber, und lassen wir die Beinchen bloß. Es 
ist ja warm draußen.« 
Wenig später verließen sie das Haus, 
dessen Tür Frau Dieboldt abschloß. Und dann kam auch 

schon der Diener Ewald, der sich des Koffers bemächtigte. 
»Ich kann auch noch sehr gut das Kind tragen«, erbot er 
sich, doch Alix lehnte ab. 
»Haben Sie eine Ahnung, welch ein ohrenbetäubendes 
Geschrei dann einsetzen würde. Lassen Sie nur, wenn ich 
den kleinen Eigensinn so lange herumgeschleppt habe, 
schaffe ich es auch noch bis zum Schloß.« 
»Sßa«, nickte Gela einverstanden. »Bei dute Tante bleiben.« 
»Also«, lachte Alix, »womit ich diese rührende 
Anhänglichkeit verdient habe, ist mir zwar unklar, aber ich 
muß sie wohl oder übel über mich ergehen lassen.« 
So schritten sie denn die Wege des Parkes entlang, dessen 

Schönheit Alix entzückte. Er war gerade soviel gepflegt, um 
von seiner Eigenart nichts einzubüßen. Uralte Bäume, 
bequeme Wege, an denen von alters her Steinfiguren 
standen, lauschige Plätzchen, die zum Verweilen einluden, 
Rasenflächen, von Sträuchern umsäumt, ein herrlicher 
Rosengang, an dessem üppigen Gesträuch jetzt die 
Mairosen blühten und ihren köstlichen Duft verbreiteten, 
viele andere Blumen, die auf den Rabatten blühten, selbst 
ein tadellos instandgehaltener Tennisplatz fehlte nicht. 
»Wunderbar«, sagte das Mädchen leise, und ihre Begleiterin 
nickte. 

background image

»Ja, ein herrliches Fleckchen Erde. Ich bin glücklich, darauf 
verweilen zu dürfen.« 

Und dann lag das Schloß frei vor ihren Augen. Vor den 
Stufen, die zur Terrasse 
führten, stand der Besitzer all der Herrlichkeit ringsum und 
sah ihnen lächelnd entgegen. 
Alix wurde es ganz eigen ums Herz. Etwas wie glückselige 
Freude und wiederum bange Trauer erfüllte sie. Es war alles 
so  unwirklich,  so  märchenhaft.  So  gar  nicht  in  Worte  zu 
fassen und auch nicht gefühlsmäßig zu ergründen – es war 
einfach da. 
Und nun ging alles überstürzend rasch. Ehe Alix es sich so 
recht versah, saß sie im Korbsessel, der mit einigen anderen 
am runden Tisch stand. Müde lag das Köpfchen der kleinen 

Gela an der Schulter des Mädchens. Die Lider zuckten 
schwer, bis sie sich dann fest über die Kinderaugen legten. 
»Gott sei Dank, sie schläft«, sagte Frau Dieboldt aufatmend. 
»Jetzt werden Sie endlich Ihren Quälgeist los, Fräulein 
Grodes.« 
»Ist auch Zeit«, lachte diese. »Angst und bange wurde mir 
bei so viel Anhänglichkeit.« 
»Die sogar Spuren hinterlassen hat«, fiel die Dame in das 
fröhliche Lachen ein, während sie das Kind behutsam auf 
ihren Arm hob. »Und zwar auf Ihrem Gesicht, Fräulein 
Grodes.« 
»Kann ich mir denken, aber das wird rasch behoben sein.« 

Sie zog aus der Tasche der Reithose ein Fläschchen mit Eau 
de Cologne, säuberte damit Gesicht und Hände, fuhr mit 
einem Kämmchen durch die schimmernden Locken, und 
schon sah sie wieder gepflegt aus. 
»Na also«, nickte Frau Dieboldt, als beantworte sie sich 
eine Frage. Dann 
ging sie mit dem Kind davon, und Isenhardt schmunzelte. 
»Wenn alle Damen so rasch mit ihrem Make up fertig 
wären…« 
»Bitte, Herr Baron, fangen Sie jetzt keinen Streit an«, 
unterbrach sie ihn lachend. »Der wäre denn doch zu viel 

background image

für meinen hungrigen Magen.« 
»Bitte zuzugreifen, gnädiges Fräulein, es steht alles vor 

Ihnen. Ich werde sogar mithelfen, obwohl ich schon 
gefrühstückt habe.« 
Alix griff ohne Ziererei zu, und als man bei der Zigarette 
war, erschien Frau Dieboldt und berichtete, daß der kleine 
Gast vorzüglich untergebracht wäre. Und zwar bei 
Anettchen, die alles im Schloß stopfte und flickte, was 
unter ihre geschickten Finger kam. 
»Wird das ältliche Fräulein auch mit dem schwierigen Kind 
umzugehen verstehen?« fragte Gernot zweifelnd. 
»Ganz bestimmt, Herr Baron. Anettchen ist ja früher 
einmal Kindermädchen gewesen.« 
»Hoffentlich besitzt sie bei der Kleinen so viel 

Anziehungskraft wie Fräulein Grodes. Gela hat nämlich viel 
Schönheitssinn.« 
»Herr Baron, fangen Sie schon wieder an?« tat Alix 
entrüstet, indem sie aufsprang. »Ich flüchte! Auf 
Wiedersehen, gnädige Frau! Lassen Sie sich recht bald im 
Rosenhaus blicken. Auf Wiedersehen, Herr Baron! Lassen 
Sie Ihre spöttische Zunge stutzen.« 
Husch war sie die Stufen der Terrasse hinabgesprungen, 
und die beiden Zurückbleibenden sahen sich verdutzt an. 
Dann lachte Frau Dieboldt hellauf. 
»Ist das ein entzückender kleiner Racker! Darf ich Ihnen 
einen Spiegel vorhalten, Herr Baron?« 

»Lassen Sie nur«, winkte er gleichfalls lachend ab. »Ich weiß 
auch so, wie dämlich ich aussehe.« 
Indes eilte Alix zum Pferdestall, den sie auch ohne Irrweg 
fand. Dort ließ sie sich ihr Pferd geben, saß auf und war 
zehn Minuten später zu Hause, wo sie ihrer geliebten Tante 
Grit ausführlich Bericht erstattete. 
Egon Grodes, der seit vier Wochen das ungebundene Leben 
eines Globetrotters führte, mußte schließlich einsehen, daß 
ihm dieses auf die Dauer zu anstrengend wurde. Zuerst ja, 
da hatte er nicht genug kriegen können von dem bunten 
Treiben, hatte sich förmlich hineingestürzt und alles 

background image

mitgenommen, was die lockende Welt ihm bot. Aber dann 
kam die Ernüchterung und damit das Verlangen nach 

einem geregelten Leben. Und als ihm gar eine lustige 
Witwe, die den stattlichen Mann hartnäckig verfolgte, auf 
die Nerven zu fallen begann, nahm er schaudernd Reißaus 
und landete in seinem verödeten Zuhause, wo er erst 
einmal vierundzwanzig Stunden in tiefem Schlaf versank. 
Und dann war es wieder die unheimliche Ruhe im Haus, 
die ihm auf die Nerven fiel. Also mußte er sich nach 
Dienerschaft umsehen und vor allem nach einer 
Hausdame. 
Zwar kam ihm der Gedanke, Tochter und Schwester, die er 
ganz richtig im Rosenhaus vermutete, nach Hause 
zurückzurufen, doch dieser Gedanke wurde sofort 

verscheucht. Es wäre ja so, als wollte er zu Kreuze kriechen, 
und das ließ sein starrer Sinn denn doch nicht zu. Sie 
sollten zu ihm kommen, nicht er zu ihnen. Denn sie hatten 
ihn ja verlassen. 
Köchin, Hausmädchen und Chauffeur, der gleichzeitig 
Diener sein sollte, hatte er durch die Zeitung bald 
gefunden, doch bei der Hausdame gestaltete sich die Suche 
bedeutend schwieriger. Er bekam nämlich so viele 
Zuschriften auf das Inserat, daß ihm angst und bange 
wurde. 
Mißmutig machte er sich daran, die Briefe zu lesen, und es 
bereitete ihm direkt eine Genugtuung, daß fast alle in den 

Papierkorb wandern konnten. Nur drei Schreiben behielt er 
zurück, beantwortete sie und bat die Damen zur 
persönlichen Vorstellung. 
Zwei von ihnen sagten ihm nicht zu, doch die dritte schien 
das zu sein, was er suchte. Schon ihre Erscheinung gefiel 
ihm, die durchaus damenhaft war, ebenso ihre ganze Art. 
Grodes wurde fast verlegen unter dem klaren, forschenden 
Blick ihrer übrigens sehr schönen, dunklen Augen. 
»Nehmen Sie bitte Platz, Frau…« 
»Härder«, half sie liebenswürdig aus, während sie den 
Sessel einnahm, den er ihr bot. Er setzte sich ihr gegenüber 

background image

und räusperte sich erst einmal, bevor er begann: 
»Sie sind Witwe, Frau Härder?« 

»Ja, Herr Grodes, seit zwei Jahren«, antwortete sie mit einer 
warmen Stimme, die ihn ganz eigen berührte. »Mein Mann 
war Architekt und erlag plötzlich einem Herzschlag. Bisher 
konnte ich mich mit dem hinterlassenen kleinen 
Vermögen recht und schlecht durchschlagen, aber jetzt bin 
ich gezwungen, mir meinen Lebensunterhalt zu 
verdienen.« 
»So waren Sie noch nie in Stellung?« 
»Nein. Aber ich glaube, daß ich einem Hause vorstehen 
kann. Bitte, hier ist mein Ausweis.« 
Mit einer Verlegenheit, über die er sich ärgerte, nahm er die 
Personalien auf. Daß sie mittelgroß und vollschlank war, 

sah er ja selbst, auch daß sie ein feines, klares Gesicht, 
dunkle Augen und sehr gepflegtes dunkles Haar hatte. Ihrer 
eleganten Kleidung nach zu urteilen, schien es ihr bisher 
nicht schlecht gegangen zu sein. Als Vorname war auf dem 
Ausweis vermerkt: Elga – Alter: 44 Jahre. 
»Danke, Frau Härder, das genügt mir.« Er gab ihr die 
Personalpapiere zurück. »Wollen wir es miteinander 
versuchen?« 
»Ich bin nicht abgeneigt, Herr Grodes.« 
»Na schön. Leider finden Sie hier keine eingearbeitete 
Dienerschaft vor, weil ich diese, außer dem 
Gärtnerehepaar, entlassen mußte, bevor ich auf Reisen 

ging. Ich habe also Köchin, Hausmädchen und Chauffeur, 
der gleichzeitig Diener ist, neu einstellen müssen. Es wird 
nicht leicht für Sie sein, die Leute einzuarbeiten, weil Sie ja 
selbst hier noch fremd sind.« 
»Das schaffe ich schon, Herr Grodes«, versprach sie 
zuversichtlich. »Wie groß ist Ihre Familie?« 
Sein Gesicht verfinsterte sich, dann sagte er knapp: »Ich bin 
allein.« 
Er sah sie dabei nicht an und bemerkte 
daher auch nicht ihren teilnahmsvollen Blick. Einige 
Herzschläge lang war es still, dann fragte die Dame: »Wann 

background image

soll ich meinen Dienst antreten, Herr Grodes?« 
»So schnell es geht, Frau Härder«, antwortete er aufatmend. 

»Möglichst schon morgen, wenn es sich einrichten läßt.« 
So kam es denn, daß Elga Härder am nächsten Tag Einzug 
in Villa Grodes hielt. 
Zuerst gab es für sie so manche Schwierigkeit zu 
überwinden, doch davon bekam der Hausherr nichts zu 
spüren. Er hatte seine Ordnung und Gemütlichkeit, wie zu 
Zeiten seiner Frau und später seiner Schwester Grit. Und 
das genügte dem verwöhnten Herrn, zumal die Hausdame 
mit dem Haushaltsgeld, das er ihr zuteilte, gut auskam, 
sogar noch davon übrigbehielt, wie er aus der Abrechnung, 
die sie ihm jede Woche vorlegte, ersehen konnte. 
Da hatte er also bei der Wahl der Hausdame Dusel gehabt, 

wie er es selbst nannte – und einen noch größeren Dusel, 
daß das Schicksal so gütig gewesen war, ihm über seine so 
angeschwärmte Daisy noch kurz vor Toresschluß die 
verblendeten Augen zu öffnen. 
Wie ihm der Gärtner erzählte, war die Dame oft hier 
gewesen, um zu erkunden, ob der Herr des Hauses immer 
noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt wäre – und 
jedesmal hatte sie enttäuscht abziehen müssen. 
Grodes fand unter der für ihn eingegangenen Privatpost 
auch süßduftende Briefchen vor, die er mit verächtlichem 
Lächeln einpackte und ungeöffnet an die Absenderin 
zurückgehen ließ. 

Und ihm platzte sozusagen der Stehkragen, als der Diener 
am nächsten Tag das Fräulein von Tees meldete. Am 
liebsten wäre der ergrimmte Mann hingegangen und hätte 
dieses lästige Insekt eigenhändig zur Tür hinausgeworfen. 
Da dieses jedoch nicht gut anging, bedeutete er dem 
Diener, der Besucherin zu sagen, daß sie sich zum Teufel 
scheren möge – was der junge Mann denn auch wörtlich 
ausrichtete. Da endlich gab das rührend anhängliche 
Fräulein Ruhe. 
Und diese Ruhe tat Egon Grodes gut. Er war mit seiner 
Hausdame sehr zufrieden und konnte abwarten, bis Grit 

background image

und Alix zu Kreuze kriechen würden. Aber leicht sollte 
ihnen das nicht gemacht werden. 

Allein, die beiden Undankbaren, wie der schwergekränkte 
Mann sie bezeichnete, dachten gar nicht daran, in das Haus 
zurückzukehren, das jetzt von einer hochfahrenden Frau 
beherrscht wurde – und in dem der Hausherr nichts weiter 
als Staffage war. Der durfte nur seinen Geldbeutel sehr weit 
aufmachen. 
Sie konnten ja nicht ahnen, daß ein gütiges Geschick den 
verblendeten Mann noch in letzter Minute davor bewahrt 
hatte, die größte Dummheit seines Lebens zu machen. Es 
gab ja niemand, der sie davon in Kenntnis setzte. Und sich 
unter der Hand nach den Verhältnissen in der Villa Grodes 
zu erkundigen, wagten sie nicht – und wollten es auch 

nicht. Sie warteten ab, bis Egon Grodes die verliebten 
Augen aufgehen würden – alles Weitere kam dann von 
selbst. Es ging ihnen ja auch gut im Rosenhaus, das ihnen 
lieber wurde mit jedem Tag. Je mehr es dem Sommer 
zuging, um so üppiger blühten die Rosen in Dornröschens 
Reich. Überall, wohin man auch kam, leuchtete es in allen 
Farben. 
Und wie ein Röslein prankte auch Alix in ihrer jungen, 
berückenden Schönheit. Wie das lachende Leben selber 
mutete sie an, mit den strahlenden Augen und der 
unbeschwerten Fröhlichkeit. Mit einem Liedlein auf den 
Lippen ging sie schlafen, stand morgens damit auf und 

trällerte sich durch den Tag, an dem sie sich ihre 
Beschäftigung suchte. Und als erst die Heuernte begann, 
half nicht nur sie mit, sondern auch Grit. Es ging ihnen 
nicht so flott von der Hand, wie zum Beispiel Vater Brasch 
und der flinken Else, aber immerhin konnte man in diesem 
Jahr auf dem kleinen Besitz ohne fremde Hilfe 
auskommen. 
Und während die vier Menschen auf dem Feld mit Lust 
und Liebe bei der Arbeit waren, tat Muttchen Brasch in 
Haus und Küche ihr Bestes. Sie kochte und buk mit 
freudigem Eifer, damit ihre Arbeiter extra gut verpflegt 

background image

wurden und ja 
nur bei Kräften blieben. 

In einigen Tagen war das schwere Werk getan. Duftend und 
knistertrocken häufte sich das Heu in dem Schuppen, der 
über dem Stall lag. Die Ernte war so üppig ausgefallen, daß 
die Tiere im Winter damit ausreichend gefüttert werden 
konnten. 
»Das wäre wieder einmal geschafft«, schmunzelte Brasch, 
sich den Schweiß von der Stirn wischend. »Und zwar noch 
zur rechten Zeit. Denn mir schwant, als ob wir bald ein 
Gewitter bekommen werden.« 
»So will ich vorher rasch noch ein Bad im See nehmen«, 
lachte Alix fröhlich. »Kommst du mit, Tante Grit?« 
»Mit dem größten Vergnügen. Ich lechze direkt nach einem 

kühlen Bad.« 
Wenig später gingen sie dann zum See hinunter, der 
ungefähr fünfzig Meter weit vom Rosenhaus entfernt lag 
und sich bis über Isen hinzog. Riekchen hatte an einer 
besonders schönen Badestelle eine kleine Bude errichten 
lassen, wo man sich ungeniert aus- und ankleiden konnte. 
Ersteres war jetzt bei Grit und Alix nicht nötig, da sie den 
Bademantel über dem Badeanzug trugen. 
Wie muntere Fischlein schwammen sie in dem klaren 
Wasser, das heute fast lauwarm war. Kein Wunder, da 
schon seit Tagen eine brütende Hitze über dem Land lag. 
Sehr erwünscht für die Heuernte, doch manchmal fast 

unerträglich für die Menschen, die den grünen Segen unter 
Dach und Fach bringen mußten. 
Dazu gehörten in diesem Jahr auch die beiden Stadtdamen. 
Sie waren ordentlich stolz darauf, nicht müßig zur Seite 
gestanden zu haben, während die Landbevölkerung 
stramm arbeitete. 
»Ich glaube, wir kriegen wirklich das Gewitter, das unser 
guter Brasch prophezeite«, zeigte Grit, die neben Alix 
schwamm, nach dem Himmel, wo sich zwischen die Bläue 
dunkle Wolken zu drängen begannen. »Also wäre es 
ratsam, dem Bad zu entsteigen und nach Hause zu eilen. 

background image

Nasser als naß könnten wir allerdings nicht werden, was 
den Regen betrifft. Aber Donner und Blitz ohne 

schützendes Dach sind mir unsympathisch.« 
Derselben Ansicht war auch Alix. 
Also entstiegen sie der klaren Flut, zogen in der Bude den 
nassen Wollanzug aus, hüllten sich in den Bademantel und 
eilten dem Rosenhaus zu. 
Aber ehe sie das Gehöft erreicht hatten, setzte bereits der 
Sturm ein, der dem Gewitter voranzubrausen pflegt. Die 
Bäume bogen sich unter der Wucht des robusten Gesellen, 
es orgelte und pfiff, als wären tausend Teufel losgelassen. 
Am Himmel bauschten sich die Wolken wie schmutzige 
Watte, ein unheimliches Licht beleuchtete die Landschaft. 
Und was waren das für Reiter, die da angeprescht kamen? 

Tatsächlich, Baron Isenhardt und der Verwalter 
Druschmann. Und Isen war noch weit, dazwischen lag kein 
schützendes Dach. 
»Suchen Sie Schutz im Rosenhaus!« rief ihnen Grit zu. Und 
da nahte auch schon Brasch, der das Tor öffnete, damit die 
Pferde auf den Hof laufen konnten. 
Was anschließend geschah, wußten die beiden Damen 
nicht. Sie eilten ins Haus, nach ihren Zimmern, und kaum, 
daß sie diese betreten hatten, brach auch schon das 
Unwetter los. Es krachte und blitzte, der Regen prasselte. 
Rasch kleideten Grit sowie Alix sich an. Und als sie das 
Wohngemach betraten, konnten sie zwei Gäste begrüßen, 

die ihnen der Gewittersturm ins Haus geweht hatte. 
»Das flutschte man gerade noch so hin«, lachte 
Druschmann in seinem Baß. »Donner noch eins, das 
Gewitter hatte es diesmal aber eilig. Keine Minute später, 
dann wären wir wie die gebadeten Kater gewesen. Und nun 
zeigen die Damen wohl ihre Gastfreundschaft.« 
»Soll geschehen«, lachte Alix fröhlich. 
»Und Gastfreundschaft ist in diesem Fall erst mal ein 
ausgewachsener Schnaps auf den ausgestandenen Schreck. 
Habe ich recht, Herr Baron?« 
»Will ich meinen, gnädiges Fräulein«, lächelte er amüsiert. 

background image

»Mein Kompliment, daß Sie die Gepflogenheit der 
Landwirte so schnell begriffen haben.« 

»Kein Wunder, da ich jetzt ja selbst eine Landwirtin bin«, 
gab sie mutwillig zurück, während sie die kleine Bar 
heranrollte. Flugs standen Gläser darauf, die sich mit einer 
bernsteinklaren Flüssigkeit füllten. Man nippte an ihr mit 
Genuß – und draußen krachte und blitzte es. 
Doch ebenso rasch, wie das Gewitter auftrat, verzog es sich 
auch. Der Donner grollte in der Ferne, die Blitze zuckten 
nur noch matt in den düsteren Wolken, durch die dann 
golden die Sonne brach. 
»Kurz aber heftig«, schmunzelte Druschmann. 
»Gleichsam dem Schmerz der Liebe. Stimmt’s, gnädiges 
Fräulein?« 

»Darin bin ich nicht kompetent«, blitzte sie ihn an. »Da 
füge ich mich Ihrer besseren Erfahrung.« 
»Seid friedlich, und begebt euch nicht auf dieses 
undurchdringliche Gebiet«, wehrte Grit lachend. »Ich für 
mein Teil bin prosaischen Dingen zugänglicher. Und zwar 
sehne ich mich nach einem guten Kaffee.« 
Wie auf ein Stichwort erschien Muttchen Brasch, lachend 
über das gute Gesicht. 
»Wie wäre es mit einem guten Kaffeechen nebst allem 
Drum und Dran, meine Herrschaften? Soll ich ihn auf der 
Terrasse servieren, wie meine beiden lieben 
Damen es gewöhnt sind? Das Sonnchen scheint schon 

wieder so schön, und warm ist es auch.« 
»So gehen Sie hin und tun also, Muttchen Brasch«, 
ermunterte Grit, worauf die Gute dann eiligst entschwand. 
Schon zehn Minuten später konnte man sich an den 
einladend gedeckten Tisch setzen. Die Kaffeemaschine 
brodelte, auf einem Teller häuften sich Kuchenstücke, 
üppig mit Streuseln und Mandeln gespickt. Es gab ein 
fröhliches Schmausen, wobei selbst der sonst so 
zurückhaltende Gernot Isenhardt eifrig mittat. Dreimal 
mußte Alix ihm die Tasse mit dem belebenden braunen 
Trank füllen, immer wieder griff seine nervige Rechte nach 

background image

den Kuchenschnitten. Ihm schmeckte es so gut, wie schon 
lange nicht mehr. 

Und dabei kam auch das Herz nicht zu kurz. Es labte sich 
an dem Anblick des Menschenkindes, das ihm wie die 
Verkörperung jungfrohen Menschentums gegenübersaß. 
Die faszinierenden blauen Augen blitzten in dem feinen, 
gebräunten Antlitz, durch den jungroten Mund 
schimmerten die gepflegten Zähne. Die braungoldenen 
Haare, die noch ein wenig feucht waren von dem 
vorhergehenden Bad, ringelten sich auf dem Kopf wie 
gleißende Schlänglein. Die schlanken, gebräunten Arme 
schoben sich aus den kurzen Ärmeln des leichten Kleides, 
das wie eine zarte Welle den grazilen Mädchenkörper 
umbauschte. 

Und dann das goldige, unbekümmerte Lachen. So von 
Herzen kam es, so aus der Tiefe einer reinen Seele heraus. 
Und dieses Lachen war es zu allererst, – was den 
Frauenverächter Gernot Isenhardt betörte, dem seine 
Skepsis den Frauen gegenüber nicht standhielt. Das ihn 
berührte, wie ein wundersames, zärtliches Streicheln. Es 
half ihm gar nichts, daß er sich dagegen wehrte. Es war da 
– und ließ in seinem Herzen tausend rote Rosen sprießen. 
Rosen blühten auch um ihn her. Sie prangten in dem 
kleinen Garten, umrankten das Haus, lugten über das 
Geländer der Terrasse hinweg, dufteten in der Vase auf dem 
Tisch. 

Rosen, Rosen überall – und mittendrin Dornröschen, wie 
der Märchendichter es sich vorgestellt haben mag. 
Doch Märchen sind eben Märchen. Sie verlieren ihren Reiz, 
sofern der Kinderglaube daran entschwunden ist. Und 
Gernot Isenhardt war ein Mann von dreißig Jahren, der 
bestimmt nicht mehr an Märchen glaubte. 
Trotzdem umfing es ihn im Rosenhaus wie mit linden 
Armen. Hier schien alles so einfach zu sein, so ohne Lug 
und Trug. Der Rosenduft umnebelte Hirn und Herz. Ließ 
eine Sehnsucht darin erklingen nach Liebe und Glück. 
»Weiß der Kuckuck, das Rosenhaus hat’s in sich«, sagte 

background image

Druschmann, als er an der Seite seines Herrn Isen zuritt. 
»Es ist etwas eignes darin, etwas, das man nicht in Worte 

fassen kann. So war es schon zu Zeiten der Tante Riekchen, 
und so ist es jetzt bei der kleinen Herrin Alix. Man müßte 
glauben, daß die Rosen dort ohne Dornen sind.« 
»Was natürlich ein Trugschluß ist«, entgegnete der andere 
trocken, der wieder klar denken konnte, nachdem er dem 
Zauberkreis des Rosenhauses entronnen war. »Denn Rosen 
ohne Dornen 
dürfte es wohl nicht geben, ebenso wie es nicht Menschen 
ohne Fehler gibt. Wie sagt Goethe: Wo viel Licht ist, ist 
starker Schatten.« 
Es klang wie abschließend, so daß Druschmann nichts 
darauf zu erwidern wagte. Zwar war er hier mit seinem 

verehrten Herrn nicht einer Meinung, doch wes Brot man 
ißt, des Lied man singt. 
An einem Sonntag, Anfang Juli, erschien Frau Dieboldt im 
Rosenhaus, wo sie freudig willkommen geheißen wurde. 
»Lieb, daß Sie uns besuchen, gnädige Frau«, sagte Alix 
herzlich. »Ich glaubte schon, Sie hätten meine damalige 
Einladung als konventionelle Höflichkeit angesehen.« 
»Nun, daraufhin wäre ich bestimmt nicht erschienen«, war 
die lächelnde Erwiderung. »Der Ton macht immer die 
Musik.« 
»Da bin ich aber froh, daß ich den rechten gefunden habe«, 
lachte Alix vergnügt. »Allen gegenüber finde ich ihn 

nämlich nicht.« 
»Kann man wohl sagen«, bestätigte Grit, der diese feine, 
gütige Frau auf den ersten Blick gefiel, so daß ihre 
Zurückhaltung, die sie sonst Fremden gegenüber hatte, erst 
gar nicht aufkommen konnte. Der richtige Kontakt war 
gleich da, und man plauderte bald, als kennte man sich 
schon lange. 
Man trank den Kaffee natürlich auf der Terrasse, und Frau 
Dieboldt war von der Rosenpracht genauso entzückt wie 
alle andern. Dazu blühten noch die Linden, die Akazien, 
deren süßer Duft sich mit dem der Rosen mischte. 

background image

»Jetzt kann ich auch verstehen, warum Herr Druschmann 
immer wieder behauptet, daß ihm, wenn er im Rosenhaus 

weilt, Herz und Hirn wie umnebelt sind«, lachte der Gast. 
»Man könnte direkt poetisch werden, in Dornröschens 
Reich.« 
»Diese Bezeichnung kennen Sie also auch schon, gnädige 
Frau«, schnitt Alix eine niedliche Grimasse. »Die paßt doch 
nun wahrlich nicht zu mir, die ich alles andere als ein 
märchenhaftes Wesen bin. Kaum zu glauben, wie schnell 
man zu einem Spitznamen kommen kann.« 
»Ich finde ihn reizend – und passend.« 
»Na schön«, meinte das Mädchen gottergeben. 
»Wie geht es übrigens der kleinen Gela, ist sie noch immer 
im Schloß?« 

»Ja. Denn ihre Mutter befindet sich zur Zeit in einem Bad, 
um ihre angegriffenen Nerven zu stärken. Sie hielt eine Kur 
für unbedingt erforderlich, legte dem Herrn Baron sogar 
aus dem Krankenhaus ein Attest vor, das sie sich…« 
»Bei einem liebenswürdigen Arzt erschmeichelte«, warf Grit 
trocken ein. »Und wer bezahlt nun diese bestimmt recht 
kostspielige Angelegenheit?« 
»Der Familienfond der Isenhardt. Der wirft nämlich für 
derartige Fälle eine bestimmte Summe aus *- und die ist 
gewiß nicht klein.« 
»Und wenn diese Summe aufgebraucht ist, was dann?« 
wollte Alix wissen. 

»Dann ist eben die Kur beendet. Aus seiner Tasche zahlt der 
Herr Baron jedenfalls nichts hinzu.« 
»Sehr vernünftig von dem Mann«, meinte Grit. 
»Denn schließlich ist er ja nicht dazu da, um die 
Extravaganzen seiner Stiefschwägerin zu bezahlen. Aber 
wenn diese nun Schulden macht?« 
»Dann muß sie selbst dafür aufkommen. Das weiß sie und 
wird sich daher hüten, über den Etat zu leben. Wird also, 
wenn das ihr zugeteilte Geld verbraucht ist, wieder im 
Witwenhaus aufkreuzen, in dem jetzt eine tadellose 
Ordnung herrscht. Um die herzustellen, mußten drei 

background image

Frauen einen ganzen Tag darin arbeiten.« 
»Kann ich mir denken«, lachte Alix. »Die Schlamperei in 

dem kleinen Haus war tatsächlich vorbildlich. Wie eine 
Frau sich darin wohl fühlen kann, ist mir einfach ein Rätsel 
– und auch, daß sie ihr kleines Kind seinem Schicksal 
überläßt. Hat Gela denn gar keine Sehnsucht nach ihrer 
Mutter?« 
»Nein«, entgegnete Frau Dieboldt. »Sie fühlt sich bei uns 
recht wohl. Nur daß sie gehorchen muß, will ihr nicht so 
ganz behagen. Wir lassen sie ja gewähren, soweit es nur 
angeht, weil wir uns sagen, daß es nicht lohnt, die 
zweijährige Kleine zu erziehen. Denn sofern die Mutter 
zurückkommt, kriegt sie ja doch wieder allen Willen – 
einerseits. Andererseits bekommt sie empfindliche Klapse 

und wird angeschrien für nichts und wieder nichts. Immer 
so, wie der unberechenbaren Frau Mama gerade die Laune 
steht. Bei so einer verkehrten Behandlung kann aus dem 
Kind natürlich nichts Gescheites werden.« 
»Kümmert sich der Vormund denn gar nicht um sein 
Mündel?« fragte Grit. »Wer ist das überhaupt?« 
»Die Mutter des Kindes selbst. So hat es ihr verstorbener 
Mann in seinem Testament bestimmt.« 
»Ach du lieber Gott, auch das noch! Was mag der Mann 
sich dabei gedacht haben? Der hätte seine leichtfertige Frau 
doch kennen und daher wissen müssen, daß man ihr ein 
kleines Kind nicht so ganz und gar überlassen darf.« 

»Ja, was er sich dabei gedacht hat, das weiß man leider 
nicht, Frau von Alkes. Er soll überhaupt ein sonderbarer 
Mensch gewesen sein und dazu kein besonders guter. Sonst 
hätte er seinen kleinen Stiefbruder doch unmöglich so 
hassen können, daß er ihn nach des Vaters Tod sofort aus 
dem Hause gab. Zum Glück nahm der Vormund, den der 
alte Baron testamentarisch bestimmte, sich des vierjährigen 
Knaben an. Er war jedoch ein alter Militär und erzog den 
Jungen wie einen kleinen Rekruten. Später kam er dann in 
ein Internat, besuchte anschließend die landwirtschaftliche 
Hochschule und ging nach deren Absolvierung erst mal auf 

background image

Reisen. Er konnte sich das leisten, weil er seinen Vormund, 
der indes starb, beerbt hatte. Und es war ein reiches Erbe.« 

»Hatte denn der Vormund keine leiblichen Erben?« 
»Nein, Frau von Alkes, er war Junggeselle und der Vetter 
meiner Mutter. Daher weiß ich über die Verhältnisse so 
genau Bescheid. 
Doch nun muß ich gehen, damit ich zum Abendessen zu 
Hause bin. Es weiß dort niemand, daß ich fortging. Ich 
wollte ursprünglich nur einen Spaziergang machen, doch 
als ich das Dach des Rosenhauses sah, von dem ich schon 
soviel gehört, durch die Bäume schimmern sah, packte 
mich das Verlangen, es kennenzulernen. Und ich muß 
schon sagen, daß auch ich davon begeistert bin.« 
»Da sind wir aber froh, was, Tante Grit?« fragte Alix 

lachend. »Nun stehen Sie aber auch zu Ihrem Wort, 
gnädige Frau, und besuchen Sie uns recht oft.« 
»Und wie gern ich das tun werde. Immer dann, wenn ich 
mich nach einem Plauderstündchen sehne. Denn ich fühle 
mich manchmal doch recht vereinsamt.« 
»Sie haben keine Angehörigen?« fragte Grit leise. 
»Nein. Ich verlor meinen Mann schon früh, und Kinder 
habe ich nicht gehabt, auch keine Geschwister. Doch ich 
will nicht undankbar sein, es geht mir ja in Isen so gut. 
Einen rücksichtsvolleren Herrn als den Baron kann ich mir 
gar nicht denken. Nur daß er sehr verschlossen ist, aber das 
liegt nun mal in seiner Natur. 

Aber jetzt habe ich genug geschwatzt, was sonst eigentlich 
nicht meine Art ist. Das macht wohl hier der Rosenduft«, 
schloß sie lachend, und fröhlich fielen die andern ein. 
»Ich bringe Sie im Wagen nach Hause, gnädige Frau«, 
entschied Alix rasch. »Kommst du mit, Tante Grit? Auf dem 
breiten Sitz haben wir zu dritt bequem Platz.« 
»Ich möchte Ihnen aber keine Umstände machen«, wehrte 
der Gast verlegen ab, doch er wurde überstimmt. 
So fuhren sie denn ab und hatten in wenigen Minuten Isen 
erreicht. Gernot 
Isenhardt, der gerade die Freitreppe emporsteigen wollte, 

background image

stutzte und verhielt den Schritt, als der elegante Wagen 
herbeiflitzte. 

»Guten Tag, Herr Baron!« grüßte Alix vergnügt. »Wir 
bringen eine Ausreißerin wohlbehalten zurück.« 
»Ja, Frau Dieboldt, wohin sind Sie denn geraten?« fragte er 
schmunzelnd. »Wollten Sie wirklich Reißaus nehmen, und 
man bringt Sie eskortiert zurück an die Stätte Ihrer Pflicht?« 
»Stimmt auffallend«, gab die Dame mutwillig zurück. 
»Deserteure duldet man nicht im Rosenhaus.« 
Da sie in der Mitte saß, mußte Alix erst aussteigen, bevor 
sie folgen konnte. 
»Also im Rosenhaus waren Sie, Herz und Hirn noch klar?« 
»Jetzt wieder«, kam es lachend zurück. »Aber mittendrin 
wird man wirklich von Rosenduft umnebelt, wie Herr 

Druschmann das so nett sagt.« 
Dann wandte sie sich Grit zu, die im Wagen Platz behalten 
hatte, und sagte herzlich: 
»Haben Sie vielen Dank für die lieben Stunden, Frau von 
Alkes – und auch Sie, Fräulein Grodes.« 
»Nun, die Damen werden uns doch wohl die Freude 
machen und bei uns einkehren«, schaltete Gernot sich ein. 
»Bitte kein so abweisendes Gesicht machen, gnädige Frau.« 
»Das tue ich ja gar nicht«, verwahrte Grit sich mit lachender 
Entrüstung. »Ich überlege nur, ob wir Ihnen so formlos ins 
Haus fallen dürfen, Herr Baron.« 
»Das habe ich im Rosenhaus ja auch getan.« 

»Und ich machte damit den Anfang«, 
sagte Alix vergnügt. »Denn mein erster Besuch hier 
entsprach nun wirklich nicht der korrekten Form.« 
Also mußte Grit sich geschlagen geben. Auch hier nahm 
man auf der Terrasse Platz, die natürlich weit geräumiger 
war als die im Rosenhaus. Auch hier gab es Rosen in 
verschwenderischer Fülle. Üppig blühten die Akazien, die 
alten Linden, Jasmin, Rotdorn und Schneeball. Es war eine 
Blütenpracht ringsum, bei der man sagen konnte: Trink, 
Auge, trink, was die Wimper hält, von dem goldenen 
Überfluß der Welt. 

background image

»Ich glaube, Alix, Frau Dieboldt ist eine Heuchlerin«, sagte 
Grit, sich an den verdutzten Gesichtern der andern 

weidend. »Denn wer so viel wunderbare Schönheit täglich 
vor Augen hat, kann sich wohl kaum für die weit 
kärglichere im Rosenhaus ehrlich begeistern.« 
»Na, nun schlägt’s aber dreizehn«, sagte die Angegriffene 
immer noch verblüfft, mußte dann jedoch mit den andern 
lachen. »Eine schöne Eigenschaft, die Sie mir da 
unterschieben, Frau von Alkes. Ich soll Sie wohl wegen 
Beleidigung verklagen. Heuchlerin – ausgerechnet ich! 
Haben Sie das gehört, Herr Baron? Verteidigen Sie mich 
bitte.« 
»Tja«, entgegnete er bedächtig, während es in seinen Augen 
humorvoll aufblitzte. »Ich weiß ja nicht, ob Sie nicht doch 

im Rosenhaus geheuchelt haben.« 
»Oh, ich arme verkannte Frau! So geh’ ich denn und 
mische Gift ins Abendessen – aus Rache.« 
Vergnügt in das Gelächter der andern einstimmend, ging 
sie davon. Die Zurückgebliebenen unterhielten sich 
angeregt, bis der Gong ertönte. Da sagte der Hausherr 
lächelnd: 
»Bitte, mein Damen, tun Sie mir die Ehre an, und 
verzehren Sie mit mir die erste Prise Salz. Daß es bald ein 
Scheffel werden möge, hoffe und wünsche ich von 
Herzen.« 
»Ei, Herr Baron, seien Sie nicht zu leichtsinnig«, warnte 

Grit. »Denken Sie lieber daran: Die Geister, die ich rief…« 
»Die Anhänglichkeit solcher Geister ließe ich mir schon 
gern gefallen«, parierte er galant, bot den Damen je einen 
Arm und betrat so mit ihnen das Speisezimmer, das einem 
kleinen Saal glich. 
Man nahm in den hochlehnigen Gobelinstühlen Platz, und 
der Diener servierte das ländliche Mahl. Als er sich nach 
dem Dessert zurückzog, sagte Frau Dieboldt: 
»Wie ich hörte, Herr Baron, ist die Frau Baronin mit einer 
Dame und einem Herrn hiergewesen, um Gela abzuholen, 
stimmt das?« 

background image

»Ja, es stimmt«, bestätigte er gelassen. »Warum erregt Sie 
das denn so?« 

»Weil mir die Angelegenheit peinlich ist. Ich gehe doch 
kaum aus dem Haus – und ausgerechnet dann erscheinen 
Gäste.« 
»Ich höre immer Gäste, Frau Dieboldt. Für mich sind das 
solche Menschen, die ich in mein Haus lade – und diese 
kamen ungerufen. Somit hatte ich keine Veranlassung, da 
Gastfreundschaft zu üben. Also haben Sie bei Ihren 
Repräsentationspflichten absolut nichts versäumt.« 
»So sind sie denn ohne jede Erfrischung…?« 
»Ja, sie sind. Und zwar bald. Schade, daß Sie nicht das 
Kaspertheater um das 
Kind mit ansehen konnten.« 

»Und wie benahm sich Gela dabei?« 
»Wie ein Wildkätzchen. Ich glaube, die Herrschaften 
werden arge Kratzer von spitzen Nägelchen zu beklagen 
haben. Dafür gab es recht derbe Klapse von Mutterhand. 
Mir wurde bedeutet, daß ich das früher so artige Kind 
unverantwortlich verzogen hätte, und dann wurde das 
schreiende, zappelnde Menschlein gewissermaßen entführt. 
Es tat mir leid, aber ich konnte ihm keine Hilfe bringen, da 
mir das Recht dazu nicht zusteht.« 
»Armes Dinglein«, sagte die Hausdame mitleidig. »Es hat 
sich hier so wohlgefühlt. Was waren die Fremden denn für 
Menschen?« 

»Die vortrefflich zu der lieben Modeste passen.« 
»Schon faul«, entfuhr es Alix. Und Gernot, der gleich den 
andern über diese trockene Bemerkung lachte, hob ihr sein 
Glas entgegen. 
»Mir ganz aus der Seele gesprochen, gnädiges Fräulein.« 
Da die Mahlzeit beendet war, ging man wieder zur Terrasse 
zurück, wo es noch so warm war, daß die Damen in ihren 
leichten Kleidern sitzen konnten. Man trank den 
Tischwein, außer Alix, die sich ja noch ans Steuer setzen 
mußte, weiter und unterhielt sich froh und munter. Selbst 
der Hausherr ließ ab und zu sein warmes, sonores Lachen 

background image

hören. Immer wieder ging Alix’ Blick verstohlen zu ihm 
hin, der ihr schräg gegenüber saß. 

Ist er nun ein schöner Mann? dachte 
sie grübelnd. Nein, das ist er nicht. Aber seine ganze 
Erscheinung hat etwas Faszinierendes, Stolzes und 
Unnahbares. Blonde Männer habe ich früher eigentlich nie 
gemocht – aber bei diesem ist das alles so anders – so – so 
– ach, ich weiß nicht. 
Ärgerlich über sich selbst ließ sie von ihren Betrachtungen 
ab und beteiligte sich lebhaft an dem allgemein gehaltenen 
Gespräch. 
Als man aufbrach, stand die Sonne gerade am Horizont. 
Goldigrot leuchtete der Ball. Der Himmel um ihn her 
schillerte in prächtigem Farbenspiel. Alix fuhr ganz 

langsam, um den wunderbaren Anblick so recht genießen 
zu können. 
»Ist das schön«, sagte Grit andächtig. »Ich glaube, ich werde 
wohl mein Leben im Rosenhaus beschließen.« 
»Oh, Grit, das klingt ja direkt melancholisch«, lachte die 
Nichte hellauf. »Wenn ich bedenke, welch eine begeisterte 
Stadtdame du noch vor einem Vierteljahr warst, dann muß 
ich schon sagen, daß dein Sinn sich sehr rasch geändert 
hat.« 
»Ich werde eben alt und behäbig.« 
»Auch das noch!« wollte der Schelm sich halbtot lachen. 
»Du hast es gerade nötig, mit deinem Alter zu kokettieren. 

Ja, wenn du sagen möchtest, daß du heiraten willst, das 
würde ich dir sogar glauben.« 
»Halt ein!« hob die Tante in komischem Entsetzen die 
Hände. »Mein liebes Kind, ich habe von einer Heirat 
genug. Ich gehöre leider nicht zu den Glücklichen, die in 
der Ehe den Himmel auf Erden hatten.« 
»Gibt es so was überhaupt, Tante Grit?« 
»Ich denke schon, wenn auch nicht oft. Nimm als Beispiel 
die Ehe deiner Eltern, die war doch nun wirklich ideal. 
Deshalb kann ich deinen Vater nicht verstehen. 
Na sprechen wir nicht davon«, begütigte sie, als sie sah, wie 

background image

das Gesicht der Nichte sich verfinsterte. »Berauschen wir 
uns lieber am Anblick des Rosenhauses, das so traut zu uns 

herübergrüßt. Mädchen, was können wir glücklich sein, 
hier eine Zuflucht gefunden zu haben.« 
»Hast recht, Tante Grit«, hellte sich die düstere Miene 
wieder auf. »Schau mal, am Tor stehen Mariechen, ihr guter 
August und Else: Sie winken uns mit strahlenden 
Gesichtern zu. Ist das ein trautes Nachhausekommen!« 
Gleich darauf fuhr der Wagen auf den Hof, und man 
empfing die Insassen mit rührender Freude. Wo die Damen 
denn so lange waren, ganz gräßliche Sorge hätte man sich 
gemacht. Dazwischen bellte der Hund – es war wirklich ein 
trautes Nachhausekommen. 
Sechs Wochen weilte Frau Härder nun schon im Hause von 

Egon Grodes, der mit seiner Hausame restlos zufrieden 
war. Ihre feine, zurückhaltende Art nahm ihn immer mehr 
für sie ein. Er freute sich direkt auf den Abend, wo er noch 
einige Stunden mit ihr plaudern konnte. Er staunte immer 
wieder, wie klug die Frau war, wie feinsinnig und 
warmherzig. Er selbst sprach nicht viel, 
um nur dieser klangvollen Stimme lauschen zu können. 
Daher gefiel es ihm gar nicht, daß sie jeden 
Sonntagnachmittag aus dem Haus ging. Dann saß er 
verdrießlich da und wußte nichts mit sich anzufangen. 
Zum Kuckuck, warum war sie so erpicht darauf, diese 
Stunden für sich zu beanspruchen. Gewiß, sie kamen ihr zu 

– aber trotzdem. Sollte sie etwa…? 
Und schon war sie da, die Eifersucht, der er einfach nicht 
Herr werden konnte. Sie quälte und peinigte ihn, ließ ihn 
nicht mehr zur Ruhe kommen. Und als Elga an einem 
Sonntagnachmittag bei ihm erschien, um sich abzumelden, 
da konnte er sich nicht mehr beherrschen und fuhr sie 
gereizt an: 
»Können Sie denn nicht mal einen Sonntag hierbleiben, 
Frau Härder? Wohin zieht es Sie denn eigentlich! Steckt ein 
Mann dahinter?« 
»Und wenn, dann wäre es doch wohl meine eigene 

background image

Angelegenheit«, gab sie gelassen zurück. »Ein Privatleben 
muß ja schließlich jedem Angestellten zugebilligt werden, 

nicht wahr?« 
»Das schon«, brummte er verbissen. »Aber gerade bei Ihnen 
– befremdet mich das. Wollen Sie mir nicht wenigstens 
sagen, wer der Mann ist?« 
Da umzuckte ein amüsiertes Lächeln ihren Mund. Es klang 
fast mutwillig, als sie erklärte: 
»Ein Mann ist es allerdings, der mich mit tausend Banden 
zu sich zieht. Aber nur ein kleiner von zehn Jahren – mein 
Sohn.« 
»Was, Sie haben einen Sohn?!« fuhr Grodes jetzt auf. »Ja 
um alles in der 
Welt, warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ist er etwa…« 

Jetzt konnte sie das Lachen nicht mehr zurückhalten, mit 
dem sie seit Minuten kämpfte. Warm und weich brach es 
aus ihr hervor. 
»Beruhigen Sie sich, Herr Grodes, es geht alles mit rechten 
Dingen zu. Der Junge entstammt einer legitimen Ehe und 
heißt Winfried Härder.« 
»Entschuldigen Sie bitte«, murmelte er beschämt, während 
er ihrem lächelnden Blick auswich. »Aber wie konnte ich 
denn ahnen – hm, ja – warum haben Sie denn nie von 
Ihrem Sohn gesprochen?« 
»Weil ich Sie mit meinen Angelegenheiten nicht belästigen 
wollte. Man muß vorsichtig sein, wenn man in Lohn und 

Brot steht.« 
»Welch ein Unsinn!« entfuhr es ihm unwillig. »Sie müssen 
doch schon längst gemerkt haben, daß ich weit mehr als 
nur eine Angestellte in Ihnen sehe. Wo befindet sich der 
Junge?« 
»Im Internat.« 
»Fühlt er sich da wohl?« 
»Nein. Aber er ist verständig genug, um einzusehen, daß er 
nicht bei seiner Mutter sein kann, die sich ja selbst in 
einem fremden Haus befindet, wo sie seinen und ihren 
Lebensunterhalt verdienen muß.« 

background image

»Holen Sie ihn her«, sagte der Mann jetzt barsch. 
»Herr Grodes, ich möchte dem Jungen das Herz nicht noch 

schwerer machen, als es ohnehin schon ist. Er verbeißt 
jedesmal tapfer die Tränen, wenn ich ihn nach meinen 
Besuchen, auf die er sich schon die ganze Woche über 
freut, wieder verlasse. Und wenn er nun herkommt – und 
dann wieder fort muß – bitte, Herr Grodes, ersparen Sie es 
ihm – und auch mir.« 
»Fällt mir gar nicht ein. Ich möchte Ihren Sohn 
kennenlernen, und dazu werden wir zum Internat fahren.« 
»Haben Sie doch Erbarmen!« 
»Eben.« 
Wenig später fuhren sie dann dem Internat zu, das zwei 
Kilometer von der Stadt entfernt war. Ein stattliches 

Gebäude von einem gepflegten Park umgeben, über dem 
jetzt die Mittagsruhe lag. An der Portaltür wurden sie von 
einem Portier empfangen, der Frau Härder zu kennen 
schien; denn er ließ sie ohne weiteres passieren. 
Und dann nahm sie ein mäßig großer Raum auf, das 
Besuchszimmer, in dem die Eltern ihre Söhne sprechen 
konnten. Frau Härder, die blaß war und der die Tränen in 
der Kehle saßen, drückte den Klingelknopf neben der Tür, 
und gleich darauf trat ein junges Mädchen ein. 
»Guten Tag, gnädige Frau«, grüßte es höflich. »Ich werde 
Ihrem Sohn Bescheid sagen.« 
»Ich möchte zuerst mit der Frau Oberin sprechen.« 

»Bitte.« 
Die Tür schloß sich – und nun kamen doch die Tränen, die 
Elga bis jetzt tapfer verbissen hatte. Hastig strich sie mit 
dem Taschentuch über die Augen, und dann stand die 
Oberin im Zimmer. Eine stattliche Dame, sympathisch und 
irgendwie vertrauenerweckend. Grodes wurde ihr 
vorgestellt – und da glitt ein Lächeln um den schmalen 
Mund. 
»Vom Hören und Sehen sind Sie mir bereits bekannt, Herr 
Grodes. Ich freue 
mich jedoch, nun Ihre persönliche Bekanntschaft zu 

background image

machen.« 
»Verbindlichsten Dank, Frau Oberin. Hätte nie gedacht, 

daß ich eine so bekannte Persönlichkeit im Städtchen bin.« 
»Was macht Winfried?« fiel Elga hastig ein, der das alles 
ersichtlich peinlich war. »Haben Sie über ihn Klage zu 
führen, Frau Oberin?« 
»Keineswegs, Frau Härder. Er ist ein folgsamer Junge, dazu 
ein guter Schüler – aber leider zu ernst und verständig für 
seine zehn Jahre. Das Einleben hier ist selten einem 
Knaben so schwergefallen wie ihm.« 
»Hat er sich schon damit abgefunden, daß er die Ferien 
hier verbringen muß?« 
»Äußerlich ja. Doch innerlich blutet ihm wohl das 
Herzchen. Er hängt eben zu sehr an seiner Mutter.« 

Sich freundlich verabschiedend, ging dann die Dame – und 
fünf Minuten später lagen „Mutter und Sohn sich in den 
Armen. 
»Hm«, räusperte sich Egon, und da schob Elga ihm den 
Jungen zu. 
»Begrüße Herrn Grodes, Winfried. Er war so freundlich, 
mich in seinem Auto hierher zu fahren.« 
Der Mann wurde fast verlegen unter dem Blick des Knaben, 
der rank und schlank vor ihm stand. Es waren die dunklen 
Augen der Mutter – und auch sonst war der Sohn ihr sehr 
ähnlich. Grodes zog das Kind nahe zu sich heran. 
»Also du bist Winfried Härder«, sagte er langsam. »Du 

liebst deine Mutti wohl sehr?« 
»O ja, Herr Grodes.« 
»Bist du gern im Internat?« 
»Nein.« Der dunkle Lockenschopf senkte sich beschämt. 
»Aber ich muß hierbleiben, sagt Mutti. Und was sie sagt, ist 
gut und richtig.« 
»Aber lieber möchtest du bei ihr sein, nicht wahr?« 
»Herr Grodes, bitte nicht!« flehte Elga, doch er ließ sich 
nicht beirren. 
»Wann bekommst du Ferien, Winfried?« 
»Ich habe sie schon seit gestern, Herr Grodes.« 

background image

»Und warum bist du dann noch hier?« 
»Weil – weil ich kein Zuhause habe. Aber ich bin nicht der 

einzige Junge, der während der Ferien hierbleiben muß«, 
setzte er hastig hinzu, während sich seine Augen mit 
Tränen füllten. 
Und das war dem Mann denn doch zuviel. Er sprang auf, 
eilte aus dem Zimmer, und als er wiederkam, sagte er kurz: 
»Bitte, Frau Härder, packen Sie die Sachen Ihres Sohnes 
zusammen. Er verlebt die Ferien in meinem Haus.« 
»Herr Grodes, ich bitte Sie.« 
»Nichts da! Packen Sie den Koffer. Alles andere habe ich 
mit der Oberin bereits erledigt.« 
Eingeschüchtert von der herrischen Art des Mannes, 
entfernten Mutter und Sohn sich. Als sie nach geraumer 

Zeit zurückkamen, griff Grodes nach dem Koffer und trug 
ihn zum Auto. Als man darin Platz genommen hatte, 
schmiegte der Knabe sich an die Frau und stammelte 
verstört: 
»Mutti – ich habe – doch so – große Angst!« 
»Wovor denn, du dummer kleiner 
Kerl«, klang nun die Stimme des Mannes gütig auf. »Etwa 
vor mir?« 
»Ja, Herr Grodes. Sie sind – so – so – streng.« 
»Das wird sich geben, mein Jungchen. Weißt du auch, daß 
ich deiner Mutti böse bin?« 
»Warum denn: Mutti ist doch so gut.« 

»Nicht zu mir. Sonst hätte sie deine Existenz nicht so lange 
unterschlagen.« 
Fünf Minuten später stand der Wagen vor dem Portal der 
Villa. Grodes stieg aus, hob den Knaben vom Sitz und 
strich ihm über den dunklen Lockenkopf. 
»Herzlich willkommen, mein Kerlchen. Ich hoffe, daß es 
dir in meinem Haus besser gefallen wird als im Internat.« 
»Oh, es gefällt mir überall, wo meine Mutti ist.« 
Damit schob sich die Knabenhand zutraulich in die des 
Mannes, und so betraten sie das Haus. Mit 
widerstreitendem Empfinden folgte Elga. Ihr war sehr bang 

background image

ums Herz. 
Egon Grodes saß im Wohngemach und wartete auf die 

Hausdame, die Winfried in dem kleinen Zimmer, das 
neben dem ihren lag, zu Bett brachte. Daß er neben der 
Mutter wohnen durfte, beglückte den Jungen, wie ihn 
überhaupt alles beglückte, was so plötzlich und ungeahnt 
in sein Leben getreten war. 
»Darf ich wirklich die ganzen Ferien über hierbleiben, Herr 
Grodes?« fragte er ängstlich, bevor er zu Bett ging. Und als 
der Mann das bestätigte, wurde er stürmisch umhalst und 
geküßt, was die Mutter bei „ihrem sonst so 
zurückhaltenden Sohn nicht wenig wunderte – und was 
ausschlaggebend war für ihr kommendes Glück. Das den 
Mann einen Entschluß fassen ließ, der ohne die 

beglückende Zutraulichkeit des Kindes noch lange nicht 
gefaßt worden wäre. 
»Der Junge wird vor Glückseligkeit wohl lange nicht 
einschlafen können«, sagte Elga leise, als sie Egon 
gegenüber saß. »Sie glauben gar nicht, wie dankbar er 
Ihnen ist, Herr Grodes. Er hat Sie bereits tief in sein 
zärtliches Herzchen geschlossen.« 
»Was wohl auf Gegenseitigkeit beruhen dürfte.« 
»Wirklich, Herr Grodes?« 
»Wirklich, Sie Zweiflerin. Doch wie ist es – können Sie 
etwa noch mit solch weiteren Prachtexemplaren aufwarten? 
Denn bei der Unterschlagung des Jungen muß man ja auf 

alles gefaßt sein«, schloß er lachend, und ihr feines Antlitz 
überzog sich mit heißer Glut 
»Nein, Winfried ist mein Einziger. Er wurde uns erst nach 
zehnjähriger Ehe geboren – und wurde wohl gerade 
deshalb unser Abgott.« 
»Bei dem prächtigen Kerlchen ja auch gut zu verstehen. 
Was meinen Sie, Frau Härder, ob wir ihn hierbehalten?« 
»Um Gott, Herr Grodes, das geht doch nicht!« wehrte sie 
erschrocken. »Sie können sich doch unmöglich mit einem 
fremden Kind belasten.« 
»Belasten dürfte wohl nicht der richtige Ausdruck sein. Und 

background image

fremd auch nicht, da ich den Jungen gleich beim ersten 
Sehen spontan in mein Herz schloß. Und wissen Sie auch 

warum?« 
»Nein.« 
»Weil er Ihnen so ähnlich ist. Und da 
ich ihn nicht mehr hergebe, wird sich wohl auch die Mutter 
dazu entschließen müssen, bei ihm zu bleiben – natürlich 
als meine Frau.« 
Zuerst starrte sie ihn verblüfft an, doch dann lachte sie 
hellauf. 
»Soll das etwa ein – Heiratsantrag sein?« 
»Na, was denn sonst? Allerdings hätte ich zuerst fragen 
müssen, ob Sie mich überhaupt mögen.« 
»Ich glaube schon«, lachte sie jetzt unter Tränen – und was 

dann geschah, war unausbleiblich. Zwei Herzen hatten sich 
gefunden. Und wenn auch nicht gerade im stürmischen 
Jugendschwang, so doch voll inniger, beseligender Liebe. 
»So, jetzt ist mir endlich wohl«, lachte der Mann, als er die 
Liebste aus den Armen ließ und sich zu ihr auf die 
Sessellehne setzte. »Die Eifersucht hat mich nicht wenig 
geplagt, da ich annehmen mußte, daß du in deinen 
Freistunden zum Rendezvous gingst.« 
»Wie töricht, Egon! Aus den Jahren dürfte ich wohl längst 
heraus sein, um zum Stelldichein zu eilen – möglichst 
Treffpunkt an der Normaluhr.« 
»Na ja, Verliebte sind eben töricht«, gab er freimütig zu. 

»Aber verliebt bin ich eigentlich gar nicht in dich – das war 
ich alter Trottel einmal.« 
»Wie schauerlich«, lachte sie amüsiert. »Aber laß nur, deine 
vorübergehende Verirrung ist mir nicht unbekannt.« 
»Gott sei Dank, dann brauche ich dir diese Eselei 
wenigstens nicht zu berichten«, atmete er hörbar auf. 
»Woher kennst du die für mich so beschämende Episode 
überhaupt?« 
»Ich erfuhr sie ganz durch Zufall«, wich sie aus, um die 
Gärtnersleute nicht angeben zu müssen. Von ihnen wußte 
sie auch über Grit und Alix Bescheid. Sie wartete jetzt 

background image

darauf, daß Egon über sie sprechen würde, sie jedenfalls 
wollte davon nicht anfangen. 

»Ja, es war die größte Blamage meines Lebens«, gestand er 
mit bitterem Auflachen. »Ich muß Gott dankbar sein, daß 
er mir noch zur rechten Zeit die verblendeten Augen 
öffnete und mich nicht in mein Unglück taumeln ließ – 
und daß er das Maß seiner Güte voll machte, indem er dich 
mir zuführte, du liebste Frau. Verdient habe ich das 
wahrlich nicht.« 
»Aber Egon, das darfst du doch nicht sagen.« Sie strich 
zärtlich über seinen geneigten Kopf. »Ich bin so glücklich, 
dich gefunden zu haben – und meinem Jungen einen so 
gütigen Vater geben zu können. Ach, Egon, ich kann mein 
Glück immer noch nicht fassen!« 

»Ich eigentlich auch nicht, aber wir werden es schon noch 
begreifen. Jedenfalls wollen wir ein Leben führen, um das 
die Götter uns beneiden sollen! 
Doch zuerst müssen wir uns leider auf kurze Zeit trennen, 
bis wir uns in aller Stille trauen lassen können. Als meine 
Verlobte kannst du hier nicht bleiben.« 
»Aber Egon, wir als reife Menschen.« 
»Wenn auch. Ich möchte nicht, daß du in geifernde 
Klatschmäuler gerätst, dafür bist du mir zu lieb und wert. 
Also wirst du mit dem Jungen in ein Seebad fahren, 
während ich das Aufgebot bestelle und alles Weitere zur 
Heirat vorbereite. Wenn es soweit ist, hole ich dich ab. 

Einverstanden?« 
»Im großen und ganzen ja«, kam die 
Antwort zögernd. »Ich fürchte nur, daß dann hier alles 
drunter und drüber gehen wird. Die Dienerschaft ist 
nämlich nichts wert – und steht außerdem in ständigem 
Streit, seitdem der Chauffeur beiden Mädchen die Ehe 
versprochen hat.« 
»Und das sagst du mir jetzt erst, Elga?« 
»Früher wagte ich es nicht. Ich war doch schließlich als 
Hausdame dazu da, dem Hausherrn jede 
Unannehmlichkeit fernzuhalten.« 

background image

»Dein Pflichtgefühl in Ehren, mein Kind, aber in diesem 
Fall übertrieben. Wenn ich nur eine Ahnung gehabt, wäre 

ich schon längst mit einem Donnerwetter 
dazwischengefahren. Aber laß man, das hole ich nach. 
Wenn du als Herrin hier einziehst, findest du dein Haus 
sauber.« 
»Ach, Egon, wie schön ist es doch, wieder einen Beschützer 
und Berater zu haben«, legte sie mit glücklichem Lächeln 
den Kopf an seine Schulter. Er küßte zart die Augen, die so 
freudestrahlend zu ihm aufsahen und mußte sich erst 
kräftig räuspern, bevor seine Stimme klar klang: 
»Und ich bin glücklich, daß ich es sein darf, du liebste 
Frau. Doch nun zu Winfried. Ob wir ihm schon morgen 
sagen, daß ich sein Vater werden will?« 

»Nein, Egon«, entgegnete sie leise. »Sein übervolles 
Herzchen muß erst mit dem Glück fertig werden, das ihm 
der heutige Tag brachte. Man darf ihm nicht zu viel 
zumuten, sonst schnappt er am Ende noch über.« 
»Hast recht«, lachte er. »Also halten 
wir mit dieser Eröffnung zurück, bis er als Sohn hier 
einziehen kann.« 
Am nächsten Tag brachte Grodes seine beiden lieben 
Menschen nach einem nahegelegenen Seebad, wo sie gut 
unterkamen. Winfried war nicht so froh, wie man erwartet 
hatte. Er wäre viel lieber mit der Mutter bei seinem guten 
Freund geblieben, wie er Egon ganz ernsthaft nannte. Doch 

als dieser ihm versprach, ihn in spätestens drei Wochen 
wieder abzuholen, gab er sich zufrieden. 
Schon nach wenigen Tagen sollte Grodes Gelegenheit 
haben, die Dienerschaft fristlos zu entlassen. Denn er kam 
gerade hinzu, als die beiden Mädchen sich buchstäblich in 
den Haaren lagen und der Chauffeur die beiden Raufenden 
unflätig beschimpfte. Mit einem Donnerwetter fuhr der 
Hausherr dazwischen, zahlte die rüde Gesellschaft aus – 
und in zwei Stunden war sein Haus sauber. 
Darüber war nicht nur er froh, sondern auch die 
Gärtnersleute, die er aufsuchte, um die Frau zu bitten, sich 

background image

seines verwaisten Hausstandes anzunehmen, bis er neue 
Dienerschaft eingestellt hatte. Bereitwillig sagte sie zu, und 

der Gärtner meinte bedächtig: 
»Gott sei Dank, daß das Gesindel endlich fort ist. Mir hat 
Frau  Härder  immer  so  leid  getan,  die  sich  mit  so  einem 
Pack herumärgern mußte, dem die feine Dame bestimmt 
nicht gewachsen war. Kein Wunder, daß sie ihren schweren 
Posten aufgab.« 
»Sie kommt wieder«, erwiderte Grodes lächelnd. »Hat nur 
ihren Urlaub genommen, den sie mit ihrem Sohn an der 
See verbringt.« 
»Na, das freut mich aber. Und wie denkt der Herr nun über 
die neue Dienerschaft?« 
»Die muß ich zuerst einmal suchen. Hoffentlich erlebe ich 

damit nicht wieder einen Reinfall.« 
»So ist es, Herr Grodes. Aber wie wäre es, wenn Sie die 
vorherige Dienerschaft wieder einstellen würden? Die war 
doch gut geschult und intelligent über den Durchschnitt. 
Mit solchen Menschen läßt es sich doch besser umgehen, 
als mit beschränkten.« 
»Da haben Sie recht. Aber erstens weiß ich nicht, ob die 
Leute Lust hätten, zurückzukommen, und dann befinden 
sie sich wohl alle in Lohn und Brot.« 
»Eben nicht, Herr Grodes. Kürzlich war Alma, die 
inzwischen den Chauffeur geheiratet hat, bei uns und 
klagte Stein und Bein, daß sie beide arbeitslos wären. Denn 

ein Ehepaar stellt man nicht gern ein. Und auch Ella hat 
ihren Dienst aufgesagt und befindet sich gleichfalls auf 
Stellungssuche. Die würden gern zurückkommen, wo es 
ihnen so gut ging.« 
»Großartig!« klopfte Grodes dem Mann auf die Schulter. 
»Für diese Nachricht könnte ich Sie in Gold fassen lassen. 
Wissen Sie, wo die drei wohnen?« 
»Ja.« 
»Dann bestellen Sie sie zu mir.« 
So kam es denn, daß Villa Grodes wieder zu einer 
geschulten, bewährten Dienerschaft kam. Sie brachten auch 

background image

gleich einen kleinen jungen Diener mit, der dem 
Hausherrn auf den ersten Blick gefiel und den er sofort 

engagierte. Daß 
die Köchin und der Chauffeur ein Ehepaar waren, konnte 
ihm nur recht sein. 
Allerdings machte er die Leute darauf aufmerksam, daß er 
in zwei Wochen zu heiraten gedächte. 
»Aber ich glaube, Sie werden diesmal mit meiner Wahl 
zufrieden sein«, setzte er lachend hinzu, und verlegen fiel 
man in das Lachen ein. 
Und dann war der Tag da, wo Egon Grodes dem Seebad 
zufuhr, um Elga mit ihrem Sohn heimzuholen. Am 
nächsten Vormittag war die Trauung angesetzt, die auf 
Vereinbarung nur standesamtlich stattfinden sollte. Mit 

rührender Freude wurde er von Mutter und Sohn 
empfangen, und letzterer fragte sofort nach der Begrüßung: 
»Jetzt nehmen Sie uns aber mit, Herr Grodes, nicht wahr?« 
»Ehrensache, mein Junge. Morgen früh fahren wir vergnügt 
der Heimat zu.« 
»Oh, dann bleiben mir noch ganze zwei Wochen, bis ich 
wieder ins Internat zurück muß.« 
Egon warf Elga einen fragenden Blick zu, und sie schüttelte 
lächelnd den Kopf. Da wußte er, daß er noch schweigen 
sollte. 
Als Winfried zu Bett gegangen war, machten die Verlobten 
noch einen Abendspaziergang durch den Wald. Sie gingen 

Arm in Arm, beglückt, sich wiederzuhaben. 
Und doch lag ein Schatten über dem Männerantlitz. 
»Egon, willst du mir nicht sagen, was dich quält?« begann 
die Frau behutsam – und da machte er seinem Herzen Luft. 
Sprach von Grit, von Alix, die ihn so 
schnöde im Stich gelassen hatten. Ruhig hörte Elga ihm zu 
und sagte dann leise: 
»Und wenn du mir darob auch zürnen solltest, so muß ich 
dir dennoch sagen, daß ich in dem Fall genauso gehandelt 
hätte wie deine Tochter und deine Schwester.« 
»Elga, das hättest du wirklich getan?« 

background image

»Ja, Egon«, entgegnete sie fest. »Denn mit so einer 
Stiefmutter und Schwägerin zusammenzuleben, wäre für 

die beiden ganz einfach die Hölle gewesen. Um ihr zu 
entgehen, räumten sie stillschweigend das Feld. Willst du 
sie nicht von unserer morgigen Eheschließung 
benachrichtigen?« 
»Nein!« stieß er verbissen hervor. »Ich würde es nicht 
ertragen, dich von ihnen scheel ansehen – und mich wegen 
meiner zweiten Heirat schmähen zu lassen.« 
»Aber, aber.« Sie legte ihre Hand beschwichtigend auf die 
seine, die merklich zitterte. »So schätze ich deine Lieben 
nun wirklich nicht ein.« 
»Du kennst sie ja gar nicht. Und nun quäle mich nicht 
länger.« 

Da schwieg sie, aber das Herz war ihr schwer. 
Am nächsten Morgen fuhren sie zur Stadt und ließen sich 
in aller Stille standesamtlich trauen. Vorher hatte Grodes 
den kleinen Winfried zur Villa gebracht und ihn der 
Dienerschaft anvertraut. Zwar machte man große Augen, 
als der fremde Knabe so plötzlich auftauchte, aber man 
nahm sich sofort liebreich seiner an. Was sie noch 
erstaunte, war, daß Frau Alma ein Festessen richten sollte. 
Und dann stand plötzlich der Herr in der Küche und stellte 
ihnen glückstrahlend seine junge Frau vor. Doch schon 
bevor sie sich noch von dieser Überraschung erholt hatten, 
kam schon die zweite. Denn der Hausherr öffnete die Arme 

weit und sagte lachend zu Winfried, der wie erstarrt stand. 
»Nun komm schon zu deinem Paps, mein Bürschlein. Oder 
möchtest du mich nicht als solchen haben?« 
»Papi – du bist wirklich mein Papi – und Mutti deine 
Frau?« fragte das Kind heiser vor Erregung. »Ganz wirklich 
ist das wahr?« 
»Junge, so komm doch endlich zu dir«, zog die Mutter ihr 
Kind an sich, das am ganzen Körper zitterte. »Wir beide 
haben hier eine schöne Heimat gefunden. Du brauchst 
nicht mehr ins Internat zurück.« 
Da warf sich der Junge mit einem Jubelruf dem 

background image

erschütterten Mann in die Arme. 
Von diesen Ereignissen hatten Grit und Alix keine Ahnung. 

Sie fühlten sich immer noch glücklich im Rosenhaus. 
Langeweile? O nein, die kannten sie nicht. Ihre Tage waren 
so ausgefüllt, daß sie ruhig hätten länger sein können, wie 
sie behaupteten. Morgens unternahm Alix zuerst ihren 
gewohnten Ritt, anschließend mit Grit das Morgenbad im 
See, und dann wurde mal erst ausgiebig gefrühstückt. 
Hinterher suchte man sich seine Beschäftigung, die es 
immer für sie gab, zumal Else geheiratet hatte und 
Muttchen Brasch ohne Hilfe war. Eine neue einzustellen, 
dazu war sie nicht zu bewegen. 
»Die Mädchen taugen alle nichts«, entschied sie kurz und 
bündig. »Und ehe ich mich mit so was abplage, mach ich 

die Arbeit lieber allein.« 
Man ließ ihr den Willen und griff zu, obwohl das 
ehrgeizige Mariechen heftig dagegen protestierte. Das wäre 
doch nichts für feine Damen. Die sollten lieber zur Stadt 
fahren, Spazierengehen, lesen oder Klavier spielen. Als sie 
jedoch kein Gehör fand, gab sie nach und war insgeheim 
froh, daß ihr zeitraubende Arbeiten abgenommen wurden. 
Vater Brasch konnte sich auch nicht gerade über 
Arbeitsmangel beklagen. Er bestellte den Acker, versorgte 
die Tiere, hielt Gemüse- und Ziergarten in Ordnung, fand 
immer irgend etwas zu basteln. Später würde dann die 
Kartoffelernte kommen, anschließend die der Rüben, kurz 

und gut. Arbeit gab es immer, obwohl das Gehöft nur klein 
war. 
Zweimal in der Woche fuhren Grit und Alix zur Stadt, um 
Besorgungen zu machen. Sie verweilten jedoch nicht länger 
als nötig. Den Vergnügungen, welche die Stadt bot, konnte 
man auch im Herbst und Winter nachgehen, jetzt war es 
im Rosenhaus viel zu schön, um ihm länger als nötig 
fernzubleiben. 
Mittlerweile war es August geworden, und die Roggenernte 
ging ihrem Ende entgegen. Die Landwirte hatten strammen 
Dienst, also auch die von Isen. Herr und Verwalter gönnten 

background image

sich keine Ruhe, befanden sich immer bei den Arbeitern 
auf dem Feld. Gernot Isenhardt hielt es eben anders als 

sein verstorbener Stiefbruder, der während der Erntezeit im 
kühlen Zimmer saß, süffigen Wein trank und sich des 
süßen Nichtstun erfreute. 
Warum  auch  nicht?  Er  hatte  ja  keinen  Erben,  der  das 
wunderbare Isen nach seinem Tode übernehmen konnte. 
Und der verhaßte Stiefbruder bekam noch viel zu viel. 
Einen großen schuldenfreien Besitz und auch noch Geld, 
das darauf ruhte – und an das der geldgierige Bucklige laut 
Bestimmung nicht heran konnte. 
Nun, wenn man es genau nahm, hatte Gernot Isenhardt es 
gar nicht nötig, in seinem Bereich so auf Posten zu sein; 
denn er besaß ein beträchtliches Privatvermögen. Doch die 

Arbeit war ihm nun einmal Lebensbedürfnis, er konnte 
ohne sie nicht sein. 
Auch hatte der jetzige Besitzer von Isen es wahrlich nicht 
nötig, um Geld zu freien. Er hätte sich ruhig ein 
»Kirchmäuslein« leisten können, wenn sein Herz für es 
sprach. Allein, es hatte bei diesem Skeptiker noch nicht 
gesprochen. 
Gernots Herz aber schlug rascher, wenn die bezaubernde 
Alix Grodes auftauchte. Schmolz nicht unter den 
strahlenden Augen, dem herzfrohen Lachen, der ganzen 
bestrickenden Art dieses Sonnenkindes die Eiskruste, die 
des Mannes Herz umgab, langsam dahin? Er grübelte nicht 

lange darüber nach, er ließ sich treiben. 
Und Alix? Nun, der steckte Amors Pfeil schon längst im 
Herzen. Doch vorläufig tat es noch nicht weh. Es beglückte 
vielmehr und gab zu süßen Träumen Anlaß. 
Die beiden Menschen trafen sich nicht oft, weil der Herr 
von Isen jetzt sozusagen stramm in den Sielen lag und nur 
Sinn für die Ernte hatte. Da konnte nur der Zufall eine 
Begegnung herbeiführen. Also auch heute. Es würde einen 
heißen Tag geben; denn schon jetzt am Morgen wehte kein 
kühles Lüftchen, Alix, die mit verhängten Zügeln dahinritt, 
brach der Schweiß aus allen Poren. Und dabei war sie doch 

background image

so leicht gekleidet. Eine ärmellose Bluse, weiße, kurze 
Hosen und Sandaletten an den bloßen Füßen. Sie durfte es 

sich erlauben, ohne Sporen zu reiten. Denn Goldlack 
brauchte sie nie, gehorchte dem leisesten Druck der zarten, 
aber energischen Mädchenhand. 
Jetzt schlug Alix einen Weg ein, der am Waldrand 
entlangführte. Vor sich sah sie wogendes Korn, grüne 
Weiden, die von der stattlichen Viehherde augenblicklich 
nicht gegrast wurden. Es war ihnen wohl zu heiß, den 
wohlgenährten Rindern, so daß sie Schutz unter den 
Bäumen suchten, die das Bächlein umsäumten. 
Alix saß ab, gab dem Pferd das Maul frei, das laut wiehernd 
abtrabte, um sich an dem saftigen Gras gütlich zu tun. Sie 
selbst warf sich auf eine grünende Fläche, verschränkte die 

Arme hinterm Kopf und sah träumend zum klarblauen 
Himmel hinauf. Die Vöglein sangen im Wald, als wollten 
sie ihre kleinen Kehlen bersten vor lauter Daseinsfreude. 
Auf einer fernen Weide wieherten Pferde, von der nahen 
kam das gemütliche Brummen der Kühe, das Bächlein 
plätscherte geschwätzig dahin. 
Unwillkürlich fiel ihr ein Gedicht ein, das sie nun vor sich 
hin sprach, andächtig, wie ein Gebet: 
 
»Die Ähren nicken, blau träumt der Traum, 
die Winde halten den Atem an, 
trag blinzelt die ruhende Herde. 

Ein Chor von Grillen im Grase geigt, 
und lächelnd, wie eine Mutter, neigt 
der Himmel sich nieder zur Erde.« 
 
Ein leises Applaudieren ließ sie erschrocken 
zusammenfahren. Die Augen öffneten sich, deren Blick 
dann den Mann umfaßte, der braungebrannt, strotzend vor 
Gesundheit dastand und lächelnd auf sie herniederschaute. 
Das seidene Hemd war am Hals geöffnet, die Ärmel 
hochgeschoben, leichte Reithosen und Stiefel aus weichem 
Leder – eine elegante und rassige Erscheinung, der Baron 

background image

von Isenhardt. 
»Ja, wo kommen Sie denn so plötzlich her?« fragte Alix 

verdutzt, sich dabei aufsetzend. »Sind Sie etwa zu Fuß?« 
»Keineswegs«, entgegnete er lachend. »Ich sah Goldlack 
grasen und gab den sehnsüchtigen Blicken meines Rappen 
nach. Nun laben sie sich gemeinsam an dem saftigen Gras, 
und vertragen sich dabei glänzend – genauso wie wir beide. 
Nicht wahr, gnädiges Fräulein?« 
»Abwarten! Wie haben Sie mich überhaupt in diesem 
Versteck aufgespürt?« 
»Ich sagte mir, wo der Goldfuchs ist, kann seine Herrin 
nicht weit sein. Also ging ich auf Suche. Daß mir jedoch 
dabei Demeter persönlich erscheinen würde, die außerdem 
noch dichterisch veranlagt ist…« 

»Wieso?« fragte sie verblüfft dazwischen. 
»Weil Sie so ein poetisches Verslein 
vor sich hin sprachen. Etwa in dem kapriziösen Köpfchen 
entstanden?« 
»Da würden wohl gute Knüppelreime 
zusammenkommen«, schnitt sie eine Grimasse. »Aber 
vielleicht haben Sie eine poetische Ader.« 
»Gott soll mich bewahren!« hob er so entsetzt die Hände, 
daß Alix hellauf lachte. »Stellen Sie sich mal vor, gnädiges 
Fräulein, wenn ich Sie jetzt andichten wollte. Ich glaube, 
Sie würden mich wegen Beleidigung verklagen.« 
In ihr klingendes Lachen einstimmend, setzte er sich neben 

sie und reichte ihr das Zigarettenetui hin. 
»Dürfen wir denn hier rauchen?« zögerte sie. 
»Wir schon, weil wir ja nicht leichtsinnig die noch 
brennende Zigarette wegwerfen.« 
»Wissen Sie denn das von mir so genau?« 
»Ganz genau.« 
Sie errötete unter seinem sprechenden Blick, griff zu, ließ 
sich Feuer geben, und sprach dann weiter: 
»Sie sind nämlich schon so weit ein Landfräulein 
geworden, um zu wissen, daß man im Wald und an reifen 
Kornfeldern keine brennende Zigarette in die Gegend 

background image

werfen darf.« 
»Und Sie meinen, daß Städter das tun?« 

»Nicht alle natürlich, dessen bin ich gewiß. Auch manche 
fühlen sich im Wald nicht wohl, wenn sie ihn nicht 
vollschreien können – was sie allerdings singen nennen.« 
»Wie abscheulich!« warf Alix lachend ein. »Sie sind doch 
nun wirklich ein ganz arger Spötter, Herr Baron.« 
»Oh, bitte sehr, ich laß nur Tatsachen sprechen. Wenn die 
Leutchen dann ihren Lagerplatz verlassen, ist er übersät von 
Butterbrotpapieren, leeren Konservenbüchsen, 
Apfelsinenschalen, zerbrochenen Flaschen und anderem 
mehr. Und wehe, wenn sie ein blühendes Kornfeld 
erblicken! Dann brechen sie rücksichtslos in Scharen ein, 
um die schönen blauen Blumen zu pflücken und den 

Strauß dann doch unterwegs wegzuwerfen, weil er ihnen 
lästig wird. Wieviel Mühe sie mit dieser planlosen 
Pflückerei den Menschen machen, die das zertretene Korn 
mähen müssen, das ist ihnen höchst egal. 
Aber wie gesagt, es sind ja nicht alle Städter solche 
Banausen. Die ehren die Arbeit des Land- und Forstmannes 
genauso, wie diese die ihre achten. Und so wie sie auf dem 
Land Erholung suchen, suchen wir in der Stadt 
Zerstreuung. 
Doch will ich Sie mit meinen Ausführungen nicht länger 
langweilen und meine kurze Rast beenden. Wollte hier nur 
das Kornfeld in Augenschein nehmen, das am Nachmittag 

in Angriff genommen werden soll. 
Es ist übrigens das letzte, und wenn der Wettergott uns 
immer weiter gnädig ist, bekommen wir auch diese Ernte 
trocken unter Dach und Fach.« 
Er schnellte hoch, und Alix sprang auf die Füße. Frisch und 
sonnengebräunt stand sie vor dem Mann, der sie lächelnd 
betrachtete. Ein blaues Seidenband hielt auf dem Scheitel 
die goldene Lockenpracht zusammen. 
»Warum lassen Sie sich nicht mehr im Schloß sehen, 
gnädiges Fräulein?« fragte er vorwurfsvoll, und sie lachte. 
»Sie haben mir doch eben die Betitelung: Landfräulein – 

background image

gleich einem Orden verliehen. Und dieses weiß, daß der 
Landwirt während der Hochsaison von Besuchern 

verschont zu bleiben wünscht. Hauptsächlich am Alltag – 
und am Sonntag bedarf er der Ruhe.« 
»Nun, so arg ist es auch wieder nicht«, fiel er in ihr 
fröhliches Lachen ein. »Es kommt immer darauf an, wer die 
Besucher sind.« 
»Danke für das versteckte Kompliment«, blitzte sie ihn an. 
»Und nun mal die Gegenfrage: Warum lassen Sie sich im 
Rosenhaus nicht sehen?« 
»Weil ich fürchte, lästig zu fallen.« 
»Ach, sehen Sie mal an.« 
»Bitte nicht ironisch werden, gnädiges Fräulein!« 
»Demnach bin ich bei Ihnen in eine gute Schule 

gegangen.« 
»Nun, so ein kleiner Racker!« lachte er nun sein warmes, 
sonores Lachen. »Sie sollen mich nicht umsonst 
herausgefordert haben. Am Sonntagnachmittag stelle ich 
mich in Dornröschens Reich ein,  um  mich  wieder  einmal 
vom Rosenduft umnebeln zu lassen. Und ich komme sogar 
gern.« 
Heiß schoß ihr da die Röte ins Gesicht. Ihr Blick senkte 
sich vor dem aufleuchtenden des Mannes. In ihrer 
Verwirrung rief sie das Pferd herbei, das dann gleich dem 
Rappen munter herbeitrabte. 
»Er pariert gut, der Goldlack«, sprach der Mann jetzt wieder 

mit gewohnter Gelassenheit. Mit sicherer Hand legte er 
beiden Pferden die Kandare an, half Alix in den Sattel, saß 
selbst auf – und mit einem fröhlichen >Auf Wiedersehen< 
ritt man in entgegengesetzter Richtung ab. 
Allein, am Sonntag bekam Isenhardt selbst Gäste und 
mußte so seinen Besuch im Rosenhaus fernmündlich 
absagen. Statt seiner erschien das Ehepaar Druschmann, 
kreuzfidel wie gewöhnlich. 
»Endlich komme ich dazu, Ihren lieben Besuch zu 
erwidern«, begrüßte man die Damen. »Aber bei uns ist 
immer was los, man kommt zu rein gar nichts. Haben wir 

background image

uns jetzt genug entschuldigt?« 
Lachend nahm man auf der Terrasse Platz, wo man 

natürlich auch den Kaffee trank. Man unterhielt sich 
munter und sprach auch von der Ernte. 
»Ist der Roggen nun eingebracht?« erkundigte Grit sich, 
und der Verwalter knurrte vor Wohlbehagen. 
»Das ist er, gnädige Frau. Gestern schafften wir das letzte 
Fuder. Gab in diesem Jahr einen reichen Segen. Es war aber 
auch während der Ernte ein Wetterchen, als ließe der liebe 
Gott persönlich die Sonne scheinen. Der Herr Baron kann 
seinen Geldbeutel erweitern, denn das Geld scheffelt man 
so. Und wenn er sich noch das Goldfischchen einfangen 
sollte, das die liebenden Eltern ihm heute so eifrig 
präsentieren, dann ist der Krösus fertig.« 

»Otto, was sprichst du da bloß für einen Unsinn. Es wäre ja 
ein Jammer, wenn unser Herr diese vertrocknete Ziege…« 
»Muttchen, benimm dich!« 
»Naja«, zwinkerte sie vergnügt. »Das ist sie doch. Dazu 
eingebildet und dumm bis dorthinaus, genauso wie die 
Modeste. 
Die lebt übrigens wieder mal in Saus und Braus«, fuhr sie 
eifrig fort. »Hat sich 
einen Galan mit einer dicken Brieftasche angeschafft.« 
»Hat er dir denn die Brieftasche gezeigt, Altchen?« 
»Natürlich nicht, aber man hört doch so allerlei.« 
»Schon faul.« 

»Daß der Mann einen doch nie ausreden lassen kann!« 
entrüstete sie sich unter dem Gelächter der andern. »Was 
ich erzähle, weiß ich aus sicherer Quelle. Also stimmt es, 
daß der Mann Geld hat. Wenn die Modeste ihn doch bloß 
heiraten möchte! Aber sie ist immer noch hinter dem 
Herrn Baron her, wie auch die Freundin. Sie hat diese in 
dem Bad kennengelernt, wo sie ihre Nerven stärkte. Und da 
sich ja gleich zu gleich gern gesellt, herrscht zwischen 
ihnen eine dicke Freundschaft.« 
»Die eines Tages mit Ach und Krach in die Brüche gehen 
wird«, konnte Druschmann wieder seinen Mund nicht 

background image

halten. »Wie es ja gewöhnlich der Fall ist, wenn zwei 
Freundinnen auf einen Mann Jagd machen.« 

»Und umgekehrt ist es wohl anders, wie?« 
»Das steht jetzt nicht zur Debatte«, schmunzelte er. »Aber 
vielleicht werden die Freundinnen auch weiter ein Herz 
und eine Seele bleiben, weil der Herr Baron beiden die 
kalte Schulter zeigt. Denn daß er diese Art von Frauen 
verabscheut, wissen wir ja – auch daß er überhaupt kein 
Frauenfreund ist. Und nun sprich du wieder, Muttchen.« 
Grit und Alix hatten ihr Vergnügen an dem fidelen 
Ehepaar, bei dem man in allem die herzliche Liebe 
zueinander spürte. Die hatten sich wirklich gesucht und 
gefunden, wie es ja nicht immer im Leben der Fall ist. 
Wie ein munteres Bächlein plätscherte der Redeschwall 

Frau Druschmanns dahin. Und wenn die beiden 
weiblichen Zuhörer auch nicht sonderlich daran 
interessiert waren, was im Witwenhaus vor sich ging, so 
hörten sie doch gern zu. 
»Der Baron wird ja auch seine Erfahrungen haben«, 
knüpfte Muttchen an die vorherige Bemerkung des Gatten 
an. »Und daher wird er auch nicht auf die Komteß 
hereinfallen, welche ihm heute präsentiert wird. Zwar ist 
sie ein ganz anderer Typ als die Modeste und deren 
Freundin, aber taugen tut sie auch nichts.« 
»Kurz und bündig«, lachte Alix hellauf. »Und was ist nun 
die Dame für ein Typ?« 

»Der vor lauter Vornehmheit kaum die Lippen von den 
Raffzähnen bekommt.« 
»Altchen, du wirst ja boshaft«, lachte Druschmann gleich 
den andern herzlich. »Aber recht hat sie, genauso ist es.« 
»Also! Und da unser Herr Baron ein Schönheitsfanatiker 
ist…« 
»Hat er dir das gesagt?« 
»Nein, aber ich weiß es auch so. Ja, um nun wieder auf die 
Modeste zurückzukommen, die kann jetzt auch nicht mehr 
so, wie sie will. Sie hat nämlich eine Wirtschafterin im 
Hause, die sich gewissermaßen nicht an den Wimpern 

background image

klimpern läßt. Grob, starkknochig, unliebenswürdig, aber 
sehr arbeitsam und zäh wie Rindleder. Die hält spielend 

den ganzen Haushalt mustergültig in Ordnung, regiert 
darin wie ein grimmiger Feldwebel. Ein Herz hat sie nur für 
die 
kleine Gela, ihr gegenüber kann sie direkt weich und gütig 
sein. Also kein Wunder, daß die Kleine sehr an ihr hängt. 
Ganz und gar nicht tut es die Frau Mama. Sie möchte das 
Mannweib, wie sie Justine heimlich benamst, liebend gern 
aus dem Haus haben. Aber die geht nicht, da kann die 
Gnädige auch noch so toben. Die sagt sich: Soll’s uns hart 
ergehn, laßt uns feste steh’n.« 
»Das ist ja köstlich«, lachte Grit amüsiert. 
»Also hat die launenhafte, unberechenbare Baronin an 

dieser Justine ihren Meister gefunden?« 
»Kann man wohl sagen…« 
In dem Moment erschien Gernot Isenhardt, verneigte sich 
und sagte entschuldigend: 
»Verzeihung, gnädige Frau, daß ich hier so formlos 
einbreche. Doch es war niemand da, um mich zu melden.« 
»Das ist ja auch nicht erforderlich, Herr Baron«, entgegnete 
Grit liebenswürdig. »Unter Nachbarn nimmt man das nicht 
so genau.« 
»Verbindlichsten Dank.« 
Nun begrüßte er auch die andern und nahm dann in der 
gemütlichen Runde Platz. Frau Druschmann, der die 

Neugierde direkt aus den Augen sprang, hätte zu gern 
gewußt, ob der Baron seine Gäste hinauskomplimentiert 
hatte. Doch danach zu fragen, wagte sie denn doch nicht. 
Kam aber auch so auf ihre Kosten, als Isenhardt lächelnd 
sagte: 
»Ich konnte nicht umhin, der Einladung des gnädigen 
Fräuleins«, eine galante Verneigung zu Alix hin »doch noch 
Folge zu leisten, da meine Gäste früh aufbrachen.« 
»Womit man mit Schiller sagen kann: Spät kommt er, doch 
er kommt«, neckte Grit. »Und nun wollen wir mit einem 
guten Trunk auf die hervorragende Ernte anstoßen. Erhebe 

background image

dich, Alix, und steige in den Keller. Greif richtig zu, wir 
müssen doch Ehre mit unserer Zunft einlegen.« 

»Erbarmen, gnädiges Fräulein, wir sind per Auto hier!« hob 
Druschmann flehend die Hände, doch sie lachte ihn aus. 
»Zur Feier des Tages säumen nur Gummibäume die 
Landstraße.« 
Als der köstliche Rebensaft in den Gläsern funkelte, stieß 
man vergnügt an. Nach dem ersten Zug schmunzelte der 
Verwalter. 
»Jetzt warte aber ich mit einem Schillerzitat auf: An der 
Quelle saß der Knabe. Donner noch eins, dieses Weinchen 
stammt bestimmt wieder aus der Privatschatulle der 
Grodes’. Prosit, sie sollen leben!« 
Heiter tat man Bescheid. Als Alix ihr Glas absetzte, traf ihr 

Blick mit dem Gernots zusammen. Wie ein zärtliches 
Streicheln berührte es sie. Wie etwas, worüber man 
jauchzen und wiederum auch weinen konnte. Fröstelnd 
zog sie die Schultern zusammen, legte sich tiefer im 
Korbsessel zurück und lauschte der sonoren Stimme, die 
sich ihr ins Herz träufelte wie süßes Gift. 
Doch sie konnte sich dagegen nicht wehren und wollte es 
auch nicht. Dachte gleich Philine aus Goethes Wilhelm 
Meister: Wenn ich dich liebe, was geht’s dich an? 
Und daß sie es tat, kam ihr jetzt erst so recht zum 
Bewußtsein – auch, daß sie diese Liebe tief im Herzen 
verschließen mußte. 

Damit begann Amors Pfeil, der schon längst in ihrem 
Herzen steckte, empfindlich zu schmerzen. 
Die Tage gingen rasch dahin, aus dem August wurde 
September. Über die Stoppeln der Getreidefelder wehte der 
Wind, der manchmal schon recht kühl sein konnte. Auch 
das Grummet war geerntet. Nun brauchten nur noch die 
Hackfrüchte in Angriff genommen, das Korn gedroschen zu 
werden, und die Landwirte hatten es in diesem Jahr wieder 
einmal geschafft. 
Jetzt sollten auch Grit und Alix ein Erntefest kennenlernen, 
von dem sie zwar schon gehört hatten, aber wovon sie sich 

background image

gar keine Vorstellung machen konnten. Isenhardt lud sie 
persönlich dazu ein, und man sagte gern zu. 

»Was zieht man eigentlich dazu an, Tante Grit?« fragte Alix. 
»Doch nicht etwa ein Gesellschaftskleid?« 
»Natürlich nicht, da es sich ja um ein Volksfest handelt. 
Aber ein Dirndlkleid, das wir übrigens gar nicht besitzen, 
braucht es auch nicht gerade zu sein. Also ziehe ich das 
leichte Foulardkleid an, das in seiner lustigen Buntheit zu 
dem Rummel gut paßt, und du schmückst dich mit dem 
gestickten, weißen Gewand. Zwar sind auch das 
Modellkleider, wirken jedoch raffiniert einfach.« 
Sie sahen denn auch recht elegant aus 
und bedauerten nun doch, sich nicht einfachere Kleider 
besorgt zu haben. Aber Muttchen B rasch, das ordentlich 

stolz darauf war, daß ihre beiden Damen von dem Herrn 
Baron als Ehrengäste geladen wurden, zerstreute die 
Bedenken mit der Begründung, daß auf dem Fest stets Staat 
getrieben würde. Da zog jede ihr bestes Kleid an. 
Das schien auch tatsächlich der Fall zu sein. Denn die 
Landschönen prunkten in ihrem Staat, und die weiblichen 
Angehörigen der Guts- und Forstbeamten trugen durchweg 
zwar einfache, aber gute Kleider. 
Als Grit und Alix den geschmückten Speicher betraten, war 
das Fest schon in vollem Gange. Inmitten des riesigen 
Raumes tanzte man zur schmissigen Blasmusik. An den 
Seiten standen Tische, von denen einige mit Süßigkeiten, 

Rauchwaren, Likören, Bier und Wein bestellt waren. 
Girlanden aus Tannengrün und buntem Papier zogen sich 
von Pfeiler zu Pfeiler. Allerlei lustige Figuren baumelten 
von der Decke herab, gefertigt aus Stroh, Glanzpapier oder 
Stoff. Auf der Tanzfläche wirbelte es bunt durcheinander, es 
war ein farbenfrohes Bild. 
Ratlos, was sie beginnen sollten, standen die 
Hinzugekommenen an der Tür. Doch nicht lange, dann 
eilte der Herr vom Ganzen auf sie zu. Er trug einen hellen, 
leichten Anzug und sah elegant aus wie immer. 
»So spät, meine Damen?« begrüßte er sie vorwurfsvoll. »Ich 

background image

habe Sie schon zu dem feierlichen Zeremoniell erwartet.« 
»Konnten wir ja nicht wissen, Herr 

Baron. Das hätten Sie bei der Einladung extra betonen 
müssen.« 
»Allerdings war das ein Versehen von mir, worum ich jetzt 
um Entschuldigung bitte, gnädige Frau.« 
»Genehmigt. Herrlich ist das hier! So richtig froh und 
leichtbeschwingt. Es kribbelt einem förmlich in den 
Füßen.« 
»So darf ich denn bitten, gnädige Frau«, verneigte er sich 
galant. »Das ist nämlich die beste Gelegenheit, durch das 
Gedränge zu kommen. Wie ich sehe, eilt auch bereits ein 
Tänzer auf das Fräulein Nichte zu.« 
»Das ist ja der Erich Druschmann«, lachte Alix fröhlich, als 

der schmucke junge Mann sich vor ihr verneigte. »Sie sind 
aber gewachsen.« 
»Wir haben uns ja auch jahrelang nicht gesehen, gnädiges 
Fräulein«, strahlte er sie mit seinen blauen Augen an. »Darf 
ich Ihnen ein Kompliment machen?« 
»Um alles nicht, tanzen ist mir lieber.« 
So drehten sich denn auch diese beiden Paare vergnügt, 
und als die Musik schwieg, führten die Herren ihre Damen 
an den sogenannten Herrschaftstisch. Sie wurden mit den 
Guts- und Forstbeamten nebst deren Angehörigen bekannt 
gemacht – und das waren nicht wenige. Namen schwirrten 
auf, unmöglich, sie alle zu behalten. 

Dann saßen Grit und Alix unter der fröhlichen Gesellschaft 
und fühlten sich pudelwohl. Erich Druschmann hatte sich 
neben Alix placiert. Ein schneidiger junger Mann, der nach 
einem Vierteljahrhundert wahrscheinlich aussehen würde 
wie sein Vater heute. 
An der anderen Seite des Mädchens 
saß ein junger Forstmann, der Sohn des Oberförsters. Ein 
bildhübscher Bursche, mit kecken Grauaugen und 
dunklem Kraushaar. Sie kleidete ihn gut, die grüne 
Uniform der Jäger. Alix konnte sich denken, daß die 
Mädchen ihn gern sahen. 

background image

Grit hatte ihren Platz neben dem Oberförster und Otto 
Druschmann gefunden. Und wo diese Spaßvögel waren, 

konnte es nur Heiterkeit geben. 
Und dann standen wie hergezaubert Berge von Kuchen auf 
dem Tisch. Tassen wurden gebracht, in die aus riesigen 
Kannen der belebende braune Trank floß. Mit gutem 
Appetit griff man zu und war dabei fidel. 
Denn heute war ja der Tag der Freude für alle, die so emsig 
gearbeitet hatten. Das Fest bedeutete einen Dank des 
Gutsherrn an seine Getreuen. 
Ein hellklingendes Lachen kam von der Stelle her, wo Alix 
zwischen den beiden forschen Herrn saß. Es flutete wie 
eine Welle der Freude durch den riesengroßen Raum und 
ließ so manchen Mund schmunzeln. 

»Potztausend, gnädige Frau, das Fräulein Nichte wirkt ja 
wie ein Jungquell auf uns Bejahrte«, sagte der Oberförster 
zu Grit, sich unternehmend seinen Graubart streichend. 
»Da kann man wohl sagen, altes Herz wird wieder jung. 
Hoffentlich schaut mein Junge nicht zu tief in diese 
strahlenden Dornröschenaugen.« 
»Tut er bestimmt«, warf die Gattin, die neben Isenhardt 
schräg gegenüber saß, trocken hin. »Sonst müßte er ja nicht 
der echte Sohn seines Vaters sein.« 
Man lachte, wie man es heute so gern 
und willig tat. Manch ein Scherzwort flog hin und her, 
lustig aufgefangen und schlagartig zurückgegeben. 

Auch der Gutsherr wurde heute davon nicht verschont. 
Man benahm sich ihm gegenüber durchaus nicht 
respektlos, das ließ schon allein seine gebietende 
Persönlichkeit nicht zu. Aber man zog ihn in den lustigen 
Trubel mit hinein, und schmunzelnd machte er mit. 
Nach der Kaffeetafel kam dann wieder der Tanz, dem selbst 
die Omas begeistert huldigten. Solche seltenen Tage mußte 
man genießen, mußte sie so recht von Herzen auskosten. 
Wenn man durstig war, feuchtete man die lechzende Kehle 
an. Es gab ja Auswahl genug auf den langen Tischen. 
Leckermäulchen kamen auch nicht zu kurz und die 

background image

Raucher schon gar nicht. 
Die beiden Ehrengäste mußten gehörig das Tanzbein 

schwingen. Wenn ein Tänzer sie an den Tisch 
zurückbrachte, stand schon ein anderer da. 
So gelang es Isenhardt erst nach dem Abendessen, an dem 
es Berge von belegten Broten, verschiedene Salate, 
Marinaden und Bier gab, sich einen Tanz bei Alix zu 
sichern. Leicht und beschwingt drehte sich das elegante 
Paar nach einer schmeichelnden Walzerweise. Und wenn 
das Mädchen nicht schon längst sein Herz an den Mann 
verloren gehabt, hätte es jetzt unweigerlich daran glauben 
müssen. Wenn sie den Blick hob, sah sie über sich das 
gebräunte, stolze Männerantlitz, um dessen harten Mund 
ein Lächeln lag. 

Und die Augen? 
Ja, die führten eine ganz eigene Sprache. Also war es schon 
besser, ihnen auszuweichen, was Alix dann auch beharrlich 
tat. Sie hätte jauchzen mögen und wiederum auch weinen, 
so bittersüß war das Gefühl, das ihr Herz überflutete. 
Man darf vom Schicksal auch nicht zuviel verlangen, das 
sie sowieso schon auf die Sonnenseite des Lebens gestellt 
hatte. 
So sprach das junge Menschenkind sich selber gut zu – 
aber das Herz tat ihm dabei doch bitter weh. 
Allmählich begann die Fröhlichkeit in Ausgelassensein 
überzugehen. Kein Wunder, da schon manche voll des 

süßen Weines waren. Und als es gar zwischen zwei 
eifersüchtigen Burschen zu Handgreiflichkeiten kommen 
sollte, die der Gutsherr jedoch energisch unterband, trat er 
hinterher zu Grit und sagte leise: 
»Jetzt wird es Zeit zum Aufbruch, gnädige Frau. Wenn ich 
auch dafür sorgen werde, daß die Stimmung hier nicht 
ausartet, so möchte ich Ihnen und dem Fräulein Nichte 
jeden kleinsten peinlichen Zwischenfall ersparen. Sie 
verstehen mich doch?« 
»Selbstverständlich, Herr Baron.« 
»Danke, Bitte mich jetzt zu entschuldigen. Ich ziehe nur 

background image

rasch den Reitdreß an, damit ich Ihnen zu Pferd das Geleit 
geben kann.« 

»Das ist doch gar nicht erforderlich.« 
»Doch, gnädige Frau. Es ist Nacht – und gerade die scheut 
das Gesindel nicht.« 
Damit ging er, und Grit verständigte Alix. Wenig später 
saßen sie im Auto und waren nun doch froh, den Reiter 
neben sich zu wissen. Denn es tauchten auf der Straße hie 
und da Gestalten auf. Und 
wenn es wahrscheinlich auch nur harmlose Liebespärchen 
waren, so konnten die Damen in dem offenen Wagen 
dennoch belästigt werden. 
Eben torkelte ein Pärchen quer über den Weg. Aber nicht 
liebend Hand in Hand, sondern im gewissen Abstand. Und 

sobald das Mädchen sich näherte, schob der Mann es 
schroff von sich. 
Nun klang die Mädchenstimme in herzzerreißendem 
Gesang auf: 
»Liebst du mich denn gar nicht 
mehr, 
willst du mich verlassen? 
Willst du mich denn gar nicht mehr, 
um die Taille fassen…« 
»Der Mann muß ja direkt ein Herz von Stein haben«, 
bemerkte Grit trocken, und Gernot schmunzelte. 
»Das wird bestimmt bald erweichen.« 

Und tatsächlich, als der Wagen an dem Pärchen langsam 
vorüberrollte, torkelte es beseligt Hand in Hand. 
»Nun, gnädige Frau, habe ich recht?« 
»Kann man wohl sagen«, war die lachende Erwiderung. »Er 
grollt nicht mehr – und sie ist glücklich.« 
Obwohl die Straße jetzt unbelebt war, fuhr Alix trotzdem 
vorsichtig weiter. 
Einige Minuten später hatte man das Rosenhaus erreicht, 
und da stand auch schon der gute Hausgeist da und öffnete 
das Hoftor. 
»Vater Brasch, schlafen Sie denn noch nicht?« fragte Grit 

background image

verwundert, und er sah sie vorwurfsvoll an. 
»Aber, gnädige Frau, ich werde doch nicht zu Bett gehen, 

wenn unsere beiden Damen so spät noch unterwegs sind. 
Und gar noch heute, wo es Betrunkene auf der Straße gibt. 
Denn ich wußte ja 
nicht, daß der Herr Baron so freundlich sein würde, die 
Damen nach Hause zu bringen.« 
»Tantchen, wie geht es uns doch gut«, lachte Alix fröhlich, 
während sie aus dem Wagen sprang und die Wange des 
Getreuen streichelte, worüber Gernot sich beschwerte: 
»So – und ich soll wohl leer ausgehen, wie? Gnädige Frau, 
schreiten Sie gegen diese Ungerechtigkeit ein.« 
»Wird prompt besorgt«, entgegnete sie spitzbübisch und 
ließ ihre Finger spielerisch über die Männerwange gleiten. 

»Nun, fühlen Sie sich immer noch zurückgesetzt?« 
»Bewahre«, lachte er gleich den andern. »So was ist Labsal 
für unser Herz. Nicht wahr, Vater Brasch?« 
»Und wie, Herr Baron«, kam die Antwort schmunzelnd. 
»So zarte Fingerchen haben’s in sich.« 
Mit herzlichem Dank wurde Isenhardt von den Damen 
verabschiedet. Alix brachte das Auto in den Schuppen und 
folgte dann der Tante, die bereits in ihrem Zimmer stand 
und die Nichte forschend betrachtete. 
»Du bist ja so blaß, mein Kleines. Müde, zu viel getanzt?« 
»Ja«, bemühte sich das Mädchen, einen harmlosen Ton 
anzuschlagen. »Ich spüre meine Beine gehörig. Aber schön 

war es doch.« 
»Will ich meinen«, kam es unter herzhaftem Gähnen 
zurück. »So nett habe ich mir ein Erntefest nicht 
vorgestellt.« 
»Heute hatte ich so richtig die Gelegenheit, zu beobachten, 
wie beliebt der Gutsherr bei seinen Untergebenen ist. Er 
hat aber auch eine Art, mit ihnen umzugehen, die man 
bewundern muß. Denn es gehört viel Feingefühl dazu, für 
jeden den richtigen Ton zu finden. 
Und wie er die beiden Burschen bändigte. Nur ein scharfer 
Blick, ein herrisches Wort – und schon ließen sie 

background image

voneinander ab. Schade, daß ich nicht ein 
Vierteljahrhundert jünger bin – ja, warum lachst du denn 

so, Mädchen?« 
»Weil du wie ein Backfisch schwärmst. Mach mir keinen 
Kummer, Gritchen!« 
»Warum denn nicht? Du weißt doch: Alte Scheunen 
brennen am hellsten.« 
Lachend trennte man sich zur guten Nacht. Doch während 
bei Grit der Schlaf tief und traumlos war, umwehten irre 
Träume das junge Menschenkind, dessen Herzchen Amors 
Pfeil so schwer getroffen hatte. 
Der Wettergott war in diesem Jahr besonders gnädig 
gestimmt. Denn er hatte ein Wetter gebracht, daß selbst die 
Nörgler zufriedenstellen mußte. Schon vom Frühjahr an 

gab es viel Sonne und Regen fast nur nach Wunsch der 
Landwirte. Kein Wunder also, daß die Ernte eine 
vortreffliche wurde, ob es sich da um Korn, Heu, 
Hackfrüchte oder Obst handelte. Überall gab es reichen 
Segen. 
Auch im Rosenhaus. Das Beerenobst war schon eingekocht, 
und nun kamen die anderen Früchte heran. Emsig war man 
dabei, sie von Bäumen und Spalieren zu holen, wobei die 
beiden Damen natürlich mithalfen. Hauptsächlich Alix 
machte das einen Riesenspaß. Wie ein Eichkätzchen 
kletterte sie auf die Bäume, so daß die Tante oft genug 
Angst ausstand. 

So auch heute, als das Mädchen hoch oben in einem 
Pflaumenbaum saß und gar noch mit den Beinen 
schlenkerte. 
»Du kommst sofort ‘runter, du leichtsinniges Gör!« gebot 
die Tante, doch nur ein hellklingendes Lachen war die 
Antwort darauf. 
Und dann verhielt der Schelm sich still, weil er etwas 
erspäht hatte, was tausend Teufelchen in den Augen tanzen 
ließ. Geschickt knipsten die Finger Pflaumenkerne nach 
unten, wo ein Reiter den Weg daherkam. Jedes der kleinen 
Geschosse erreichte sein Ziel, traf Arm und Schulter des 

background image

Mannes, der sich zuerst verdutzt umsah und dann Grit 
bemerkte, die unter dem Baum stand und die Pflaumen 

pflückte, die sie von unten erreichen konnte. Der Reiter 
hielt am Zaun, rief lachend hinüber: 
»Danke für den prasselnden Empfang, gnädige Frau.« 
Sie fuhr herum und sah ihn verständnislos an. 
»Prasselnder Empfang?« wiederholte sie langsam. »Ich 
bemerke Sie ja jetzt erst, Herr Baron. Womit soll ich 
überhaupt geprasselt haben?« 
»Mit Pflaumenkernen.« 
»Aha, nun kommen wir der Sache schon näher. Schauen 
Sie mal den Baum hinauf, dann haben Sie die hinterhältige 
Schützin.« 
»Tante Grit, das ist Verrat!« kam eine lachende Stimme von 

oben. Ein Rauschen im Laub, ein Körper wurde sichtbar, 
der sich geschmeidig von Ast zu Ast schwang, ein letzter 
kühner Sprung – und Alix stand strahlend vor den beiden 
Menschen. Doch dann wurde Grit munter. 
»Du gräßliches Mädchen!« schalt sie aufgebracht. »Du 
kannst einem ja einen Schreck einjagen, bei dem man an 
der Hälfte genug hat. Komm mir ja nicht zu nahe, sonst 
rutscht meine Hand aus.« 
»Aber, Gritchen«, lachte der Schelm sie lieblich an. Die 
Augen blitzten nur so in dem gebräunten Gesicht. Golden 
drängten sich die Löcklein unter dem leichten Tuch hervor, 
das, um den Kopf gelegt, im Nacken zu einer kecken 

Schleife gebunden war. Der grazile Körper steckte in einem 
lustigbunten Kleidchen, welches das reizende 
Menschenkind jung und süß erscheinen ließ. 
Und dem sollte man böse sein? Die Tante konnte es 
jedenfalls nicht. Denn sie lachte bereits wieder – und schon 
war der Nichtsnutz wieder obenauf. 
»Na also, Gritchen, warum denn gleich so böse. Ich tu’s 
bestimmt nicht wieder. 
Aber was machen Sie denn für ein Gesicht, Herr Baron. 
Gerade so, als ob Sie mich verprügeln möchten.« 
»Was ich liebend gern täte – wenn ich das Recht dazu 

background image

hätte.« 
»Da bin ich aber froh, daß Sie es nicht haben«, schnitt sie 

eine drollige Grimasse. »Sitzen Sie nicht weiter auf Ihrem 
hohen Roß, sondern steigen Sie herab zu uns 
gewöhnlichen Sterblichen.« 
Da mußte der Mann denn doch lachen. Er saß ab und 
übergab das Pferd B rasch, der herbeigeeilt war. Alix holte 
rasch den Schlüssel herbei, öffnete die kleine Pforte und 
versank dann vor Gernot in einem vorbildlichen 
Hofknicks. 
»Seid mir gegrüßt, vieledler Herr. Teilet mit mir mein 
kärgliches Brot.« 
»Na, so ein übermütiger Racker!« drohte er schmunzelnd. 
»Wie werden Sie mit dem überhaupt fertig, gnädige Frau?« 

»Ich dulde«, war die elegische Antwort. 
Lachend betrat man die Terrasse, wo auch schon Muttchen 
Brasch mit einem kühlen Trank erschien. 
»Wohl bekomm’s den Herrschaften. Es ist ein Zaubertrank, 
gewürzt mit Rosenblättern.« 
»Auch das noch«, seufzte der Mann. »Ist es denn nicht 
schon genug, daß man von dem Duft umnebelt wird, muß 
man ihn jetzt sogar noch schlucken, Muttchen Brasch?« 
»Doppelt genäht, hält besser, Herr Baron«, zwinkerte sie 
ihm vergnügt zu Dann ging sie, und Alix goß den kühlen 
Trank aus der bauchigen Kanne in die Gläser, in denen es 
rubinrot leuchtete. 

»Soll ich denn durchaus hier betört werden?« klagte der 
Mann nach dem ersten Schluck, und Grit meinte trocken: 
»Wehren Sie sich doch dagegen, Sie kommen mir übrigens 
gar nicht so vor, als ob Sie sich von Rosendüften umnebeln 
ließen. Der Duft vom reifen Korn und Heu ist Ihnen 
entschieden lieber, stimmt’s?« 
»Immer alles zu seiner Zeit«, blitzte es in seinen Augen auf. 
»Meinen Sie nicht auch, gnädige Frau, daß all die Düfte 
zusammen eine gute Mischung geben?« 
»Da bin ich überfragt«, tat sie lachend ab. »Verlieren wir 
uns nicht in Philosophie. Dafür bin ich augenblicklich zu 

background image

pomadig.« 
Es war einige Tage später, als Alix dem Baron auf ihrem 

Morgenritt wieder begegnete. Man begrüßte sich, dann 
setzte man gemeinsam den Weg fort. Alix ärgerte sich, dem 
Mann jetzt nicht mehr so frei in die Augen sehen zu 
können wie früher. Aber es ging nicht, weil sie auf der Hut 
sein mußte, ihm durch keinen Blick ihre Liebe zu verraten. 
Denn daß er ihr nur freundschaftlich gegenüberstand, 
dessen war sie gewiß. Sonst hätte er bestimmt nicht in 
seiner gewohnten Gelassenheit verharren können. Denn 
schließlich war er ja der Mann und daher der Werbende – 
wenn er es sein wollte. Aber er wollte eben nicht – und das 
genügte der stolzen und sensiblen Alix Grodes. 
»Höchste Zeit, daß ich nach Hause komme«, warf sie einen 

Blick auf die Armbanduhr. »Tante Grit wartet nicht gern 
mit dem Frühstück, und vorher wollen wir noch unser 
gewohntes Morgenbad im See nehmen. Da muß ich mich 
also tummeln und werde den nächsten Weg zum 
Rosenhaus wählen, Sie wissen doch, Herr Baron, den wir 
schon einmal geritten sind…« 
»Und auf dem Sie sich bestimmt verirren würden«, warf er 
trocken ein. »Also werde ich Ihnen auch diesmal das Geleit 
geben.« 
»Wenn Sie so viel Zeit haben, dann bitte sehr.« 
Um auf den Weg zu kommen, mußten sie die Parkmauer 
entlang reiten. Dort war es schattig und recht kühl, so daß 

Alix, die wie gewöhnlich eine leichte Bluse mit kurzen 
Ärmeln trug, fröstelnd erschauerte. Und ehe sie sich so 
recht versah, hatte der Mann schon seine 
Jacke ausgezogen und sie ihr über die Schultern gehängt. 
Also eine ganze harmlose Angelegenheit, die jedoch auch 
anders aufgefaßt werden konnte, nämlich: daß der Mann 
das Mädchen umarmte. 
Der Meinung waren auch die Modeste und ihre Freundin, 
die ausgerechnet jetzt an dem schmiedeeisernen Tor 
standen und von da aus das Reiterpaar gut beobachten 
konnten. Und da sie ja beide hinter dem Baron her waren, 

background image

erboste sie der Anblick. 
»Ach, sieh mal an«, höhnte die Modeste, als die Pferde im 

Schritt am Tor vorüberkamen. »Die Schnapsprinzeß im 
trauten Tete-a-tete mit dem Herrn Baron, auf den sie ja 
schon lange Jagd machte.« 
»Wie ihr Vater es bei mir tat«, lachte die andere schrill in 
die hämischen Worte hinein. »Es hat mir immer riesigen 
Spaß gemacht, den alten verliebten Trottel an der Nase 
herumzuführen – der nach Höhenluft strebte, wie seine 
Tochter auch. Aber der hochnäsige Herr Baron wird sich 
hüten, eine Schnapsprinzeß zu freien – die jedoch als 
galantes Abenteuer ganz ideal sein wird.« 
Ein ächzender Laut kam von der Stelle her, wo Alix wie 
erstarrt auf dem Pferd saß – todblaß, in den Augen den 

Ausdruck des Ekels… 
Langsam kam dann Leben in ihre wie versteinerte Gestalt. 
Sie nahm die Jacke ab, warf sie dem Mann zu und maß 
dann die beiden Weiber – denn anders konnte man sie ja 
nicht nennen – mit einem Blick, der vor Verachtung nur so 
sprühte. 
»Pfui Teufel«, sagte sie langsam. »Wie kann ein Mensch nur 
so gemein sein.« 
Damit warf sie ihr Pferd herum und jagte davon, als wäre 
der Böse hinter ihr drein. 
»Pfui Teufel«, sagte nun auch der Mann zu den 
Freundinnen, die wahrlich einander würdig waren. »Wenn 

Sie nun nicht Frauen wären, würde ich Ihnen meine 
Reitpeitsche rechts und links um die Ohren schlagen. Aber 
ich glaube, ich tue es dennoch, sofern Sie es noch einmal 
wagen sollten, meine Braut zu beleidigen. In der Beziehung 
verstehe ich nämlich keinen Spaß.« 
Hart und scharf war das gesagt, so daß die Freundinnen 
sich unwillkürlich duckten. Und da sie beide feige waren, 
rannten sie ins Haus und knallten die Tür hinter sich zu. 
Indes jagte Alix zum Rosenhaus hin, das sie bei dem 
Tempo auch bald erreicht hatte. Brasch nahm ihr 
kopfschüttelnd das Pferd ab, das schweißbedeckt war. 

background image

Doch er schwieg nach einem Blick in das verstörte 
Mädchengesicht und zog brummend ab, während Alix ins 

Wohnzimmer lief, wo Grit geruhsam saß. Sie warf sich in 
einen Sessel, drückte das Gesicht in die Seitenlehne und 
weinte so hemmungslos, als müßte sie sich die Seele 
ausschluchzen. Zutiefst erschrocken trat die Tante zu ihr 
und umfaßte die zuckenden Schultern. 
»Um Gott, Kind, was ist dir denn geschehen?« fragte sie 
zitternd vor Erregung. »So sprich doch endlich, ich komme 
ja vor Angst noch um!« 
Es dauerte aber doch noch minutenlang, bis Alix sich 
soweit beruhigt hatte, um berichten zu können. Sie tat es 
abgehackt, wurde zwischendurch immer vom Weinen 
geschüttelt. Grit war dermaßen empört, daß sie am liebsten 

zu den nichtswürdigen Kreaturen gelaufen wäre und sie 
geohrfeigt hätte. Doch da das nicht gut anging, mußte sie 
ihrer Empörung in Worten Luft machen: 
»Solche Schandmäuler! Man müßte sie ihnen blutig 
schlagen! Aber laß nur, mein Kind, der Baron wird das 
schon besorgen. Wenn auch nicht direkt handgreiflich, so 
aber auf andere Art.« 
»Ach, Tante Grit, wie gräßlich ist das doch alles! Ich muß 
mir ja vor Isenhardt die Augen aus dem Kopf schämen!« 
»Na, nun mal nicht gleich so verzweifelt, mein Kind«, 
beschwichtigte die andere gütig. »Der Mann weiß ja, was er 
von dir zu halten hat – und das ist vor allem wichtig. 

Gegen geifernde Klatschmäuler kommt man eben schlecht 
an, denen ist jeder Mensch ausgesetzt. 
Und jetzt muß ich mich erst einmal von meiner 
Überraschung erholen, daß die Freundin dieser Modeste 
die Daisy von Tees ist. Also kann dein Vater sie unmöglich 
geheiratet haben.« 
»Siehst du, Tante Grit, der Anblick der Person überraschte 
auch mich maßlos. Aber ich kam gar nicht dazu, über das 
kaum Begreifliche nachzudenken, weil das andere mich 
völlig verstörte.« 
»Das kann ich mir denken. Doch jetzt sei mal mein 

background image

vernünftiges kleines Mädchen und rege dich nicht länger 
über ein so niederträchtiges Gewäsch auf. Gehen wir lieber 

daran, die mysteriöse Angelegenheit um deinen Vater zu 
klären.« 
»Vielleicht hat Paps die Tees doch geheiratet, und sie 
verbringt nur die Ferien bei der Baronin.« 
»Das glaubst du doch selbst nicht, Alix. Der würde die 
Ferien mit seiner Frau verleben, verlaß dich darauf.« 
»Oder ihm sind die Augen bereits aufgegangen, und er hat 
sie davongejagt.« 
»Sobald schon?« zweifelte Grit. »Du mußt bedenken, daß 
es noch nicht einmal fünf Monate her sind, da er sich mit 
Heiratsabsichten trug. Bis die Ehe zustande kommen 
konnte, mußte eine bestimmte Zeit verstreichen, und die 

Tees weilt doch schon wochenlang bei ihrer Freundin, 
soviel wir gehört haben. Nein, mein Kind, da stimmt etwas 
nicht, was wir unbedingt herausbekommen müssen. 
Natürlich muß man da vorsichtig vorgehen, um deinen 
Vater nicht zu blamieren. Aber laß man, irgendwie kriegen 
wir das schon hin.« 
»Hör mal, Tante Grit, wenn Paps die Tees wirklich nicht 
geheiratet hat, dann haben wir ihm doch bitter unrecht 
getan, indem wir ihn verließen.« 
»Nein, mein Mädchen, das haben wir nicht. Denn wie die 
Dinge damals lagen, blieb uns nichts anderes übrig, als aus 
dem Haus zu gehen. Darüber mach dir keine 

Gewissensbisse – und nun hopp, gehen wir baden! Ein 
kühles Bad wird uns beiden guttun.« 
Es war einige Stunden später, als Alix schreckensbleich ins 
Zimmer stürmte und der Tante damit erneut einen Schreck 
einjagte. 
»Mädchen, was ist denn jetzt schon wieder passiert?« 
»Tante Grit, der Baron ist eben auf 
den Hof gefahren! Ich kann ihm jetzt noch nicht unter die 
Augen treten.« 
Damit lief sie hinaus, und keine Minute zu früh, denn in 
der andern Tür erschien Mariechen und meldete den Baron 

background image

von Isenhardt. 
»Denn man ‘rein in die gute Stube!« schlug Grit absichtlich 

einen frischen Ton an und sah dann dem Besucher 
entgegen, der einen dunklen Anzug trug und sehr ernst 
war. 
»So feierlich, Herr Baron?« fragte sie verwundert, und da 
lächelte er leicht. 
»Mir ist auch feierlich zumute, gnädige Frau.« 
Sie nahmen Platz, und Grit sah ihn erwartungsvoll an, der 
dann auch sozusagen mit der Tür ins Haus fiel. 
»Hat Fräulein Grodes von der unerquicklichen 
Angelegenheit gesprochen, 
gnädige Frau?« 
»Ja. Sie war sehr verstört, meine arme Kleine.« 

»Kann ich mir denken«, lachte er kurz auf. »Da muß man 
schon sagen: So ein Otterngezücht! Leider kann ich 
Fräulein Grodes keine andere Genugtuung geben, als daß 
ich sie bitte, die Verlobung anzuerkennen, die ich den 
Lästerzungen bereits proklamierte. Denn als Verlobter habe 
ich das Recht, meine Braut zu umarmen – was man ja 
annahm, als ich der jungen Dame meine Jacke um die 
Schultern legte. Zwar habe ich den Schandmäulern 
angedroht, sie ihnen mit der Reitpeitsche zu stopfen, falls 
sie meine Braut noch einmal beleidigen sollten, aber ich 
glaube nicht, daß diese Drohung etwas nützen wird. Ich 
nehme vielmehr an, daß diese Verlobung bereits 

verschiedentlich bekannt sein wird.« 
»Hören Sie bloß auf!« griff Grit sich nervös an die Schläfen. 
»Mir wird ja direkt angst und bange. Denn soweit ich 
meine Nichte kenne, wird sie Ihr Opfer nicht annehmen, 
Herr Baron. Sie ist in der Beziehung äußerst sensibel.« 
»Ich höre immer Opfer, gnädige Frau. Ich würde es nicht 
bringen, eher Fräulein Grodes. Darf ich sie mal sprechen?« 
»Nein«, wehrte sie entschieden ab. »Das arme Kind ist 
ohnehin schon verstört genug. Wollen wir es erst diesen 
Schock überwinden lassen.« 
»Wie Sie wünschen, gnädige Frau«, kam es kühl zurück. 

background image

»Ich möchte Sie jedoch bitten, dem Fräulein Nichte meinen 
– Vorschlag zu unterbreiten und mich dann wissen zu 

lassen, wie die junge Dame sich entschieden hat.« 
Damit stand er auf, neigte sich höflich über die feine 
Frauenhand, dann ging er. Und kaum, daß der Wagen vom 
Hof gefahren war, erschien Alix im Zimmer. 
»Tante Grit, was wollte er hier?« 
»Ach, Grit, du wirst hören und staunen.« 
Das tat Alix denn auch wirklich, als die Tante das Gespräch 
wörtlich wiedergab. Doch dann fuhr sie empört auf. 
»Was denkt der Mann sich eigentlich, mich als seine 
Verlobte auszugeben? Unerhört finde ich das.« 
»Nun mal nicht so aufgeregt, mein Kind«, unterbrach die 
Tante sie ruhig. »Es ist weiß Gott ritterlich von dem 

Mann…« 
»Laß mich in Ruhe!« 
»Na schön. Ich sehe schon, daß mit dir jetzt nicht 
vernünftig zu reden ist.« 
Die Tür schlug zu, und Alix hetzte die Treppe hinauf nach 
ihrem Zimmer, wo sie sich auf das Sofa warf – ihr war 
sterbenselend zumute. 
Was nun? 
Sie konnte doch unmöglich die Braut des Mannes werden, 
den sie mit jeder Faser ihres Herzens liebte – und dem sie 
ihre Liebe nicht zeigen durfte. Das hielt sie einfach nicht 
aus. Ja, wenn auch er sie lieben würde, ein ganz klein 

wenig nur, aber nichts ließ doch darauf schließen. Und aus 
Ritterlichkeit geheiratet zu werden, dafür dankte sie nun 
wirklich. Mochte man sich ruhig die Klatschmäuler 
zerreißen, sie wich ihnen aus, indem sie das Rosenhaus 
verließ und in ihr Elternhaus zurückkehrte. Lieber mit 
allem zufrieden sein, was da auch sein mochte – als mit 
einem Herzen voll Liebe heiraten – und dieses allmächtige 
Gefühl gegen farblose Freundlichkeit eintauschen. 
Allerdings würde Isenhardt, wenn sie ging, den 
Lästerzungen allein ausgesetzt sein, aber er würde sich 
schon dagegen wehren. Er würde ihr sogar Dank wissen, 

background image

wenn sie stillschweigend von hier verschwand. Denn leicht 
konnte es ihm ja nicht fallen, ein ungeliebtes Mädchen zu 

heiraten. 
So quälte die junge, unerfahrene Alix sich herum, nicht ein 
noch aus wissend in ihrer Herzensnot. Da half ihrer 
Ansicht nach nur Flucht. 
Als sie dann später an der Mittagstafel erschien, erwähnte 
die Tante die Geschehnisse des Morgens und Vormittags 
mit keinem Wort. Alix selbst fing davon an, als man beim 
Mokka saß. 
»Tante Grit«, begann sie zögernd. »Wie wäre es, wenn wir 
nach Hause zurückkehrten? Das wäre doch die beste 
Lösung – meine ich.« 
»Hm – und an Isenhardt denkst du nicht?« 

»Doch – sehr sogar. Glaube nur, er wird mir dankbar sein, 
wenn er sein Wort, das er nur aus Ritterlichkeit gab, nicht 
einzulösen braucht.« 
»Vielleicht – vielleicht auch nicht. Es ist sehr schwer, aus 
diesem verschlossenen, beherrschten Mann klug zu 
werden. 
Und nun, mein Kind, nimm den Rat deiner Tante an, die 
erfahrener ist als du. Überstürze nichts, warte erst mal 
einige Tage ab. Gilt’s, mein Herz?« 
»Ja, Tante Grit. Wenn du mir dazu rätst, dann tue ich es 
auch. Ich bin, wenn ich auf dich hörte, immer noch gut 
weggekommen. 

Aber schau mal, da fährt ja wieder ein Auto auf den Hof«, 
zeigte sie aufgeregt zum Fenster hin. »Ob Isenhardt sich 
etwa meine Antwort holen kommt?« 
»Das glaube ich nicht«, kam die Antwort gedehnt. »Dazu ist 
der Mann denn doch zu stolz. Außerdem ist es nicht sein 
Auto, sondern ein Mietwagen, dem jetzt eine Dame mit 
einem kleinen Jungen entsteigt. Nun lohnt sie den Fahrer 
ab – merkwürdig.« 
Gleich darauf erschien Muttchen Brasch und meldete 
aufgeregt eine Dame, die ihren Namen nicht nennen 
wollte. Sie hätte hier jedoch etwas Dringendes zu erledigen. 

background image

»Führen Sie die Dame hierher«, entschied Grit 
kurzentschlossen – und sah dann gespannt den Fremden 

entgegen, die ins Zimmer traten, dessen Tür Mariechen von 
außen schloß. 
»Entschuldigen die Damen gütigst unser formloses 
Eindringen«, sprach nun eine warme Stimme in die Stille 
hinein. »Gestatten Sie mir und meinem Sohn, unser 
Anliegen vorzubringen. Danach sollen Sie entscheiden, ob 
wir bleiben dürfen oder nicht.« 
»Bitte«, zeigte Grit sehr zurückhaltend auf einen Sessel, in 
den die Dame sich setzte und den Jungen dicht zu sich 
heranzog. Blitzschnell nahmen Grit und Alix das 
Signalement der Fremden in sich auf: Die Frau, 
gutaussehend, mit vornehmer Eleganz gekleidet, sehr 

gewandt – unbedingt Dame. Der Junge: Einfach 
entzückend. Jedenfalls beide vertrauenerweckend und sehr 
sympathisch. 
»Ja – ich weiß wirklich nicht, wie ich beginnen soll«, setzte 
die Dame verlegen an – doch schon nahm der Sohn ihr 
den schwierigen Anfang ab. Ehe die Mutter es verhindern 
konnte, trat er auf das junge Mädchen zu, legte seine Hand 
auf ihr Knie und fragte zutraulich: 
»Nicht wahr, du bist meine große Schwester Alix?« 
Zuerst einmal Stille, in der einer des andern Herzschlag zu 
hören glaubte. Und dann sprach Grit, die sich faßte: 
»Wie heißt du denn, kleiner Mann?« fragte sie mit einer 

Stimme, in der die Erregung zitterte – und prompt erfolgte 
die Antwort: 
»Ich heiße jetzt noch Winfried Härder – aber bald werde 
ich Winfried Grodes heißen – sagt mein Paps.« 
»Ja – um alles in der Welt, wer ist denn dieser Paps?« 
»Nun, der von Alix«, begann das Bürschchen wie 
selbstverständlich – und 
da hatten Tante und Nichte endlich begriffen. 
»Demnach sind Sie die Frau meines Bruders?« fragte Grit 
kurz. 
»So ist es. Und ich hoffe, daß Sie mir darum nicht gram 

background image

sind.« 
»Ich glaube nicht«, kam die Antwort gedehnt. »Doch nun 

wären meine Nichte und ich Ihnen für einen ausführlichen 
Bericht dankbar.« 
Da sprach Elga denn, zuerst stockend, dann immer 
flüssiger. Fing mit dem Tag an, da sie in die Villa kam, und 
schloß mit dem heutigen. 
Dann war es wieder zuerst einmal still. Winfried war zur 
Mutter getreten und schmiegte sich ängstlich an sie. Der 
aufgeweckte Knabe wußte ganz genau, daß es hier um viel 
ging. 
Und dann sprach Elga weiter: 
»Glauben Sie mir, meine Damen, ich habe nichts 
unversucht gelassen, um Egon zu bewegen, Tochter und 

Schwester zurückzurufen. Doch es ist nicht sein Dickkopf 
allein, der mich jedesmal schroff abfallen ließ. Er ist 
vielmehr aufs tiefste verletzt, von den Seinen so schnöde 
im Stich gelassen worden zu sein, wie er es nennt. Dabei 
sehnt er sich nach seinen Lieben, was er natürlich 
abstreitet. Und ich kann nicht so restlos glücklich sein, wie 
ich es gern möchte. 
Schauen Sie, meine Damen, es ist ein niederdrückendes 
Gefühl für eine Frau, die ein Kind mit in die Ehe brachte, 
mit anzusehen, wie diesem Stiefkind alle Sohnesrechte 
eingeräumt werden, während der eigenen Tochter das 
Elternhaus verschlossen ist – oder besser gesagt, die es 

meidet. Und da ich diesen Zustand nicht länger ertragen 
kann, bin ich nun 
hier mit der herzlichen Bitte: Kehren Sie zurück, Sie werden 
bestimmt mit offenen Armen empfangen werden. Sie 
machen einen Mann damit glücklich – und seine Frau 
auch«, schloß sie leise. Da gaben Tante und Nichte ihre 
Zurückhaltung auf. Doch während letztere immer noch 
schwieg, sagte erstere herzlich: 
»Wenn es so ist, wollen wir mit meinem Bruder Frieden 
schließen. Unsere Ablehnung galt ja nicht seiner Heirat als 
solcher, sondern dem Mädchen, das er zu ehelichen 

background image

gedachte. Wissen Sie darüber Bescheid?« 
»O ja, genau sogar. Egon selbst erzählte mir – nun, darüber 

sprechen wir später«, meinte sie mit einem bezeichnenden 
Blick auf den Jungen. »Sind wir nun in Gnaden 
aufgenommen?« 
»Und wie! Nicht wahr, Alix?« 
»Von Herzen gern.« 
»Da bin ich aber froh«, lachte Elga befreit auf. »Es war ein 
Canossagang für mich, doch nun freue ich mich, ihn trotz 
aller Hemmungen gegangen zu sein.« 
»Weiß Egon, daß Sie hier sind?« 
»Nein, er hätte diese Fahrt nie zugelassen. Er ist geschäftlich 
verreist und kommt heute abend wieder. Wir müssen also 
eilen, daß wir bis dahin zu Hause sind.« 

»Weiß Egon, wo er Sie finden kann?« 
»Ja, ich hinterließ einen Brief.« 
»Also, dann bleiben Sie hier«, entschied Grit kurz und 
bündig. »Und nun wollen wir auch die letzte Schranke 
niederreißen und uns als eine harmonische Familie 
betrachten. Wie ist Ihr – nein – dein Vorname?« 
»Elga.« 
»Schön. Sei uns herzlich willkommen, 
Elga. Und auch du, Bürschlein. Du hast wohl deinen Paps 
sehr lieb?« 
»O ja«, leuchtete es in den dunklen Augen auf. »Dich 
möchte ich auch gern liebhaben und meine große 

Schwester Alix. Ihr gefallt mir doch so gut.« 
Dieses treuherzige Bekenntnis löste fröhliches Lachen aus. 
Bald war man so vertraut miteinander, als kenne man sich 
schon lange. 
»Eigentlich müßten wir aber doch nach Hause fahren«, 
meinte Elga bedenklich, und Grit sah sie forschend an. 
»Du fürchtest Vorwürfe?« 
»Die würde ich schon gern über mich ergehen lassen. Aber 
ich glaube nicht, daß Egon sie mir macht. Er wird im 
Gegenteil glücklich über meine Vermittlung sein. Aber wie 
wäre es, wenn ihr unsern geliebten Dickkopf zu Hause 

background image

überraschen würdet?« 
»Nein, Elga, so rasch geht das nicht. Wir haben hier noch 

etwas Schwerwiegendes zu erledigen. Was, das sollst du 
schon noch erfahren.« 
»Mutti, bleiben wir doch«, bettelte Winfried. »Ich finde es 
hier doch so wunderschön.« 
»Kind, du hast doch Schule.« 
»Aber nur noch einige Tage, dann gibt es Herbstferien. 
Mein Lehrer drückt da gern ein Auge zu, weil ich in der 
Schule so prima stehe. Ich weiß bestimmt mehr als meine 
Mitschüler.« 
»Ei, Winfried, nicht überheblich werden«, warnte die 
Mutter, und da senkte der dunkle Lockenkopf sich 
beschämt. 

»Na schön, bleiben wir. Das heißt, wenn wir nicht stören.« 
»Das wäre!« lachte Alix fröhlich. 
»Seit wann stören denn Mutter und Bruder?« 
»Ich danke dir für dieses liebe Wort«, sagte Elga leise. »Jetzt 
kann ich erst so recht von Herzen glücklich sein.« 
Als Mariechen und ihr August erfuhren, wer die Gäste 
waren, wurden diese sofort in die guten Herzen 
geschlossen. Eilfertig ging erstere daran, das dritte Zimmer 
im Obergeschoß herzurichten. Und als Winfried schlief, 
suchte Elga ihre Schwägerin in deren gemütlicher Klause 
auf, um ihr sowie Alix zu erzählen, wie gnädig das 
Geschick es mit Egon Grodes gemeint, als es ihm über 

Daisy von Tees nebst Anhang die verblendeten Augen 
öffnete. Bis ins kleinste erfuhren die interessiert 
Lauschenden alles – auch daß der erbitterte Mann dem 
aufdringlichen Fräulein durch den Diener sagen ließ, es 
möge sich zum Teufel scheren, was von den drei Damen 
jetzt herzlich belacht wurde. 
Am nächsten Morgen fand sich dann eine vergnügte 
Gesellschaft am Frühstückstisch zusammen. 
»Ist das herrlich hier«, sagte Elga verträumt. »Rosen, nichts 
als Rosen. Da könnte man beinahe zum Dichter werden.« 
»Man ja nicht«, wehrte Grit mit komischem Entsetzen ab. 

background image

»Wir sind nämlich recht prosaische Leute. Stimmt’s, Alix?« 
»Allerdings. Man gewöhnt sich leider an alles – auch an 

Rosenduft.« 
Es kam so verbittert heraus, daß Elga die Schwägerin 
betroffen ansah. Diese 
schüttelte kaum merklich den Kopf, und da schwieg die 
Frau. 
Was ging hier vor? 
Das sollte sie erfahren, als Alix und Winfried zum See 
gingen,  um  zu  baden.  Grit  sprach  sich  so  recht  ihren 
Kummer vom Herzen, wie man es bei einem Menschen tut, 
dem man vertraut. Elga hörte mit tiefem Mitgefühl zu, um 
dann zu sagen: 
»Also hat diese niederträchtige Daisy sich an der Tochter 

des Mannes gerächt, der sie so brüsk abfallen ließ. Und was 
soll nun werden? Liebt Alix etwa den Baron?« 
»Ich glaube, es ist so.« 
»Und er?« 
»Es ist schwer, aus dem Mann klug zu werden. Aber du 
wirst ihn ja kennenlernen und kannst dir dann selbst ein 
Urteil bilden.« 
»Ist er wenigstens unserer bezaubernden Alix wert?« 
»Allerdings. Ein Edelmann der alten Schule, der nicht nur 
im Denken, sondern auch im Handeln ritterlich ist. Das 
beweist schon allein seine Selbstverleugnung, mit der er für 
das geschmähte Mädchen eintrat.« 

»Du magst ihn gern, Grit?« 
»Sehr, Elga. Meine Ansicht ist, daß Alix keinen besseren 
Mann finden könnte.« 
»Mein Gott, wenn Egon doch hier wäre. Der würde schon 
einen Ausweg wissen.« 
Und als wäre ihres Herzens Sehnsucht stark genug, den 
Mann herzuzaubern, stand dieser plötzlich auf der Terrasse, 
wo er zuerst die Gattin mit heftigen Vorwürfen überhäufte, 
die dann unter 
ihren schmeichelnden Küssen allmählich abebbten. Zuerst 
grollte er noch ein bißchen, um dann restlos zu 

background image

kapitulieren. »Ich habe nicht gewußt, welch eine Schlange 
ich an meinem Busen nährte«, brummte er, und 

schlagfertig kam es zurück: 
»Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die 
Tauben – so heißt es doch schon in der Bibel. Aber nun 
mal Hand aufs Herz, mein lieber Mann: Glücklich bist du 
ja doch, hier zu sein.« 
»Na schön. Gebe ich zu. Ein herrliches Fleckchen Erde, zu 
dem ihr geflüchtet seid. Schwester Grit, wie gefällt dir 
meine Frau?« 
»Sehr.« 
»Und der Junge?« 
»Reizender Bengel.« 
»Dein Glück«, tat er grimmig. »Sonst hätte ich beide sofort 

ins Auto gepackt und wäre auf Nimmerwiedersehen 
entschwunden. Wo ist der Junge denn überhaupt?« 
»Mit Alix im See baden.« 
»Ist die große Schwester gut zu ihm?« 
»Kann man wohl sagen«, schmunzelte Grit. »Und nun 
nimm Platz, du alter Brummbär. Frühstücke mal erst, 
damit du gemütlicher wirst.« 
»Da soll man auch noch gemütlich sein, wenn man vor 
Sehnsucht getrieben ins traute Nest zurückkehrt und es leer 
findet«, brummte er und wurde ganz herzlos ausgelacht. 
Also blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzutun. Das gute 
Frühstück besänftigte ihn immer mehr, so daß Alix bei 

ihrer Rückkehr ins Rosenhaus gewissermaßen einen 
windelweichen Vater vorfand. 
»Paps, du bist auch hier?« schrie sie auf – und dann lag sie 
in seinen Armen. Drückte aufschluchzend ihr Gesicht an 
die Brust des Mannes, dessen Blick wie ratlos zu Gattin und 
Schwester hinging. 
Rühre nicht daran – schienen die Gegenblicke zu sagen. Es 
ist ein wundes Herz, das bei dir Zuflucht sucht. 
»Ist ja schon gut, mein Mädchen«, sagte er zärtlich. »Bist 
und bleibst meine geliebte Älteste.« 
»Wirklich, Paps?« 

background image

»Wirklich,  du  kleine  Zweiflerin.  Du  bist  doch  Blut  von 
meinem Blut und von dem deiner Mutter, deren Andenken 

ich heilig halte. Aber Winfried ist mir auch lieb. Willst du 
ihn als deinen Bruder anerkennen?« 
»Ohne weiteres, Paps, zumal du dir immer einen Sohn als 
Nachfolger gewünscht hast. Und Windfried ist es bestimmt 
wert, dein Sohn zu sein.« 
»Dann ist ja alles in schönster Ordnung«, polterte er, um 
seine Rührung zu verbergen. »Und nun halte mich nicht 
länger von meinem Frühstück ab, das ich mir redlich 
verdiente.« 
Man lachte wie befreit auf, wobei Alix nicht so recht mittat. 
Der Vater beobachtete sein Kind verstohlen, und kaum, 
daß es gegangen war, um mit Winfried im Auto zur Stadt 

zu fahren, fragte er die Schwester barsch: 
»Was ist mit Alix geschehen, Grit? So bittere Tränen bei 
meinem frohgemuten Singvögelchen können doch 
unmöglich auf das Wiedersehen mit mir zurückzuführen 
sein. Da wären Freudentränen eher am Platz gewesen. Also 
mal gebeichtet, Schwesterherz.« 
Sie tat’s – und da kochte der Mann sozusagen vor Grimm. 
»So eine nichtswürdige Kreatur!« stieß er zwischen den 
Zähnen hervor. »Wo ist diese dreimalabgezogene Katze? 
Ich gehe hin und prügele sie zuschanden.« 
»Und kommst wegen Körperverletzung hinter Gitter«, 
bemerkte Grit trocken. »Außerdem schaffst du das 

Geschehene damit noch nicht aus der Welt.« 
»Leider«, knurrte er, sich langsam beruhigend. Die Hand, 
mit der er das Taschentuch zog und damit die 
Schweißperlen abwischte, zitterte stark. 
»Ich Esel«, stöhnte er. »Nun muß mein Kind das auslöffeln, 
was ich mir damals in meinem Irrsinn einbrockte.« 
»Egon, nun quäle dich doch nicht mit Selbstvorwürfen«, 
legte Elga ihren Arm um die Schulter des erschütterten 
Mannes und drückte ihre Wange an die seine, und da raffte 
er sich auf. 
»Ich fahre jetzt zu dem Baron und werde ihm mal gehörig 

background image

auf den Zahn fühlen.« 
»Davon rate ich dir entschieden ab«, griff Grit ein. »Du hast 

es bei ihm nämlich mit einem Elitemenschen zu tun. 
Glaube nur ja nicht, daß der beglückt zu allem ja und 
amen sagt, was du von ihm verlangst. Dem imponiert 
sobald nichts. Nicht einmal das Geld deiner Tochter, weil 
er selbst genug davon hat. Also mische dich erst gar nicht 
in diese äußerst zarte Angelegenheit hinein, sondern laß 
die Hauptbeteiligten allein über ihre Zukunft entscheiden.« 
»Grit hat recht«, bestätigte Elga. »Du 
könntest mit deinem Eingreifen mehr schaden als nützen.« 
Diese eindringlichen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. 
»Na schön«, gab er nach. »Aber wenn ich diese Daisy 
erwische, dann soll sie was erleben. Wo hält sie sich jetzt 

auf, Grit? Ich habe das vorhin nicht richtig mitgekriegt.« 
»Bei der verwitweten * Baronin von Isenhardt, die unweit 
von hier wohnt.« 
»Was ist das für eine Frau?« 
»Der Tees durchaus würdig. Sie machen beide Jagd auf den 
Baron.« 
»Aha, daher ihre Gehässigkeiten Alix gegenüber. Hat die 
Tees meine Kleine schon vorher angegriffen?« 
»Nein, weil sie nie mit ihr zusammentraf. Wir wußten 
wohl, daß die Baronin sich von der Reise eine Freundin 
mitbrachte, doch wer das war, interessierte uns nicht.« 
»Aber um so mehr wird die Person sich für euch interessiert 

und somit gewußt haben, wer im Rosenhaus wohnt«, 
lachte er grimmig. »Also wird er euch wohlweislich aus 
dem Weg gegangen sein, dieser Schmierfink. Denn die 
Abfuhr, die ich ihm erteilte…« 
»Guten Morgen«, kam eine lachende Stimme vom Zaun 
her, über dem ein Reiter sichtbar wurde. »Ist es erlaubt 
einzutreten, gnädige Frau?« 
»Oh, bitte sehr, Herr Verwalter«, entgegnete Grit rasch 
gefaßt. »Bemühen Sie sich bitte auf den Hof, und geben Sie 
dort das Pferd ab. Ich eile Ihnen entgegen.« 
»Auf Flügeln der Liebe?« 

background image

»Ei, Herr Verwalter, ich sag’s der Gattin!« 
Lachend enteilte sie, um bald darauf mit dem Gast auf der 

Terrasse zu erscheinen. Grit stellte vor, und Druschmann 
wunderte sich nicht wenig über das plötzliche Auftauchen 
von Alix’ Eltern, was er sich natürlich nicht anmerken ließ. 
Er nahm in der Runde Platz und schmunzelte. 
»Wo ist sie denn nun, die kleine Braut? Zwar bin ich 
unschicklich im Reitdreß, wollte jedoch der erste sein, der 
nach den Angehörigen seinen Glückwunsch anbringt. Beim 
Herrn Baron ist es bereits geschehen.« 
Grit hatte das Gefühl, als müßte ihr der Herzschlag 
aussetzen vor Schreck. Also hatte Isenhardt recht vermutet, 
daß die Verlobung rasch bekannt werden würde. 
»Meine Nichte ist augenblicklich nicht hier«, bemühte sie 

sich ihrer Stimme Festigkeit zu geben. »Sie ist mit ihrem 
kleinen Bruder zur Stadt gefahren.« 
Dieser Bruder war wiederum etwas, das Druschmann 
überraschte. Vorher war nie von ihm sowie seinen Eltern 
die Rede gewesen. Da mußte irgend etwas nicht stimmen. 
»Das ist aber schade«, meinte er bedauernd. »Ich hätte der 
kleinen Alix gern das Patschchen gedrückt.« 
»Sie wird bald erscheinen«, tröstete Grit. »Indes stoßen wir 
an.« 
Wenig später hob der Verwalter sein Glas dem Ehepaar mit 
einer galanten Verbeugung entgegen. 
»Ein herzliches Prosit den Eltern dieser entzückenden 

Tochter! Das ist aber auch ein Marjellchen, olala! Kein 
Wunder, daß mein Herr, der bisher verschworene 
Junggeselle war, vor so viel Zauber kapitulieren mußte. 
Himmel, was habe ich für eine Freude, daß gerade unser 
Dornröschen Herrin von Isen wird. Und meine Frau erst! 
Der kullerten nur so die Freudentränen über die Backen, als 
sie von der Verlobung erfuhr.« 
»So bald schon?« warf Grit ein, während sie gespannt auf 
die Antwort wartete. 
»Ehrensache, gnädige Frau. Schon gestern mittag 
vernahmen wir die frohe Kunde.« 

background image

»Durch wen?« 
»Durch die Wirtschafterin der Modeste. Die Ärmste 

flüchtete ganz verstört mit der kleinen Gela zu uns, weil im 
Witwenhaus der Teufel los wäre, wie sie sich ausdrückte. 
Da lagen sich nämlich die beiden Freundinnen 
buchstäblich in den Haaren, zankten sich, daß Gott 
erbarm. Und da sie ihre Stimmen nicht dämpften, konnte 
Justine hören, worum es ging – um den Herrn Baron. Eine 
beschimpfte die andere, daß sie ihr in die Quere 
gekommen, sonst wäre sie – nein sie – die Auserwählte 
geworden und so weiter.« 
»Das ist ja köstlich«, lachte Grit amüsiert. »Und was 
geschah dann?« 
»Dann erschien der Hausfreund, auf den die beiden 

einander so würdigen Freundinnen außerdem noch Jagd 
machten. Und da ging der erbitterte Streit um den Mann 
los, bei dem die Modeste siegte. Sie fuhr mit dem Galan in 
seinem protzigen Auto ab, und die andere - Daisy von Tees 
heißt sie wohl – blieb geschlagen zurück. Dann raffte sie 
sich auf und erschien im Schloß, wo mein Herr 
sie wahrscheinlich hinauswarf. Nicht direkt natürlich, 
sondern mit Worten, die zu gegebener Zeit nämlich 
schneiden können wie spitze Messer.« 
Man lachte Tränen über die launige Erzählung. Doch dann 
hörte Grit das Auto. Sie entschuldigte sich und eilte auf den 
Hof, wo Alix gerade den Wagen in den Schuppen fuhr, 

während Winfried der Tante entgegenlief. 
»Nun war’s schön, Kerlchen?« 
»Sehr schön. Ich habe euch auch etwas mitgebracht. Das 
bezahle ich natürlich von meinem Geld, Alix legte es nur 
aus.« 
Mit einer Verbeugung überreichte er Grit ein Päckchen und 
beeilte sich dann, auch die anderen abzugeben. Die Tante 
jedoch trat zu Alix, die eben den Wagen abschloß. 
»Mädchen, jetzt halt die Öhrchen steif«, sagte sie hastig. 
»Druschmann ist auf der Terrasse, um dir zur Verlobung zu 
gratulieren.« 

background image

Alix erblaßte bis in die Lippen und lehnte sich Halt 
suchend gegen den Wagen. 

»Was soll bloß werden«, stammelte sie verstört. »Ich kann 
doch unmöglich…« 
»Du mußt!« unterbrach die Tante sie energisch. 
»Druschmann hat, wie er verriet, seinem Herrn bereits 
gratuliert. Willst du nun den Mann, der so ritterlich für 
dich eintrat, durchaus blamieren? Das hat er doch wahrlich 
nicht verdient. Geh jetzt nach oben, um dich erst einmal zu 
beruhigen. Und nicht weinen, hörst du? Sei mein liebes 
tapferes Kind.« 
»Ach, Tante Grit…« 
»Na ja, ich weiß ja, wie dir zumute sein muß, Herzchen. 
Aber zuerst mußt 

du mitmachen, da hilft nichts. Später läßt sich vielleicht 
ein Ausweg finden.« 
»Wissen denn Paps und Mutz schon…?« 
»Ja. Doch nun muß ich gehen, sonst fällt mein langes 
Ausbleiben auf. Dich entschuldige ich irgendwie.« 
Damit eilte sie zur Terrasse zurück, wo Druschmann gerade 
über eine drollige Bemerkung des Knaben lachte. Dieser 
wandte sich nun der Eintretenden zu. 
»Du hast dein Päckchen noch nicht aufgemacht, Tante 
Grit?« fragte er enttäuscht. 
»Nein, mein Bengelchen, ich kam noch nicht dazu. Aber 
jetzt bin ich gespannt.« 

Sie löste rasch die Verpackung und hielt ein Kästchen in der 
Hand, in dem ein Fläschchen Parfüm steckte. 
»Oh, das ist mal hübsch.« 
»Nicht wahr, Tante Grit? Alix meint, so was kann eine 
Dame immer gebrauchen. Du hast dasselbe wie Mutti, weil 
ich dich nicht zurücksetzen möchte.« 
Man lachte über den ernsthaften kleinen Burschen, und 
Grit war froh, daß sich Druschmann mit ihm beschäftigte 
und so von Alix abgelenkt wurde. 
Und dann stand Alix da – und zwar in bewundernswerter 
Haltung. Sie brachte es sogar zu einem fröhlichen Lachen, 

background image

als der Mann, nachdem er sich galant über ihre Hand 
geneigt hatte, schmunzelnd sagte: 

»Blumen habe ich nicht, das hieße ja in Dornröschens 
Reich soviel wie Eulen nach Athen tragen. Auch den 
Reitdreß 
muß ich entschuldigen, weil ich beim Umkleiden mein 
Muttchen nicht hellsichtig machen wollte, damit es mir 
womöglich den Rang ablief. Und ich wollte doch der erste 
Gratulant sein. Glücklich, gnädiges Fräulein?« 
»Sehr.« 
»Das können Sie auch«, wurde der Mann nun ernst. »Denn 
so prächtige Menschen wie meinen Herrn gibt es nicht 
viele. Das heißt, so entzückende Dornröschen auch nicht«, 
schloß er galant, und sie drohte ihm lachend. 

»Komplimente ziehen bei mir nicht, das müßten Sie doch 
schon wissen. Stoßen wir lieber beide an.« 
Hell klangen die Gläser zusammen, und die guten 
Wünsche, die Druschmann anbrachte, kamen aus 
ehrlichem Herzen. Gleich darauf verabschiedete er sich, 
und auch Alix zog sich zurück. Winfried ging zu Brasch, 
mit dem er sich bereits angefreundet hatte, und so war 
sozusagen die Luft rein. 
»Was habe ich bloß für eine Angst ausgestanden, als Alix 
den Verwalter hier vorfand«, sagte Elga leise. »Und dann 
mußte ich ihre Haltung bewundern. Was ist deine Tochter 
doch für ein wunderbares Menschenkind, Egon.« 

»Das ist sie«, brummte er. »Und deshalb wurmt es mich, 
daß so ein Sonnenkind eine glücklose Ehe eingehen soll, 
wozu es sich, dem ganzen Verhalten nach, bereits 
entschlossen hat.« 
»Weil ihr nichts anderes übrigblieb«, bemerkte Grit. »Es ist 
also eingetroffen, womit Isenhardt gestern schon rechnete, 
nämlich: daß die Verlobung rasch bekannt werden würde. 
Übrigens machte ich Alix vorher darauf aufmerksam, daß 
sie den ersten Gratulanten vorfinden würde. Also traf sie 
das nicht überraschend.« 
»Das war sehr vernünftig von dir«, lobte der Bruder, und sie 

background image

lachte. 
»Das habe ich bei deiner Tochter schon oft sein müssen. 

Und nun will ich mal sehen, wo sie sich verkrochen hat, 
um sich mit schmerzlichen Gedanken herumzuquälen, die 
so ganz unnötig sind.« 
»Du hast ja eine merkwürdige Auffassung, meine Schwester 
Grit.« 
»Aber entschieden die richtige, mein Bruder Egon«, gab sie 
schlagfertig zurück. »Warten wir doch zuerst einmal ab, wie 
der Mann sich verhalten wird. Meiner Beobachtung nach 
steht er Alix nicht ganz gleichgültig gegenüber.« 
»Das ist aber zu wenig für ein liebendes Herz.« 
»Zugegeben, Elga. Mir tut Alix gewiß leid, an der ich mit 
meinem ganzen Herzen hänge. Und gerade deshalb will 

ich sie vor Unbedachtsamkeiten bewahren, wofür sie mir 
später bestimmt dankbar sein wird.« 
Damit ging sie, um gleich wiederzukommen. 
»Alix telefoniert«, erklärte sie ruhig. »Und lauschen möchte 
ich nicht gern.« 
»Ob sie mit dem Baron spricht?« 
»Wahrscheinlich, Egon.« 
So war es auch. Zuerst bekam Alix Frau Dieboldt an den 
Apparat, die mit freudezitternder Stimme zur Verlobung 
gratulierte – und dann klang ein sonores Organ auf: 
»Isenhardt.« 
»Ja – hier spricht – Alix Grodes. Ich 

möchte nur sagen – daß ich mit Ihrem -Vorschlag – 
einverstanden bin.« 
Einige Herzschläge lang war es am andern Ende still, dann 
kam die ruhige Antwort: 
»Das freut mich.« 
»Danke. Ferner möchte ich Ihnen noch sagen, daß meine 
Eltern mit meinem kleinen Bruder hier sind. Darüber bin 
ich Ihnen allerdings eine Erklärung schuldig.« 
»Aber nicht am Fernsprecher, Alix. Sieh zu, daß ich zuerst 
allein mit dir reden kann.« 
»Wo soll das sein?« 

background image

»Ich komme sofort zum Rosenhaus.« 
»Im Wagen?« 

»Ja. Also auf baldiges Wiedersehen, Alix.« 
»Auf Wiedersehen – Gernot.« 
Sie legte auf und drückte dann die Hände an die 
heißglühenden Wangen. Ihr Herz klopfte bang. Hatte sie 
nun recht gehandelt oder nicht? Das sollte Tante Grit 
entscheiden. Die war ja so welterfahren und klug. 
»Ich habe Isen angerufen«, begann sie zaghaft, während sie 
sich zu den anderen auf die Terrasse setzte. »War das recht, 
Tante Grit?« 
»Ja, mein Liebes«, entgegnete sie zärtlich. »Was hast du ihm 
gesagt?« 
»Daß ich einverstanden bin.« 

»Wie faßte er es auf?« 
»Mit gewohnter Gelassenheit, die wir beide ja so gut an 
ihm kennen. Übrigens sprach ich zuerst Frau Dieboldt, die 
mir herzlich gratulierte. Sie konnte vor Freude kaum 
sprechen. Ich sehe nun wirklich ein, daß ich die Verlobung 
bestehen lassen muß, weil ich Isenhardt 
nicht blamieren kann. Du hast mir wieder recht geraten, 
Tante Grit. Ich danke dir.« 
»Schon gut, Kleines. Und nun mach nicht so traurige 
Augen, laß sie lieber strahlen, dazu hast du allen Grund. 
Kommt er her?« 
»Ja, er wollte gleich abfahren.« 

»Na, siehst du, mein Kleines, so eilig hat er es. Da höre ich 
übrigens das Auto kommen. Nun geh mit Gott, mein 
Kind.« 
Da hastete Alix hinaus, drei bangende Herzen 
zurücklassend. In der Diele begrüßte sie den Mann und 
führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie ganz ungestört waren. 
Als er ihre Hand an die Lippen zog, sah er dabei forschend 
in das blasse Gesicht. 
»Wie töricht, Alix«, sagte er kopfschüttelnd. »Du tust ja so, 
als ob du ein Opferlämmchen wärest…« 
»Bitte nicht«, tat sie hastig ab. »Nehmen Sie Platz.« 

background image

Als sie saßen, begann sie sofort mit ihrer Erklärung. Sprach 
von der Verirrung ihres Vaters, von der Flucht ins 

Rosenhaus, schilderte alles ganz ausführlich, und 
interessiert hörte er zu. Als sie aufatmend schwieg, sagte er: 
»Also hat dieses Fräulein von Tees schon einmal eine 
unangenehme Rolle in deinem Leben gespielt. Dein Vater 
muß tatsächlich wie mit Blindheit geschlagen gewesen sein, 
aus der ein gütiges Geschick ihn noch kurz vor Toresschluß 
riß. Und nun eine Frage, Alix: Warst du prinzipiell gegen 
eine zweite Ehe deines Vaters?« 
»Durchaus nicht«, wehrte sie lebhaft ab. »So mißgünstig 
bin ich nun wahrlich 
nicht. Meine Abwehr galt allein dieser minderwertigen 
Person.« 

»So bist du mit seiner jetzigen Wahl zufrieden?« 
»Aber sehr.« 
»Wie stehst du zu dem Jungen?« 
»Den mag ich auch gern.« 
»Hm – aber bedenkst du auch, daß du mit diesem 
Stiefbruder wirst teilen müssen? Denn soviel ich deinen 
Worten entnehmen konnte, will dein Vater ihn adoptieren. 
Dadurch würde dein Erbe erheblich geschmälert.« 
»Na, wenn schon«, tat sie unbekümmert ab. »Mir bleibt 
auch so noch genug, zumal ich durch das Erbe meiner 
verstorbenen Mutter allein schon sehr vermögend bin. Ich 
freue mich, daß Paps in dem Jungen einen Nachfolger 

bekommt, den er sich sehnlichst wünschte. Denn auf 
Töchter kann man sich nie recht verlassen. Die heiraten 
nicht immer einen Mann, der aus der Branche ihres Vaters 
ist.« 
»Dafür lieferst du ja den schlagenden Beweis«, lachte er 
amüsiert. »Und nun will ich dich nicht länger aushorchen. 
Weißt du überhaupt, was ich damit bezwecke?« 
»Keine Ahnung.« 
»Nun, wenn du dem Knaben die Fürsorge deines Vaters 
nicht gegönnt, hättest du mich schwer enttäuscht. Dann 
wärest du eben nicht das großzügige, warmherzige 

background image

Menschenkind, für das ich dich gehalten habe und jetzt erst 
recht halten darf.« 

»Ach, du lieber Himmel!« lachte sie hellauf. »So habe ich 
denn ahnungslos eine schwerwiegende Probe bestanden. 
Doch was wird nun aus uns?« senkte 
sie jetzt verlegen das heißerrötete Gesicht. 
»Ein glückliches Paar – wenn du willst.« 
Nun ruckte der Kopf hoch, ungläubig sah sie ihn an. Und 
was er in diesen strahlenden Sternen las, ließ auch den 
letzten Zweifel schwinden. Er atmete auf, so lang und tief, 
als müßte er mit diesem Atemzug die Brust sprengen. 
Und dann griff er blitzschnell zu. Fest legten sich seine 
Arme um den grazilen Mädchenkörper, heiß preßten sich 
seine Lippen auf den weichen, jungroten Mund. 

»O Gott«, seufzte Alix, als er sie endlich aus den Armen 
ließ. »Das war ja direkt ein Überfall.« 
»Aber angebracht bei dir sprödem Persönchen. Wenn ich 
immer weiter vorsichtig sondiert hätte, säßen wir bestimmt 
noch heute abend hier. Böse?« 
»Nein, glücklich.« 
»Die Antwort genügt mir vollkommen. Und nun pack mit 
deinen Fragen aus, die dir förmlich in den Augen brennen.« 
»Ach, Gernot.« 
»Immerhin ein vielversprechender Anfang. Und weiter?« 
»Liebst du mich denn?« 
»Den Beweis dafür habe ich dir ja eben erst geliefert. Denn 

ein freundschaftlicher Kuß war das wahrlich nicht.« 
»Ja, aber – du hast es mich doch nie spüren lassen, daß du 
etwas für mich übrig hast.« 
»Das ist aber mal vorsichtig ausgedrückt«, schmunzelte er. 
»Liebes Kind, 
mein Herz brannte schon lichterloh, als ich dich das erste 
Mal sah.« 
»Und weshalb hast du mir das nicht gesagt?« 
»Ich werde mich hüten, mir bei dir rabiater kleiner Person 
einen Korb zu holen.« 
»Ach, Gernot!« 

background image

»Ach, Alix! Du warst nämlich gar nicht so leicht zu 
durchschauen. Und wenn mich dein beherrschtes Wesen 

im großen und ganzen auch freut, so habe ich es doch 
manchmal verwünscht. Du hast es mir nicht leicht 
gemacht, mein Dornröschen.« 
»Wie klug du reden kannst«, blitzte sie ihn an, und er 
lachte. 
»Hast recht. Lassen wir jetzt mal alle Klugheit beiseite und 
benehmen wir uns so töricht, wie es uns als liebendem 
Brautpaar zukommt.« 
»Wo Alix nur bleibt«, sagte Elga beunruhigt. »Ich komme 
vor Angst und Sorge fast um. So viel kann sie dem Mann 
doch nicht zu sagen haben. Ob du mal nachsiehst, Grit?« 
»Fällt mir gar nicht ein. Die kommen schon, wenn alles 

gesagt ist, was gesagt werden muß.« 
»Deine Ruhe möchte ich haben«, knurrte Egon, der die 
Hände in den Hosentaschen, auf der Terrasse hin und her 
lief. »Es geht hier doch schließlich um das Lebensglück 
meines Kindes.« 
»Woran du nichts ändern kannst, wenn du wie besessen 
herumrennst.« 
»Laß mich in Ruhe!« 
Damit rannte er weiter, aber nicht 
mehr lange, dann blieb er wie festgewurzelt stehen. Denn 
was er da erblickte, hatte er nicht erwartet – seine 
glückstrahlende Tochter, die einen lachenden Mann hinter 

sich herzog. 
»Hier ist er, Paps«, schob sie ihm den Liebsten zu. »Gefällt 
er dir? Mir gefällt er doch so gut!« 
Damit war der Bann gebrochen. Man lachte so von Herzen 
froh, wie ein Mensch nur lachen kann, der endlich aus 
Hangen und Bangen erlöst wird. 
»Also, das ist er«, besah Grodes sich seinen Schwiegersohn 
schmunzelnd. »Potztausend noch eins! Meine Erwartung 
war ohnehin schon hochgeschraubt, aber nun muß ich 
sagen, daß sie noch übertroffen wird. Kein Wunder, daß 
meine Kleine ihr sprödes Herzchen so rasch verlor. Komm 

background image

her, Frauchen, sieh ihn dir genau an.« 
Nun, Elga tat ihr Wohlgefallen zwar nicht so begeistert 

kund, aber wie gut er ihr gefiel, sah Gernot an ihrem 
herzlichen Blick. 
Dann kam Grit an die Reihe, die es kurz und bündig 
machte. Sie nahm den lachenden Mann bei den Ohren und 
schüttelte ihn leicht. 
»Verflixter Bengel!« sagte sie mit einer Stimme, in der 
Tränen saßen. »Bis zuletzt ließ er einen herumrätseln. War 
das nun nett von dir?« 
»Dafür können Sie sich…« 
»Bitte?« 
»Dafür kannst du dich bei deiner Nichte bedanken, 
Griteleinchen. Die hatte es nämlich wunderbar heraus, ihr 

Herzchen zu verschließen wie die Auster in der Muschel. 
Aber wir beide haben uns gleich gut verstanden, nicht 
wahr?« 
»Na, der hat’s aber ‘raus«, schmunzelte Grodes, der in 
einem Arm seine Frau, im andern die Tochter hielt. Und 
dann amüsierten sich alle über Mariechen, das den Kopf 
durch den Türspalt steckte und Augen so groß wie 
Teetassen bekam. 
»Muttchen Brasch, erstarren Sie nicht zur Salzsäule!« rief 
Alix ihr neckend zu. »Gratulieren Sie mir lieber zur 
Verlobung.« 
»Tue ich, tue ich«, ermunterte sich da die Gute. »Und wie 

gern. Na ja, zwei so feine Menschen mußten sich finden, 
die hat unser lieber Herrgott doch füreinander geschaffen. 
Glück wünsche ich, viel, viel Glück.« 
Dabei kullerten dicke Tränen über die prallen Wangen, die 
sie aber gleich energisch wegwischte und dann zur 
Tagesordnung überging. 
»Wie ist es nun mit dem Mittagessen, kann ich es 
servieren?« 
»Man immer los, Muttchen Brasch!« rief Grodes, der sich 
gleich den andern in bester Laune befand. »Sind Ihre Töpfe 
auch nicht zu klein für die jetzt so große Familie?« 

background image

»Es sollen alle satt werden«, versprach Mariechen, indem 
sie sich hurtig in Bewegung setzte. 

Bevor man an der Tafel Platz nahm, gab es noch einen 
netten Zwischenfall mit Winfried. Nichtsahnend erschien 
er im Speisezimmer, stutzte beim Anblick des ihm fremden 
Mannes, ging dann auf ihn zu und stellte sich mit 
tadelloser Verbeugung ernsthaft vor. 
»Winfried Härder.« 
»Gernot lsenhardt«, verneigte dieser sich todernst, während 
es in Mund- und Augenwinkeln verdächtig zuckte. »Zu Gast 
hier?« 
»Eigentlich nicht«, kam die Antwort zögernd. »Ich bin hier 
wohl mehr zu Hause.« 
»Ich auch.« 

»Wie bitte?« 
»Ich auch – weil ich der Verlobte deiner Schwester Alix 
bin.« 
Zuerst fassungsloses Staunen – und dann kam es spontan 
heraus: 
»Oh, Alix, da hast du aber mal einen prima Mann erwischt! 
Der kann mir auch gefallen.« 
»Das dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen«, lachte lsenhardt 
gleich den andern herzlich. »Ich glaube, wir beide werden 
uns gut vertragen.« 
»Bestimmt. Wie muß ich sagen?« 
»Gernot.« 

»Nicht Onkel davor?« 
»Nein – du bist ja mein Schwager.« 
»Also denn Gernot – und ich sag’s gern.« 
Es war eine fröhliche Gesellschaft, die an der Tafel saß. 
Gegessen wurde allerdings nicht viel, dafür war man zu 
freudig erregt. Nur dem exquisiten Tischwein sprach man 
eifrig zu, was die ohnehin schon beschwingte Stimmung 
noch steigen ließ. 
Als man beim Mokka saß, kam man darauf zu sprechen, 
was aus dem Rosenhaus werden sollte. 
»Darin wohne ich natürlich weiter«, entschied Grit kurz 

background image

und bündig, wogegen zuerst einmal Alix heftig protestierte: 
»Das gibt es nicht, du kommst zu uns nach Isen!« 

»Nein, sie kommt zu uns!« trumpfte der Vater dagegen. 
»Das ist nämlich ihr Elternhaus, und da gehört sie hin. 
Außerdem belegen wir das Rosenhaus mit Beschlag, in dem 
wir jedes Wochenende verbringen werden.« 
»Wenn ich das erlaube«, tat Alix sich wichtig. »Ich bin 
nämlich die Herrin hier.« 
»Das wirst du zuerst einmal in Isen sein, mein liebes Kind«, 
dämpfte der Verlobte ab. »Darin warten genug Pflichten 
deiner. Schon allein Gela…« 
»Gela?« fragte sie verwundert dazwischen. »Was geht die 
mich an?« 
»Sehr viel – weil du wirst Mutterstelle an ihr vertreten 

müssen. Denn ihre leibliche Mutter war so liebenswürdig, 
mir das Kind ins Haus zu schicken, bevor sie verschwand. 
In dem Schreiben tat sie kund, daß sie ihren Galan zu 
heiraten gedächte, um dann mit ihm ins Ausland zu gehen. 
Da könnte sie so ein kleines und dazu noch eigensinniges 
Kind nicht gebrauchen. Vielleicht holt sie es später…« 
»Pfui Teufel!« warf Grit verächtlich ein. »Die Frau ist es ja 
gar nicht wert, ein Kind zu haben. Ein Glück, Gernot, daß 
es dich hat, sonst wäre es um das Dinglein traurig bestellt.« 
»Allerdings. Es tut mir leid, Alix, daß du dich mit einem 
fremden Kind befassen mußt, aber soweit ich dich kenne, 
siehst du die Notwendigkeit ein.« 

»Selbstverständlich, Gernot. Gela ist doch so ein niedliches 
Kind, und erziehen werde ich es schon, zumal mir Frau 
Dieboldt dabei helfen wird.« 
»So rechnest du also damit, daß die Dame auch weiter in 
Isen bleibt, wenn du dort die Herrin bist?« 
»Natürlich – du etwa nicht? Es wäre ja direkt herzlos, wenn 
man die Frau, die ganz allein im Leben steht, entlassen 
würde. Ich werde sie noch oft genug um Rat fragen müssen, 
weil ich von einem Gutshaushalt überhaupt keine Ahnung 
habe. Ich freue mich direkt auf Frau Dieboldt und auf Gela 
auch.« 

background image

Darauf erwiderte der Mann nichts. Er griff nur nach der 
Hand seiner Braut und drückte sie mit unendlicher 

Zärtlichkeit an die Lippen. 
»Wer ist denn diese Gela überhaupt?« wollte Winfried 
wissen. »Etwa ein Kind von Alix?« 
»Junge, du bist wohl nicht recht gescheit!« rief die Mutter 
entsetzt und mußte dann doch in die stürmische Heiterkeit 
einstimmen. »Gela ist eine Nichte von Gernot, die von 
ihrer Mutter im Stich gelassen wurde.« 
»Pfui, das ist aber häßlich von der Mutter. Da kann die 
Gela froh sein, daß sie Gernot hat. Wie alt ist sie denn?« 
»Zwei Jahre.« 
»Oh, noch so klein? Aber schadet nichts, ich werde 
trotzdem mit ihr spielen und sie beschützen.« 

»Das tu nur«, streichelte der Vater gerührt den dunklen 
Lockenkopf. »Wir 
wollen sie alle liebhaben, die kleine, verlassene Gela.« 
»Nun bedauert die Kleine nur nicht zu sehr«, meinte Grit 
trocken. »Ihr persönlich konnte die Mutter keinen größeren 
Gefallen tun, als sie Gernot zu überlassen. Jetzt wird Gela 
eine sonnige Kindheit haben, die ihr bei der launenhaften, 
unberechenbaren und leichtfertigen Modeste bestimmt 
nicht beschieden gewesen wäre. Hoffentlich kümmert sie 
sich um ihr Kind überhaupt nicht mehr, das wäre dem nur 
zu Nutz und Frommen.« 
Jahrelang hörte man überhaupt nichts mehr von der 

Modeste. Und als es dann geschah, kam die Nachricht aus 
einem Spital im Orient, wo der Arzt beglaubigte, daß die 
Baronin von Isenhardt verstorben wäre. 
Aber jetzt war es noch nicht soweit, das geschah erst viele 
Jahre später. Jetzt gab es mal erst unter glücklichen 
Angehörigen ein glückliches Brautpaar, das im Oktober 
Hochzeit feiern wollte. 
Und es wurde ein glänzendes Hochzeitsfest, zu dem eine 
stattliche Anzahl von Gästen geladen war. Denn so 
zurückgezogen wie bisher wollte Isenhardt nun nicht mehr 
leben – und dieses Fest sollte der Auftakt zu weiteren 

background image

Festen sein. Und jeder, der es nur durfte, kam fortan gern 
in das gastliche Haus. 

Bevor das junge Paar auf die Hochzeitsreise ging, schlüpfte 
Alix noch rasch ins Kinderzimmer, wo die kleine Gela süß 
in ihrem Bettchen schlief. Vorsichtig drückte sie einen Kuß 
auf die Stirn, über der sich die goldenen Löcklein ringelten. 
»Ist sie nicht süß«, fragte sie den Gatten, der neben ihr 
stand und nun achselzuckend meinte: 
»Um das zu sein, ist sie wohl noch zu ungezogen.« 
»Pfui, Gernot! Was hast du denn gegen Gela?« 
»Ich bin eifersüchtig auf sie.« 
»Du hast es nötig, du mißgünstiger 
Mann. Du kannst mich doch schließlich nicht ganz für 
dich allein haben.« 

»Leider«, seufzte er so abgrundtief, als wäre er der 
bedauernswerteste Mensch unter der Sonne. »Leider 
vergöttern dich viel zu viel Menschen. Angefangen bei 
deinem vernarrten Vater, bis hinunter zu Gela und deren 
Betreuerin Justine. Da bleibt nun herzlich wenig für mich 
übrig.« 
»Armer Mann«, streichelte sie zärtlich seine Wange und zog 
ihn dann mit sich fort. Wie verschmitzte Diebe schlichen 
sie aus dem Schloß, damit sie nicht womöglich noch 
aufgehalten wurden. Im Auto, das vom Chauffeur gelenkt, 
langsam abrollte, schmiegte Alix sich glückselig in den Arm 
des Gatten. Doch dann hob sie schnuppernd das Naschen. 

»Das duftet hier ja so wunderbar nach Rosen.« 
Ehe sie noch aussprechen konnte, lag ein großer Strauß in 
ihrem Schoß – und eine zärtliche Stimme raunte ihr ins 
Ohr: 
»Es sind die letzten aus Dornröschens Reich. Mögen sie ein 
Symbol für dein Glück sein.« 
»Mein Glück begann, als im Frühling die ersten Rosen 
blühten am Rosenhaus – und im Herbst geleiten mich die 
letzten ins Land der Liebe.« 
»Das dir Sonnenkind immer bleiben möge. Was ich dazu 
tun kann, soll gewiß geschehen.« 

background image

Glückselig schmiegte sie sich in seinen Arm – und Amor 
lachte sich ins Fäustchen, weil sein Pfeil diesmal so ganze 

Arbeit geleistet hatte. 
 

-ENDE-