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Harry Whittington 

 
 

Ponderosa in Gefahr 

 
 

Bonanza 

Band 2 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

Engelbert-Verlag • Balve/Westf. 

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Verlags-Nr. 745 
4. Auflage 1968 

Illustrationen: Walter Rieck 

Titel der Originalausgabe: 

BONANZA – Treachery Trail 

(c) 1967 by National Broadcasting 

Company, Inc. 

Alle Rechte vorbehalten 

 

 

 
 

Veröffentlicht mit Genehmigung von Western Publishing 

Company, Inc. Racine USA 

Alle Rechte der deutschen Buchausgabe 

1968 by Engelbert-Verlag, Balve 

Aus dem Amerikanischen übertragen 

von Heinrich Gottwald 

Nachdruck verboten 

Printed in Germany 

Satz, Druck und Einband: 

Gebr. Zimmermann, Buchdruckerei und Verlag GmbH, 

Balve/Westf. 

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Es gibt wohl kaum eine Familie auf der Erde, die 
so bekannt und beliebt ist wie die Cartwrights. 
Wenn Vater Ben und seine Söhne Hoss und Little 
Joe die Pferde satteln und den Desperados oder 
anderen dunklen Gestalten nachjagen, drücken 
ihnen 300 bis 400 Millionen Menschen die 
Daumen; denn in rund 50 Ländern läuft die 
„Bonanza“-Serie auf dem Bildschirm. 

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Schwarze Katzen 

 
 
 

Jäh wurde die Stille des Hochlandes von einem Schuß zerfetzt 
und das Echo des Knalls hallte gleich einem Angstschrei von 
den Bergen wider. 

„Dort oben!“ 
Joe Cartwright deutete mit dem Kopf nach Norden. Es war 

nicht seine Art, einer Gefahr auszuweichen oder vor einem 
Knall davonzulaufen. 

So drückte er auch jetzt seinem Pferd die Hacken in die 

Seiten und warf einen kurzen Blick zurück, um sich davon zu 
überzeugen, daß sein Bruder Hoss ihm folgte. 

Dann schaute er wieder nach vorn und galoppierte durch eine 

Gruppe niedriger Kiefern auf die felsige Ebene, die im hellen 
Sonnenschein lag. Im Hintergrund erhob sich ein dunkler 
Bergrücken. 

Plötzlich zügelten Joe und Hoss ihre Pferde. Nicht weit vor 

ihnen, mitten auf dem Weg, hielt ein Reiter. 

„Candy!“ rief Hoss. „Worauf hast du denn geschossen?“ 
Candy wandte sich im Sattel um und schaute den beiden 

entgegen, die nun gemächlich heranritten. Sie zu sehen, schien 
ihn zu freuen; der Blick der schwarzen Augen wurde etwas 
milder. 

Candy war ein heimatloser Reiter, den die Leute von 

Ponderosa bei sich aufgenommen hatten, ein junger Mann, den 
jeder gern hatte und bei dessen Anblick einem das Herz warm 
wurde. Er war etwa achtzehn Jahre alt, aber die harte Jugend, 
die ihm beschieden gewesen war, ließ ihn älter aussehen. Mit 
seinem hohen Wuchs überragte er die meisten Leute, mit 

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denen er zusammentraf, und man sah ihm an, daß er sehr 
kräftig war. Er trug einen schwarzen Cowboyanzug. 

Jetzt lächelte er ein wenig verlegen. 
„Vorbeigeschossen…“ 
„Wir alle schießen gelegentlich vorbei!“ tröstete ihn Hoss, 

der gutmütige Riese mit dem gewaltigen grauen Hut. 

Aber Candy schüttelte den Kopf. 
„Wo ich herkomme, da schießt niemand vorbei!“ sagte er. 

„Wo ich herkomme, da mußte man schon als Junge mit sechs 
Kugeln sechs Kaninchen schießen! Gelang dies nicht, so war 
es ratsam, eine Ausrede zu erfinden, mit der man den Alten 
beruhigen konnte!“ 

Joe schaute Candy forschend an. 
„Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!“ 
Candy zuckte heftig zusammen, und erst nach kurzem Zögern 

brachte er hervor: 

„Es war eine schwarze Katze.“ 
Joe lachte spöttisch auf. „Was war es?“ 
Aber Candy stimmte in sein Lachen nicht ein. Mit 

unbewegtem Gesicht schob er sein Gewehr wieder in die 
Halterung am Sattel. 

„Was suchst du eigentlich hier oben, Candy?“ fragte Hoss. 
„Ich kam nur vorbei“, war die Antwort. „Ich war heilfroh, als 

ich die Woche oben in der Nord-Hütte hinter mir hatte: Jeder 
Tag wurde mir da so lang wie sonst zwei Jahre. Offenbar 
bekommt mir die Einsamkeit nicht – so lange allein zu sein 
und immerzu über menschenleeres Land zu reiten. Bei mir zu 
Haus kam immer mal jemand vorbei – wenn auch zuweilen 
einer, der nichts Gutes im Schilde führte.“ 

„Woher kommst du eigentlich wirklich, Candy?“ fragte Hoss 

lächelnd. „Jedes Mal, wenn du danach gefragt wirst, tischst du 
einem eine neue Geschichte auf.“ 

Candy lachte trocken und freudlos auf. 

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„Ich komme aus der Gegend, wo es hart hergeht – überall her 

komme ich, wo etwas los ist. Daher komme ich!“ 

„Und diese schwarze…“ spottete Joe. 
Candy zuckte zusammen. 
„Jedenfalls war ich froh, als Flipp mich endlich ablösen kam! 

Jetzt bin ich auf dem Heimritt nach Ponderosa.“ 

„Und hier hast du angehalten, um auf eine schwarze Katze zu 

schießen?“ bohrte Joe. 

„Es war ein schwarzer Panther“, beharrte Candy. „Er kam aus 

den Kiefern da hinten herangehuscht, lief mir gerade über den 
Weg und verschwand dann hinten im Wald. So schnell wie 
möglich riß ich das Gewehr hoch. Ich wollte ihn treffen oder 
ihn wenigstens von meinem Weg verscheuchen… Schließlich 
hatte ich keine Lust, einen riesigen Umweg zu machen!“ 

„Umweg? Was soll das heißen?“ 
„Wenn eine schwarze Katze über den Weg läuft…“ 
„Dann würdest du wirklich einen kilometerweiten Umweg 

machen?“ 

„Aber klar?“ Candy schüttelte sich unwillkürlich. „Nichts 

und niemand macht mir leicht Angst – außer einer schwarzen 
Katze! Die bedeutet nämlich Schreckliches, Schlimmes – 
vielleicht gar den Tod. Dort, woher ich komme, habe ich das 
zu oft gesehen.“ 

„Laß doch die faulen Witze!“ rief Hoss aus. „Ich kann mir 

einfach nicht vorstellen, daß du Angst vor einer schwarzen 
Katze hast – nicht einmal vor einem Panther!“ 

„Vor irgend etwas hat doch jeder Angst!“ meinte Candy 

düster. „Jedenfalls darfst du es mir ruhig glauben!“ 

„Blöder Aberglaube!“ fuhr Hoss auf. „Hast du etwa auch 

Angst, unter einer Leiter hindurchzugehen, einen Spiegel zu 
zerbrechen oder mit dem falschen Fuß aufzustehen?“ 

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„Natürlich nicht!“ Candy schüttelte den Kopf. „Mit solchem 

Altweiberkram lasse ich mich nicht ein! Aber du kannst mir 
ruhig glauben: Mit einer schwarzen Katze…“ 

„Nichts als Aberglaube! Du weißt doch, was Aberglaube ist? 

Damit haben früher die Leute alles zu erklären versucht, was 
sie nicht verstanden!“ Hoss machte ein kluges Gesicht. 
„Heutzutage aber haben wir so etwas nicht nötig. Immerhin 
stehen wir an der Schwelle eines ganz neuen Zeitalters, des 
Jahrtausends der Naturwissenschaft! Mensch, was habe ich da 
alles gelesen: Wir werden Sachen haben, wovon wir nie 
geträumt hätten – Wagen ohne Pferde, die von Gas angetrieben 
werden, das man aus schmutzigem Erdöl gewinnt; und 
fliegende Apparate, die bis zu zweihundert Kilometer in der 
Stunde schaffen…“ 

„Wer von uns beiden ist nun abergläubisch?“ lachte Candy. 

„Ich glaube, daß schwarze Katzen Unglück bringen – weil ich 
es erfahren und beobachtet habe. Aber hast du etwa schon 
einen Menschen fliegen sehen, Hoss?“ 

Joe grinste breit. 
„Das hat er alles in seinen neuen Büchern gelesen“, rief er 

aus, „die er sich von einem Vertreter hat aufschwatzen lassen!“ 

Hoss fuhr zu ihm herum. 
„Ich lasse mir nichts aufschwatzen, Brüderchen!“ sagte er. 

„Ich kaufe nur, was ich will: Und die sechsbändige ,Moderne 
Bibliothek des nützlichen Wissens’

 

habe ich gewollt!“ 

„Und warum hast du es gewollt, Hoss?“ 
„Um sie zu lesen!“ Mit unendlicher Geduld ließ sich Hoss 

den Spott des Bruders gefallen. Immer war es so: Der Junge 
konnte sich bei ihm Dinge erlauben, die er sich von jedem 
andern ärgerlich verbeten hätte. Und mochten die beiden 
Brüder auch zuweilen aneinandergeraten, so empfanden sie 
füreinander doch herzliche Zuneigung. „Meinst du, ich hätte 
Lust, so dumm zu bleiben, wie andere Leute es offenbar ihr 

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Leben lang sein möchten? Der Verkäufer hat mich davon 
überzeugt: Wenn man nur fünfzehn Minuten täglich liest, dann 
dauert es nicht lange, bis man das ganze Wissen unserer Zeit 
von ,Aal’ bis ,Zulukaffer’ beherrscht!“ 

Joe lachte noch immer. 
„Der Kerl hat dich eingewickelt!“ 
„Mr. Penrose ist ein anständiger, ehrlicher Kerl! Ich finde, 

daß jeder, der sich in die Wildnis hinauswagt, um dort Bücher 
zu verkaufen – ja, der ist so etwas wie ein Missionar! Und das 
war Penrose wirklich!“ 

„Ein Missionar!“ spottete Joe. „Hast du nicht gesehen, was 

für einen lauernden Blick er hatte, Hoss?“ 

„Den hatte er nicht! Du hast Mr. Penrose ja überhaupt nicht 

gesehen! Woher willst du dann wissen, was in seinen Augen 
geschrieben stand?“ 

Aber Joe ließ sich nicht einschüchtern. 
„Ich brauche ihn erst gar nicht zu sehen, Hoss!“ versicherte er 

dem Bruder. „Um dir vierzig Dollar aus der Nase zu ziehen, 
muß er jedenfalls ein ganz listiger, raffinierter Bursche sein! 
Und deshalb hatte er einen gierigen Blick, basta! Aber du treue 
Seele hast das überhaupt nicht bemerkt!“ 

Hoss ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. 
„Wozu verschwende ich eigentlich meine Zeit mit dir?“ 

fragte er gutmütig. „Candy hat Angst vor schwarzen Katzen, 
und du hast noch nie einen Buchstaben gelesen! Jedenfalls sind 
die Bücher prima. Mensch, ich habe da schon allerlei 
Erstaunliches gelernt – z. B. aus dem alten China. Aber du 
Schlaumeier hast natürlich keine Ahnung davon, daß die 
Chinesen schon vor zweitausend Jahren bei ihren Schlachten 
Feuerdrachen eingesetzt haben!“ 

„Was sind denn Feuerdrachen?“ fragte Joe, indem er Candy 

zublinzelte. 

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„Lies nur mein Buch, kleiner Joe, dann wirst du schon 

dahinterkommen!“ empfahl Hoss ihm in überlegenem Ton. 

„Reitet ihr nun mit mir?“ fragte Candy, während er besorgt 

zu dem Waldrand hinüberschaute, wo der schwarze Panther 
verschwunden war. 

„Nein“, erwiderte Joe kopfschüttelnd. „Wir müssen beinahe 

noch eine ganze Woche lang unterwegs sein, um die 
Südgrenze abzureiten. Wenn es dir zu Hause langweilig wird, 
kannst du dich ja ein bißchen mit Hoss’ neuen Büchern 
beschäftigen!“ 

Candy grinste breit. 
„Laß nur, Hoss, ich bin ganz deiner Meinung!“ meinte er. 

„Bücher sind etwas Feines. Und Wissen ist eben besser als 
Aberglaube! Trotzdem mußt du mir glauben, daß schwarze 
Katzen auf einem andern Blatt stehen! Wenn ich eine schwarze 
Katze sehe, dann weiß ich genau, daß Unheil im Anzug ist!“ 
 
 
Genau in demselben Augenblick mischte sich ein anderes 
Mitglied jener so übel beleumundeten Familie der schwarzen 
Katzen in die Angelegenheit der Menschen. Es war in Virginia 
City, wo ein neues düsteres Blatt im Register der 
Katzensünden aufgeschlagen wurde. 

Der Kater Tom, ein verwilderter, verlauster Herumtreiber, 

streunte durch die Straßen von Virginia City, fing Ratten und 
Mäuse, wühlte im Müll, fauchte die Hunde an und entzog sich 
allen Verfolgungen der Bewohner höchst geschickt und flink. 

Tom lebte gefährlich, aber keineswegs schlecht. Manche 

Narbe und Schramme durchzog sein struppiges Fell, aber er 
war sein eigener Herr, und seine grünen Augen funkelten vor 
Mißtrauen und Verachtung gegenüber allem Menschlichen. 

An diesem Morgen fuhr er heftig aus dem Sonnenbad, dem er 

sich auf dem schrägen Dach der Nationalbank von Virginia 

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City dösend hingegeben hatte. Was ihn auffahren ließ, war 
Hundegebell, Menschengebrüll, wildes Geschieße und 
schrilles Pferdewiehern. 

Tom fauchte zunächst einmal, wie er es in solchen 

Situationen zu tun pflegte, und duckte sich dann zum Sprung. 
Da er aber noch nicht genau wußte, welche Richtung er 
einzuschlagen hatte, kroch er erst einmal an den Rand des 
Daches. 

Unter ihm rannten drei Männer vorbei. Sie fuchtelten mit 

Gewehren und Pistolen, und es klapperte und polterte ganz 
gefährlich. 

Der Instinkt sagte Tom, daß so plötzliches Knallen von 

Feuerwaffen stets höchste Gefahr bedeutete. So kreischte er 
erschrocken und mischte seine verzweifelte Stimme in das 
allgemeine Gelärme. Mit gesträubten Haaren und weit 
ausgestreckten Krallen sprang er los. 

Er landete mitten unter drei Männern, die sich gerade in die 

Sättel schwangen und, so jäh erschreckt, befürchten mußten, 
daß alle ihre Bemühungen vergeblich bleiben würden. 

Schnell aber wurden sie sich klar darüber, daß nur eine 

struppige Katze und kein unbekanntes Geschoß zwischen sie 
gefallen war. Sofort faßten sie sich wieder und rissen ihre 
Pferde herum. 

Tom war einem der Pferde auf den Kopf gefallen. Der Gaul 

wieherte kreischend und stieg auf den Hinterbeinen empor, 
doch es gelang dem Reiter, dem Pferd den Kopf 
niederzudrücken. Gleichzeitig versetzte er ihm einen Hieb mit 
der Reitpeitsche. 

Der dritte Reiter hielt das Gewehr angelegt und schoß auf 

alles, was sich hinter ihnen bewegte. Darum wagte sich 
niemand näher heran, und auch das Personal der Bank blieb in 
seinen Geschäftsräumen. 

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Kater Tom hatte mit seiner Heldentat einige Verwirrung 

gestiftet; die Banditen verloren ein paar Sekunden. Sie 
genügten den eben noch völlig verdutzten Stadtleuten, um ihre 
Fassung wiederzugewinnen. 

Aber es war zu spät! 
Die Banditen spornten ihre Pferde zum Galopp an. Zwar 

schoß ein Mann mit dem Gewehr hinter ihnen her, aber 
unangefochten kamen sie an der weißen Kirche vorbei und aus 
der Stadt hinaus. 

Old Tom floh, kreischend und fauchend, mit gesträubtem Fell 

in entgegengesetzter Richtung. Erst in der Nähe des Hotels, 
weiter als hundert Meter von der Bank entfernt, beruhigte er 
sich ein wenig. 

Gerade da kam Ben Cartwright über die Veranda des Hotels 

und die Stufen herunter. Ben war nicht mehr der Allerjüngste, 
aber man sah ihm seine fünfundvierzig Jahre nicht an, und alle 
seine Bewegungen erinnerten eher an einen stürmischen 
Jungen. Er genoß überall großes Vertrauen. 

Nur einen kurzen Blick warf Ben auf den struppigen Kater, 

der an seinen Stiefeln vorbeistrich und dann in der Dunkelheit 
unter der Veranda Sicherheit suchte. 

Erst als Ben schon auf der Straße war, fiel ihm ein, daß er 

überhaupt keine Waffe bei sich hatte. ‘Fassungslos schaute er 
zur Bank hinüber, von wo Schüsse, Entsetzensschreie und 
Hilferufe herübertönten. 

Wieder kam jemand die Hotelstufen herunter. Es war Elliot 

Clymer, ein Mann in Bens Alter, aber beleibter, weichlicher 
und stets elegant gekleidet. Er packte Ben beim Arm. 

„Du hast doch keine Waffe, Ben!“ warnte er. „Halte dich 

zurück. Du kannst doch nichts mehr tun!“ 

Ben schaute ihn ungehalten an. 
„Ich denke, auch du hast Geld in der Bank, Elliot… 
„Dafür lasse ich mich noch lange nicht totschießen!“ 

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Ben würdigte den andern keines weiteren Wortes und ging in 

langen Schritten auf die Bank zu. Ringsum sah er aufgeregte 
Weiber und wütende Männer. 

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Vor dem Zusammenbruch 

 
 
 

Sheriff Roy Coffee kam herbeigelaufen. Der nicht mehr junge, 
grauhaarige Hüter des Gesetzes, hager von dem schweren 
Dienst, den er für geringen Lohn hatte leisten müssen, von 
Leid und Sorge abgehärmt, verlor nicht die Ruhe. 

Ungeduldig drangen die Leute in ihn, stellten Fragen, 

verlangten Antwort. Obwohl er selbst erheblich weniger 
gesehen hatte als alle die Leute auf der Straße, glaubte man 
offenbar, der Sheriff-Stern mache ihn allwissend. 

Der Sheriff ließ sich nicht stören. Er wußte, was er zu tun 

hatte, und verlor keine Zeit. Wenig später war ein Aufgebot 
von Männern zusammengestellt, das die Banditen verfolgen 
sollte. Auch ein Anführer war sehr schnell bestimmt. Aber die 
Männer brauchten Proviant und Ausrüstung! Durch kurze 
Anweisungen organisierte der Sheriff auch ihre Versorgung. 

Dann teilte er das gesamte Aufgebot in vier Gruppen ein. 
„Zwar sind die Kerls nach Norden geritten, jedoch liegt das 

Gebirge mit den Canons, in dienen sie Verstecke finden 
könnten, im Westen!“ überlegte er laut. „Vielleicht also biegen 
sie ab. Vielleicht aber reiten sie geradeaus und suchen 
möglichst schnell das Wüstengelände hinter sich zu bringen. 
Wir dürfen, keine Möglichkeit außer acht lassen und müssen 
ihnen sämtliche Fluchtwege abschneiden!“ 

Ben hielt sich abseits von der aufgeregten Menge, während 

der Sheriff die Verfolgung einleitete. Als Ben sich umschaute, 
sah er den Bankvorsteher allein unter dem Vordach des 
Gebäudes stehen. Der schlanke, eisgraue Mann mit der 
randlosen Brille, in Gehrock und dunkle Hosen gekleidet, 

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schaute mit leerem Blick über die Menschenansammlung 
hinweg. 

Ben ging auf ihn zu, und Elliot Clymer folgte ihm. 
„Guten Tag, Mel!“ begrüßte ihn Ben teilnahmsvoll. „Kann 

ich dir irgendwie helfen?“ 

„Mir kann niemand helfen!“ fuhr Mel Poynter auf. Dann 

schüttelte er sich, als erwache er aus einem Alptraum. 

Düster ließ er den Blick von Ben zu Elliot wandern. Dann 

schüttelte er noch einmal den Kopf und winkte den beiden, sie 
möchten ihm folgen. 

Während er durch den Schalterraum ging, in dem es jetzt leer 

und still war, zitterte er erneut am ganzen Leibe, und seine 
Schultern zuckten. Mühsam schleppte er sich zu seinem mit 
einem Rolladen verschlossenen Schreibtisch und ließ sich in 
den Sessel sinken. Dann winkte er Ben und Clymer, ebenfalls 
Platz zu nehmen. 

„Ich will weder mir noch euch etwas vormachen!“ stöhnte er. 

„Unsere Bank ist bankrott – ich wüßte nicht, wie wir sie noch 
weiter geöffnet halten könnten. Es gibt keine Möglichkeit, 
unsere Teilhaber und Kontoinhaber auszuzahlen.“ 

„Warum denn nicht?“ fragte Ben gespannt, während er sich 

leicht vorneigte. 

Elliot Clymer aber blieb ganz ruhig. Offenbar ungerührt, 

kaum betroffen, saß er in seinem Sessel und betrachtete die 
beiden anderen Männer. Seine Gelassenheit war 
bewundernswert, denn er besaß viel Land und zwei der 
ergiebigsten Minen der Gegend, und deshalb mußten seine 
Interessen mit denen der Bank eng verflochten sein. 

Mel Poynter schaute über Ben und Clymer hinweg, um sich 

zu vergewissern, daß niemand ihnen zuhörte. 

Von draußen her tönte Stimmengewirr, hier drinnen in der 

Schalterhalle aber war Stille. 

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„Unser Gold!“ flüsterte Mel gepreßt. „Sie haben all unsere 

Goldreserven mitgenommen.“ 

„Kannst du denn keinen Kredit aufnehmen, um 

Schwierigkeiten zu überbrücken?“ fragte Ben. 

„Wer wird mir einen Kredit geben?“ fragte der Bankier bitter, 

indem er hilflos die Arme ausbreitete. „Du etwa. Ben? All dein 
Vermögen liegt doch in dieser Bank fest!“ 

„Wie wäre es mit Clymer?“ schlug Ben vor. 
„Ich kann auch nicht helfen!“ wehrte Elliot Clymer 

achselzuckend ab. „Leider wird mir diesmal nichts anderes 
übrigbleiben, als der Schließung der Bank tatenlos 
zuzuschauen.“ 

„Was soll das heißen?“ fuhr Ben auf. „Dadurch würden alle 

Leute unserer, Stadt ruiniert!“ 

Ruhig betrachtete Clymer seine Zigarre. 
„Du bist offenbar zu aufgeregt, Ben, als daß du noch daran 

dächtest, welche schlimmen Zeiten diese Bank schon hinter 
sich hat!“ sagte er. „Nun sind die Reserven endgültig 
verbraucht, und weder der Staat noch der Bund kommen uns 
zur Hilfe!“ 

„Wir haben die Bank noch immer gestützt“, beharrte Ben. 

„Mit all unserem Vermögen sind wir für sie eingetreten. Auch 
diesmal – werden wir es tun müssen.“ 

Clymer schüttelte den Kopf. 
„Du siehst die Dinge nicht ganz richtig, Ben!“ meinte er kalt. 

„Erinnerst du dich, daß ich im vergangenen Jahr der Bank mit 
einem großen Darlehen unter die Arme gegriffen habe?“ 

„Das weiß ich“, bestätigte Ben. „Ich habe den Vertrag mit 

Mel zusammen unterschrieben.“ 

„Dabei handelte es sich um einen Sichtwechsel!“ erinnerte 

Clymer. „Der Betrag war in mehreren gleichbleibenden Raten 
zurückzuzahlen – und zwar in Gold!“ 

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„Das ist doch nichts Besonderes!“ erwiderte Ben. „Alle 

unsere Banken pflegen ihre Goldreserven für solche und 
ähnliche Zwecke zu verwenden, für Sicherheitsleistungen, 
Garantien und so weiter.“ 

„Sehr richtig“, nickte Clymer. „Und heute bin ich in die Stadt 

gekommen, um über die Auszahlung zu sprechen. Auf einer 
Sitzung heute früh ist über die Einlösung meines Wechsels 
beraten worden.“ 

Ben starrte Clymer fassungslos an. 
„Aber nach dem, was inzwischen vorgefallen ist, wirst du 

doch nicht auf der Auszahlung bestehen!“ 

„Leider habe ich eigene Verpflichtungen, Ben, und brauche 

Bargeld – oder Gold!“ erklärte Clymer. „Du wirst nicht 
verlangen, daß ich mich selbst und meine eigenen Geschäfte 
gefährde…“ 

„Aber dieser Bankraub ist doch höhere Gewalt, er bringt die 

Bank unvorhergesehen in Schwierigkeiten!“ beharrte Ben. „So 
etwas wirst du doch nicht ausnützen wollen!“ 

„Es handelt sich um einen Wechsel, Ben!“ erklärte Clymer 

seelenruhig. „Entweder erhalte ich heute den fälligen Betrag, 
oder ich darf auf der Stelle den gesamten Wechselbetrag 
einklagen. Und das werde ich tun! Denn ich befinde mich 
leider in einer Lage, in der mir nichts anderes übrig bleibt!“ 

„Aber damit würdest du die Bank ruinieren, die Stadt – ja, 

den ganzen Kreis, Elliot!“ drang Ben ruhig, aber mahnend in 
ihn. 

Clymer schüttelte den Kopf. 
„Ich kann nicht anders!“ versicherte er. „Geschäft ist 

Geschäft, dabei darf man nicht sentimental werden. Sogar 
Freundschaft und Staatstreue haben sich unterzuordnen. 
Entweder zahlt die Bank den fälligen Betrag in Gold aus, oder 
ich erhebe Wechselklage!“ 

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„Aber damit würdest du doch auch uns ruinieren!“ rief Ben 

aus. „Wir haften schließlich mit unserem Besitz!“ 

„Sehr richtig!“ Clymer zuckte die Achseln. „Schließlich seid 

ihr durch eure Einlagen Teilhaber der Bank geworden und 
haftet mit all euerm Eigentum! Und ich verlange Auszahlung!“ 

Fassungslos und ungläubig starrte Ben ihn an. 
„Wie lange Zeit haben wir?“ fragte er Poynter. 
„Der Wechsel ist am Freitag fällig“, erwiderte der 

Bankvorsteher. „In drei Tagen also, Ben!“ 

„Du mußt uns etwas mehr Zeit geben, Elliot!“ beharrte Ben. 

„Wenn ich zum Beispiel ein Viehtreiben auf meinen Weiden 
veranstalten kann, bringe ich womöglich einige Jungtiere 
zusammen, die ich zum Mästen verkaufen kann.“ 

„Nur ruhig, Ben!“ Elliot lächelte eisig. „Ist dir denn nicht 

klar, daß du über dein Vieh gar nicht selbst verfügen kannst? 
All dein Eigentum ist der Bank als Sicherheit verpfändet. Kein 
einziger Kuhschwanz gehört dir mehr!“ 

„Schrecklich, Ben!“ flüsterte Poynter. „Es tut mir ganz 

fürchterlich leid.“ 

Ben sackte in seinem Stuhl zusammen. Wortlos starrte er 

Elliot Clymer an. Die Stille in der dämmerigen Schalterhalle 
der Bank wirkte bedrückender als der Lärm draußen. 

„Geschäft ist Geschäft, Ben!“ sagte Clymer nach einiger Zeit 

von neuem. „Die Lage ist in der Tat scheußlich, das gebe ich 
zu. Aber wenn ich die Möglichkeit habe, eine Ranch wie deine 
Ponderosa an mich zu ziehen – warum sollte ich die 
Gelegenheit nicht beim Schopfe packen? Wenn du dich einmal 
in meine Lage versetzt, kannst du mir keinen Vorwurf daraus 
machen.“ 

Ben schüttelte wortlos den Kopf. Nur ein Muskel zuckte an 

seiner rechten Wange. 

Clymer lächelte kalt. 

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„Nur zu, mein Junge!“ forderte er heraus. „Sage ruhig, was 

du auf der Leber hast!“ 

„Im Augenblick sage ich lieber überhaupt nichts“, erwiderte 

Ben leise. „Womöglich würdest du sonst den Revolver 
ziehen!“ 

Das Lächeln blieb in Clymers Gesicht. 
„Dann will ich dir sagen, was du denkst!“ sagte er. „Du 

meinst, womöglich hätte ich selbst den Bankraub gerade in 
dem Augenblick eingefädelt, wo eine so große Zahlung fällig 
war!“ Er schüttelte den Kopf. „Aber nein, Ben: Denke von mir 
so schlecht, wie du willst: Diesen Raub habe ich jedenfalls 
nicht angestiftet. Dazu wäre ich nicht fähig. Aber die mir 
dadurch gebotene günstige Gelegenheit kann ich nicht 
ungenutzt verstreichen lassen!“ 

„Schon gut!“ Ben erhob sich müde und nickte den beiden 

Männern kurz zu. In seinem Kopf wirbelte es, und er wußte 
vor Sorgen und Not nicht mehr ein und aus. Es Wollte ihm 
einfach nicht in den Köpf, daß seine ganze Lebensarbeit 
vergeblich gewesen war und ihm all ihre Früchte geraubt 
werden sollten. 

Bedrückt durchschritt er den Vorraum der Bank. Draußen auf 

der Veranda trat ihm der Sheriff in den Weg und legte ihm eine 
Hand auf die Schulter. 

Ben starrte ihn an, ohne ihn richtig zu sehen. Nur ein 

Gedanke füllte ihn aus: Wie würde er diese sehr schlimme 
Lage meistern können? Noch gab er sich nicht geschlagen. Er 
war im Laufe seines Lebens schon mit manchem Gegner fertig 
geworden – allerdings hatte es noch niemals so übel für ihn 
ausgesehen. Dies war ein Verhängnis, das unabwendbar zu 
sein schien. 

Er brauchte Zeit, um den Fall zu überlegen. Aber diese Zeit 

hatte er nicht! 

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„Ich habe etwas gefunden, Ben!“ berichtete Sheriff Coffee. 

„Es muß herausgefallen sein, als das Pferd hochging, weil der 
schwarze Kater ihm auf den Kopf gesprungen war. Sieh mal: 
eine genaue Skizze der Bank – und hier ist deutlich der 
Panzerschrank eingetragen, in dem sich die Goldreserven 
befanden.“ 

Ben nahm den Zettel in die Hand. Wie durch wallende Nebel 

betrachtete er das Papier, das vor seinen Augen schwankte. 
Tatsächlich, es war eine Zeichnung der Bank – eine so 
vorzügliche Zeichnung, wie man sie nur von Architekten zu 
sehen bekommt. 

„Und das hier habe ich auch gefunden!“ Sheriff Coffee 

reichte dem Rancher ein kleines Stückchen Pappe. „Eine 
Fahrkarte nach Denver. Was hältst du davon, Ben?“ 

Einen Augenblick lang starrte Ben den Sheriff an. 
„Was ich davon halte?“ antwortete er dann tonlos. „Wir sind 

ruiniert!“ 

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Der Weg zum Abgrund 

 
 
 

An den folgenden beiden Tagen war Ben nicht müßig. Rastlos 
bewegte er sich auf seiner Ranch Ponderosa, gereizt wie ein 
Löwe, der sich von Jägern umstellt sieht. 

Angestrengt überlegte er, ob es nicht doch einen Weg gab, 

seine Ranch zu retten. Noch gab er sich nicht geschlagen. 

Zunächst einmal stellte er dem Sheriff für die 

Verfolgungsaufgebote einige seiner Männer zur Verfügung, 
mehr, als vielleicht klug war. Das Land wurde weithin 
durchgekämmt. 

Candy mußte immer wieder zur Telegraphenstation reiten. 

Aber alle Bitten wurden abschlägig beschieden. Niemand hatte 
Lust zu helfen. 

Noch am Abend, bis spät in die Nacht hinein, stapfte Ben in 

seinem Haus auf und ab. Oft genug überraschte ihn die 
Morgendämmerung. Und wenn er sich endlich ins Bett sinken 
ließ, fuhr er bald unter eiskaltem Schweißausbruch wieder auf. 

In der ersten Nacht war Candy gegen drei Uhr hereingestürmt 

und hatte aufgeregt an die Schlafzimmertür geklopft. 

„Zwei Pferde sind gestohlen worden, Mr. Cartwright!“ 
Ben öffnete die Tür und starrte den Jungen stirnrunzelnd an. 
„Es war mir klar, daß zu wenig Wächter bei mir 

zurückbleiben würden, wenn ich so viele Reiter dem Sheriff 
helfen ließ!“ murmelte er. „Aber das soll mich jetzt nicht 
kümmern. Sattle uns sofort zwei Pferde!“ 

„Sie sind gesattelt und warten draußen!“ rief der Junge 

lebhaft. 

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Bei der Nachtfinsternis waren kaum Spuren zu verfolgen, und 

zu jeder andern Zeit hätte Ben überhaupt nicht daran gedacht, 
auf der Stelle loszureiten. Aber jetzt mußte er irgend etwas tun. 

Immerhin war es besser, wenn man ritt – als wenn man 

nachdachte und immer nur die gleichen verzweifelten 
Gedanken in seinem Hirn wälzte. 

Eine Stunde lang mochten sie geritten sein, als sie zu der 

rauchenden Asche eines Lagerfeuers kamen. 

„Meinen Sie, es wären die Bankräuber gewesen?“ fragte 

Candy. 

Ben ballte die Fäuste. Wie wohl wäre ihm gewesen, wenn er 

diese Kerls jetzt hätte packen können! Aber die Vernunft 
gewann doch die Oberhand, und er schüttelte den Kopf. 

„Räuber bleiben niemals in der Gegend, die die Leute des 

Sheriffs durchstöbern!“ meinte er. „Sicherlich waren es 
Landstreicher.“ 

„Kehren wir um?“ 
Es schien, als habe Ben ihn überhaupt nicht gehört. 

Schweigend kletterte er wieder in den Sattel und ritt auf dem 
Pfad weiter. Sorgenvoll lenkte Candy sein Pferd hinter ihm 
her. 

Noch vor der Morgendämmerung brach peitschend ein kalter 

Regen über sie herein. Die Pferde begannen zu taumeln und 
waren offenbar am Rande ihrer Kraft. Ben winkte zur Umkehr. 

Durchnäßt und frierend hockte er zusammengesunken im 

Sattel. Wind und Regen preßten ihm die Hutkrempe ins 
Gesicht, und eisige Wassertropfen rannen ihm in den Kragen. 
Er fühlte sich dem Zusammenbruch und dem Ende nahe. 
Dennoch blieb er zum Kampf entschlossen. Er durfte seine 
Sache nicht aufgeben. 

„Es tut mir schrecklich leid, Mr. Cartwright, daß Sie 

Schwierigkeiten haben!“ brachte Candy schließlich hervor. 

„Was für Schwierigkeiten?“ 

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„Nun, Sie verlieren doch vielleicht Ponderosa, wenn die 

Bank zusammenkracht!“ 

„Woher weißt du denn das?“ 
„Das reden die Leute, Mr. Cartwright!“ 
Ben nickte. Nach kurzem Überlegen ballte er die Fäuste um 

die Zügelleine. 

„Wir wollen Hoss und Joe nichts davon sagen, Candy!“ sagte 

er mit gepreßter Stimme. „Wenigstens jetzt noch nicht!“ 

„Abgemacht, Mr. Cartwright!“ 
Ben versuchte zu lächeln. 
„Auf dem Weg zum Abgrund soll man sich nicht beeilen, 

Candy.“ 
 
 
Joe beugte sich im Sattel nach vorn und starrte auf den 
schroffen, zerrissenen, von der Sommersonne ausgedörrten 
Boden. 

„Hier sehe ich keine Spuren mehr, Hoss!“ rief er dem Bruder 

zu, während er sich wieder aufrichtete. 

Das ewige Ausharren in der Südhütte und ewige Herumreiten 

auf der Suche nach versprengten Tieren hing ihm zum Halse 
heraus. Hin und wieder hörte er etwas von den Männern, die 
das Land nach den Verbrechern absuchten. Eines Tages war 
Candy zu ihnen gekommen und hatte ausführlich von dem 
Bankraub erzählt. Er hatte geschlossen: 

„Euer Vater läßt euch sagen, ihr solltet bei eurer Arbeit 

bleiben und die Suche nach den Banditen den Leuten des 
Sheriffs überlassen! Übrigens ist euer Vater nicht 
ausgesprochen bester Laune; deshalb würde ich euch 
empfehlen, zu gehorchen, ohne lange zu fragen!“ 

Also waren Hoss und Joe weiterhin die Grenzen ihres 

Gebietes abgeritten und hatten versprengte Tiere gesucht. 

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„Eigentlich müßten wir doch Spuren finden“, meinte Hoss 

stirnrunzelnd. „Schließlich verschwinden Rinder nicht spurlos 
– schon gar nicht am hellichten Tage!“ 

Fragend und verdutzt schaute er über die mit struppigem 

Gehölz und hartem Gras bewachsene Ebene. Die heiße Luft 
flimmerte, und in der Ferne kreiste ein Vogel am wolkenlosen 
Himmel. 

„Irgendwo müssen die Viecher doch sein!“ stöhnte Hoss. 
„Irgendwo!“ nickte Joe, während er mit ausgestrecktem Arm 

in die weite Runde deutete. „Es ist nur noch eine Frage der 
Zeit, bis auch du wirst zugeben müssen, daß dir jemand Vaters 
beste Rinder unter der Nase weggestohlen hat. Immerhin ist 
deine Nase ja nicht die kleinste!“ 

„Unsinn!“ fuhr Hoss auf. „Die Kühe sind nicht gestohlen 

worden! Ich wette meinen Hut…“ 

„Das ist ein ungesetzlich hoher Einsatz!“ lachte Joe. „Aber 

meinetwegen!“ 

„Nicht einmal ein Indianer würde mir so etwas antun, ohne 

irgendwelche Spuren zu hinterlassen! Ich würde etwas 
finden… Und wenn es ein Vogel wäre!“ 

Joe lachte. „Was haben denn die Vögel damit zu tun?“ 
„Das weißt du doch ganz genau!“ antwortete der Bruder. 

„Dem Verhalten der Vögel siehst du an, wenn etwas nicht in 
Ordnung ist. Soll ich dir sagen, was dafür spricht, daß die 
Rinder davongelaufen sind und daß niemand sie weggetrieben 
hat? Zweifellos hast doch auch du heute am ganzen Tag keine 
Abdrücke von Pferdehufen gesehen – außer unseren eigenen!“ 

Er glitt vom Pferderücken. Nach dem langen Sitzen im Sattel 

war er nicht mehr sehr sicher auf den Beinen. Angestrengt 
starrte er auf den Boden. 

„Hier!“ Triumphierend schaute er den Bruder an. „Zeichen! 

Und Spuren. Sie führen…“ Er hielt sich die Hand über die 
Augen und schaute zu einem Kieferngehölz hinüber, das sich 

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zu Füßen eines Berges hinzog. „Ich wette, daß wir die Tiere 
dort finden!“ 

Damit ging er los. 
„Wenn Rinder davonlaufen“, meinte Joe, „dann suchen sie 

Wasser! Steht das nicht in deinen neuen Büchern, Hoss?“ 

Dennoch folgte er Hoss den Hang hinauf. Zunächst gab es 

nur wenig Unterholz, weiter oben aber wuchsen zwischen den 
Kiefern immer mehr dichte Büsche. 

„Einmal durchqueren wir das Wäldchen“, meinte Joe, „dann 

aber kehren wir um! Mein Magen muß ja schon denken, 
jemand hätte mir die Kehle durchschnitten. Ich habe solchen 
Hunger, daß mir sogar deine Küche schmecken könnte!“ 

Wortlos führte Hoss sein Pferd auf eine kleine Lichtung 

zwischen verkrüppelten Fichten. Nachdem er eine Weile 
erfolglos herumgesucht hatte, schwang er sich wieder in den 
Sattel. Dabei geriet sein Stiefel in einen dürren Busch, und es 
knackte laut. Ganz plötzlich knallte es. Aus einem Felsennest 
über ihnen wurde geschossen. Flink suchten Hoss und Joe 
Deckung. Sicher galten diese Schüsse ihnen. 

Joe zog seinen Colt und suchte im Dickicht ein Ziel zu 

erkennen. 

„Gibst du jetzt zu, daß es doch Viehdiebe sein können?“ 

flüsterte er. 

Als sie sich gedeckt fühlten, banden sie ihre Pferde an 

Baumwurzeln fest. 

„Ich dachte, du spürtest eine Gefahr stets rechtzeitig an 

verdächtigen Zeichen“, flüsterte Joe, indem er angestrengt 
zwischen den Felsbrocken und Krüppelkiefern nach dem Feind 
spähte. „Ich allerdings habe keinen Vogel gesehen, der uns 
durch sein Aufsteigen gewarnt hätte.“ 

„Du hast eben nicht aufgepaßt.“ 

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Joe verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. 

„Allerdings muß ich zugeben, daß ich nicht nach Vögeln 
ausgeschaut habe!“ 

Bedächtig zog Hoss das Gewehr aus der Halterung im Sattel. 

Mitten in einem Busch nahm er Deckung und wartete 
gespannt. 

Nichts rührte sich. Stirnrunzelnd spähte Hoss nach den 

Felsen, während der Finger am Abzug des Gewehres lag. 

Den Revolver in der Hand, schob sich Joe vorsichtig bis 

hinter eine zerzauste Kiefer, die ihm Schutz gewährte. Hoss 
kam vorsichtig hinterhergekrochen. Er ließ dabei die Felsen 
keine Sekunde aus den Augen. 

Plötzlich schoß Joe. Die Kugel streifte einen Felsgrat. 
Ihm wurde sofort geantwortet. Zwischen den Felsen krachte 

ein Schuß, und die Kugel fuhr dicht an Hoss’

 

hohem Hut 

vorbei. Unwillkürlich preßte er das Gesicht auf den Boden. 

Noch einmal feuerte Joe zu den Felsen hinüber. Plötzlich 

sprang er auf und rannte auf einen Felsblock zu. Kaum hatte er 
sich dahinter geduckt, da feuerte der Schütze von oben wieder. 
Joe und Hoss tauschten erstaunte Blicke. Warum waren die 
letzten Schüsse so seltsam ungezielt? Noch einmal krachte es 
zwischen den Felsen, und das Geschoß flog so hoch, als wäre 
es in den Himmel gezielt. 

Und dann wurde es ganz still. 
Stirnrunzelnd schaute Joe seinen Bruder an. 
Hoss richtete sich auf. Kein Schuß fiel mehr. Hoss fuhr sich 

mit der Hand über das verschwitzte Gesicht. 

Nach einer Weile gespannter Wachsamkeit rannte Joe um 

den Felsblock herum und stürmte den Hang hinauf. Mit vier 
gewaltigen Schritten war er oben und warf sich dann in das 
Geröll aus Lava und Schiefer, das so spitzig und hart war wie 
ein Nagelbrett. 

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Polternd rutschten Steine unter seinen Füßen weg und rollten 

bergab. Mit angehaltenem Atem spähte Hoss hinauf, um dem 
Bruder Feuerschutz zu geben, sobald sich der Gegner erneut 
bemerkbar machte. Nach einer Weile sprang auch er auf und 
rannte vorwärts. Dabei bot er ein gutes Ziel, zumal er längst 
nicht so schnell war wie sein Bruder Joe. Aber auch er 
erreichte den Felsblock unbehelligt und preßte sich dagegen. 
Noch immer blieb es über ihnen still. 

„Ob das etwa eine Falle ist?“ flüsterte Hoss ihm zu. „Oder ist 

der Kerl davongelaufen?“ 

Joe schüttelte den Kopf. 
„Nein, dann hätten wir ihn sehen müssen!“ versicherte er. 

„Auf keinen Fall hat er das Felsennest verlassen.“ 

„Was sollen wir nun tun?“ 
„Eigentlich sollten wir zum Essen heimkehren!“ sagte Joe. 

„Aber vorher verscheuche ich den Burschen! Darauf kannst du 
dich verlassen!“ 

„Halt mal, kleiner Bruder!“ Hoss packte Joe fest beim Arm. 

„Das ist meine Sache! Falls wirklich jemand die Rinder 
gestohlen hat, so war es meine Schuld…“ 

„Und wenn der Kerl nur so gut schießen kann, daß er eine 

Bergwand aus hundert Meter Entfernung trifft, großer Bruder 
Hoss“, grinste Joe, „dann wird er die Möglichkeit haben, dich 
in aller Ruhe abzuknallen! Du bist viel zu langsam; ich werde 
erheblich flinker oben sein als du!“ 

Hoss nickte. 
„Meinetwegen!“ gab er zu. „Ich passe auf. Sobald der 

Bursche sich rührt, schieße ich.“ 

Joe lachte. „Nur bitte nicht auf mich!“ Wieder verzog er 

spöttisch das Gesicht. „Allerdings wäre ich, wenn du auf mich 
zielst, vielleicht am allersichersten!“ 

Entschlossen glitt er hinter dem Felsblock hervor und huschte 

zur nächsten Deckung. 

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Hoss starrte hinter ihm her. Er hörte das Geröll prasseln, sah 

Joe aber nur hin und wieder für einen Augenblick. 

Eine wahre Ewigkeit lang blieb es dann völlig still. Endlich 

aber tönte von oben Joes Stimme. Sie klang aufgeregt. 

„Komm sofort herauf, Hoss!“ 
Mit schußbereitem Gewehr rannte Hoss den Hang hinauf und 

zwängte sich schließlich zwischen zwei eng stehenden Klippen 
hindurch. Hinter dem Spalt sah er seinen Bruder. Breitbeinig 
stand Joe da, den Hut weit in den Nacken geschoben, den 
Revolver gesenkt. 

Betroffen blieb Hoss neben ihm stehen. Lange sagte keiner 

der beiden Brüder ein Wort. Sie starrten auf den Mann, der 
rücklings auf dem Geröll lag. 

„Er ist erschossen worden!“ flüsterte Joe. „Der Schuß hat ihn 

in die Brust getroffen.“ Er schüttelte den Kopf. „Es war nicht 
einer unserer Schüsse… Sieh nur, das Blut auf dem Hemd ist 
schon trocken.“ 

Hoss brachte kein Wort hervor, und Joe kniete nach kurzem 

Zögern neben dem Mann nieder. 

Es war ein schlanker, hagerer Mann in derber Kleidung, um 

den Kragen des weißen Hemdes hatte er eine schmale Schleife 
geschlungen. Der rechte Arm war über den Kopf geworfen, 
und die Hand im Geröll rührte sich nicht. Daneben lag ein 
Revolver. 

„Das ist keiner von hier!“ murmelte Joe. „Es ist ein 

Greenhorn, einer aus der Stadt!“ Er nahm die Waffe in die 
Hand und stellte fest, daß alle Kugeln verschossen waren. 
„Kein Wunder, daß seine letzten Schüsse senkrecht in die Luft 
gingen. Er hat weitergeschossen, während er rückwärts 
zusammenbrach.“ 

Hoss schwieg so beharrlich, daß Joe verdutzt den Kopf hob 

und ihn anstarrte. 

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„Was ist denn los, Hoss?“ rief er und riß die Augen weit auf. 

„Ist dir schlecht? Willst du umfallen?“ 

Hoss schüttelte den Kopf. 
„Nein!“ flüsterte er. „Aber das ist Mr. Penrose, mein Freund 

– der Buchverkäufer! Und er lebt noch!“ 

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Die Wurzel des Übels 

 
 
 

„Der Buchverkäufer?“ verblüfft starrte Joe seinen Bruder an. 
„Aber warum hätte er denn auf uns schießen sollen? Immerhin 
hat er doch an dir viel Geld verdient, nicht wahr?“ 

Hoss schaute düster vor sich hin. 
„Armer Kerl!“ murmelte er dann. „Ich möchte nur wissen, 

was er hier in dieser trostlosen Einöde zu suchen hatte.“ 

„Das kann ich mir auch nicht denken“, meinte Joe. „Auf 

jeden Fall hat er etwas gefunden: den Tod. Denn ganz 
bestimmt kommt er nicht lebend davon!“ Er legte dem Mann 
die Hand auf die schmale Brust. „Das Herz schlägt kaum noch. 
Und er ist schon ganz kalt.“ 

„Hier in der Einöde!“ wiederholte Hoss. „Meilenweit von der 

nächsten Straße entfernt. Ich begreife das nicht!“ Er ließ den 
Blick über die unwirtliche Landschaft schweifen. 

„Wir müssen ihn von hier fortbringen!“ schlug Joe vor. 

„Wenn wir nicht sein Leben retten, hast du überhaupt keine 
Chance mehr, das viele Geld für die Bücher über unnützes 
Wissen wiederzubekommen!“ 

„Nützliches Wissen!“ berichtigte Hoss. „Ich schneide ein 

paar dünne Stämme ab, damit wir eine Bahre flechten 
können.“ 

Mit diesen Worten drängte er sich wieder durch den Felsspalt 

und machte sich daran, mit dem Jagdmesser ein paar kräftige 
Gerten zu schneiden. Plötzlich horchte er auf: Gar nicht weit, 
ein Stück oberhalb zwischen dem Geröll, erklang das 
jammernde Muhen von Rindern. 

Hoss’ Gesicht leuchtete auf. Nun hatten sie also ihr Vieh 

noch obendrein gefunden! 

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Die blöden Tiere hatten sich hier im Felsland verirrt und 

hockten nun sehr ängstlich und hilflos irgendwo in der Einöde. 

„Ich komme zu euch, ihr Viehzeug!“ rief er böse. „Aber ihr 

müßt noch ein bißchen warten!“ 

Zunächst ging Hoss mit den beiden fast drei Meter langen 

Stangen zu der Stelle zurück, wo Joe neben dem verwundeten 
Buchhändler kniete. 

„Kommt er zu sich?“ fragte er. 
Joe schüttelte den Kopf. 
„Er hat eine sehr tiefe, häßlich gerissene Wunde an der Seite. 

Und die Kugel steckt noch in ihm. Ein Wunder, daß er 
überhaupt noch lebt: Er hat schrecklich viel Blut verloren.“ 

„Wir müssen den armen Kerl schnell zu einem Arzt bringen!“ 
„So weit kommen wir nicht mehr mit ihm!“ Joe stand auf, 

schüttelte den Kopf und schaute den Bruder nachdenklich an. 
Warum war der Buchhändler bloß erschossen worden? 
überlegte er. Und warum hatte er versucht, Hoss und ihn selbst 
aus dem Hinterhalt zu erschießen? „Penrose muß doch hierher 
geritten sein. Und du sagtest doch, er habe Angst vor Pferden 
gehabt!“ 

„Das stimmt auch!“ Hoss nickte, nun ebenfalls nachdenklich 

geworden. „Als er uns auf der Ranch besuchte, saß er 
jedenfalls auf einem uralten geliehenen Klepper, der zu alt 
war, um auch nur zu niesen!“ 

Er wendete sich ab und kletterte den steilen Hang noch ein 

Stück aufwärts. Bald fand er ein altes Pferd, das an einen 
Busch gebunden war. Als Joe näher kam, hob der Gaul den 
Kopf und verdrehte die Augen, so daß man nur noch das 
Weiße sah. 

Joe redete dem verängstigten Tier beruhigend zu. Es 

schwitzte, und auf seinem struppigen Fell zeichneten sich 
dunkel nasse Stellen ab. Es zitterte am ganzen Leibe. 

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Anscheinend war er rücksichtslos geritten worden und war der 
völligen Erschöpfung nahe. 

Joe runzelte die Stirn. Nach kurzem überlegen band er das 

Tier los und führte es bergab. 

Ganz langsam ging er, als habe er Angst, das Tier müsse 

jeden Augenblick unter dem Gewicht des Sattels mit den prall 
gefüllten Satteltaschen zusammenbrechen. Offenbar hatte der 
Reiter eine Menge Bücher darin verstaut. 

„Warum hat wohl dein Freund das arme Tier so lange 

geritten, bis es fast zusammengebrochen ist?“ fragte Joe seinen 
Bruder. 

Hoss schüttelte nur den Kopf. Er schnallte Penroses Decke 

vom Sattel und befestigte sie so an den beiden dünnen 
Baumstämmen, daß eine Tragbahre entstand. Dann ‘banden sie 
die beiden vorderen Enden der Stämme an den Sattel des 
grauen Pferdes und ließen die hinteren Enden über den Boden 
schleifen, so wie es die Indianer tun. Vorsichtig hoben sie 
Penrose auf und legten ihn auf die Decke. Mit Tauen 
befestigten sie ihn unter Armen und Füßen vorsichtig daran, 
daß er nicht abrutschen konnte. 

Dann machten sie sich langsam an den Abstieg. Hoss kam 

hinterher, und paßte auf, daß dem Verwundeten nichts zustieß. 

Joe überlegte. Die Gedanken wirbelten ihm im Kopf. Was 

hatte dieser Fremde, dieser unerfahrene Städter, hier in der 
Wildnis gesucht? Wer hatte auf ihn geschossen? Und warum? 
Wenn man Hoss glauben wollte, so war Penrose ein harmloser, 
kleiner Reisender, der lächelnd und stets dienstbereit durch die 
Lande zog. 

Bald hatten sie die Stelle erreicht, wo sie ihre eigenen Pferde 

angebunden hatten. Joe machte das seine los und schwang sich 
in den Sattel. Hoss jedoch blieb zu Fuß und führte den alten 
Grauen am Zügel. 

„Willst du etwa laufen – mit diesen Stiefeln?“ fragte Joe. 

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„Ich meine, wir sollten Penrose in unsere Hütte an der 

Südgrenze bringen!“ erwiderte Hoss ruhig. „Von dort aus kann 
einer von uns nach Virginia City reiten und Dr. Stark holen.“ 

„Der Gedanke ist ausgezeichnet!“ lobte Joe spöttisch. 

„Allerdings hast du dreierlei übersehen: Erstens sind deine 
Stiefel zum Reiten und nicht zum Laufen gemacht; zweitens ist 
es bis nach Virginia City viel zu weit; und drittens würde es 
deshalb zu lange dauern, bis der Arzt da sein könnte. Leider 
besteht nämlich kein Zweifel daran, daß deinem 
Buchhändlerfreund überhaupt nur zu helfen ist, wenn die Hilfe 
ganz schnell kommen könnte!“ 

„Wie schrecklich!“ Hoss’ Gesicht wurde schlaff vor 

Betrübnis, und er schüttelte den Kopf. „Aber wir müssen doch 
etwas tun, Joe!“ 

„Steige auf!“ schlug Joe ihm vor. „Penroses Pferd werden wir 

führen, auch wenn der Weg ziemlich weit ist.“ 

Nach kurzem Überlegen schwang sich Hoss in den Sattel. 

Dann ergriff er die Zügel des grauen Kleppers und führte ihn 
langsam bergab durch Nesseln, Disteln und hartes hohes Gras. 

„Du wirst ihm die Kugel entfernen müssen, Joe!“ meinte er 

nach langem Schweigen. 

Joe fuhr herum und starrte ihn an. 
„Bist du verrückt geworden?“ wehrte er ab. „Ich bringe es 

nicht fertig, ins Innere eines Menschen hineinzusehen!“ 

„Heute wirst du es aber tun müssen, Joe!“ beharrte Hoss, als 

sei damit der Fall endgültig geklärt. 

Schweigend ritten sie weiter und erreichten die Ebene, die im 

grellen Sonnenschein zu zittern schien. Ganz still war es hier, 
nur hin und wieder huschte irgendwo ein Kaninchen dahin, 
oder ein erschrockenes Feldhuhn flatterte platschend auf. Bald 
war es nicht mehr weit bis zu ihrer Hütte. 

Als die Pferde dem Rastplatz mit Wasser, Körnerfutter und 

gemütlicher Koppel nahe kamen, beschleunigten sie den 

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Schritt. Joe allerdings konnte beim Anblick der Hütte nicht viel 
froher werden. 

Dort lag sie im grellen Schein der untergehenden Sonne, aus 

Fichtenstämmen errichtet, mit einem Dach aus Teerpappe, 
ungeschützt mitten auf offenem Feld. Nicht einmal Sträucher 
oder Pappeln hatte man als Windschutz an der Nordseite 
gepflanzt. Erst in einiger Entfernung wuchsen ein paar Kiefern. 
Im Sommer war die kümmerliche Hütte der Sonnenhitze 
schutzlos ausgesetzt, und im Winter wehte der eisige Sturm 
über sie hinweg. 

Hoss und Joe trugen die Bahre ins Innere, räumten den grob 

gezimmerten Küchentisch leer und legten den Bewußtlosen 
darauf. 

Einen Augenblick lang standen sie dann herum. Joe warf dem 

Bruder einen Blick zu, als flehe er um Gnade; aber Hoss 
erwiderte den Blick ganz ruhig und wartete vertrauensvoll. 

„Ich bin viel zu tolpatschig, Joe“, murmelte er. „Du kannst es 

tun, ich vertraue dir, und deshalb mußt du es wagen!“ 

„Du brauchst mir gar keinen Honig um den Mund zu 

schmieren!“ stöhnte Joe. „Es ist pure Verrücktheit, daß ich es 
überhaupt wage – aber ohne Zweifel wird der arme Kerl 
sterben müssen, wenn ich nicht wenigstens versuche, ihm die 
Kugel herauszuholen.“ 

Entschlossen krempelte er sich die Ärmel hoch und wusch 

sich in der Blechschüssel die Hände. Dann zog er dem 
Verkäufer das blutdurchtränkte Hemd vom Leibe. Dabei 
knisterte etwas in der Tasche. Er zog es heraus: Es war ein 
Rezept von Dr. Stark für Hustenmedizin. 

Beklommen betrachtete Joe dann das unregelmäßige Loch, 

das die Kugel dem Mann in die Seite gerissen hatte. Zum 
Glück stand neben der Schlafpritsche eine Flasche mit Whisky, 
die einer der Cowboys hatte stehen lassen. Joe goß sich einigen 

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Alkohol über die Hände und wusch dann damit auch das Blut 
aus der Wunde. 

Inzwischen hatte Hoss im Herd ein flackerndes Feuer in 

Gang gebracht. Joe holte das schärfste Messer und hielt es in 
die offene Flamme. Er mußte gegen ein Gefühl der Übelkeit 
ankämpfen. 

Von einer Borte holte Hoss zwei Laternen heran, zündete sie 

an und stellte sie zu beiden Seiten des Verwundeten auf. 
Inzwischen war das Messer glühend geworden. Joe nahm es 
heraus und ging zum Tisch zurück. Wortlos starrte er den 
Bruder an. Hoss blätterte in einem der Bücher, die Penrose ihm 
verkauft hatte. 

„Was machst du denn da?“ fragte Joe verdutzt. 
„Ich schaue nach, was über Schuß Verletzungen hier steht“, 

meinte Hoss. 

Joe biß sich heftig auf die Unterlippe, sagte aber kein Wort. 

Verbissen machte er sich ans Werk. Bei näherer Betrachtung 
erwies sich das Loch als bloße Fleischwunde, die längst nicht 
so schlimm war, wie Joe anfangs befürchtet hatte. Nur wegen 
des großen Blutverlusts bestand Lebensgefahr. 

Joe begann, nach der Kugel zu suchen. Er hörte Hoss im 

Zimmer auf und ab gehen und die Pferde, die draußen 
angebunden und vergessen worden waren, unruhig auf dem 
Hof stampfen. Auch hörte er den unregelmäßigen Atem seines 
Patienten. Und noch etwas hörte er: sein eigenes Reden! Aber 
er hatte keine Ahnung, was er wirklich sagte. Er redete 
einfach, um sich selbst Mut zu machen. 

Endlich richtete er sich schweißüberströmt auf und ließ die 

Kugel in die Waschschüssel fallen. Seine Hände zitterten. 

Mit heißem Wasser wusch er die Wunde und holte dann ein 

frisch gewaschenes Bettlaken vom Wandbord und legte dem 
Verwundeten einen Verband an. 

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„Prima, Joe!“ rief Hoss erleichtert aus. „Ich hatte keine 

Ahnung, wie tüchtig du bist!“ 

Joe atmete schwer aus. 
„Erst einmal muß ich hinaus und frische Luft schnappen!“ 

stöhnte er. 

„Großartig hast du das gemacht, einfach großartig!“ 
Joe schaute zu, wie Hoss den bewußtlosen Verkäufer vom 

Tisch hob und ihn behutsam auf die untere Schlafstelle bettete. 
Dann riß er sich zusammen und schleppte sich auf den Hof 
hinaus. Verblüfft stellte er fest, daß es schon ganz dunkel war. 
Nur aus den Fenstern der Hütte drang gelblicher Schein. 

Die Pferde wieherten. 
Joe war froh, etwas zu tun zu haben. Er sattelte sie ab und 

rieb sie tüchtig. Dann ließ er sie in den Pferch traben. Als er 
dem alten Grauen den Sattel fortnahm, fiel ihm erneut auf, wie 
schwer und prall die Satteltaschen gefüllt waren. Er schnallte 
sie los. Irgend etwas daran kam ihm ungewöhnlich vor. Er 
hatte nicht den Eindruck, daß sich Bücher darin befanden! 

Während er zur Hütte zurückging, versuchte er, seiner 

wachsenden Neugier Herr zu werden. Aber es war ein 
aussichtsloser Kampf. 

Schon viel zu viele unbeantwortete Fragen hatten sich ihm in 

dieser stillen, beunruhigenden Nacht gestellt. 

Mitten im Lichtschein, der aus der offenen Tür fiel, setzte er 

die Taschen ab. Er löste die Schnalle der einen Tasche und hob 
die Klappe hoch. 

Was war denn das? 
Er rieb sich die Augen und schaute erneut hin. Schließlich 

schüttelte er den Kopf und öffnete die zweite Tasche. Auch sie 
war gefüllt – ganz gefüllt mit dicken Paketen funkelnagelneuer 
grüner Banknoten der Vereinigten Staaten! 

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Ehrlicher Hoss! 

 
 
 

Erschrocken wich Joe vor dem vielen Geld zurück. Er mochte 
das Geld überhaupt nicht berühren. Am liebsten wäre es ihm 
gewesen, wenn er die Taschen verloren hätte, ohne von ihrem 
Inhalt etwas zu ahnen. 

Aber dazu war es nun zu spät. Er wußte, was sie enthielten! 
Er schluckte schwer. Ihm war zumute, als hätte er ein Nest 

von Klapperschlangen gefunden, die ihn und Hoss bedrohten. 

Er mochte überhaupt nicht daran denken, was sein Vater 

sagen würde, wenn er davon erfuhr. 

Könnt ihr beiden denn wirklich nicht einmal eine Woche lang 

allein über Land reiten, ohne in Mord, Raub und Totschlag 
verwickelt zu werden? Und müßt ihr, schlimmer noch, 
obendrein einen Verbrecher in die Hütte holen? 

Joe zuckte zusammen; ihm war, als höre er die strenge 

Stimme des Vaters wirklich. 

„Hoss!“ Joes Stimme klang seltsam verzerrt, wie das 

Krächzen eines Raubvogels, selbst in seinen eigenen Ohren. 
„Hoss! Komm doch mal her!“ 

„Ich darf Penrose nicht allein lassen!“ rief Hoss zurück. „Er 

kann jeden Augenblick zu sich kommen. Und vielleicht 
braucht er etwas.“ 

Joe trat in die offene Tür. In der Hütte sah es aus, als sei 

überhaupt nichts geschehen: Hoss hatte schon alle Spuren der 
Operation beseitigt. 

„Es ist mir gleich, ob er etwas braucht!“ murmelte Joe. „Ich 

habe hier draußen etwas gefunden, was ich dir unbedingt 
zeigen möchte.“ 

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Noch einen letzten fürsorgenden Blick warf Hoss auf seinen 

Patienten, dann folgte er Joe nach draußen. 

Als der Bruder ihm die mit Banknoten vollgestopften 

Taschen zeigte, sank ihm das Kinn ganz tief auf die Brust. 
Verblüfft starrte er auf die nagelneuen Scheine. 

„Ich kann mir nicht vorstellen“, brachte er endlich mit 

schwankender Stimme hervor, „daß Penrose hier in unserer 
Gegend durch den Verkauf von Büchern so viel verdient hat!“ 

Joe warf Hoss einen verkniffenen Blick zu und kniete neben 

den prallen Satteltaschen nieder. Er holte ein Paket Scheine 
heraus, und es war, als verbrennten sie ihm die Finger. Dann 
hielt er das Bündel so, daß Hoss deutlich lesen konnte, was auf 
der Binde geschrieben stand. 

„Nationalbank von Virginia City!“ flüsterte Hoss mit einem 

Gesicht, als habe er Arsen gelutscht. 

Aber er rührte das Geld nicht an, und nach einem Augenblick 

legte Joe das Bündel wieder in die Satteltasche zurück. 

„Das ist die Beute des Bankraubes!“ flüsterte Hoss, als könne 

er es einfach nicht glauben. 

Joe winkte mit dem Kopf zu dem Mann, der drinnen auf der 

Pritsche lag und wirre Worte vor sich hinstammelte. 

„Dein sauberer Buchverkäufer muß zu den Kerls gehört 

haben!“ meinte er. 

„Der armselige Bursche?“ fuhr Hoss auf. „Ich kann mir das 

beim besten Willen nicht vorstellen, Joe…“ 

„Aber du mußt doch schließlich deinen Augen trauen!“ rief 

Joe mit einem Wink auf die Banknoten in den Satteltaschen. 

Hoss konnte keinen Blick von den Scheinen wenden. Erst 

nach einer langen Weile wandte er den Kopf und schaute in die 
Hütte hinein, wo er den Mann auf der Pritsche liegen sehen 
konnte. 

„Du mußt dir klar darüber sein, Hoss“, drang Joe in ihn, „daß 

wir womöglich in der Patsche sitzen!“ 

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„Wir?“ fuhr Hoss auf. „Was haben wir denn getan?“ 
„Wir haben in ein Wespennest gestoßen!“ gab Joe zur 

Antwort. „Genau das!“ 

„Ach was!“ widersprach Hoss. „Schließlich haben wir nur 

einem armen Kerl, den jemand angeschossen hatte, das Leben 
gerettet!“ 

„Leider erweist sich der arme Kerl als Bankräuber!“ knurrte 

Joe. „Er ist angeschossen und hat die Beute bei sich. Weißt du, 
was das heißt? Nicht nur die Beauftragten des Sheriffs suchen 
überall nach ihm, sondern auch seine Komplicen! Was meinst 
du wohl, was die tun würden, wenn sie Penrose bei uns fänden 
– mit all dem Geld!“ 

Hoss schaute sich um, als fühle er sich plötzlich von einem 

Gewitter umgeben, als säße er wie ein Tier im Käfig. Mit 
großen Schritten wanderte er in den durch die Tür 
herausfallenden Lichtschein, stapfte wieder hinaus und kehrte 
um. 

Joe ließ nicht locker. 
„Als wir ihn auf der Bahre herschleppten, haben wir eine 

Spur hinterlassen, die seine Spießgesellen überhaupt nicht 
übersehen können, falls sie ihn suchen“, meinte er. „Es ist, als 
hätten wir ihnen Wegweiser aufgestellt.“ 

Hoss blieb mitten im Lichtschein stehen. 
„Wie wäre es, wenn ich zurückritte und die Schleifspuren 

verwischte?“ überlegte er. 

„Ich glaube nicht, daß uns dies helfen könnte, Hoss.“ 
„Trotzdem muß ich zurückreiten!“ beharrte Hoss. 

„Schließlich muß ich die versprengten Rinder heimholen. Und 
bei dieser Gelegenheit könnte ich doch…“ 

„Das könnte uns auch nichts mehr nützen, Hoss!“ 
Wieder wanderte Hoss aus dem Licht in den Schatten, aus 

dem Schatten ins Licht. Schließlich schüttelte er den Kopf, 
blieb stehen und starrte den Bruder an. 

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„Was sollen wir nun tun, Joe?“ 
„Einer von uns könnte nach Virginia City reiten. Heute nacht 

noch. Er könnte dem Sheriff das Geld hinbringen und ihm 
sagen, daß dein Freund Penrose hier liegt.“ 

„Das wäre ja, als wollten wir Penrose auf der Stelle in Eisen 

schließen!“ 

Joe hielt dem Blick des Bruders stand. 
„Hast du vielleicht eine bessere Idee?“ stieß er hervor. 

„Meinst du, er hätte einen Orden verdient? Solange wir nicht 
beim Sheriff Anzeige erstatten, sind wir Mitschuldige. Und ich 
meine, wir sollten unseren Kopf so schnell wie möglich aus 
der Schlinge ziehen!“ 

„Aber wenn Penrose nun überhaupt nicht zu den Räubern 

gehört?“ 

„Hoss! Was bist du doch schwer von Begriff!“ Joe schüttelte 

den Kopf. „Hör doch mal! Es gibt ein Gesetz, nach dem es 
verboten ist, einen gesuchten Verbrecher zu verbergen.“ 

„Natürlich bin ich im Prinzip ganz deiner Meinung!“ stöhnte 

Hoss. „Wirklich, ganz und gar! Nur…“ 

„Was: nur?“ Verblüfft starrte Joe den Bruder an. 
„Wir wissen doch wirklich nicht, ob Penrose tatsächlich ein 

gesuchter Verbrecher ist!“ 

„Jedenfalls führte er die Beute mit sich!“ 
„Das ist kein schlüssiger Beweis. Und es ist doch der 

Grundsatz der Rechtsprechung“, beharrte Hoss, „daß jeder 
Mensch als unschuldig gilt, solange man ihm seine Schuld 
nicht beweisen kann.“ 

Joe starrte in die Finsternis. Fast meinte er, die anderen 

Banditen in den Schatten kauern zu sehen. 

„Laß ihn doch Sheriff Coffee erklären, wie er zu dem Geld 

gekommen ist.“ 

„Aber wenn der ihm nun nicht glaubt…“ 

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„Warum soll er ihm nicht glauben – solange er die Wahrheit 

sagt!“ 

Hoss schüttelte entschieden den Kopf. 
„Du hältst ihn für schuldig, nur weil du das Geld gesehen 

hast!“ rief er aus. „Aber du wartest erst gar nicht seine 
Erklärung ab, wie er daran gekommen ist. Was, meinst du, soll 
da der Sheriff annehmen?“ 

Joe zuckte die Achseln. 
„Ich finde, das ist nicht unsere Sache, Hoss“, antwortete er. 

„Schließlich sitzen wir in der Zwickmühle und können von 
beiden Seiten angeschossen werden. Außerdem werden wir 
uns Vaters Zorn zuziehen. Es gibt nur eine einzige redliche 
Art, mit dem Fall fertig zu werden. Siehst du das nicht ein?“ 

Hoss wollte es nicht einsehen. 
„Wenn ich mich in die Lage dieses armen Kerls versetze, 

kann ich dir nicht zustimmen. Ich würde mir doch auch 
wünschen, daß jemand mir zur Seite stünde und mir 
wenigstens die Möglichkeit böte, alles zu erklären.“ 

Joe sprang die wenigen Stufen vor der Tür der Hütte 

hinunter, wandte sich dann um und kam wieder herauf. 
Schweiß stand ihm auf der Stirn. 

„Meinetwegen!“ erklärte er. „Ich bringe das Geld nach 

Virginia City, und du bleibst hier. Falls Penroses Komplicen 
dich nicht schon vorher erschießen, wird er dir vielleicht nach 
seinem Erwachen die ganze Geschichte erzählen… Sag mal, 
Hoss, bildest du dir wirklich ein, jemand würde zugeben, eine 
Bank beraubt zu haben – vor allem, solange er hilflos auf der 
Pritsche liegt, mit einer schlimmen Wunde?“ 

Hoss senkte einen Augenblick den Kopf. 
„Das weiß ich nicht. Immerhin möchte ich es darauf 

ankommen lassen… Jedenfalls würde ich an seiner Stelle mir 
wünschen, daß jemand sich in dieser Weise für mich 
einsetzte.“ 

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„Nun, so leicht würde das keiner tun!“ 
„Aber ich wünsche es mir!“ beharrte Hoss verstockt. „Und so 

muß man ja schließlich die Leute behandeln: Man muß so zu 
ihnen sein, wie man selbst behandelt werden möchte. Das hat 
uns der Vater schon oft eingeschärft!“ 

„Er sagt aber auch, man müsse dem Gesetz gehorchen!“ 
„Wollen wir Penrose nicht wenigstens bis morgen früh Zeit 

lassen?“ flehte Hoss. „Laß ihn doch erst einmal aufwachen, so 
daß er die Möglichkeit hat, uns seine Geschichte zu erzählen! 
Das kann doch nicht schaden. Immerhin ist er so schwer 
verwundet, daß er uns auf keinen Fall entkommen kann!“ 

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Hohes Fieber 

 
 
 

Joe wandte dem Bruder den Rücken zu und entfernte sich ein 
paar Schritte weit ins Dunkel. Manchmal war es verlorene 
Liebesmüh, sich mit ihm auseinanderzusetzen; und ein solcher 
Augenblick schien jetzt gekommen zu sein. 

Er ging zum Brunnen und schöpfte Wasser für die Pferde. 

Länger als unbedingt notwendig beschäftigte er sich damit, den 
alten Holztrog zu füllen. 

Als er endlich wieder aufschaute, stand Hoss noch immer wie 

eine unverrückbare Eiche in der Türöffnung. Mit schweren 
Schritten ging er auf ihn zu. 

„Nun, Joe?“ begrüßte ihn der Bruder mit halblauter Stimme. 

„Warten wir nun bis morgen?“ Ruhig nahm er die Diskussion 
wieder auf, als sei sie nie unterbrochen worden. 

Joe gab keine Antwort und zwängte sich an ihm vorbei. 
„Soll ich das Abendbrot machen, Joe?“ fragte Hoss, während 

er hinaustrat, die beiden Satteltaschen hereinschleppte und sie 
unter die Pritsche schob, auf der Penrose lag und im Fieber vor 
sich hin murmelte. 

Joe schloß die Tür und verriegelte sie. 
„Ich habe keinen Hunger!“ sagte er. 
„Den ganzen Tag über hattest du doch Hunger!“ 
„Ich verliere immer den Appetit, wenn jemand anfängt, auf 

mich zu schießen!“ 

„Darüber habe ich auch nachgedacht“, meinte Hoss 

begütigend. „Wir sind doch vorhin so langsam geritten, daß 
jemand, der Penrose verfolgte, uns überholt haben müßte!“ 

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„Wenn aber Penrose ihnen nun wirklich ein Schnippchen 

geschlagen hatte?“ erwiderte Joe. „Wenn er ihnen entwischt 
wäre? Sicherlich werden sie schon wegen der Beute hartnäckig 
nach ihm suchen und bald seine Fährte wiederfinden.“ 

Er drehte den Docht in einer der Laternen ganz tief herunter, 

bückte sich dann und blies sie aus. 

„Was tust du denn, Joe?“ 
„Meinst du, ich hätte Lust, im hellen Licht herumzusitzen?“ 

fragte der Bruder. „Wenn wir schon auf Penroses 
Spießgesellen warten müssen, dann will ich es wenigstens im 
Finstern tun!“ 

„Aber wir brauchen doch Licht“, wandte Hoss ein. 

„Womöglich wird es schlimmer mit Penrose, und vielleicht 
braucht er etwas.“ 

Ungerührt griff Joe nach der zweiten Laterne. 
„Wenn sich Penroses Zustand wirklich verschlimmert, 

braucht er höchstens einen Kranz“, meinte er. „Wir dürfen 
nicht nur daran denken, ihn jetzt am Leben zu erhalten, Hoss, 
vielmehr müssen wir an uns selbst denken! Das ist keine 
sündhafte Eigensucht.“ 

Eine Weile schwieg Hoss. Dann lächelte er plötzlich. 
„Ich habe eine Idee“, verkündete er. 
„Hoffentlich ist sie weniger gefährlich als die anderen Ideen, 

die du heute hattest!“ knurrte Joe. 

Er ließ sich auf den grob gezimmerten Stuhl neben dem 

ungefügen Tisch sinken, der vor kurzem noch als 
Operationstisch gedient hatte. Schweigend schaute er zu, wie 
Hoss alle Fenster mit Getreidesäcken verhängte. 

„Jetzt kann uns keiner sehen!“ meinte der Bruder schließlich, 

während er befriedigt sein Werk betrachtete. „Was sagst du 
dazu?“ 

„Großartig!“ knurrte Joe ironisch. „Von draußen kann 

niemand hereinsehen – aber wir können auch nicht 

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hinaussehen. Damit stehen die Chancen wieder einmal fünfzig 
zu fünfzig.“ 

„Prima“, strahlte Hoss. „Ich wußte ja, daß du zufrieden sein 

würdest.“ 

Hoss drehte den Docht in der einen noch brennenden Laterne 

herunter, und es wurde gespenstisch halbdunkel im Zimmer. 
Schwere, tiefe, ungefüge Schatten huschten durch die Ecken. 
Von draußen drang das Wiehern der Pferde auf der Koppel 
herein. Die Teerpappe auf dem Dach raschelte und knackte im 
Nachtwind. 

Penrose stammelte zusammenhangloses Zeug. Hoss legte ihm 

die Hand auf die Stirn. 

„Er glüht im Fieber, Joe“, murmelte er. 
„Wir können ihm nicht helfen und müssen abwarten“, meinte 

Joe. „Schlaf doch ein bißchen, Hoss. Ich übernehme die erste 
Wache.“ Und er ließ sich von Hoss’ Widerspruch nicht 
beirren. „Ich könnte jetzt doch nicht schlafen, Hoss.“ 

Ruhig schaute er zu, wie Hoss seine Füße von den Stiefeln 

befreite, sich das Hemd auszog und wie er in das obere Bett 
kletterte. Als er auf die Matratze sank, zitterte der Rahmen, 
und das Drahtgeflecht knarrte beängstigend. 

Weniger als fünf Minuten später schnarchte er laut. 
Joe schüttelte den Kopf. Wie brachte der große Kerl das nur 

fertig? Er selbst, Joe, meinte, er würde nie im Leben wieder 
einschlafen können. Er legte sich im Sessel zurück, aber seine 
innere Anspannung blieb. Er horchte angestrengt. Das 
geringste Geräusch konnte Unheil bedeuten. 

Jedes Rattern, Rascheln und Rauschen ließ ihn auffahren. 

Irgendwo heulte eine Kojote. Eine Kuh muhte, der Nachtwind 
rauschte, und die Eulen begannen zu schreien. Durch die 
Getreidekammer huschten Ratten und Mäuse. Alle diese 
Geräusche waren Joe vertraut; aber heute schienen sie eine 
ganz eigene Bedeutung zu haben. 

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Er zwang sich, wieder an den Bankraub in Virginia City zu 

denken. Durch das Verbrechen waren die Menschen in der 
Stadt nachhaltig in Aufregung versetzt worden. Als Folge des 
Raubes war das Fortbestehen der Stadt bedroht. Wer hätte also 
von etwas anderem reden können? 

Joe beugte sich vor und stützte den Kopf mit den Händen. 

Vor allem eines an dem Bankraub beunruhigte ihn: Irgend 
etwas überaus Wichtiges mußte ihm entgangen sein – er ahnte 
es, aber es blieb außerhalb seiner Erkenntnis. Er mochte noch 
so angestrengt nachdenken, es wollte ihm nicht ins Bewußtsein 
steigen. 

Fortwährend drangen Laute und Wortfetzen an Joes Ohr – 

Penrose sprach im Fieberschlaf. Hin und wieder verstand Joe 
ein Wort, und plötzlich ergab das Gemurmel sogar einen Sinn. 

„Blackjack“, flüsterte Penrose. „Zwilling… richtig… 

Zweimal Zwilling… richtig… Nordstern… Zwanzig… 
Einundzwanzig!“ 

Dann wiederholte er dieselben Worte noch einmal. 
Joe drehte sich um und betrachtete das Wieselgesicht des 

bleichen Mannes auf dem Bett. Es waren nicht die einzigen 
Worte, die der Verwundete in seinem Fieberrausch ausstieß, 
aber nur diese eine Folge wurde oft unverändert wiederholt: 
Blackjack… Zwilling… richtig… Zweimal Zwilling… 
richtig… Nordstern… Zwanzig… Einundzwanzig… Die 
einfachste Antwort schien die zu sein, daß zwanzig und 
einundzwanzig irgend etwas mit Blackjack (Siebzehn und vier) 
zu tun hatte. Das war doch ein Kartenspiel! Vom Spiel also 
phantasierte der Mann. Das konnte nichts zu bedeuten haben. 
Oder etwa doch? Joe schüttelte den Kopf. 

Aber der fiebernde Verwundete rief immerzu dasselbe. Ob 

etwa doch ein Sinn dahintersteckte? Hatten die Worte 
vielleicht wenigstens für ihn einen Sinn? Dann mußte doch 
auch Joe dahinterkommen können, wenn er richtig überlegte. 

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Mit gerunzelter Stirn lauschte er weiter. 
Aber es war, als fehle ihm ein einziges Bindeglied, das 

Kernstück eines Puzzlespiels. 

Immer angestrengter überlegte er, marterte er sein Hirn. In 

seinem Kopf wirbelte es. Am liebsten hätte er dem Gestammel 
des Verwundeten gar nicht mehr zugehört. Aber er mußte es 
einfach tun. 

Gespannt saß er da und wartete. Aber mehr als das sagte der 

Verwundete nicht, er wiederholte immer dasselbe. 

Zwischendurch schrie er auf und stieß Namen hervor, die Joe 

nicht kannte – dann aber kehrten unweigerlich die Worte 
wieder… 

Offenbar war Joe doch ein bißchen eingedöst. 
Jedenfalls fuhr er plötzlich auf. Eines der Pferde auf der 

Koppel draußen wieherte laut. Er sprang vom Stuhl. 

Mitten im Zimmer blieb er stehen. Breitbeinig, gespannt, mit 

halb zugekniffenen Augen, horchte er. Vielleicht hatte das 
Pferd nur ein Wiesel gewittert, oder ein Stinktier, oder ein Reh, 
oder vielleicht auch einen Puma. 

Es konnten aber auch Penroses Spießgesellen sein. 
Von neuem wieherte das Pferd. 
Joe deckte mit der Hand die Lampe ab und blies dann die 

Flamme aus. 

Im ersten Augenblick war ihm, als mache er einen 

Kopfsprung in einen tiefen Schacht. Die vor den Fenstern 
hängenden Säcke ließen nicht das leiseste Blinzeln eines Sterns 
herein, geschweige denn den Silberschein des Mondes. 

Schweiß trat Joe auf die Stirn, während er wartete, daß seine 

Augen sich an die Finsternis gewöhnten. Gespannt lauschte er, 
ob sich draußen oder drinnen irgend etwas rühre. 

Auf einmal schrie der Verwundete auf. Hoss’ Schnarchen 

brach ab. Kurze Zeit darauf aber setzte es lauter als zuvor 

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wieder ein. Der Wind schien ein wenig nachzulassen. 
Jedenfalls klatschte die Dachpappe nicht mehr so laut. 

Joe holte tief Luft – und hielt erneut den Atem an. 
Ein Reiter näherte sich. Hufe klapperten, Metall klirrte, und 

Leder knallte. 

Joe griff nach dem Revolver. Mit dem Daumen ließ er den 

Hammer zurückschnappen und hielt die Waffe schußbereit in 
der Hand. 

Vorsichtig, aber entschlossen schlich er auf Zehenspitzen 

durch die Stube. Lautlos hob er die Riegel hoch und öffnete die 
Tür so weit, daß er hindurchschlüpfen konnte. Nachdem er die 
Tür hinter sich geschlossen hatte, drängte er sich in den 
tiefsten Schatten. 

Er suchte den nächtlichen Besucher zu erspähen, der immer 

näher kam. 

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Nächtliche Jagd 

 
 
 

Candy stand im dämmerig erleuchteten Flur vor der 
verschlossenen Tür des Arbeitszimmers von Ben Cartwright. 
Mit düsterem, sorgenvollem Gesicht starrte er auf den 
schmalen Streifen Lichtes, der unter der Tür hervordrang. Der 
Schein flackerte und zitterte unter den schweren Schritten 
Cartwrights, der rastlos im Zimmer auf und ab ging. 

Hop Sing, der chinesische Koch, kam leise aus der Küche 

und blieb neben dem Jungen stehen. 

„Mr. Cartwright wird sich noch zu Tode sorgen!“ flüsterte er. 

So leise er zu huschen pflegte, hatte er Candy durch sein 
plötzliches Auftauchen doch nicht überraschen können. Der 
kleine Chinese mit dem kurzen, schwarzen Haarzopf gehörte 
seit vielen Jahren Cartwrights Haushalt an. „Er hat heute abend 
nichts gegessen!“ 

„Ja, er hat große Sorgen“, nickte Candy. „Er braucht 

dringend Hilfe.“ 

Hop Sing schüttelte betrübt den Kopf. 
„Wir beide, Candy, können ihm kaum helfen.“ 
„Und doch… Außer uns hat er niemanden!“ Entschlossen tat 

Candy ein paar Schritte auf die Tür zu. 

Als er sich noch einmal umschaute, war Hop Sing in der 

Finsternis verschwunden. Candy verzog das Gesicht zu einem 
schwachen Lächeln und klopfte dann an die Tür. 

Lange geschah überhaupt nichts, und Candy wurde schon 

nervös. Endlich aber öffnete sich die Tür doch, und mit grauem 
Gesicht schaute Cartwright den Jungen an. In der Hand hielt er 
ein Blatt Papier. 

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„Was möchtest du, Candy?“ fragte Ben Cartwright, indem er 

sich zu einem schwachen Lächeln zwang. „Es ist schon spät. 
Ich dachte, du lägest im Bett.“ 

Hilflos hob Candy ein wenig die Hände. 
„Ich weiß, daß Sie Sorgen haben, Mr. Cartwright“, murmelte 

der Junge. „Und ich dachte, wenn ich vielleicht…“ 

Ben Cartwright atmete schwer, er wendet das Gesicht ab, und 

Candy wollte schon wieder gehen. Da aber legte Ben 
Cartwright ihm die Hand auf die Schulter. 

„Komm mir herein!“ sagte er freundlich. „Ich möchte deine 

Meinung hören.“ 

Drinnen legte Cartwright die ausführliche Lageskizze der 

Räuber der Bank von Virginia City auf den Tisch. Er 
berichtete dem Jungen, der Sheriff habe ihm den Plan 
überlassen, damit er sich Gedanken darüber machte, während 
Coffee selbst die Suche draußen überwache. 

Candy betrachtete eingehend die Zeichnung. 
„Wie viele Leute mag es wohl in Virginia City und 

Umgebung geben, die eine so vorzügliche, einwandfreie 
Zeichnung zustande brächten?“ fragte Cartwright. 

Candy überlegte. 
„Nicht viele“, bestätigte er. „Vielleicht die Ingenieure oder 

Zeichner in den Gruben von Mr. Clymer. Sonst wüßte ich 
kaum jemanden!“ 

Ben atmete so heftig, daß Candy erschrocken aufschaute. 
„Auch mir fällt keine andere Antwort auf die Frage ein!“ 

knirschte Ben. 

„Warum sprechen Sie dann nicht mit Mr. Clymer?“ 
„Das kann ich nicht“, knurrte Ben. „Er würde sich 

beschuldigt fühlen und es mir übelnehmen. Zwischen uns 
beiden steht es nämlich nicht zum besten! Und die Bank-
Treuhänder untereinander sind sich im Augenblick alle nicht 
richtig grün…“ 

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„Aber Ihr ganzes Lebenswerk ist doch in Gefahr!“ 
„Jawohl“, gab Ben zu. „Deshalb muß ich herausfinden, wer 

das hier gezeichnet hat. Aber es muß so geschehen, daß ich 
Elliot nicht damit in die Quere komme!“ Er klopfte Candy auf 
die Schulter und versprach ihm, sich jetzt hinzulegen und zu 
schlafen. „Mir ist nun schon viel besser, Candy“, sagte er. „Ich 
befürchtete nämlich, ich sei voreingenommen, weil sich mein 
Verdacht immer wieder auf Clymers Leute richtete – aber nun 
hast du mir bestätigt, daß nur ein Berufszeichner eine solche 
Skizze fertigbringt…“ 

Damit verließ er das Zimmer und stieg die Treppe hinauf. 
Nachdenklich kehrte Candy in sein eigenes Zimmer zurück. 

Noch lange saß er in der Finsternis und schaute hinaus, wo er 
den Schein aus Mr. Cartwrights Schlafzimmerfenster erkennen 
konnte. Nach kurzer Zeit erlosch er. 

Candy erhob sich, nahm die Schuhe in die Hand und schlich 

ins Arbeitszimmer hinunter. Er fand die Zeichnung, faltete sie 
zusammen, barg sie in seiner Hemdtasche und huschte aus dem 
Haus. 
 
 
So klein wie möglich machte sich Joe im tiefen Schatten. 
Scharf versuchte sein Blick durch die Finsternis zu dringen. 
Aber er konnte nichts von einem Eindringling entdecken. 

Plötzlich aber brach der Mond durch die Wolken und warf 

einen Silberschein aufs Gebüsch. Joe war es, als sähe er 
jenseits der Pferdekoppel etwas aus dem Schatten auftauchen. 
Gleichzeitig hörte er einen Zweig knicken und Sattelleder 
knirschen. Den Colt noch immer in der Hand, schlich sich Joe 
an der Hauswand bis zum Ende des Vorbaus. 

Deutlich sah er nun den nächtlichen Reiter, der die Pferde auf 

der Koppel neugierig betrachtete und dann sein Pferd zur Hütte 
herüberlenkte, ein Gewehr schußbereit in der Armbeuge. 

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Nach einem Augenblick hob er die Hände vor den Mund und 

rief: 

„Ist da jemand?“ 
Mit entschlossenem Schritt trat Joe aus dem Schatten. 

Erschrocken fuhr das Pferd ein wenig hoch. 

Joe hob den Revolver, so daß der Fremde ihn sehen konnte. 
„Ach, du bist es, Joe?“ Die Stimme klang erleichtert. „Ich bin 

Cal Lassiter. Tu nur deine Waffe weg! Ich bin schon nervös 
genug, ohne daß du auch noch auf mich zielst!“ 

„Was suchst du denn hier, Cal?“ 
„Ich bin mit einem Aufgebot des Sheriffs unterwegs“, war 

die Antwort. „Hast du nicht eine Tasse Kaffee für mich?“ 

Joe erschrak ein wenig; unwillkürlich schaute er zur Hütte 

zurück. 

„Es tut mir leid, Cal, aber heute kann ich dich nicht 

hereinbitten.“ 

„Ach! Was ist denn?“ 
Joe biß sich auf die Unterlippe. Cal war also einer der 

Männer, die im Auftrag des Sheriffs die Gegend absuchten. 
Wenn Joe wirklich seine weiße Weste bewahren wollte, so war 
jetzt der Augenblick gekommen, wo er von den Satteltaschen 
und dem verwundetem Penrose reden mußte. Wenn er aber 
Penrose in diesem Augenblick auslieferte, brach er sein Wort, 
das er Hoss gegeben hatte, Schweiß trat Joe auf die Stirn. 
Lügen war ihm widerwärtig, und er hatte gelernt, daß man sich 
immer nur tiefer verstrickt, wenn man glaubt, sein Heil in der 
Unwahrheit finden zu können. Hoss aber glaubte nun einmal 
an die Unschuld des Buchverkäufers; und Hoss vertraute ihm. 

„Einer unserer Leute ist heute vom Pferd abgeworfen 

worden“, antwortete Joe. „Curly Stobbs. Es geht ihm gar nicht 
gut.“ 

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„Kann ich denn nicht helfen?“ erbot sich Cal. „Ich könnte 

doch in Ponderosa hineinschauen und deinem Vater Bescheid 
sagen!“ 

„O nein, nein, nein!“ rief Joe erschrocken aus. „Kein Wort 

davon zu Vater, Cal! Curly geht nämlich oft grob mit den 
Pferden um… Und Vater kann ihn deshalb nicht leiden. Auf 
keinen Fall darf er erfahren, daß Curly abgeworfen worden 
ist.“ 

„Nun ja, hm… Du hast wohl niemanden gesehen, der allein 

hier durch die Gegend geritten wäre, nicht wahr?“ 

„Niemanden außer Hoss.“ Joe senkte den Kopf. Er mochte 

sich selbst nicht mehr leiden. 

Cal nahm mit einer müden Handbewegung Abschied von Joe. 
„Solltest du etwas Verdächtiges sehen, Joe, so gib uns gleich 

Bescheid, und… Sheriff Coffee rät allen Männern seines 
Aufgebots immer wieder, ja nicht zu versuchen, ein Held zu 
sein! Nimm auch du dir diesen Rat zu Herzen: Diese Halunken 
schrecken vor nichts zurück!“ 

Mit hängenden Schultern blieb Joe stehen und schaute dem 

Reiter nach, der müde davontrottete. 

In diesem Augenblick wurde hinter ihm die Tür aufgerissen. 

Joe fuhr herum und hob den Revolver. 

Aber es war nur Hoss, der barfüßig die Stufen heruntertapste. 

Neben Joe blieb er stehen und faßte ihn beim Arm. 

„Großartig hast du das gemacht, Joe!“ sagte er. „Ich bin noch 

nie stolzer auf dich gewesen als eben – höchstens vorhin, als 
du die Kugel aus dem armen Kerl da drinnen herausgegraben 
hast!“ 

„Der arme Kerl wird uns noch mit sich ins Verderben reißen 

– mindestens ins Gefängnis!“ maulte Joe. „Ich würde dir 
empfehlen, dich auf etwas Bitteres vorzubereiten.“ 

„Worauf denn?“ fragte Hoss, noch immer strahlend vor 

brüderlicher Zuneigung. 

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„Darauf, daß Penrose doch schuldig ist. Ich habe allerlei 

gehört, was er vorhin in seinem Fiebertraum gesagt hat.“ 

„Meinst du denn, man sagt im Fieber die Wahrheit?“ wandte 

Hoss ein. „Du hättest dich einmal hören sollen, als du 
Scharlach hattest!“ 

„Und doch, Hoss, hat sein Gestammel irgend etwas zu 

bedeuten!“ 

Hoss versetzte ihm einen Schlag auf die Schulter. „Bestimmt 

bedeutet es nicht mehr als das, was andere Leute im Delirium 
reden.“ Joe ließ sich gegen den Koppelzaun sinken. „Woher 
nimmst du eigentlich ein so großes Vertrauen zu einem 
vollkommen Fremden, Hoss?“ murmelte er. 

Der Bruder lächelte. 
„Als er das erste Mal zu mir kam, habe ich sofort gemerkt, 

daß er ein netter Kerl war, Joe!“ erwiderte er. „Du weißt ja, 
daß er mehrere Tage auf der Ranch gewohnt hat. Penrose 
fühlte sich sehr wohl auf der Ranch. Glaub mir, er ist ein netter 
Kerl, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Auch du hättest ihn 
gern, Joe, wenn du damals dabeigewesen wärst… Aber jetzt 
leg dich nur ein bißchen hin. Ich halte Wache!“ 

„Ausgezeichnet“, knurrte Joe mit müder Stimme, aber voller 

Hohn. „Schlafen… Was könnte man jetzt Besseres tun?“ 

Joe wälzte sich auf seiner Matratze herum – und spürte, wie 

ihm Tageslicht in die brennenden Augen drang. 

Noch immer nicht ganz munter, setzte er sich auf und schaute 

sich um. Verdutzt betrachtete er Hoss: Der Bruder saß auf dem 
Stuhl und schlief ganz fest. 

Kopfschüttelnd wandte Joe sein Interesse dem Patienten auf 

der unteren Pritsche zu. Das Gesicht hatte inzwischen ein 
wenig Farbe zurückbekommen; das Haar war naß von 
Schweiß. Offenbar hatte das Fieber den Verwundeten 
verlassen. Joe wälzte sich herum. Die Matratze knarrte und 

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quietschte – so laut, daß Hoss aufwachte, erschrocken 
aufsprang und die Augen weit aufriß. 

„Du hast geschlafen wie ein Murmeltier!“ warf Joe ihm vor. 

„Jeder hätte hereinkommen und uns skalpieren können!“ 

Hoss lächelte schuldbewußt. 
„Jedenfalls mache ich jetzt sofort Feuer fürs Frühstück!“ 
Joe sprang aus dem Bett und zog sich die Stiefel an. Wieder 

fiel sein Blick auf die Satteltaschen; schnell schaute er fort und 
versuchte, nicht daran zu denken. 

Nachdem er sich draußen in der Waschschüssel gewaschen 

hatte, setzte er sich auf die Stufen und bedachte die Lage, 
während Hoss drinnen eifrig mit Gerät und Geschirr klapperte. 

Nach einer Weile kam der Bruder heraus, kniete neben Joe 

nieder und packte ihn fest bei der Schulter. 

„Er ist aufgewacht, Joe!“ flüsterte er erfreut. „Er hat es 

überstanden. Du hast es geschafft, Joe: Penrose muß nicht 
sterben!“ 

Joe war froh, daß der Mann am Leben war; dennoch mußte er 

immerzu wieder an die Männer des Sheriffs denken, die durch 
die Gegend streiften. Cal Lassiter hatte er noch abschütteln 
können. Was aber sollte werden, wenn andere kamen – oder 
wenn gar Penroses Freunde sich blicken ließen? 

Schwerfällig erhob sich Joe und folgte Hoss ins Innere der 

Hütte. Neben dem Bett, auf dem der Verwundete lag, blieben 
beide stehen. Hoss beugte sich lächelnd über ihn. 

Penrose starrte ihn aus leeren Augen an. 
„Armer Kerl!“ meinte Hoss über die Schulter zu Joe. „Er 

weiß überhaupt nicht, wo er sich befindet.“ 

„So etwas scheint derzeit an der Tagesordnung zu sein“, 

brummte Joe. „Ich muß gestehen, daß auch mir manchmal 
ähnlich zumute ist.“ 

„Hoss?“ stieß der Verwundete hervor. „Wie komme ich denn 

hierher?“ Und nachdem Hoss es ihm mit kurzen Worten erklärt 

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hatte, ließ Penrose den Blick durchs Zimmer wandern. „Ist 
sonst noch jemand da?“ 

„Nur wir beide“, versicherte ihm Hoss. „Sie müssen sich nun 

gut ausruhen.“ 

„Jawohl!“ bestätigte Joe ironisch. „Hier ist eine 

ausgesprochene Erholungsstätte!“ 

Hoss erhob sich, ging zum Herd hinüber und bereitete einen 

Brei aus Haferflocken, Milch und Zucker. Dann schob er sich 
einen Stuhl ans Bett und fütterte Penrose, bis er auch den 
letzten Löffel voll Brei aufgenommen hatte. 

„Sie müssen zu Kräften kommen, Penrose!“ mahnte er. 
Joe starrte unverwandt Penrose an. Abwartend beobachtete 

er, wie der Kranke zu ihnen beiden aufblickte. Joes Gesicht 
war gespannt, und Hoss lächelte. 

Penrose räkelte sich unbehaglich auf der Matratze. Seine 

Zunge befeuchtete die vertrockneten Lippen. 

Schließlich verlor sich sogar das Lächeln in Hoss’ Gesicht. 

Er holte tief Luft. 

„Haben Sie uns etwas zu sagen, Penrose?“ 
Der Buchverkäufer zuckte zusammen, schüttelte dann aber 

den Kopf. Stumm starrte er auf die Unterseite des Bettes über 
sich. 

„Wir wollen Ihnen die Wahrheit sagen, Penrose!“ mischte 

Joe sich ein. „Wir wissen, was in Ihren Satteltaschen ist!“ 

Penrose keuchte auf. 
„Jawohl, Penrose!“ drang nun Hoss in ihn. „Als wir Ihr Pferd 

in unsere Koppel brachten, haben wir es natürlich abgesattelt – 
und dabei fiel uns auf, daß die Taschen sehr schwer waren. Da 
haben wir nachgeschaut!“ 

Penrose rührte sich nicht. Ganz fest schloß er die Augen. Der 

Mund war nur noch ein schmaler weißer Strich. Und sein 
Gesicht sah jetzt noch fahler aus als in der Nacht. 

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Gefährlicher Besuch 

 
 
 

Der erste Besucher an diesem Morgen um 8 Uhr in Elliot 
Clymers Bergwerk war Candy. Kalt schaute Elliot den jungen 
Mann an, der ihm gegenüber hinter dem Schreibtisch saß und 
ihm die Zeichnung der Bankräume hinhielt. 

„Das hat man gefunden…“ 
„Ich weiß schon, was das ist“, fiel Clymer ihm ins Wort. „Ich 

weiß auch, wo es gefunden wurde. Weshalb aber bist du damit 
zu mir gekommen?“ 

„Ich dachte, Sie könnten uns vielleicht helfen.“ 
„Wie könnte ich helfen?“ 
„Man müßte herausfinden, wer das gezeichnet hat“, erwiderte 

Candy. „Ich dachte, Sie würden bei der Aufklärung helfen…“ 

„Hat Ben Cartwright dich geschickt?“ 
„Nein“, wehrte der Junge ab. „Ich selbst bin darauf 

gekommen. Mr. Cartwright meinte, er könne nicht damit zu 
Ihnen kommen… Er hatte Angst, Sie damit zu beleidigen!“ 

„Du hingegen scheinst dir nichts daraus zu machen, 

grundlose Anschuldigungen zu erheben!“ 

„Aber darum geht es ja gerade, Mr. Clymer!“ beharrte 

Candy. „Ich klage doch niemanden an, schon gar nicht Sie! 
Nur eines begreife ich nicht… Eigentlich müßten Sie doch 
ebenso wie Mr. Cartwright daran interessiert sein, den 
Zeichner dieser Skizze zu finden!“ 

„Das ist eine Sache, um die sich der Sheriff kümmern muß, 

mein junger Freund…“ 

„Aber es ist doch möglich, daß der Mann, der das gezeichnet 

hat, in Ihren Diensten steht!“ 

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„Ich warne dich!“ knirschte Clymer. „Ich dulde nicht…“ 
„Glauben Sie mir, Mr. Clymer, ich klage niemanden an!“ 

beteuerte der Junge. „Aber wenn doch jemand aus Ihrem Büro 
diese Skizze gefertigt hat, dann sind Sie doch sicherlich ebenso 
interessiert…“ 

„In der Tat wäre ich lebhaft daran interessiert, mein Junge“, 

bestätigte Clymer. „Aber ich denke nicht daran, einen meiner 
Leute zu beschuldigen, solange ich keinen anderen Beweis 
habe als das da. Das weiß Ben ganz genau; und deshalb 
mochte er nicht herkommen. Allerdings ärgert es mich, daß er 
sich nicht scheut, als Stellvertreter einen Jungen zu 
schicken…“ 

„Mich hat niemand geschickt!“ 
„Was du nicht sagst“, murrte Clymer. „Auf jeden Fall rate ich 

dir, ja nicht das Gesetz selbst in die Hände zu nehmen…“ 

„Ich habe doch nur gedacht, Sie würden helfen!“ 
„Schrei nicht so!“ 
„Ich habe gedacht, Sie hätten mindestens so viel wie andere 

Leute bei diesem Bankraub verloren! Aber es scheint, als 
hofften Sie, jetzt noch einen Gewinn davonzutragen, wenn…“ 

„Scher dich hinaus!“ fuhr Clymer auf. „Ich lasse mich von 

einem Herumtreiber nicht beleidigen! Meinst du etwa, ich 
schulde dir eine Erklärung für mein Tun und Lassen? Ich 
warne dich: Solltest du es wagen, noch einmal 
herzukommen…“ 

Candy aber ließ sich nicht einschüchtern. 
„Ich würde nur zurückkommen, Mr. Clymer, falls es 

notwendig wäre!“ erklärte er mit fester Stimme. „Und vor 
Drohungen habe ich keine Angst! Ich werde nur 
zurückkommen, falls diese Skizze mich wieder hierher führt. 
Mr. Cartwright ist der prächtigste Mensch, den ich kenne. 
Sollten Sie etwas Hinterhältiges tun, um ihm zu schaden, dann 

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können Sie etwas erleben! Glauben Sie nur nicht, so leicht mit 
mir fertigzuwerden!“ 

„Hinaus!“ 
Trotzig schaute Candy den Bergwerksdirektor an. Erst nach 

einer Weile faltete er den Zettel zusammen und verließ das 
Büro. 

Während er die hölzernen Stufen hinunterschritt und zu der 

Stange ging, an die er sein Pferd gebunden hatte, spürte er eine 
Leere im Magen. Natürlich würde Ben Cartwright erfahren, 
was geschehen war. Und er, Candy, hatte nichts erreicht – er 
hatte seinem verehrten Herrn nur neue Ungelegenheiten 
bereitet. 

„Hallo, Junge!“ 
Hinter ihm ertönte eine Männerstimme, und Candy drehte 

sich um. Ein stämmiger, hochgewachsener Arbeiter kam auf 
ihn zu. Seine Nagelschuhe polterten, und der Schutzanzug war 
dreckig. In der Hand hielt er eine Picke. Seine Augen 
flammten. 

„Der Boß sagt“, grölte er, „ich sollte dir mal einen 

Vorgeschmack von dem geben, was dir blüht, wenn du dich 
noch ein einziges Mal hier blicken läßt!“ 

Keinen Fußbreit wich Candy zurück; reglos blieb er neben 

seinem Pferd stehen, und seine Stimme klang ungerührt. 

„Ich habe dich erwartet!“ 
Vorsichtig kam der Hauer auf ihn zu. Er hob den Hackenstiel 

– und im gleichen Augenblick erkannte Candy, daß er in der 
anderen Hand ein blitzendes langes Messer hielt. 

Im ersten Augenblick wollte Candy nach dem Revolver 

greifen. Gleichzeitig aber fiel ihm ein, daß er niemals würde 
beweisen können, in Notwehr gehandelt zu haben. Mit 
Leichtigkeit würde Clymer mindestens fünfzig Zeugen 
aufbringen, die gegen den jungen Revolverschützen aussagten. 

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Nein, wenn er den Kerl da erschoß, selbst in Notwehr, so 

würde auch das nur zu weiterem Unheil für Mr. Cartwright 
ausschlagen! 

Hilflos schaute er sich um. Dabei stieß er mit der Schulter 

gegen das am Sattel befestigte zusammengerollte Lasso. Dabei 
kam ihm ein Gedanke. 

Während Candy kein Auge von dem Bergmann ließ, löste er 

das Seil und trat dann flink vom Pferd zurück. 

Der drohende Angreifer lachte verächtlich auf. Wollte dieser 

Knirps sich gegen einen Hackenstiel und ein Messer wirklich 
mit einem Lasso verteidigen? 

Einen Augenblick lang beschnupperten sich die beiden 

Kämpfer: Der Bergmann stapfte schwerfällig, während Candy 
in engem Kreise tänzelte, wobei er nicht zurückwich, aber sich 
in achtungsvoller Entfernung von dem Knüppel hielt. 

Clymer war mit einigen seiner Büroangestellten auf die 

Veranda getreten, und sie alle beobachteten nun in eisigem 
Schweigen, was sich dort unten tat. 

Plötzlich machte Candy einen Satz auf den Mann zu. 
Ein Angriff aber war das lehrte, was der große Bursche 

erwartet hatte. Verdutzt holte er tief Luft, stellte sich fest hin 
und hob den Knüppel. Dann sauste das Ding herunter – und die 
Wucht riß den Mann selbst mit nach vorn. Dicht an Candys 
Kopf vorbei sauste der Schlag. Gleichzeitig kam das Messer 
empor und durchschnitt Candys breiten Gürtel, als sei er weich 
wie Butter. 

Gewandt aber glitt Candy an dem noch taumelnden Mann 

vorbei und holte dann zum Rückhandschlag mit dem 
aufgerollten Lasso aus. 

Mit Erfolg! Hart traf der unvermutete Hieb gleich einem 

Peitschenschlag Nacken, Schultern und Rücken, und einen 
Augenblick lang verlor der Bergmann das Gleichgewicht und 
taumelte vorwärts. 

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Nur einen kurzen Augenblick lang – aber Candy nützte ihn 

aus, warf die Seilwindungen dem Mann über den Kopf und riß 
hart daran. 

Wütend schrie der Kerl auf. Noch einmal riß Candy mit aller 

Kraft, daß der Riese rückwärts auf ihn zuwankte. Außer sich 
vor Wut und Schrecken fuchtelte der Angegriffene wild mit 
Messer und Hackenstiel um sich, während er versuchte, sich 
umzudrehen. 

Tatsächlich traf ein Schlag mit dem Knüppel Candy auf die 

Schulter, aber er streifte ihn doch nur, und der Junge konnte 
halbwegs ausweichen. Er tänzelte an dem Gegner vorbei, ließ 
die Seilwindungen hinunterrutschen und packte so zu, daß die 
Schlinge sich um den Hals des Mannes schloß. 

Dick traten dem Kerl die Augen aus den Höhlen. So 

erschrocken war er, daß er das Messer fallen ließ, um nach 
dem Seil zu greifen, das ihm die Kehle zuschnüren wollte. Mit 
einem Sprung war Candy heran und versetzte dem Messer 
einen Fußtritt, daß es meterweit davonsurrte. 

In diesem Augenblick riß der Bergmann seinen Knüppel 

hoch, um wieder zuzuschlagen, aber Candy schlang geschickt 
das Seil um seinen Arm, so daß es einen Augenblick lang an 
seinen Kopf gebunden war. 

Noch ehe der Mann wieder zu sich kam, lief Candy mehrmals 

um ihn herum, drehte immer neue Windungen und spulte 
Kopf, Schultern und Brust des Mannes immer fester ein. Dann 
packte er von hinten den Arm des Bergmanns und riß ihn so 
heftig zurück, daß er aufschreiend auch den Knüppel fallen 
ließ. 

Mit einem Ruck zog Candy den Kerl an sich heran und 

versetzte ihm mit der rechten Faust einen kurzen, harten Haken 
gegen die Kinnspitze. 

Der Mann verdrehte die Augen, die Beine gaben nach, und 

schwerfällig brach er in die Knie. 

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Ohne Mitleid riß Candy ihn am Seil hintenüber. Dann ließ er 

ihn los, drehte sich um und schaute zu Clymer, der noch immer 
auf der Veranda stand. 

Spöttisch verbeugte sich der junge Mann. 
Clymer verzog keine Miene. 
Candy hob seinen Hut auf, der zu Boden gefallen war, und 

klopfte ihn heftig gegen das Bein, um ihn vom Staub zu 
befreien. Plötzlich sah er drei Männer, die aus dem Schacht 
heraus auf ihn zukamen. 

Auch sie trugen Nagelschuhe und waren ebenso riesenhaft 

groß wie der am Boden liegende Mann. Jeder von ihnen hatte 
einen Hackenstiel in der Hand, und mit langsamen, 
schwerfälligen Schritten gingen sie auseinander und kamen 
von drei Seiten auf Candy zu. 

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Unrecht Gut 

 
 
 

Noch ein paarmal räkelte sich Penrose auf seiner Pritsche; 
dann blieb er still liegen. 

Hoss beugte sich vor und lächelte ermutigend. 
„Nur heraus mit der Sprache, Penrose!“ mahnte er. 
„Wir möchten alles wissen!“ bestätigte Joe, während er es 

sich im hölzernen Sessel bequem machte. 

Noch immer rührte sich Penrose nicht; die Falten in seinem 

Gesicht schienen tiefer zu werden. Erst nach einer langen 
Weile wandte er den Kopf und schaute die beiden Brüder an. 

„Nun los doch!“ murmelte er. „Bringt mich schon zum 

Sheriff!“ 

„Das habe ich von Anfang an tun wollen“, bestätigte Joe. 
Hoss aber schüttelte lächelnd den Kopf. 
„Erst einmal wollen wir hören, was Sie zu sagen haben!“ 
„Wir sind gespannt auf Ihren Bericht!“ nickte Joe. „Immerhin 

hängt es davon vielleicht ab, ob wir alle miteinander ins 
Gefängnis kommen oder freigesprochen werden!“ 

Penroses Blick wanderte von Hoss zu Joe und wieder zurück. 
„Wenn Sie den Sheriff gerufen haben, war es nur gut!“ 

murmelte er. Und als die beiden ihn fassungslos anstarrten, 
fuhr er fort: „Ob Sie mir nun glauben oder nicht – tatsächlich 
wollte ich mit all dem Geld zum Sheriff reiten, ehe Sie mich 
fanden.“ 

„Habe ich es dir nicht gesagt!“ frohlockte Hoss. „Penrose 

wollte das Geld wirklich zurückbringen.“ 

Joe fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. 
„Berichten Sie ausführlich, Penrose!“ forderte er. 

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Der Buchverkäufer lag bleich und kaum einer Bewegung 

fähig auf seiner Pritsche. Als er dann zu sprechen anfing, 
erzählte er nichts von dem Raub. Vielmehr berichtete er von 
seiner Kindheit, die er in Indiana verlebt hatte. 

„Wir hatten niemals Geld“, sagte er. „Bitterarm waren wir, 

und ich war auch nicht bei bester Gesundheit. Vor allem die 
Lunge machte mir zu schaffen. Deshalb empfahl mir der Arzt, 
ich solle in den Westen gehen, aus Gesundheitsgründen.“ 

„Aber wie gerieten Sie denn nun in diese Bankraubgeschichte 

hinein?“ fragte Joe. 

Penrose schloß die Augen, und sein Gesicht zuckte, als hätte 

er plötzlich große Schmerzen. 

„Sie haben die Bankräuber im Gebirge getroffen und ihnen 

die beiden Satteltaschen mit dem Geld abgejagt, stimmt’s?“ 
meinte Hoss. „Dann aber haben die Kerls Sie doch noch 
niedergeschossen, ehe Sie ihnen entkommen konnten.“ 

Penrose schüttelte mühsam den Kopf. 
„Sie müssen mir auch weiter vertrauen, Hoss“, murmelte er. 

„Obwohl ich – wirklich zu den Bankräubern gehört habe.“ 

Joe beugte sich vor. 
„Jetzt holen wir den Sheriff!“ rief er aus. 
Penrose nickte. 
„Daraus kann ich Ihnen keinen Vorwurf machen – auch ich 

wünschte, der Sheriff käme!“ brachte er hervor. „Jawohl, ich 
wünschte, daß Sie mich der Justiz ausliefern. Allerdings haben 
Sie nun so viel gehört, daß ich froh wäre, wenn ich Ihnen auch 
wirklich alles erzählen dürfte.“ 

Die beiden nickten stumm und warteten geduldig. 
„Ich war an jenem Morgen in der Bank“, fuhr Penrose mit 

leiser Stimme fort. „Als die beiden Maskierten dann 
hereinkamen, zwangen sie mich, sie zu begleiten.“ 

„Das habe ich mir doch gedacht!“ nickte Hoss freundlich. 

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„Ich hatte ein wenig Geld“, berichtete Penrose weiter. 

„Immerhin hatte ich einige Bücher verkauft, und da ich oft 
über einsame Straßen reiten mußte, hatte ich Angst vor 
Räubern und wollte ein Konto eröffnen. Da kamen die Kerls 
herein!“ Penrose biß sich auf die Lippen. „Ich nahm mir vor, 
draußen auf der Straße davonzulaufen… Weiter vermochte ich 
in diesem Augenblick nicht zu denken. Dann aber bekam ich 
es mit der Angst. Ich fürchtete, sie würden mich bei der ersten 
verdächtigen Bewegung umbringen!“ 

„Und was geschah dann?“ fragte Hoss gespannt. 
„Auf meinem müden Gaul konnte ich natürlich mit den 

beiden kaum Schritt halten“, erzählte Penrose. „Gleich am 
ersten Tag ritt ich das arme Tier fast zu Tode. Sie aber 
bedrohten mich sofort, wenn ich auch nur ein wenig langsamer 
wurde. Und vor lauter Angst tat ich alles, was sie mir 
befahlen.“ Noch in der Erinnerung erschauerte Penrose. Er 
mußte einen Augenblick ausruhen, ehe er fortfuhr: „Bald 
wußte ich, daß ich mich niemals würde aus ihren Klauen 
befreien können… Tagelang blieb ich bei ihnen. Den Männern 
des Sheriffs entzogen wir uns, indem wir durch unwegsame 
Schluchten und unwirtliches Land ritten. Eine so fürchterliche 
Gegend hatte ich bis dahin nicht gesehen. 

Und sie wurde immer nur noch schlimmer und karger… 
Bald konnte ich mich kaum noch im Sattel halten. Immer 

wieder schlief ich beim Reiten ein und wäre mehrmals um ein 
Haar aus dem Sattel gesunken. Aber im letzten Augenblick 
wachte ich stets auf und hielt mich hoch. Denn ich hatte Angst, 
die Burschen würden mich erschießen, wenn ich ihnen 
Schwierigkeiten bereitete… Und das war mein einziger 
Gedanke: Ich wollte am Leben bleiben! Ich wollte nach 
Virginia City zurückkehren und meinen ehrlichen Namen 
verteidigen. Ich weiß, daß das verrückt klingt, aber es war 
wirklich so!“ 

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Joe und Hoss nickten verständnisvoll. Erst nach einer Weile 

brach Joe das Schweigen. 

„Wissen Sie denn, wer die Kerls waren?“ fragte er gespannt. 

„Während des Rittes müssen Sie doch hin und wieder die 
Gesichter gesehen haben!“ 

Penrose zuckte unter dieser bohrenden Frage sichtlich 

zusammen. Nach kurzem Zögern gab er mit schwacher, 
stotternder Stimme Auskunft. 

„J – ja… Ich habe ihre Gesichter gesehen… Ich habe sie 

wiedererkannt… Denn ich kannte sie… Es waren Red Mixon 
und – und Dallas Webber.“ 

„Was?“ brauste Hoss empört auf. „Diese gemeinen, elenden 

Pferdediebe kenne ich! Das sind die schlimmsten Verbrecher, 
die je in Virginia City ihr Unwesen getrieben haben. Aber 
weiter, Penrose! Erzählen Sie weiter!“ 

Erst nach einer Weile fuhr Penrose fort: 
„Eines Abends mußten wir lagern, ohne Wasser gefunden zu 

haben… Wir durften es nämlich nicht wagen, aufs Hochland 
hinauszureiten, weil es dort von den Männern des Aufgebots 
wimmelte… Nun, während wir also lagerten, glaubten die 
beiden, ich schliefe fest. Und ich hörte ihre Unterhaltung: Sie 
fanden, daß sie meinetwegen nicht schnell genug weiterkämen, 
und wollten mich deshalb umbringen… Was sollte ich tun? 
Jeden Augenblick würde einer der beiden aufstehen und mich 
abschießen. Als nichts geschah, überlegte ich, warum sie mich 
schonten: Sie wagten es nicht, weil der Knall des Schusses bei 
Nacht weit durchs Gebirge hallen würde.“ 

Hoss nickte verständnisvoll. 
„Allmählich wurde mir klar, daß sie mich auf irgendeine 

andere Weise umbringen würden, in aller Stille 
gewissermaßen. Vielleicht stießen sie mich von einem Felsen 
in eine Schlucht, wo ich niemals gefunden werden würde. Ich 
zitterte am ganzen Leibe… Auf einmal wurde es still. 

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Schliefen die Männer? Zunächst traute ich dem Frieden nicht, 
aber dann begriff ich, daß sie von der Flucht kaum weniger 
erschöpft waren als ich. Also erhob ich mich so geräuschlos, 
wie ich mich noch nie bewegt hatte, nahm einen der Revolver 
an mich, ebenfalls die Satteltaschen mit dem Geld und einen 
Gürtel. Ich schwang mich auf mein Pferd und ritt davon. Aber 
höchstens zwei Minuten war ich unterwegs, da kamen sie 
brüllend hinter mir her. Ich verlor den Kopf und suchte Schutz 
zwischen den Felsen. Ich hörte ihre Schritte im Geröll hinter 
mir. Nur zweierlei war günstig für mich: Ich befand mich im 
Schutze der Felsen, während sie keine Deckung hatten. 
Außerdem wußte ich, daß sie nach Möglichkeit alle Schüsse 
vermeiden würden, während es mir ganz gleichgültig war, wer 
meine Schüsse hörte! Immer näher kamen sie. Ich hielt den 
Revolver mit beiden Händen, und er zitterte und schwankte. 
Dann gab ich Feuer und sah, wie einer zusammenbrach. Der 
andere aber kam weiter auf mich zugerannt. Wieder schoß ich, 
und offenbar wurde er getroffen. Jedenfalls taumelte er hinter 
ein paar Felsklötze. Ich hatte viel zuviel Angst, als daß ich 
mich vom Erfolg meiner Schüsse an Ort und Stelle überzeugt 
hätte. Vielmehr führte ich meinen Gaul auf den Pfad zurück 
und ritt davon. Nur ein einziger Gedanke füllte mich ganz aus: 
Ich war frei.“ 

Penrose schwieg und blieb erschöpft und bewegungslos 

liegen. Hoss starrte seinen Bruder stirnrunzelnd an. 

„Nun?“ fragte er. „Glaubst du ihm nun?“ 
Aber Joe wandte sich erneut an den Verwundeten. 
„Als wir Sie fanden, waren Sie doch aber angeschossen!“ 

sagte er. „Wie war es dazu gekommen?“ 

„Noch zwischen den Felsen hat einer auf mich geschossen, 

während ich floh“, war die Antwort. 

„Und wissen Sie auch, wer es war?“ drang Joe weiter in ihn. 
Penrose nickte mühsam. 

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„Jawohl“, murmelte er. „Ich habe sein Gesicht gesehen: Es 

war Red Mixon.“ 

„Wenn aber Red Mixon Sie so schwer angeschossen hat“, 

fragte Joe zweifelnd, „wie konnten Sie ihm dann entkommen?“ 

„Ich konnte mit aller Mühe in den Sattel steigen und mich so 

lange halten, bis ich die beiden Pferde der Banditen 
losgebunden und davongejagt hatte.“ 

„Großartig!“ lobte Hoss. 
„Vermutlich habe ich überhaupt nicht nachgedacht“,

 

gab 

Penrose zu. „Meine Wunde verursachte mir so fürchterliche 
Schmerzen, daß ich nur ein Bestreben hatte, Red und Webber 
Schaden zuzufügen. Deshalb habe ich ihre Pferde 
verscheucht.“ 

„Nicht unverständlich“, meinte Hoss. 
„Ich hing also ziemlich kläglich auf meinem Pferd“, fuhr 

Penrose fort. „Endlich erreichte ich das Vorgebirge, und 
während ich durch den Kiefernhain ritt, stürzte ich zum 
zehnten Male aus dem Sattel. Diesmal aber konnte ich nicht 
mehr aufs Pferd kommen. Ich war völlig erledigt. Also band 
ich das Pferd an einen Strauch und verkroch mich irgendwo 
zwischen den Felsen.“ 

„Und dort haben Joe und ich Sie gefunden“, lächelte Hoss. 
Aber Joe lächelte nicht. 
„Jawohl – und Sie haben auf uns geschossen!“ 
Hoss runzelte die Stirn und schaute Joe empört an. Penrose 

wurde bleich. Erst nach einer Weile nickte er. 

„Ich hatte ja keine Ahnung, daß Sie es waren!“ verteidigte er 

sich. „Ich war völlig von Sinnen vor Fieber und Schmerzen. 
Das müssen Sie doch verstehen!“ 

„Natürlich verstehen wir es“, versicherte ihm Hoss tröstend. 
„Ich hatte nur einen Gedanken“, fuhr Penrose fort. „Ich war 

überzeugt davon, daß Red und Webber mich aufgespürt 
hatten.“ 

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Sein Kopf sank ins Kissen zurück, und er schloß die Augen. 

Es war, als atme er überhaupt nicht mehr. 

„Von dem vielen Reden ist der arme Kerl total er schöpft!“ 

Hoss beugte sich mitleidig über den Verwundeten. „Nun ruhen 
Sie sich nur aus, damit Sie wieder zu Kräften kommen, 
Penrose! Joe und ich, wir stehen jetzt auf Ihrer Seite darauf 
dürfen Sie sich verlassen!“ 

Joe stand auf. Ihm war, als wollten die Wände der Hütte über 

ihm einstürzen. Die Luft war unerträglich dick. Mit schweren 
Schritten ging er auf den Hof hinaus. 

Als er hörte, daß Hoss ihm folgte, blieb er stehen. 
„Was ist denn, Joe?“ fragte Hoss mit ernstem Gesicht. „Du 

benimmst dich, als glaubtest du dem armen Teufel noch immer 
nicht – nach allem was er hat durchmachen müssen!“ 

Joe wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der 

Stirn. 

„Wir müssen ganz sicher sein, und seine Geschichte hat doch, 

wie mir scheint, manches Loch!“ 

„Ich wüßte nicht, welches“, erwiderte Hoss stirnrunzelnd. 
Joe hob die Schultern. 
„Überleg doch mal, Hoss!“ mahnte er. „Warum sollten 

Revolverhelden wie Red Mixon und Dallas Webber ein 
windiges, unerfahrenes Bürschlein wie diesen Penrose aus der 
Bank mitnehmen, obwohl sie sich doch bestimmt klar darüber 
waren, daß sie so schnell wie möglich sehr weit reiten mußten 
– und zwar, durch unwirtliches Land! Schließlich waren sie ja 
auf der Flucht vor dem Galgen!“ 

„Jedenfalls haben sie ihn mitgenommen – weil er nun einmal 

da war, und sie haben ihn das Geld schleppen lassen.“ 

„Hoss! Red Mixon konnte mit dem Finger einer Hand mehr 

Geldsäcke tragen als Penrose mit beiden Armen!“ 

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„Und wenn schon – jedenfalls haben sie ihn gezwungen, 

mitzureiten und das gestohlene Geld zu tragen!“ sagte Hoss 
verstockt. 

Joe wanderte auf dem Hof auf und ab. Einen Augenblick lang 

wußte er nicht weiter. Dann fuhr er mit einem Ruck herum. 

„Sie haben also Penrose gezwungen, sie zu begleiten. Und er 

hat beide verletzt oder sogar getötet. Kannst du das glauben? 
Immerhin waren die beiden ganz vorzügliche Schützen – 
während er zugibt, daß er den Revolver mit beiden Händen 
halten mußte!“ 

„Aber er saß doch in guter Deckung zwischen den Felsen!“ 

erklärte Hoss. 

„Die beiden hätten ihn mit Leichtigkeit aus der Deckung 

gescheucht, Hoss!“ Joe schüttelte den Kopf. „Diese beiden 
Banditen verfügen über reiche Erfahrung, wie man so etwas 
macht. Mixon und Webber sind alles andere als Tölpel. 
Glaubst du wirklich, Penrose habe ihnen mit seiner klapprigen 
alten Mähre davonreiten können?“ Anklagend deutete Joe in 
den Pferch, wo das magere Pferd sich müde gegen den Zaun 
lehnte. „Die Geschichte hat zahlreiche Löcher, Hoss! Und wir 
beide sind dabei, den Kopf in des Henkers Schlinge zu 
stecken.“ 

„Ich sehe keinen Anlaß, meine Meinung zu ändern“, 

versicherte Hoss. „Ganz bestimmt war alles so, wie Penrose 
berichtet hat!“ 

„Woher willst du das wissen?“ 
Hoss überlegte mit gerunzelter Stirn und suchte nach 

überzeugenden Worten. 

„Jedenfalls glaube ich dem armen Kerl“, erklärte er endlich. 

„Ganz bestimmt hatte er die Absicht, dem Sheriff das Geld 
zurückzubringen.“ 

„Großartig!“ nickte Joe. „Aber nun wollen wir ebenso 

vernünftig sein wie er – und den Sheriff herbeirufen.“ 

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In diesem Augenblick hörten sie Penrose heftig stöhnen. 

Hoss fuhr herum und stürmte in die Hütte. Joe folgte ihm 
gemächlich. 

Penrose saß auf dem Bettrand und ließ die Beine baumeln. Er 

sah aus, als wolle er jeden Augenblick ohnmächtig werden. 
Besorgt stützte ihn Hoss und wollte ihm helfen, sich wieder 
hinzulegen. Aber der Verwundete winkte ab. 

„Warten Sie, Hoss!“ stieß er mit schwankender Stimme 

hervor. „Ich muß noch eines hinzufügen: Joe hat nämlich ganz 
recht – ich habe kein Recht, von euch zu verlangen, daß ihr 
euer Leben und euren guten Ruf aufs Spiel setzt – für einen 
Kerl wie mich. Nein, es ist euer gutes Recht, den Sheriff 
herbeizuholen!“ 

„Wir sind aber groß genug, um auf uns selber aufzupassen!“ 

versicherte ihm Hoss. 

Penrose seufzte auf. 
„Aber überlegen Sie, Joe, was es bedeuten würde, wenn Sie 

den Sheriff herholten, anstatt mich zu ihm reiten zu lassen. 
Müßte das nicht schlimm für mich aussehen? Wenn Sie mir 
schon nicht glauben, so werden es doch die andern um so 
weniger tun. Und ich kann nicht beweisen, daß ich das Geld 
wirklich zurückbringen wollte – solange ich nicht selbst nach 
Virginia City reite!“ 

„Ich glaube Ihnen!“ nickte Hoss. 
„Dennoch haben Sie recht!“ gab Joe zu. „Niemand würde 

Ihnen glauben!“ 

Penrose ließ sich zurücksinken. Er seufzte und konnte sich 

kaum noch rühren vor Erschöpfung. 

„Ich bitte nur ungern um etwas!“ murmelte er dann 

schließlich. „Aber es geht um mein Leben, Joe. Warten Sie 
doch, bis ich wieder reiten kann. Sie können mich bewachen, 
so streng Sie wollen; daraus werde ich Ihnen bestimmt keinen 
Vorwurf machen. Und wenn ich dann wieder in der Lage bin, 

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mich im Sattel zu halten, reiten wir alle drei nach Virginia 
City. Dort liefere ich das Geld ab und rette meinen ehrlichen 
Namen… Ich weiß, daß ich kein Recht habe, so etwas zu 
verlangen… Aber Sie werden einsehen, daß dies die einzige 
Möglichkeit wäre, daß ich weiterhin als ehrlicher Mann gelte.“ 

Hoss erhob sich und schlug sich mit der riesigen Faust in die 

linke Handfläche. 

„Ich bin dafür, Penrose!“ erklärte er. „Menschenskind, ich 

bekomme fast eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie wir 
drei mit einem solchen Haufen Geld nach Virginia City 
einreiten!“ 

Candy schaute den drei Bergleuten entgegen, die mit 

erhobenen Hacken auf ihn zukamen. Gleichzeitig entging ihm 
nicht das niederträchtige Grinsen in Clymers Gesicht. Mit 
grimmiger Vorfreude erwartete der Grubenbesitzer das 
grausame Spiel. 

„Halt!“ Candy zuckte zusammen. Das war die Stimme von 

Ben Cartwright! Im ersten Augenblick konnte Candy gar nicht 
begreifen, was geschah, dann aber fühlte er große 
Erleichterung. 

Ben Cartwrights dunkle Augen schleuderten Blitze. Er saß im 

Sattel eines großen Pferdes und wirkte wie das Standbild eines 
Herrschers. 

„Laßt sofort eure Hacken fallen!“ befahl Ben. „Wenn einer 

Schwierigkeiten macht, schieße ich – zuerst auf dich, Elliot!“ 

Clymer zauderte einen Augenblick, und sein Gesicht färbte 

sich blutrot. Widerstrebend ließ er sein Gewehr fallen, als sei 
es plötzlich glühend heiß geworden. Dann winkte er mit dem 
Kopf, und sofort zogen sich die drei Bergleute zurück. 

„Der Junge ist gekommen, um mich eines schweren 

Verbrechens anzuklagen!“ rief Clymer aufgebracht. 

Ben schüttelte den Kopf. 

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„Nein!“ widersprach er entschieden. „Der Junge macht sich 

nur Sorgen um mich, Elliot. Er hat dich wegen des Zettels 
fragen wollen. Das habe ich mir gleich gedacht, als ich merkte, 
daß die Skizze verschwunden war.“ 

„Niemand darf es wagen, mich des Raubes und der Hehlerei 

zu beschuldigen, Cartwright!“ 

„Zugegeben!“ nickte der Rancher. „Es war nicht richtig von 

dem Jungen. Aber dennoch hat er ehrenhaft gehandelt: Er 
wollte etwas Gutes tun, außerdem hat er Mut bewiesen. Es 
gehört allerlei dazu, sich den Schlägen von Knüppeln 
auszusetzen; dabei geht leicht der Schädel zu Bruch!“ 

„Jedenfalls wünsche ich, daß er verschwindet!“ 
Ben winkte Candy zu, er solle aufsitzen. Während der Junge 

gehorchte, ließ Cartwright keinen Blick von Clymer. 

„Diese Bosheit werde ich dir nicht vergessen, Elliot!“ rief er 

dem Grubenbesitzer zu. „Bisher habe ich dich stets für einen 
Ehrenmann gehalten! Aber das ist nun vorbei…“ 

„Ich lasse mich nicht beleidigen!“ 
Ben schürzte die Lippen und nickte dann. 
„Jedenfalls sieht es so aus, als seist du nach wie vor nicht 

bereit, bei der Aufklärung des Bankraubes zu helfen. Ich 
beschuldige dich nicht, Elliot; aber ich warne dich! Deine 
Forderungen gegen mich oder gegen die Bank werden nicht 
beglichen, solange die Herkunft der Zeichnung und der 
Bankraub nicht eindeutig geklärt sind!“ 

„Du wagst es, mir zu drohen, Cartwright?“ 
„Genau das hatte ich vor!“ erwiderte Ben in aller Ruhe. 
Clymer beugte sich über das Geländer des Vorbaus. 
„Ich schleppe dich vor Gericht!“ schimpfte er mit 

krächzender Stimme. „Ich werde dich ruinieren!“ 

Ben zuckte nur die Achseln. Er winkte Candy, er möge vor 

ihm herreiten. Dann trabten die beiden gemächlich davon. 

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Einen Augenblick lang blieb Joe in der Tür der Hütte stehen; 

sein Gesicht war düsterer denn je. Hoss wollte mit ihm 
sprechen, aber der Bruder schüttelte ihn einfach ab und trat auf 
den Hof. 

Schweigend fütterte er die Pferde auf der Koppel. Dann 

schaute er weit über die Ebene und in die Berge hinein. 

Still war es nun in der Hütte. Hoss bewegte sich überhaupt 

nur noch auf Zehenspitzen, während er aufräumte und das 
Frühstücksgeschirr spülte. Als er bemerkte, daß Penrose 
eingeschlafen war, lächelte er zufrieden. Fröhlich trat er auf 
den Hof hinaus; aber Joe kümmerte sich nur um seine Arbeit 
und blickte nicht auf. 

Hoss warf einem der Pferde die Schlinge um den Hals, holte 

es zum Koppeltor heran und sattelte es. Dann wartete er noch 
einen Augenblick, aber Joe fragte nicht, wohin er wolle. 

„Ich bleibe nicht lange fort“, rief Hoss ihm zu. „Penrose 

schläft; und er hat dringend Ruhe nötig.“ 

Dann schwang er sich in den Sattel, ritt über die offene 

Weide und in den Wald hinein. Hier stieg er ab, schnitt dicke 
Espenzweige und band sie wie einen großen Besen hinten an 
den Sattel, so daß sie hinter dem Pferde hergeschleift wurden. 

Langsam ritt er dann bergauf weiter. Er folgte dem Pfad, den 

sie mit Penroses Bahre neulich heruntergekommen waren, und 
verwischte die Spuren bis zu der Stelle, wo sie neulich den 
Verwundeten entdeckt hatten. Hier schnitt er den großen Besen 
ab und schaute befriedigt zurück: Nun würde niemand mehr 
der Spur folgen können, die die Bahre neulich gezogen hatte. 

Weiter ritt er bergan, bis sein Pferd nicht mehr konnte. Dann 

stieg er ab und kletterte zu Fuß weiter, das Lasso aufgerollt in 
der Hand. Bald hatte er gefunden, was er suchte: Die 
versprengten Rinder, die vor Angst in der ausweglosen 
Wildnis fast wahnsinnig geworden waren. 

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Hoss ließ die Schlinge des Lassos gegen sein Bein klatschen 

und trieb die verschreckten Rinder ins offene Land hinaus. Er 
schwenkte den Hut, und die Tiere trotteten immer schneller 
zwischen den Bäumen dahin. 

Endlich ließ er sie allein; sie würden nun wissen, wo sie das 

Gras und das Wasser von Ponderosa wiederfinden konnten. 

Er war mit seinem Tagewerk zufrieden. Während er den 

Felsenhang abwärts stieg, überlegte er, wie man Penrose nun 
endgültig helfen konnte. Er stellte es sich plötzlich fast so 
einfach vor wie die Rettung der Rinder. 

Ein triumphierendes Lachen erhellte sein Gesicht, während er 

sich ausmalte, wie sie zu dritt – Joe, Penrose und er – in 
Virginia City einreiten würden,: Zu beiden Seiten der Straße 
standen die Menschen und beobachteten die 
einmarschierenden Sieger. Dabei würden sie in diesem 
Augenblick noch nicht einmal das Wichtigste wissen: daß 
nämlich Penrose das Geld zurückbrachte, um seinen ehrlichen 
Namen wiederherzustellen. 

Als Hoss zu seinem Pferd zurückkehrte, bemerkte er die 

Reiter erst gar nicht, die plötzlich von allen Seiten zwischen 
dem Unterholz und aus dem Wald heranritten. Plötzlich aber 
sah er sie, und er blieb wie angewurzelt stehen. Diese Männer 
kannte er alle: Sie waren seine Freunde und ritten im Aufgebot 
des Sheriffs Coffee. 

Offenbar waren sie erschöpft, und der Schweiß hatte ihre 

Hemden durchnäßt; aber am auffälligsten war, daß sie ihn mit 
grimmigen, zornigen Gesichtern anstarrten. Hoss verschlug es 
den Atem, als er sah, daß der Anführer der Gruppe den 
Revolver anlegte und ohne zu zittern auf ihn zielte. 

„Hände hoch, Hoss!“ befahl der Stellvertreter des Sheriffs. 

„Wir sind dir nachgeritten, seit du angefangen hast, die Spur zu 
verwischen. Und nun möchten wir wissen, was hinter alledem 

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steckt. Beeile dich, wir werden nicht viel Geduld mit dir 
haben!“ 

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Ponderosa in Gefahr 

 
 
 

Unbehaglich ließ Hoss den Blick von einem Gesicht zum 
andern wandern. Viel Freundlichkeit konnte er in den Augen 
der Männer nicht entdecken. Und immer wieder mußte er in 
die Mündung des Revolvers sehen, den der Anführer fest auf 
ihn richtete. 

„Hört mich doch wenigstens an!“ begann er endlich. „Was ist 

denn eigentlich geschehen, daß ihr mich plötzlich wie einen 
Fremden anstarrt – obendrein wie einen Verbrecher?“ 

„Was geschehen ist?“ krächzte einer der Männer. „Ein 

Banküberfall und ein Raub sind geschehen! Das Verbrechen 
kann uns alle ruinieren und unsere ganze Stadt vernichten!“ 

„Und damit hätte ich etwas zu tun?“ brauste Hoss auf. 
„Wir wissen selbst nicht, was wir denken sollen, Hoss!“ rief 

der Mann zurück. „Aber wir haben dich beobachtet!“ 

„Und wir möchten wissen, warum du es getan hast!“ fügte 

der Anführer hinzu. 

„Du hast eine Spur verwischt, Hoss!“ meinte wieder der erste 

Reiter. „Warum denn?“ 

Wieder blickte Hoss in die Runde. Er suchte ein einziges 

freundliches Gesicht. Plötzlich war ihm, als stocke ihm der 
Herzschlag. 

Einer der Männer war Cal Lassiter! 
Cal hatte sich schon allerlei Lügen von Joe auftischen lassen. 

Und nun war Hoss an der Reihe! Heiß und kalt rann es ihm 
den Rücken hinunter, und der Kragen wurde ihm zu eng. 

„Nun, Hoss!“ rief Cal. „Wie geht es Curly?“ 
„Hm – Curly?“ Schnell hatte Hoss sich gefaßt. „Ach, es geht 

schon besser, Cal! Vielen Dank!“ 

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Furcht füllte Hoss aus. Um jeden Preis mußte er die Männer 

von der Hütte fernhalten. Es kam ja unbedingt darauf an, daß 
Penrose aus freien Stücken nach Virginia City ritt und das 
Geld zurückgab. 

„Wir warten, Hoss!“ Noch unfreundlicher erklang die 

Stimme des Anführers. 

Hoss schaute in das erschöpfte Gesicht des Mannes hinter 

dem erhobenen Revolver. 

„Was wolltest du denn verbergen, Cartwright?“ 
Hoss schüttelte nur den Kopf. Einen Augenblick lang konnte 

er vor lauter Angst und Sorge nicht klar denken. Das Lügen 
war ihm noch nie im Leben leichtgefallen; und im Augenblick 
konnte er an nichts anderes denken als an die Gefahr, in der 
Penrose schwebte. Joe und er hatten dem Buchverkäufer das 
Leben gerettet. Sollte ihr Plan nun doch noch scheitern? 

„Wie wäre es denn, wenn wir dich zu Sheriff Coffee 

brächten?“ rief einer der Männer. 

Hoss richtete sich ein wenig auf. 
„Weshalb wolltet ihr das tun?“ fragte er. „Ihr kennt mich 

doch; und ihr wißt ganz genau, daß ich kein Verbrechen 
begehen würde.“ 

Einen Augenblick lang bedachten die Männer seinen 

Einwand. 

„Du hast eine Spur verwischt!“ wiederholte der Anführer der 

Männer. „Und du weichst uns aus und redest nicht offen. 
Jedenfalls ist dies unser aller Meinung!“ 

„Du hast doch etwas auf dem Herzen, Hoss!“ drängte ein 

anderer Mann. „Heraus damit!“ 

„Jawohl, ich habe die Spur verwischt!“ gab Hoss zu. „Aber 

wenn ihr mir wirklich nachgeritten seid, dann müßt ihr doch 
gesehen haben, daß ich dort oben in den Felsen ein paar 
versprengte Kühe aufgetrieben und zur Ranch 
zurückgescheucht habe.“ 

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„Das stimmt!“ bestätigte Cal Lassiter. 
Hoss war geradezu erschüttert darüber, daß Cal ihm 

beisprang. 

Sogleich aber machte er sich klar, daß ja nur sein eigenes 

schlechtes Gewissen zwischen ihm und Lassiter stand. 

„Weiter!“ befahl der Anführer. 
„Ich habe die Kühe vor ein paar Tagen verloren“, brachte 

Hoss mühsam hervor, während er nach Worten suchte. „Und 
ich wollte eben nicht, daß jemand – zum Beispiel mein Vater – 
etwas erführe…“ 

„Jawohl“, rief Cal wieder. „Joe hat mir gesagt, Curly Stobbs 

sei vom Pferd gestürzt und habe sich verletzt. Die beiden 
wollten nicht, daß ihr Vater etwas davon erführe, weil sonst 
Curly vielleicht fliegen würde.“ 

„Richtig!“ strahlend nickte Hoss dem Helfer zu. „Genauso ist 

es, wie Cal sagt!“ 

„Jedenfalls sah es recht verdächtig aus, was du da getan 

hast!“ beharrte der Anführer der Gruppe. 

Die Spannung aber war gewichen, und die Männer rundum 

blickten wieder freundlicher. Sie kannten Hoss zu gut, als daß 
sie ihm ernsthaft ein Verbrechen zugetraut hätten. 

„Wir haben uns geirrt“, meinte einer der älteren Männer, 

während er dem Anführer zunickte. „Wir haben nicht daran 
gedacht, daß Cartwrights Familie so viel zu verlieren hat wie 
wir alle – eher noch mehr. Wenn ich nicht irre, ist sie am 
härtesten getroffen.“ 

„Das stimmt“, nickte ein anderer. 
Der Anführer steckte den Revolver ein. 
„Jedenfalls ist die Zeit jetzt nicht gerade günstig, Dinge zu 

tun, die man nicht begründen kann, Hoss!“ knurrte er böse. 

Hoss nickte. Still saß er im Sattel und schaute den Männern 

nach, die zwischen den Bäumen verschwanden. Eines der 
letzten Worte hatte ihn schwer getroffen. 

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Was hatte es zu bedeuten, daß Cartwrights Familie am 

schwersten von allen betroffen sei? 

Endlich schüttelte er den Kopf. Vater und Söhne hatten schon 

oft schwere Zeiten durchgemacht. Dann brauchte man nur den 
Riemen etwas enger zu schnallen, in die Hände zu spucken 
und täglich ein paar Stunden mehr zu arbeiten! Was konnte 
ihnen der Bankraub viel ausmachen? Nie im Leben wäre Hoss 
der Gedanke gekommen, sein Vater könne die gewaltige 
Ranch, die größer war als mancher Staat im Osten, von heute 
auf morgen verlieren! 

Während er den Berg hinunterritt, fühlte er sich schon etwas 

wohler, er blieb aber doch nervös. Zu haarscharf war er am 
Verderben vorbeigegangen. Fast wäre alles hingewesen! 

Joe war noch vor der Hütte, und Hoss lächelte ihm 

zuversichtlich zu. Von seinem Abenteuer erwähnte er kein 
Wort. 

„Ich habe die versprengten Tiere aus den Bergen getrieben, 

Joe“, berichtete er nur. 

Joe nickte ohne alle Begeisterung. 
Hoss schwang sich aus dem Sattel und warf die Zügel über 

einen Pfosten des Koppelzaunes. 

„Wie geht es Penrose?“ 
„Gar nicht gut“, war die Antwort. „Schlimmer, als man 

meinen sollte, wo es sich doch nur um eine Fleischwunde 
handelt. Er hat wieder Fieber.“ Joe schüttelte den Kopf. „Er 
schwätzt und ist von Sinnen. Anscheinend braucht er einen 
Arzt – und Medizin.“ 

„Was sollen wir tun?“ 
„Am besten brächten wir ihn zum Arzt“, erklärte Joe 

entschieden. „Aber womöglich würde er den Transport nicht 
überleben. Ich meine, wir sollten Dr. Stark herholen!“ 

„Und wie soll Penrose dann seine Ehre wiederherstellen?“ 

fuhr Hoss auf. 

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„Was nützt ihm die wiederhergestellte Ehre, wenn er tot ist?“ 

wandte Joe ein. „Falls er wirklich unschuldig ist, weiß es der 
Herrgott ganz bestimmt. Penrose braucht Medizin, Hoss.“ 

Unruhig wanderte Hoss auf und ab. Endlich nickte er. 
„Ich reite nach Ponderosa, Joe.“ 
„Da mußt du aber Vater alles sagen.“ 
Hoss zuckte zusammen, nickte dann aber tapfer. 
„Vielleicht ist der Gedanke gar nicht schlecht, Joe.“ Und als 

Joe die Stirn krauste, nickte er noch einmal: „Ich werde Vater 
alles erzählen. Er wird einen Rat wissen, und dann haben wir 
auch ihn auf Penroses Seite. Wenn Vater erklärt, daß Penrose 
das gestohlene Geld zurückgebracht hat, dann möchte ich den 
Einwohner von Virginia City sehen, der daran zweifelt!“ Aber 
Joe war noch skeptisch. 

„Eine großartige Idee von dir, Hoss – falls Vater es glaubt.“ 
„Bestimmt wird Vater es glauben“, versicherte Hoss. „Dafür 

werde ich sorgen.“ 

Joe schaute Hoss an und schüttelte den Kopf. Aber er sagte 

kein Wort, vielleicht konnte der Glaube wirklich Berge 
versetzen! 
 
 
Mit unbedecktem Kopf stand Joe am Koppelzaun und schaute 
Hoss nach, der nach Ponderosa davonritt. Erst als er den 
Bruder nicht mehr sehen konnte, wandte er sich ab und 
schlenderte zaudernd zur Hütte zurück. 

Drinnen ließ er sich auf einen Stuhl sinken und versuchte, das 

Fiebergeschwätz nicht zu hören. Dabei ließ er keinen Blick 
von dem Kranken, als wollte er von dem aschfahlen Gesicht 
ablesen, was das Gestammel bedeute. 

Joe mußte zugeben, daß das Denken ihm leichter fiel, seit 

Hoss nicht mehr da war. Immer wieder überlegte er, was der 
Verwundete ihnen von dem Bankraub erzählt hatte. Er kam 

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nicht klar. Wie ein Rätsel gingen ihm die immer wiederholten 
Worte durch den Kopf. Er wurde das Gefühl nicht los, daß die 
Lösung zum Greifen nahe sei und daß er sie nur vor lauter 
Verbohrtheit nicht fände. 
 
 
Je mehr sich Hoss der heimatlichen Ranch von Ponderosa 
näherte, desto leichter wurde ihm zumute, als sinke ein 
schweres Gewicht von seinen Schultern. Beim Anblick des 
Ranchhauses überflutete ihn ein Gefühl der Sicherheit und 
Wärme. 

Fröhlich lächelnd ritt er auf den Hof. Alles war hier so 

anheimelnd; die festgefügten Scheunen und Stallungen, Häuser 
und Pferche schienen ihm grüßend entgegenzulachen. 

In diesem Augenblick trat der Vater aus dem Haus und 

winkte Hoss von der Veranda aus zu. 

Hoss schwang sich aus dem Sattel. Er hörte Hop Sing in der 

Küche hantieren, vernahm die Geräusche in den Ställen und in 
der Schmiede. Er war wieder daheim – und nun war alles 
wieder gut. 

„Wie schön, wieder zu Hause zu sein, Pa.“ Hoss lachte dem 

Vater zu, dehnte die Brust und sog begierig die Heimatluft ein. 

„Gewiß“, nickte der Vater. „Aber wir dürfen unser Herz nicht 

zu sehr an ein einziges Gut hängen, nicht einmal an den 
heimatlichen Hof.“ 

Hoss starrte ihn verblüfft an. Noch niemals hatte er solche 

Worte aus dem Munde des Vaters vernommen. 

„Aber hier ist doch unser Zuhause, Vater!“ rief er aus. „Wo 

anders könnte es auch nur halb so schön sein?“ 

Es schien ihm, als hole der Vater tief Luft, als wolle er etwas 

sagen… Dann aber schaute er den Sohn nur schweigend an. 

Hoss runzelte die Stirn. Sah der Vater nicht auf einmal älter 

aus? Das konnte doch nicht sein. Immer war er seinen Söhnen 

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jünger vorgekommen als sie selbst. Er hatte stets viel zu fleißig 
gearbeitet, als daß er Zeit zum Altern gehabt hätte. 

„Was ist denn, Vater?“ drang er in ihn. „Ist etwas 

geschehen?“ 

Cartwright zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den 

Kopf. 

„Dieselbe Frage könnte ich dir stellen, Hoss“, meinte er. 

„Was hast du denn auf dem Herzen?“ 

„Erst einmal bist du dran, Pa!“ beharrte der Sohn. 
„Ich sehe dir an, daß du mir etwas sagen möchtest. Also los!“ 
Einen Augenblick lang schien Cartwright zu zaudern; dann 

aber schüttelte er den Kopf. 

„Nein“, meinte er ausweichend. „Was ich zu sagen hätte, hat 

auch Zeit… Zum Galgen soll man nicht rennen, pflegte meine 
Großmutter zu sagen… Schütte erst einmal du mir das Herz 
aus!“ 

„Wie kommst du denn darauf, Vater, daß ich etwas auf dem 

Herzen hätte?“ 

Cartwright schüttelte den Kopf und lächelte verkniffen. Er 

legte dem Jungen, der inzwischen die Stufen ganz 
heraufgekommen war, den Arm um die Schulter und führte ihn 
in die gemütliche Wohnstube, in der man noch hier und da die 
Schrammen erkannte, die die Kinder bei ihren manchmal 
wilden Spielen hinterlassen hatten. 

„Dich bedrückt etwas, Hoss!“ Fest schaute der Vater ihn an. 

„Mir kannst du nichts vormachen. Du weißt, daß ich dich noch 
immer durchschaut habe. Du hast ein ehrliches Gesicht. Also 
brauchst du jetzt nicht damit anzufangen, mir Theater 
vorzuspielen.“ 

Hoss räkelte sich unbehaglich in dem Sessel, in dem er Platz 

genommen hatte. 

„Joe geht es gut, Pa.“ 

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„Davon bin ich überzeugt“, lachte der Vater. „Wenn es nicht 

so wäre, hättest du es mir bestimmt schon gesagt.“ Er ließ sich 
in den Sessel fallen, streckte die Beine von sich und wartete. 

Hoss zitterte leicht; ihm fiel Joes Warnung ein: Sein Vater 

ließ sich nicht so leicht täuschen. 

Er holte tief Luft. Er wollte ja den Vater auch gar nicht 

täuschen; er selbst glaubte doch an Penroses Unschuld. 
Dennoch machte Hoss sich klar, daß es nicht ganz einfach sein 
würde, den Vater davon zu überzeugen. 

Ben Cartwright schaute noch immer den Sohn unverwandt 

an. Bedächtig stopfte er sich die Pfeife, zündete sie an und 
hüllte sich in eine dicke graue Wolke. 

„Was habt ihr denn oben in der Hütte erlebt, Hoss?“ lockte 

er. 

Noch einmal holte Hoss tief Luft – und dann begann er zu 

erzählen. Als er endlich fertig war, schwitzte er am ganzen 
Leibe. 

Cartwright hatte sich nicht gerührt und ihn mit keinem Wort 

unterbrochen. 

Erst als Hoss sich schweigend zurücklehnte, beugte er sich 

ein Stück vor. 

„Und dieser Mann oben in der Hütte hat all das viele Geld?“ 

fragte er. 

„Jawohl, Pa!“ 
„Das Gold also?“ 
„Gold?“ Hoss runzelte kopfschüttelnd die Stirn. „Was für 

Gold denn, Vater?“ 

Cartwrights Gesicht wurde hart. Er schüttelte schwer den 

Kopf. Hoss hatte das Gefühl, als schaue der Vater durch ihn 
hindurch. 

„Ich bin hier, um Medizin für den Verwundeten zu holen, 

Vater“, stieß Hoss hervor. 

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„Das hat Zeit.“ Cartwright stand auf und wanderte im 

Zimmer auf und ab; Hoss bemerkte an ihm eine innere 
Spannung, wie er sie noch nie gekannt hatte. „Was dieser 
Penrose für Geld bei sich hat, das weiß ich nicht; auch ahne ich 
nicht, inwieweit er in den Bankraub verstrickt ist…“ 

„Das habe ich dir doch gesagt, Pa.“ 
„… aber ich wünsche, daß du sofort nach Virginia City reitest 

und Roy Coffee alles haarklein berichtest. Und dann überläßt 
du Roy den Fall!“ 

„Aber wenn Penrose nun wirklich unschuldig ist?“ rief er 

aus. 

Der Vater fuhr herum. Er hatte die Fäuste geballt. Die Augen 

schossen Blitze. 

„Hinter der ganzen Sache steckt mehr, als du begreifst, 

Hoss!“ knurrte er. „Ich weiß nicht, ob Penrose unschuldig oder 
schuldig ist. Aber vielleicht weiß er etwas, was ungeheuer 
wichtig ist. Und über Schuld oder Unschuld hat der Richter zu 
entscheiden, Hoss!“ 

„Aber diese Entscheidung würde doch viel leichterfallen“, 

beharrte Hoss, „wenn Penrose tatsächlich in der Lage wäre, in 
die Stadt zu kommen und das Geld selbst abzuliefern!“ 

„Leider kann Penrose das aber nicht tun“, erinnerte ihn der 

Vater. „Und bis er wieder dazu in der Lage ist, könnte ihm 
etwas zustoßen. Wir aber brauchen das, was er weiß, sofort, 
Hoss! Der Sheriff muß es wissen. Wenn du nicht dafür sorgst, 
daß er es erfährt, kannst du wegen Hehlerei eingesperrt 
werden!“ 

„Das habe ich schon bedacht.“ 
„Aber du hast offenbar nicht bedacht, wie teuer dein 

gewissenloses Zaudern uns zu stehen kommen könnte – uns 
allen.“ 

Hoss nickte. 

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„Auch daran habe ich gedacht“, murmelte er. „Aber ich 

möchte Penrose eine einzige Chance geben. Ich finde, das ist 
nicht zuviel verlangt. Laß uns noch kurze Zeit warten.“ 

„Was sagt denn Joe dazu?“ 
Hoss versuchte zu lächeln, aber vergeblich. 
„Ich glaube, Joe ist noch nicht endgültig entschlossen.“ 
„Das heißt also, Joe wollte ebenfalls die Sache dem Sheriff 

übergeben, und du hast es ihm ausgeredet!“ 

„Wir beide wünschen, daß Penrose die Möglichkeit erhält, 

sich zu entschuldigen“, erklärte Hoss verstockt. „Mehr nicht.“ 

„Das mache ich aber nicht mit, Hoss!“ 
„Vater!“ flehte der Sohn. „Willst du dich wirklich gegen 

mich stellen, wenn ich doch nur einen kleinen Aufschub 
wünsche? Du weißt genau, daß ich so etwas für mich selbst 
nicht verlangen würde. Aber der arme verwundete Kerl da 
oben hat nie im Leben einen Freund gehabt und niemanden, 
der ihm geholfen hätte. Nur deshalb will ich ihm seine Chance 
verschaffen.“ 

Cartwright setzte seine Wanderung durchs Zimmer wieder 

fort, während er dicke Wolken aus der Pfeife paffte. Laut tickte 
die alte Uhr an der Wand, Sekunde um Sekunde… 

Hoss erschauerte. Kein Auge ließ er von dem Vater. Aber er 

ballte die Fäuste und war entschlossen durchzuhalten. 

„Immer wieder habe ich Verständnis für dich gehabt, Hoss“, 

begann der Vater nach einer Weile wieder. „Aber diesmal geht 
es zu weit. Ich befehle dir, Hoss, zu tun, was ich gesagt habe. 
Ich könnte die Folgen sonst nicht verantworten!“ 

„Die Folgen nehme ich auf mich, Vater“, erklärte Hoss stolz. 
„Wirklich, Hoss? Selbst die Folge, daß wir Haus und Hof 

verlieren?“ 

Hoss runzelte die Stirn. 
„Nichts werden wir verlieren, Vater!“ behauptete er. 

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„Wenn du mir vertraust, bringen wir alles in Ordnung. Und 

bisher hast du mir noch immer vertraut.“ 

Der Vater schaute ihn hart an. 
„Du wirst tun, was ich dir gesagt habe, Hoss!“ 
Hoss zuckte zusammen. Ihm war, als drehe sich ihm der 

Magen um. 

„Ich kann nicht, Vater“, murmelte er tonlos. „Diesmal kann 

ich dir nicht gehorchen. Ich muß tun, was mir mein Gewissen 
vorschreibt. Bitte, Vater, versteh mich doch.“ 

Er schaute den Vater hoffnungsvoll an, dessen Augen aber 

blieben kalt. 

Traurig senkte Hoss den Kopf, wandte sich ab und verließ 

das Haus. 

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Verhaftet! 

 
 
 

Geradezu spürbar, wie drückender Nebel, hing die Spannung 
über Virginia City, als Hoss durch die Stadt ritt. 

Er spürte, daß alle Leute Angst hatten, daß sie jedem 

mißtrauten und daß sie unter der drohenden Not und dem 
Zusammenbruch all ihrer Hoffnungen jetzt schon litten. Die 
Ladentüren standen offen, aber niemand schien zu arbeiten 
oder etwas Nützliches zu tun. Ein paar Leute standen herum, 
aber offenbar sprachen sie nicht miteinander. Kein Gelächter 
und kein fröhliches Rufen der Kinder war zu hören. Sogar in 
den Gaststuben war es still. 

„Hallo, Hoss! Hoss Cartwright!“ 
Der Reiter zügelte sein Pferd und hielt mitten auf der 

besonnten Straße an. Aus dem Kaufhaus kam Sheriff Coffee 
auf ihn zu. 

„Ich freue mich, dich zu sehen, Hoss.“ Der Sheriff blinzelte 

zu ihm auf. „Ich hatte ohnehin vor, zu euch hinauszukommen 
und mit dir und Joe zu reden.“ 

Hoss fühlte ein dumpfes Schuldgefühl in der Magengrube. 

Hatte Roy Coffee bereits etwas gehört? Er mußte wieder an die 
Worte des Vaters denken: daß man ihm jeden Gedanken stets 
von der Stirne ablesen könne. 

Er zwang sich zu einem Lächeln. 
„Was wollten Sie denn mit uns besprechen, Sheriff?“ Hoss 

bemühte sich, seine Stimme wie immer klingen zu lassen. 

Müde von den Anstrengungen der Verbrechersuche wischte 

sich Sheriff Coffee den Schweiß von der Stirn. 

„Ich wollte fragen, ob ihr nicht etwas von diesen Mördern 

gehört habt… Auch dachte ich, ihr würdet euch freuen zu 

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hören, daß wir einen von ihnen eingesperrt haben!“ Der Sheriff 
nickte stolz. „Fred Norton, der Bankbeamte, hat drüben im 
Saloon in dem Schauspieler Du Val den Mann erkannt, der in 
der Schalterhalle stand, als die beiden Maskierten 
hereinstürmten, und der dann mit den beiden andern 
zusammen das Geld genommen hat.“ 

Hoss fühlte, wie sich ihm das Herz zusammenzog. Also saß 

jetzt ein Unschuldiger wegen des Bankraubes im Gefängnis? 

„Wie kommen Sie darauf, Sheriff“, fragte er mit zitternder 

Stimme, „daß Du Val etwas mit der Sache zu tun hat?“ 

„Wir haben genügend Beweise“, versicherte ihm Coffee mit 

fester Stimme. „Der Bankbeamte hat ihn genau erkannt, und 
deshalb halte ich ihn fest. Vielleicht bringe ich ihn noch so 
weit, daß er uns sagt, wohin die andern geflohen sind. Sonst 
werde ich weiterhin das ganze Gelände durchkämmen. Die 
Suche wird nicht abgebrochen, ehe die Mörder nicht hinter 
Schloß und Riegel sitzen und wir der Bank den letzten Dollar 
zurückgegeben haben. Schließlich geht es um unser aller 
Zukunft.“ 
 
 
Durch die Gitterstäbe der Zellentür betrachtete Hoss den 
kleinen Gefangenen. 

„Mr. Du Val…“ begann er mit unsicherer Stimme. 
Gregory Du Val starrte von der kargen Pritsche auf. Das 

eingefallene Gesicht schien fast leblos, und der Blick erfaßte 
den Besucher offenbar nicht. 

Hoss wurde immer elender zumute. Der Mann, der da lag, 

sah dem Buchverkäufer erschreckend ähnlich. Zum ersten 
Male wurde Hoss klar, wie auch ein Unschuldiger durch 
Zeugenaussagen scheinbar überführt werden kann. 

„Was wollen Sie?“ stieß Du Val unwillig hervor. 
Hoss schüttelte den Kopf. 

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„Offenbar erkennen Sie mich nicht mehr, Mr. Du Val. Ich 

habe Ihren Auftritt im Saloon gesehen – mit den Tänzerinnen. 
Das war prima.“ 

„Ich brauche jetzt keinen Applaus“, murmelte Du Val mit 

zittriger Stimme. „Hilfe brauche ich – von einem Rechtsanwalt 
oder sonst jemandem, der mir heraushelfen könnte.“ 

„Rechtsanwalt bin ich leider nicht“, mußte Hoss zugeben. 
Du Val lachte rauh auf, aber er hatte Tränen in der Stimme. 
„Wenn Sie ein Rechtsanwalt wären, würde man Sie erst gar 

nicht herlassen.“ 

„Das wäre aber Unrecht.“ 
„Unterhalten Sie sich nur mit Roy Coffee über Recht und 

Unrecht.“ Du Val erhob sich mühsam und blieb auf dünnen 
Beinen stehen. „Er läßt nicht einmal einen Rechtsanwalt zu 
mir.“ 

Hoss stürmte in den Dienstraum des Sheriffs. 
„Der kleine Gefangene behauptet, Sie ließen keinen 

Rechtsanwalt zu ihm!“ fauchte er empört. 

Coffee beugte sich vor und starrte den Eindringling über den 

Schreibtisch hinweg an. 

„Hör mal gut zu, Hoss Cartwright!“ knirschte er. „Ich habe 

nie behauptet, etwas von der Rinderzucht zu verstehen. 
Umgekehrt verbitte ich es mir, daß du so tust, als verständest 
du etwas von Recht und Gesetz!“ 

„Jeder Angeklagte hat das Recht auf einen Anwalt!“ 
Coffee schüttelte den Kopf. 
„Eigentlich meine ich, du müßtest froh sein, daß ich einen 

Verdächtigen eingelocht habe“, meinte er. „Und Du Val ist 
schwer verdächtig, ich habe Beweismaterial gegen ihn.“ 

„Vielleicht… Vielleicht ist er aber doch unschuldig!“ 
„Jedenfalls ist er schuldig“, beharrte der Sheriff. „Man hat 

ihn wiedererkannt, und er zeichnet fast so gut wie ein 
Architekt. Außerdem hat der Bahnschaffner ausgesagt, er habe 

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sich eine Fahrkarte nach Denver gekauft. Was also könnte ein 
Rechtsanwalt noch tun? 

Höchstens würde er dafür sorgen, daß Du Val aus dem 

Gefängnis kommt.“ 

„Und was wäre daran so Schlimmes?“ 
„Das will ich dir sagen!“ brauste der Sheriff auf. 

„Anschließend fliegst du hier hinaus! Also erstens: Wenn Du 
Val entlassen würde, hätten wir ihn bestimmt zum letzten Male 
gesehen, denn er würde spurlos verschwinden. Und noch 
schlimmer wäre es, wenn er nicht verschwände. Weißt du, was 
nämlich dann geschähe?“ 

Hoss schüttelte den Kopf. 
„Du Val würde von den wütenden Leuten erschossen. So 

mancher tüchtige Schütze hat Rache für den Raub geschworen. 
Dieser Du Val aber ist eine kümmerliche Maus. Und was die 
Kerls hier noch zorniger macht, ist die Tatsache, daß er ein 
Fremder ist. Deshalb traut man ihm die Beteiligung am 
Bankraub zu. Nein, die ganze Stadt ist gegen Du Val 
aufgebracht.“ 

„Dennoch hat er ein Recht, seine Unschuld zu beweisen“, 

murrte Hoss, allerdings ohne viel Hoffnung. 

„Er wird schon seine Chance bekommen“, knurrte der 

Sheriff. „Immerhin ist bei dem Banküberfall viel Gold geraubt 
worden, das als Sicherheit für einen Wechsel hinterlegt war… 
Wenn jetzt die Bank zusammenbricht, dann werden alle Leute 
im weiten Umkreis völlig ruiniert. Ich finde, du machst dir die 
Sache ein wenig leicht. Denkst du denn nicht daran, daß auch 
dein Vater seinen Besitz einbüßt?“ 

„Ponderosa?“ fuhr Hoss betroffen auf. 
Coffee nickte. „Eure Ranch ist an die Bank verpfändet und 

wird wahrscheinlich unter den Hammer kommen. Hat dein 
Vater dir das nicht gesagt?“ 

Hoss schluckte schwer. 

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„Ich – bin ja – lange nicht zu Hause gewesen.“ 
„Nun, dann habe ich dir es jetzt gesagt“, sagte der Sheriff. 

„Vielleicht bist du mir jetzt noch dankbar dafür, daß ich den 
Kerl verhaftet habe.“ Hoss nickte, und der Sheriff fuhr fort: 
„Du Val ist in meinem Gefängnis sicherer, als er irgendwo 
sonst sein könnte. Erweist er sich wirklich als unschuldig, dann 
wird er wieder freikommen – wenn auch erst später. Aber ich 
glaube nicht an seine Unschuld. Ich habe Zeugen und Indizien 
dafür, daß Du Val an dem Bankraub beteiligt war.“ 

Langsam zog Hoss sich weiter zurück und war schon fast aus 

der Tür, als der Sheriff seine zornige Rede beendet hatte. 

Draußen drehte Hoss sich um und schleppte sich mit 

gesenktem Kopf die Straße entlang. Das Herz war ihm schwer. 

Leute kamen an ihm vorbei, aber er sah sie nicht. Wieder 

lastete etwas zentnerschwer auf seinen Schultern – dasselbe, 
was er bei dem Ritt nach Virginia City gespürt hatte. 

Hier und da wurde er angesprochen, aber er gab keine 

Antwort. 

Eines aber fiel ihm doch auf: eine Gruppe von Reitern. Es 

war Elliot Clymer mit einem halben Dutzend Bergleuten. Mit 
grimmigen, entschlossenen Gesichtern ritten sie daher, 
schauten weder links noch rechts und schienen die Stadt in 
südlicher Richtung verlassen zu wollen. 

An den Verandastufen vor dem Holzhaus, in dem Dr. Robert 

Stark seine Praxis und seine Wohnung hatte, blieb Hoss 
stehen. Stirnrunzelnd schaute er Clymer und seinen Männern 
nach. Endlich raffte er sich auf, aber während er an die Tür des 
Arztes klopfte, überlegte er, daß es Clymer gar nicht ähnlich 
sah, selbst in den Sattel zu steigen. Auch dies konnte nur eine 
böse Bedeutung haben. 

Dr. Stark war ein schlanker Mann, der eine Wolke 

antiseptischen Duftes um sich verbreitete. Er begrüßte Hoss 
freundlich. 

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„Du kommst doch nur zu mir“, lachte der Arzt, „wenn du dir 

ein Bein gebrochen hast. Was gibt es denn heute?“ 

„Ach!“ Hoss schüttelte den Kopf. „Ich möchte Sie nur etwas 

fragen.“ Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen und 
fügte dann schnell hinzu: „Natürlich bezahle ich den Dollar für 
die Konsultation; ich brauche Ihren Rat.“ 

Der Doktor nahm in seinem Sessel Platz und legte die 

Spitzen der Finger zusammen. „Also, was für einen Rat soll 
ich geben? Brauchst du ihn für dich selbst?“ 

„Nur einen so ganz allgemeinen Rat, Doktor.“ Hoss 

versuchte zu lächeln. „Ich meine… Wenn jemand durch einen 
Schuß verwundet wird und Fieber bekommt – was muß man 
dann tun?“ 

„Man muß das Fieber so schnell wie möglich vertreiben“, 

erwiderte Stark. „Wer ist denn verwundet?“ 

„Ach, ein Bekannter“, wich Hoss aus. „Er hat sich – in die 

große Zehe geschossen…“ 

„Ach, in die Zehe? Was du nicht sagst!“ 
Hoss wurde rot. 
„Jawohl, so ist es, Doktor!“ behauptete er. „Dann hat er 

nichts dagegen getan – und nun hat er Fieber. Was würden Sie 
dagegen verschreiben, Doktor?“ 

„Um das zu sagen, müßte ich ihn mir ansehen.“ 
„Er will aber nicht zu Ihnen kommen“, wehrte Hoss ab. „Er 

meint, wegen einer solchen Schramme…“ 

„Dann sag deinem Freund, auch eine Schramme könne 

tödlich sein!“ rief der Arzt aus. „Blutvergiftung kann es geben, 
Brand, Wundstarrkrampf… Wer eine Schußverletzung hat, 
braucht etwas Antiseptisches…“ 

„Können Sie mir ein gutes antiseptisches Mittel empfehlen?“ 

fiel Hoss ihm ins Wort. 

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„Jod zum Beispiel.“ Der Arzt schaute den jungen Besucher 

fest an. „Aber hinter deiner Frage steckt mehr, als du zugeben 
willst, Hoss!“ 

Hoss wurde es heiß unter der scharfen Musterung. Nein, er 

konnte wirklich niemanden hinters Licht führen. 

Dr. Stark war im höchsten Grade mißtrauisch geworden. 

Hoss versuchte zu lächeln, aber es blieb bei einem 
kümmerlichen Versuch. 

„Ich will dir etwas sagen, Hoss“, schlug der Arzt schließlich 

vor. „Ich gebe dir ein antiseptisches Mittel mit und ein paar 
Pillen, die gegen Infektionen helfen. Eigentlich dürfte ich es ja 
nicht – und dein Freund wäre sicherlich viel besser dran, wenn 
er sich einmal zu mir bemühte, und zwar bald. Verstanden?“ 

„Ich will es ihm bestimmt sagen, Doktor!“ versprach Hoss, 

während er aufsprang und dankbar die Heilmittel 
entgegennahm, die Dr. Stark ihm hinhielt. 

Dann verließ er eilig das Haus. Fünf Minuten später 

galoppierte er aus der Stadt, zur Hütte zurück. 

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Das Versteck 

 
 
 

Nachdem Hoss davongeritten war, hockte Joe in der Hütte und 
überlegte. Ihm war, als säße er in der Falle. 

Verzweifelt dachte er nach, womit er sich ablenken könne. 

Aber es gab keine Arbeit, denn die Pferde waren zufrieden, 
grasten geruhsam und wollten am liebsten nicht gestört 
werden. 

Immer wieder überdachte Joe die Worte, die Penrose 

unverändert in seinem Fiebertraum vor sich hin murmelte. 
Allmählich nahm in Joes Kopf ein Gedanke Gestalt an… 

Nach einer Weile stand er auf und begann, Konservendosen 

aufzumachen und das Mittagessen zu bereiten. Penrose 
erwachte und räkelte sich unbehaglich auf seiner Pritsche. 

„Ist Ihnen nun besser?“ fragte Joe. 
„Wo ist Hoss?“ murmelte Penrose mit flackerndem Blick. 
Joe berichtete, und der Kranke versuchte zu lächeln, aber sein 

Gesicht blieb grau. Auch essen mochte er nichts. 

Joe setzte sich an den Tisch und ließ es sich schmecken. 

Während des Mahls mußte ihm der Kranke erneut berichten, 
was geschehen war, und Joe hörte aufmerksam zu. Irgendwo 
mußte doch des Rätsels Lösung, die er so nahe spürte, zu 
finden sein. 

Aber Penrose machte nicht lange mit. Er setzte den Teller mit 

dem Essen, das er nicht angerührt hatte, auf den Fußboden und 
legte sich zurück. 

„Ich bin völlig kaputt“, stöhnte er. „Vielleicht kann ich etwas 

schlafen.“ Damit drehte er sich zur Wand. 

Joe schob sich das letzte Stück Wurst in den Mund und 

wusch dann das Geschirr ab. Penroses Atem verriet, daß er in 

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einen unruhigen Schlaf gefallen war. Nachdem Joe mit seiner 
Arbeit fertig war, überzeugte er sich noch einmal, daß der 
Kranke schlief, und huschte dann auf Zehenspitzen aus der 
Hütte. 

Auf der Koppel sattelte er sein Pony und ritt eilig in das 

Gebirge hinein. 
 
 
Ben Cartwright klopfte seine Pfeife aus und legte sie auf den 
Tisch. Am liebsten wäre er auf der Stelle zur Süd-Hütte 
geritten, um Penrose auszufragen. 

Wieder nahm er seine Wanderung durchs Zimmer auf, und 

dabei wuchs seine Wut auf die Banditen und auf Clymer. 

Schließlich trat er vor die Tür und rief Candy. Während der 

schlanke Junge über den Hof gerannt kam, überlegte Ben 
Cartwright es sich schon wieder anders. Nein, er mußte selbst 
hinausreiten! Zu viel hing davon ab. 

Der Bankraub hatte mit dem Verfall des Wechsels und der 

Sicherungssumme nichts zu tun. Deshalb war Clymer ohne 
weiteres berechtigt, volle Auszahlung zu verlangen. 

Cartwright schaute über den Hof. Seine Existenz hing davon 

ab, daß das gestohlene Geld so schnell wie möglich wieder 
herbeikam. Und vielleicht konnte Penrose ihm helfen! 

„Was soll ich, Mr. Cartwright?“ Candy schaute zutraulich zu 

ihm auf, und die Sonne beschien sein hageres Gesicht. 

Gedankenvoll schaute Ben zu dem Jungen hinunter. 
Gewiß konnte er mit Candy nun davonreiten, vielleicht 

konnte er Ponderosa retten. Was aber würde ihm dies alles 
nützen, wenn er das Vertrauen seines Sohnes Hoss verlor. Er 
kniff die Augen zusammen, weil die Sonne ihn blendete. Ein 
paar Stunden wollte er Hoss noch geben. Noch würde Ben 
Cartwright nicht zur Hütte reiten. 

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Lange hatte der Rancher in seinem Haus gesessen, das voller 

Erinnerungen war. Endlich raffte er sich auf. 

„Hop Sing!“ rief er. 
Lautlos kam der Koch hereingehuscht. „Was ist Boß? Hop 

Sing viel zu tun. Sehr viel.“ 

Ben hob die Hand. „Ich möchte dich etwas fragen, Hop 

Sing“, begann er. „Vorhin, als Hoss hier war, war ich da grob 
zu ihm?“ 

„Hop Sing weiß nicht. Hop Sing in Küche…“ 
„Ich wette, daß du jedes Wort gehört hast!“ 
„Für Hop Sing leden alle Amelikaner gleich!“ 
„Hoss ist ein ehrlicher Kerl.“ Ben Cartwright schien nur zu 

sich selbst zu sprechen. 

„Ganz bestimmt, Hop Sing glaubt ihm.“ 
Cartwright nickte. 
„Aber manchmal wird Hoss von Leuten irregeleitet, die 

weniger ehrlich sind als er.“ 

„Hoss guter Mann. Für Hoss alle Menschen gut.“ 
„Und doch würde Hoss mich niemals hintergehen, und 

deshalb verlangt er, daß ich ihm vertraue. Vertrauen ist 
manchmal wichtiger als alles andere.“ 

„Was hat Boß vor?“ 
Ben schüttelte den Kopf. 
„Ich muß zu meinen Söhnen stehen“, sagte er. „Solange ich 

kann, muß ich ihnen klarmachen, daß sie mir unbedingt 
vertrauen können, auch wenn es manchmal schwer ist. Hop 
Sing, du mußt mit deinem Verpflegungswagen zur Süd-Hütte 
fahren und heiße Suppe für einen Verwundeten und sonstige 
Verpflegung für die Jungs mitnehmen.“ Gedankenverloren 
starrte er vor sich hin. „Hoss soll spüren, daß ich ihm vertraue 
– selbst wenn ich Angst vor dem habe, was er zu tun gedenkt.“ 

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Joe ritt immer höher ins Gebirge hinein. Tapfer überwand 

sein Pony so manche Schlucht und so manches Dickicht. Auf 
der Hochebene bemerkte er etwas wie einen huschenden 
Schatten. War es ein Reh oder eine Wildkatze? 

Als Joe schärfer hinsah, erkannte er einen Reiter, der bergab 

trabte. Im ersten Augenblick wollte Joe ihn anrufen. Dann aber 
zögerte er. Und fast im selben Augenblick war der Reiter im 
Unterholz verschwunden. 

Nichts rührte sich nun wieder auf der Hochebene. Hier 

zwischen den Felsen war Joe ganz allein. In dieser Einöde 
konnte sich sogar ein tobender Sturmwind verlaufen. 

Nach einiger Zeit erreichte Joe die Stelle, wo Hoss und er den 

verwundeten Buchverkäufer gefunden hatten. Joe schwang 
sich aus dem Sattel und durchsuchte aufmerksam die 
Felsmulde, in der Penrose besinnungslos gelegen hatte. Dann 
stieg er wieder auf und ritt weiter bergan, den Weg entlang, 
den der Verkäufer gekommen war. 

Deutlich erkannte er Spuren des grauen Pferdes und auch 

Blutflecken, die von Penrose stammten. Immer schwieriger 
wurde das Gelände. 

Nach einiger Zeit stieg Joe wieder ab und führte sein Pferd 

zwischen schroffen Felsbrocken hindurch in einen Wald aus 
riesenhaften Kiefern. 

Bald erreichte er eine Ebene aus schroff zerklüfteter Lava. 

Hier band er das Pferd an einen niedrigen Strauch und suchte 
dann herum. Es dauerte nicht lange, bis er die Spuren eines 
Lagers gefunden hatte. 

Mit aufmerksamen Blicken fand er an mehreren Steinen 

Blutspuren und eine breite blutige Spur, die an den Rand eines 
Abhanges führte. Dort blieb er stehen und schaute hinunter: 
Die Wand fiel mehr als fünfundzwanzig Meter tief ab. Nicht 
weit vom Rand des Steilhanges fand er Patronenhülsen, die auf 
eine Schießerei hindeuteten. 

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Endlich war er zufrieden. Er führte sein Pferd bergab und 

erreichte die zerklüftete Stelle, auf die er eben vom Rande des 
Hanges hinuntergeschaut hatte. Ohne Mühe entdeckte er hier 
Blutspuren, die bewiesen, daß Penrose aus dem Sattel 
gerutscht und sich wieder hochgestemmt hatte. 

Schließlich fand er die Stelle, wo Penrose lange 

bewegungslos gelegen hatte. 

Joe blieb stehen, hob den Kopf und schaute die steilen 

Abhänge hinauf. Er kannte diese Felsenwildnis. Auch der 
Name fiel ihm plötzlich ein: die Blackjacks! 

Das Herz schlug ihm schneller. Er ahnte, daß er eine wichtige 

Entdeckung gemacht hatte. Wieder schaute er zu den beiden 
Felsen hinauf, die rechts von ihm emporwuchsen. 

Dies war die Stelle, von der Penrose in seinen Fieberträumen 

phantasiert hatte. Hier lag die Lösung des Rätsels. 

Joe erkannte einen schmalen Felsvorsprung, der sich an dem 

Steilhang entlangzog. Er trat einen Schritt zurück und erschrak 
– er war mit dem Rücken gegen etwas gestoßen. 

Noch ehe er herumfahren konnte, ertönte eine Stimme: 
„Bleib schön stehen, mein Junge!“ 
Joe begann zu zittern. In dieser Einöde hatte er nicht erwartet, 

einen Menschen zu treffen. Aber da war jemand – jemand, der 
ihm nun den Revolver aus dem Gurt zog. 

„Heb die Hände schön hoch, mein Sohn!“ befahl die Stimme. 

„Und dreh dich um. Laß dich anschauen!“ 

Joe gehorchte langsam. Und dann wurden seine Augen ganz 

groß. Der Mann, der ihm den Revolver in den Rücken 
gestoßen hatte und jetzt ruhig auf ihn zielte, war Red Mixon. 

Dem Bankräuber war in den letzten vier Tagen ein roter, 

struppiger Bart gewachsen. Seine Kleider waren beschmutzt 
und zerfetzt. Offenbar hatte ihn ein Schuß in den Arm 
getroffen, denn er hatte sich einen schlampigen Verband 
umgelegt und den Jackenärmel mit dem Messer aufgeschlitzt. 

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Mixon wirkte wild, wüst und dem Wahnsinn nahe. Aber so 

erschöpft und erregt er zu sein schien: die Revolvermündung, 
die auf Joe deutete, schwankte nicht im geringsten. 

„Wo hast du ihn?“ fragte Mixon gepreßt. „Wo hast du den 

elenden Hund versteckt?“ 

„Wovon reden Sie?“ 
„Von Penrose, mein Junge!“ knirschte der Mann. „Ich weiß, 

daß du ihn versteckst, und ich will wissen, wo! Du wirst es mir 
sagen, so oder so. Heraus mit der Sprache!“ 

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Zwischen den Felsen 

 
 
 

Candy kam ins Wohnzimmer des Ranchhauses Ponderosa 
gestürmt. Ben fuhr aus seinen Berechnungen: Er hatte überlegt, 
ob sich der Hof nicht doch noch retten ließe. 

Aschgrau war Candys Gesicht. 
„Elliot Clymer, Mr. Cartwright!“ kreischte der Junge, 

während er zum Gewehrschrank rannte und ein Gewehr 
herausholte. „Und ein halbes Dutzend Gorillas hat er bei sich!“ 

Ben erhob sich. „Leg das Gewehr weg, Candy!“ 
„Aber sie kommen, Mr. Cartwright. Sie sind schon auf dem 

Hof – und sie haben nichts Gutes vor.“ 

Ben seufzte. 
„Das mag schon sein“, nickte er. „Bleib du nur hier drinnen. 

Ich werde wohl damit fertig.“ 

Candy schaute seinem Herrn nach, der auf die Veranda 

hinaustrat. Er wollte rufen und ihn warnen, weil er 
unbewaffnet war. Im letzten Augenblick aber machte er sich 
klar, daß Ben Cartwright absichtlich mit bloßen Händen 
hinausging. 

Candy lief ans Fenster und schaute hinaus. Die Begleiter von 

Elliot Clymer waren schwer bewaffnet. Er selbst trug ein 
Gewehr in der Armbeuge. 

Ruhig trat Cartwright ins Freie. 
Wenige Meter vor ihm zügelten die Reiter ihre Pferde. 

Clymer und Cartwright musterten sich. 

„Du weißt wohl, weshalb ich gekommen bin“, begann 

Clymer schließlich. „Ich habe eine einstweilige Verfügung, 
nach der mir die Ranch nun gehört, weil du nicht zahlen 
kannst!“ 

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„Neulich, vor deinem Büro, Elliot“, erwiderte Cartwright 

ruhig, „habe ich dir erklärt, daß ich nur unter einer einzigen 
Bedingung mein Eigentum aufgeben würde. Und du kennst 
mich gut genug, um zu wissen, daß ich mein Wort halten 
werde.“ 

„Mit deiner Unterschrift unter die Bankbürgschaft hast du 

aber auch dein Wort gegeben!“ 

„Sobald der Bankraub geklärt ist, werde ich alle meine 

Verpflichtungen erfüllen!“ versicherte ihm Cartwright. „Der 
Überfall auf die Bank aber war höhere Gewalt, Elliot; daraus 
darfst du keinen Vorteil zu ziehen suchen!“ 

„Der Bankraub entbindet niemand von seinen 

Verpflichtungen.“ Clymer zuckte die Achsel. „Aber ich will 
keinen Streit, ich verlange nur eines, Cartwright: Übergabe 
deiner Ranch!“ 

„Darauf habe ich dir schon eine Antwort gegeben!“ rief 

Cartwright. „Sobald der Bankraub geklärt ist…“ 

„Er wird womöglich niemals geklärt!“ fauchte Clymer. 

„Deshalb kann ich doch nicht auf meine Rechte verzichten. Ich 
brauche Geld – und obwohl es mir leid tut, muß ich darauf 
bestehen, daß meine Gläubiger auf der Stelle bezahlen. Kannst 
du das nicht verstehen, Ben?“ 

„Seit du eine Möglichkeit schnuppertest, meine Ranch 

Poraderosa in deinen Besitz zu bringen, Elliot“, sagte 
Cartwright, „bist du gierig und rücksichtslos darauf aus, sie 
mir abzujagen. Aber ich kann dich beruhigen: Der Bankraub 
wird geklärt, und zwar bald!“ 

Clymer zuckte zusammen und wurde ein wenig blaß. 
„Wie kannst du das sagen, Ben?“ 
„Ich weiß einiges, Elliot“, versicherte der Rancher. „Der 

Raub wird geklärt werden, noch im Laufe dieses Tages, also 
noch vor der Fälligkeit des Wechsels.“ Er lächelte verkniffen. 

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„Darf ich dir und deinen Begleitern etwas zu trinken anbieten? 
Oder möchtet ihr lieber weiterreiten?“ 

„Du magst angeben, wie du willst!“ knirschte Clymer. 

„Jedenfalls gehört die Ranch jetzt mir!“ 

„Noch nicht, Elliot!“ erwiderte Cartwright ungerührt. „Wenn 

du sie dir im Augenblick nehmen wolltest, müßtest du Gewalt 
anwenden. Aber ich glaube, nicht einmal die Habgier könnte 
dich veranlassen, so schwer gegen das Gesetz zu verstoßen.“ 

„Du bist sehr mutig – wenn man bedenkt, daß du keine Waffe 

hast!“ Clymers Stimme knallte wie eine Peitsche. 

„Mr. Cartwright ist zwar unbewaffnet“, ertönte Candys 

Stimme aus der offenen Tür. „Ich aber habe ein Gewehr, und 
damit ziele ich auf Sie, Mr. Clymer! Wenn Sie jetzt den Hof 
verlassen, werden Sie leben – wenn Sie aber unklug sind, ist es 
aus mit Ihnen!“ 
 
 
Red Mixon schüttelte mit der linken Hand das Lasso aus, aber 
der Revolver in der Rechten zielte auf Joe. 

„Nun, mein Junge?“ knirschte er mit blitzenden Augen. „Wo 

habt ihr Penrose versteckt?“ 

Joe rann es kalt den Rücken hinunter. Mixon sah aus, als sei 

er kaum noch ‘bei Verstand. Die letzten Tage schienen seinem 
primitiven Gemüt arg zugesetzt zu haben. 

„Ich will das Geld!“ krächzte Mixon. 
„Das habe ich nicht.“ 
„Du hast es nicht bei dir“, nickte der Verbrecher. „Aber du 

hast diesen elenden Penrose versteckt…“ 

„Warum sollte ich das tun?“ 
„Los, ich habe keine Zeit!“ brüllte Mixon. „Penrose hat bei 

uns damit angegeben, daß er seine Freunde, euch Cartwrights, 
hinters Licht geführt hätte! Und nun hat er euch angeboten, 
den Raub zu teilen, wie? Aber laßt euch Zeit, erst sind ich und 

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Webber an der Reihe. Bisher haben wir nur Kugeln 
abbekommen!“ 

„Ich weiß nicht, wo Penrose ist!“ 
„Ich warne dich! Muß ich dich erst zum Sprechen bringen?“ 
„Ich wüßte nicht, wie!“ erklärte Joe tapfer. „Ich weiß 

überhaupt nichts.“ 

„Gut!“ brüllte Mixon außer sich. „Dann wollen wir mal 

sehen!“ 

Blitzschnell warf er Joe die Lassoschlinge über und riß daran, 

so daß die Leine sich fest um Joes Brust schlang. 

„So, nun kannst du die Arme herunternehmen!“ 
Während Joe gehorchte, riß Mixon so heftig am Lasso, daß 

Joe bäuchlings zu Boden stürzte. Dann schwang Mixon sich 
auf sein ermattetes Pferd und band die Leine an den 
Sattelknopf. Joe begriff, was das bedeutete. Eilig sprang er auf. 

Ohne Mitleid drückte Mixon seinem müden Pferd die Sporen 

in die Seiten und trieb es bergauf, offenbar in Richtung auf den 
oberen Lagerplatz, den Joe vorhin untersucht hatte. 
Verzweifelt stolperte Joe an der Leine hinterher. 

„Komm nur, mein Junge!“ lachte Mixon grausam. „Lauf 

ruhig ein bißchen schneller!“ 

Obwohl es ziemlich steil bergan ging, spornte Mixon das 

Pferd rücksichtslos an. 

Als sie die Höhe erreicht hatten, taumelte sein Pferd völlig 

erschöpft, und auch Joe konnte sich kaum noch auf den Beinen 
halten. 

Mixon glitt aus dem Sattel und band die Leine an einen 

Baumstumpf wenige Meter neben dem Steilhang. Schweigend 
beobachtete ihn der Junge. Er wußte, daß er keine Gnade zu 
erwarten hatte. In der Ferne hörte er ein Rauschen, als käme 
ein Sturmwind auf. Er fröstelte. 

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Mixon hob den Revolver und kam langsam näher. „Soll ich 

dir mal was sagen, Kerl?“ knirschte er. „Du hast Penrose in 
irgendeiner von euern Hütten verborgen! Stimmt es?“ 

Joe gab keine Antwort, obwohl Mixon ihm die 

Revolvermündung in den Bauch stieß und ihn rückwärts ein 
paar Schritte an den Hang drängte. 

„Bald werde ich haben, was ich brauche!“ lachte der 

Verbrecher. „In einer der Hütten hast du ein frisches Pferd für 
mich, und dort warten auch Penrose und das Geld! Habe ich 
recht?“ 

Joe schüttelte den Kopf, aber Mixon bemerkte es überhaupt 

nicht. Offenbar sah er nur noch wie im Fiebertraum das Ziel 
seiner Wünsche vor sich. Wieder viersetzte er dem Jungen 
einen Stoß. 

Joe taumelte zurück und wäre beinahe den Steilhang 

hinuntergestürzt. Erst im letzten Augenblick hielt er sich 
aufrecht. 

Mixon schüttelte sich vor Lachen. Ein Windstoß drückte ihm 

die Hutkrempe zurück und zauste ihm den Bart. Er kniff die 
Augen zusammen. „Siehst du da die scharfe Kante, mein 
Junge?“ fragte er. „Wie lange wird es wohl dauern, bis sie ein 
darüber gespanntes Seil durchschneidet? Ich will es dir sagen: 
genau so lange, wie du noch zu leben hast!“ 

Erschrocken machte Joe unwillkürlich einen Schritt vorwärts. 

Aber sofort drückte Mixon ihm den Revolver wieder tief in die 
Magengrube. Noch ein wütender Stoß – und Joe taumelte, 
stürzte, schien sich noch einmal zu halten – und fiel dann ins 
Bodenlose… 

Plötzlich gab es einen Ruck, Joe meinte, der Brustkorb werde 

ihm eingedrückt, ihm schwand der Atem – und dann baumelte 
er an dem fast fünfzehn Meter langen Seil. 

Verzweifelt starrte er zum Grat empor. Er wußte, daß dort 

oben das Seil beim Schaukeln hin und her rutschte und daß die 

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scharfe Felskante es langsam, aber sicher durchscheuern 
würde. Aber er konnte nicht aufhören zu schaukeln, denn der 
Wind wurde immer stärker. 

Ein verzerrtes Gesicht schob sich oben hervor, Mixon lachte 

hämisch. 

„Leb wohl, mein Junge!“ schrie er. „Bete dein letztes 

Vaterunser und bereue deine Sünden! Aber beeile dich: Das 
Seil ist schon dünn geworden!“ 

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Bewaffneter Ritt 

 
 
 

Hop Sing hockte auf dem Bock des Pferdewagens. Immer 
wieder schaute er sich ängstlich um. Hier in der freien Wildnis 
fühlte er sich von tausend Gefahren bedroht, und es war ihm 
gar nicht recht, daß er allein war! 

Auf und ab, über Hügel und durch Täler führte der Weg. 

Immer elender wurde Hop Sing zumute. Nicht einmal in einem 
Kahn mitten auf dem Ozean hätte er sich so einsam gefühlt wie 
hier in der Ebene. 

Aber endlich war es geschafft, er sah die Hütte vor sich. 
Die Tür war zu, auf der Koppel grasten die Pferde, aber der 

Koch mißtraute dem friedlichen Bild. Am liebsten wäre er 
umgekehrt, doch dann hätte er Mr. Cartwright nicht mehr unter 
die Augen treten mögen. Erst mußte er die Verpflegung 
abliefern, ehe er nach Ponderosa zurückfuhr. 

So nah wie möglich fuhr er an die Hütte heran und sprang 

dann vom Bock. 

„Hoss!“ rief er. „Joe!“ 
Niemand antwortete. 
Entschlossen stieß Hop Sing die Tür auf, sah aber in der 

Dämmerung nichts als den Tisch und die Stühle. War niemand 
da? Zaudernd trat Hop Sing näher. Plötzlich krachte etwas auf 
seinen Kopf. Die Knie wurden ihm weich, und er stürzte auf 
den Boden. Noch ein Schlag traf ihn. Hop Sing spürte, daß 
seinem Leben ein Ende bereitet werden sollte. Ob der Kolben 
noch ein drittes Mal traf, vermochte Hop Sing nicht mehr zu 
sagen… 

Elliot Clymer starrte auf den Revolver, mit dem Candy auf 

ihn zielte. Der Lauf zitterte nicht, aber auch der 

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Bergwerksbesitzer zeigte keine Furcht. Haßerfüllt erwiderte er 
den entschlossenen Blick des Jungen. Äußerlich gab er sich 
keine Blöße, aber das Herz klopfte ihm bis zum Halse. Er sah 
den Tod vor Augen und spürte, daß sein Spiel verloren war. 
Mochte er auch seinen Leuten befehlen, was er wollte: er 
selbst würde die Ausführung nicht mehr erleben. Candy würde 
schießen. 

In diesem Augenblick wurde Clymer klar, daß neulich, als er 

nach dem Bankraub mit dem Vorsteher und Cartwright 
zusammensaß, etwas mit ihm geschehen war: Die Habgier 
hatte ihn gepackt, hatte ihn gestoßen und gedrängt – bis an 
diese Stelle, an der er jetzt stand. Bis zu diesem Augenblick! 
Er kam zu «sich! 

Das ausladende Ranchhaus, nach dem er verlangte; die 

Begleiter in seinem Rücken; sogar der Junge mit dem Gewehr 
– alles schwankte ihm vor den Augen. Und doch sah er auf 
einmal ganz klar. Er sah ein, er bereute, alles war merkwürdig, 
wunderbar – und unglaubhaft… 

Ben Cartwright trat ruhig vor ihn, so daß er in Candys 

Schußlinie stand. 

„Nicht, Mr. Cartwright!“ schrie Candy. 
Elliot brachte kein Wort hervor. Seine Begleiter warteten 

gespannt auf seinen Befehl zum Angriff. Aber wortlos starrte 
er Ben an. 

„Ich weiß, daß der Bankraub bald geklärt sein wird, Elliot!“ 

sagte Ben ruhig. „Willst du den Grund wissen?“ 

„Du hast keine Beweise!“ knirschte Elliot. 
„Darauf brauchst du dich nicht zu verlassen, Elliot. Ich kann 

dich überführen!“ 

„Dann versuche es nur!“ 
Ben wandte den Kopf. 

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„Candy!“ rief er. „Reite sofort nach Virginia City! Und sage 

dem Sheriff, er solle sofort mit ein paar Männern herkommen! 
Los, beeile dich!“ 

„Ben…!“ begann Elliot. Aber irgend etwas in Cartwrigths 

Blick ließ ihn verstummen. 

Steif im Sattel sitzend sah er zu, wie Candy aufs Pferd sprang 

und vom Hof galoppierte. 
 
 
Der Wind wehte um Joes Kopf, stieß ihn immer wieder gegen 
die Felswand und ließ ihn wie ein Pendel schwingen. Joe 
versuchte sich festzuhalten, aber die glatte Wand bot keinen 
Schutz. 

Plötzlich schrie der Junge auf vor Schrecken: Das Seil hatte 

ein Stück nachgegeben. Dann aber hielt es wieder. Joe schaute 
zu der Stelle hinauf, wo es hin und her über die Felskante glitt. 
Fünfzehn Meter über ihm: So hoch konnte er nicht klettern. 

Mannhaft zwang sich Joe, den Blick nach unten zu werfen. 

Fünf bis sechs Meter unter sich erkannte er einen schmalen 
Vorsprung, der ihn vielleicht tragen würde, falls es ihm gelang, 
vorsichtig darauf Fuß zu fassen. Wenn er allerdings heftig 
darauf stürzte, würde die Kante womöglich abbrechen. Und 
darunter war nichts mehr. Jedenfalls konnte Joe keinerlei 
weiteren Vorsprung erspähen. 

Eiskalte Regentropfen trafen sein Gesicht. Er zitterte, und die 

Hände begannen ihm einzuschlafen. 

Und hin und her rutschte oben das Seil über die Felskante. 
In diesem Augenblick gelang es Joe, sich mit den Fingern in 

einen winzigen Spalt zu klammern. Nur noch Minuten konnte 
es dauern, bis das Seil durchgescheuert war. Keuchend schaute 
er hinauf. 

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Auch die Fußspitzen fanden Halt an einem Felsvorsprung. 

Aber würde er sich tatsächlich hier festklammern können, 
wenn das Seil riß? 

So tief wie möglich drückte er die Finger in den Spalt. Nein, 

ohne Seil würde er sich nicht halten können. 

Ganz vorsichtig zog er ein Bein an, und es gelang ihm, den 

Sporn abzuschnallen. Aber nur einen Augenblick lang hielt er 
ihn fest; dann entglitt er den klammen Fingern. 

Er hörte das Metall unten auf die Felsen klirren. Dann wurde 

es wieder still. Nur der Wind heulte, und das Seil schürfte über 
den Felsen. 

Behutsam winkelte er das andere Bein an. Vorsichtig und 

ganz langsam – obwohl er wußte, wie wenig Zeit ihm blieb – 
schnallte er den zweiten Sporn los. Diesmal konnte er ihn 
festhalten. 

Wieder gab das Seil ein Stück nach, und Joe zuckte 

zusammen. Aber noch hielt es, und Joe holte aus und trieb den 
Sporn mit aller Kraft in einen Felsspalt hinein. So fest wie 
möglich verkeilte er ihn, suchte dann wieder Halt mit den 
Fußspitzen… 

Und in diesem Augeblick riß das Seil! 
Die Leine fiel auf Joe herunter, und dem Jungen war, als 

werde er mit unwiderstehlicher Gewalt nach unten gezogen. Er 
preßte das Gesicht gegen die Felswand und klammerte sich 
verzweifelt an den Sporn im Felsspalt. Mit geschlossenen 
Augen wartete er. Er fühlte das rauhe Gestein an seiner Backe, 
das Wehen des Windes und die Eiseskälte der Regentropfen. 

Erst nach langer Zeit griff er mit der linken Hand nach dem 

Seil, zog es empor, legte es um den Sporn und schlang einen 
Knoten. Dann betrachtete er sein Werk: seine einzige Rettung 
vor dem Tode. 

Während er sich mit den Händen am Seil festhielt, suchten 

seine Füße Halt in den winzigen Felsspalten. Wie lange er 

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brauchte, wußte er selbst nicht. Ihm kam es vor wie eine 
Ewigkeit in einem grausamen Alptraum. 

Endlich, endlich fanden seine Füße Halt auf dem schmalen 

Vorsprung. Joe preßte sich gegen die Wand, schlang sich das 
Seil um Schultern und Arme und kniete nieder. Der Vorsprung 
war kaum breiter als er selbst, aber er setzte sich fort und 
führte als schmaler Gemsenpfad bergab. 

Langsam und vorsichtig setzte sich Joe in Bewegung. Nach 

einer Weile hörte der Pfad auf; aber drei Meter darunter dehnte 
sich ein großer Vorsprung. Entschlossen sprang Joe hinunter. 

Er war gerettet; von hier aus konnte er leicht weiterkommen; 

das Gelände wurde nun einfacher. Er war gerettet, er lebte! 
Freude durchflutete ihn. 

Nachdem er einen Augenblick lang ausgeruht hatte, schaute 

er hinunter: Er befand sich sechs bis sieben Meter über der 
Stelle, wo Mixon ihn vorhin erwischt hatte. Dann ließ er den 
Blick wieder hinauswandern, zur Höhe der Blackjacks. Er 
überlegte: Zwanzig Fuß hinunter, einundzwanzig Fuß 
vielleicht – sechs bis sieben Meter. 

Langsam wendete er den Kopf und betrachtete die 

Felswand… 

Plötzlich zuckte er zusammen. Dort war ein Loch in der 

Wand, und davor lag ein dicker Stein. In atemloser Spannung 
schob Joe ihn beiseite. 

Er war kaum erstaunt, als er die Goldsäcke erblickte. 

„National-Bank Virginia City“ stand darauf. 

Gold! Das war es, worauf er bei all seinem Überlegen nicht 

gekommen war: daß die Bankräuber auch eine große Menge 
Gold erbeutet hatten. Dieser Tatsache hatte er nachgegrübelt, 
während er immer wieder Penroses Bericht überlegte. 

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Schießerei! 

 
 
 

Als Hoss auf schweißnassem Pferd bei der Weidehütte 
anlangte, sah er sofort, daß Joes Pferd nicht da war. Verdutzt 
betrachtete er Hop Sings Wagen. 

Die Tür zur Hütte stand offen. 
Hoss sprang aus dem Sattel und rannte die Stufen hinauf. Auf 

der Schwelle stolperte er über etwas und wäre beinahe 
gestürzt. 

Er sah den chinesischen Koch bewußtlos am Boden liegen. 
Erschrocken beugte er sich über den Ohnmächtigen. Kaum 

hörte er Penrose auf seiner Pritsche wimmern. 

„Es tut mir furchtbar leid, Hoss. Aber ich ahnte nicht, daß es 

Hop Sing sei!“ 

Hoss starrte ihn an. Der Buchverkäufer hielt einen Revolver 

in der Hand. Er zitterte und war totenbleich. 

„Was ist denn geschehen, Penrose?“ 
Penrose fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. 
„Ich hörte jemanden, Hoss“, berichtete er, „und ich dachte, es 

sei vielleicht Red oder Webber… Da habe ich mich hinter die 
Tür gestellt und mit dem Kolben zugeschlagen, ehe ich ihn 
erkannte.“ 

Hoss legte dem Chinesen die Hand auf die Brust. Schlug das 

Herz nicht mehr? 

„Verstehen Sie doch, Hoss!“ stöhnte Penrose. „Ich war von 

dem Geräusch aufgewacht… Noch halb verschlafen, wußte ich 
kaum noch, wo ich mich befand.“ 

Aufatmend richtete Hoss sich auf. 
„Wir müssen ihn gleich zum Arzt bringen“, murmelte er. 

„Wo ist Joe?“ 

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Penrose schüttelte den Kopf. Er wußte es nicht. 
Hoss holte einen Eimer Wasser und ein Tuch herbei und 

kühlte Hop Sing die Stirn. Aber der Koch rührte sich noch 
immer nicht. 

„Ich muß Hilfe holen“, sagte Hoss entschlossen. 
In diesem Augenblick hörte er Schritte; die Tür wurde 

geöffnet. Hoss schaute nicht auf. 

„Wo warst du, Joe?“ fragte er. 
Da hörte er Penrose unterdrückt aufschreien. Er fuhr herum – 

und schaute in die Mündung »eines schweren Colts, den Red 
Mixon auf ihn richtete. Er stand kaum einen Meter vor ihm. 
Der Schuß konnte nicht fehlgehen. 
 
 
Dr. Stark ging die Straße entlang. Im Dienstzimmer des 
Sheriffs fand er Coffee zusammen mit vier Männern, die sich 
bei Kaffee und Butterbrot stärkten. Offenbar wollten sie gleich 
wieder hinausreiten und ihre Suche fortsetzen. 

„Kann ich Sie sprechen, Sheriff?“ fragte der Arzt. 
Coffee schaute über die dampfende Tasse hinweg. 
„Was gibt es denn, Doktor?“ 
Stark runzelte die Stirn. 
„Nun, vielleicht ist gar nichts dran“, begann er. „Aber Hoss 

Cartwright war bei mir und erkundigte sich, wie man 
Schußwunden behandelt. Und da dachte ich, daß auch der 
Sheriff sich um Schußwunden zu kümmern hat…“ 

„Sogar um Unfälle mit Schußwaffen“, nickte der Sheriff. 
„Tatsächlich hat Hoss behauptet, es sei ein Unfall“, sagte der 

Arzt. „Einer seiner Reiter habe sich in den Fuß geschossen. 
Und dabei stellte er sich ziemlich geheimnisvoll an.“ 

Cal Lassiter, einer der vier Männer, hob den Kopf. 
„Komisch, ich bin zufällig an der Süd-Hütte 

vorbeigekommen, und da wollte Joe mich nicht hineinlassen. 

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Er sagte, Curly Stobbs sei vom Pferd gestürzt und habe sich 
verletzt…“ 

„Curly Stobbs!“ fuhr der Sheriff auf. „Curly sitzt in Carson 

City wegen Pferdediebstahls im Gefängnis!“ 

„Komisch“, knurrte Cal. 
„Seit Jahren ist Curly flicht mehr für Ponderosa geritten“, 

fuhr Coffee nachdenklich fort. „Ben Cartwright hat ihn 
hinausgeworfen, weil er immer grausam zu den Pferden war.“ 

Die Tür flog auf, und ein Mann mit verschwitztem Gesicht, 

das offenbar von anstrengendem Ritt kam, stürmte herein. 

„Wir haben etwas gefunden, Coffee“, keuchte er. „Oben im 

Poker Canon: Dallas Webber – tot, mit drei Kugeln im Leib!“ 

Der Sheriff sprang auf. 
„Norton, der Bankkassierer, hat immer behauptet, einer der 

Räuber habe Dallas Webber ähnlich gesehen.“ 

Ehe er weitersprechen konnte, wurde die Tür wieder 

aufgestoßen. Candy kam herein. 

„Mr. Cartwright läßt bitten, Sheriff, Sie möchten sofort mit 

ein paar Männern zur Ponderosa kommen!“ rief er. „Es ist sehr 
eilig!“ 

Joe kniete auf dem Felsvorsprung und starrte auf die 

Goldsäcke. Nun war fast das ganze Rätsel gelöst, und auf 
Penroses Bericht fiel ein ganz neues Licht. 

Endlich riß sich Joe zusammen und zerrte die schweren 

Säcke aus der Höhle. Einen nach dem andern ließ er den Hang 
hinunterrollen, und er staunte, wie viele es waren. 

Dann kletterte er selbst hinterher. Unten entdeckte er Mixons 

Pferd, lud ihm die Säcke auf und schwang sich dann selbst in 
den Sattel. Langsam und vorsichtig ritt er davon. Wenn das 
Gelände zu schwierig wurde, stieg er ab und führte das müde 
Tier am Zügel. 

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Erst nach einigen Minuten wurde ihm klar, wie verrückt es 

war, all das Gold mitzunehmen. Wenn er nun Mixon oder 
Webber traf… Oder Penrose… 

Langsam und vorsichtig ritt er weiter. Seltsam: Da hatte er 

ein ganzes Vermögen in blankem Gold bei sich – und nicht 
einmal einen Revolver! 

Wenige Kilometer oberhalb der Süd-Hütte ließ Joe das Pferd 

anhalten und stieg ab. Er verbarg das Gold unter schweren 
Steinen und markierte die Stelle ganz genau. 

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Alte Bekannte 

 
 
 

Vor Schreck keiner Bewegung fähig, starrte Hoss in Red 
Mixons Revolvermündung. 

„Erst bist du an der Reihe, Cartwright!“ grölte der 

Verbrecher, und seine Augen flackerten fiebrig. „Mit dem 
kleinen Penrose rechne ich nachher ab. Ich lasse mir Zeit… 
Immer mit der Ruhe!“ 

Er ließ den Blick nicht von Hoss’ Stirn, während er den Hahn 

des schweren Colts mit dem Daumen zurückzog. 

Es klickte. Hoss spannte alle Muskeln, um dem Banditen mit 

dem Mute der Verzweiflung an den Kragen zu springen. 
Plötzlich aber ließ ein ohrenbetäubender Knall die Hütte 
erzittern. 

Hoss sah, daß Red Mixon taumelte. Eine Kugel hatte ihn 

mitten in die Brust getroffen. Der Revolver entfiel den leblosen 
Fingern, und der Verbrecher stürzte rücklings auf den Hof, fast 
unter die Hufe von Hop Sings Pferd. 

Jetzt erst begriff Hoss, wer geschossen hatte. Penrose! 
Es war ganz still. Man mochte meinen, die Hütte sei ein 

Wachsfigurenkabinett: Hop Sing lag zusammengekrümmt auf 
dem Boden, Hoss kniete reglos neben ihm, und Penrose saß 
auf der Bettkante. Pulverqualm wallte durchs Zimmer. 

„Sie haben mir das Leben gerettet, Penrose!“ stieß Hoss 

hervor. „Was auch immer mit Ihnen sein mag – ich verdanke 
Ihnen mein Leben!“ 

Einen Augenblick lang hielt Penrose seinem Blick stand, 

dann senkte er das grimmige Gesicht. 

Hoss war elender denn je zumute. Sein Blick wanderte durch 

die Stube und blieb auf Hop Sing haften. 

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„Ich muß unbedingt einen Arzt holen“, sagte er, und als 

Penrose nur kaum merklich nickte, fuhr er fort: „Jetzt ist alles 
anders, Penrose. Hop Sing schwebt in Lebensgefahr, und Red 
Mixon liegt tot auf dem Hof. Wir müssen ihn dem Sheriff 
übergeben.“ 

„Ja.“ Noch immer schaute Penrose nicht auf. 
„Ich kann den Sheriff jetzt nicht mehr fernhalten, Penrose – 

ganz gleich, was ich Ihnen versprochen habe.“ 

„Das ist mein Ende“, nickte Penrose. „Aber ich verstehe Sie.“ 
Hoss zuckte zusammen wie unter einem Hieb. 
„Ich werde alles menschenmögliche für Sie tun“, gelobte er. 

„Sie sollen nicht hängen für eine Tat, zu der Sie nur 
gezwungen worden sind. Und Sie haben Red erschossen und 
mein Leben gerettet. Das kann niemand bestreiten.“ Er 
knirschte mit den Zähnen. „Aber jetzt muß ich reiten. Machen 
Sie sich keine Sorgen. Es wird alles gut.“ Er kniete nieder und 
hob den schmächtigen Chinesen auf wie ein kleines Kind. 

„Nehmen Sie nur das Geld mit“, bat Penrose leise. 
Hoss erstarrte. Dann schüttelte er den Kopf. 
„Das Geld bleibt, wo es ist“, entschied er. „Sie sollen es 

selbst dem Sheriff übergeben.“ 

„Ich will es nicht. Nehmen Sie es mit.“ 
„Es bleibt hier“, beharrte Hoss lächelnd. „Ich verdanke Ihnen 

mein Leben, und deshalb will ich dem Sheriff zeigen, daß ich 
Ihnen vertraue, und dadurch Ihre Unschuld beweisen.“ 

Er legte den Koch aufs Bett, hob ihn dann mitsamt der 

Matratze wieder hoch und trug ihn hinaus zum Wagen. 
Schließlich verlud er auch den toten Mixon. Er sattelte ein 
frisches Pferd und band es hinten an den Wagen. 

Penrose lehnte in der Tür und beobachtete ihn. Hoss winkte 

ihm zu und schwang sich dann auf den Bock. Bald rumpelte 
der Wagen in Richtung Ponderosa davon. 

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Penrose schaute ihm nach. Kaum war Hoss verschwunden, da 

fuhr er herum und lief durchs Zimmer. Eilig zerrte er sich die 
Stiefel an die Füße. 
 
 
Ohne das Gold kam Joe nun wesentlich schneller voran. Dabei 
schonte er das erschöpfte Tier nach Möglichkeit und lief auch 
jetzt streckenweise zu Fuß neben ihm her. 

Er war gerade im Kiefernwald oberhalb der Hütte, als er den 

Schuß vernahm. Sofort trieb er das Pferd voran. 

Vor der Hütte sprang er aus dem Sattel. Während er die 

Zügelleine über den Pfosten warf, bemerkte er zu seiner 
Verblüffung das Pferd, das Red Mixon ihm oben im Gebirge 
gestohlen hatte. 

„Stehenbleiben!“ ertönte eine Stimme. „Hände hoch!“ In der 

Tür stand Penrose – so aufrecht, als sei er nie verwundet 
worden oder als habe er seine Verletzung vergessen. 

Joe wollte den Revolver ziehen, aber den hatte ihm ja Mixon 

weggenommen. Kopfschüttelnd starrte er Penrose an. 

Der Revolver in der Hand des Buchhändlers zitterte nicht. Es 

sah so aus, als wisse Penrose gut damit umzugehen. 

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Das Gesetz der Ponderosa 

 
 
 

Hoss fuhr mit dem Wagen über das Land und überließ Hop 
Sings altem Gaul, sich von seinem Instinkt heimführen zu 
lassen. Er schwitzte. Am liebsten hätte er das Pferd die 
Peitsche fühlen lassen. Aber er bezähmte sich. Der Wagen 
durfte nicht zu sehr rumpeln, Hop Sing mußte geschont 
werden. 

Hoss versuchte, nicht auf Red Mixon zu schauen, den er 

unter seinem Sitz verstaut hatte. Die Gedanken wirbelten ihm 
im Kopf. 
 
 
Ben Cartwright schnallte gerade den Sattelgurt fester, als er 
den Wagen auf den Hof rollen sah. Erstaunt richtete er sich auf 
und starrte Hoss entgegen. Seih Sohn hielt ganz in der Nähe 
von Elliot Clymer und den Bergleuten. 

„Vater…“ begann Hoss. 
Ben Cartwrights Blick wanderte von Hop Sing über Hoss zu 

dem toten Red Mixon unter dem Sitz. Er zog die Brauen 
zusammen, sagte aber nichts. 

Kaum erkannte Elliot Clymer, wie es um Hop Sing stand, als 

er einem seiner Männer auftrug, sofort den Arzt aus Virginia 
City herbeizurufen. Während Cartwright ein paar Dankesworte 
murmelte, starrte Elliot wie gebannt auf den Toten. 

„Verzeihung, Ben“, brachte er endlich hervor. „Ich bitte dich 

um Entschuldigung – für alles. Es tut mir wirklich leid.“ 

Ben nickte. Hop Sing versuchte vom Wagen zu steigen, aber 

er taumelte und wäre gefallen, hätte Ben ihn nicht 
aufgefangen. Der Rancher nahm ihn in die Arme und trug ihn 

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ins Haus hinein. Hoss lief voraus und öffnete dem Vater die 
Tür. 

Drinnen in der Kammer legte Cartwright den Koch aufs Bett. 
„Muß aufstehen“, flüsterte Hop Sing benommen. „Viel 

Arbeit.“ 

„Schön liegenbleiben“, mahnte Cartwright mit sanfter 

Stimme. „Gearbeitet wird erst wieder, wenn der Doktor es 
erlaubt.“ 

Der kleine Koch nickte beruhigt und schloß die Augen. 
Als Hoss den Blick hob, bemerkte er, daß der Vater ihn fest 

anschaute. 

„Es war nur ein Irrtum, Vater“, murmelte er unbehaglich. 

„Penrose wollte ihn nicht…“ 

„Penrose!“ Die Stimme des Vaters knallte wie ein 

Gewehrschuß. 

„Er lag im Fiebertraum“, erklärte Hoss. „Irgendwo hörte er 

etwas, wußte aber nicht, was es war… Du weißt doch, wie Hop 
Sing immer huscht.“ 

„Nicht gehuscht“, widersprach Hop Sing mit matter Stimme. 

„Hop Sing laut gewesen… Hop Sing lufen Mr. Hoss und Joe! 
Hop Sing hatte Angst… Laut gelufen…“ 

Hoss drückte den Kloß hinunter, der ihm im Halse steckte. 
„Niemand geschlafen“, beharrte Hop Sing. „Niemand in Bett, 

wenn Hop Sing hineinkam… Jemand an der Tül… Jemand 
wollte Hop Sing totmachen.“ 

„Penrose wollte ihn nicht töten“, flüsterte Hoss verzweifelt, 

und er konnte weder den Vater noch den Chinesen anschauen. 
„Penrose war ganz durcheinander, er hatte Angst, und er hat 
Hop Sings Gesicht überhaupt nicht gesehen.“ 

„Stimmt nicht!“ Wieder erhob Hop Sing Widerspruch, und 

Hoss wurde das Herz immer schwerer. „Hop Sing und Penlose 
haben sich lange angeschaut… Beide… Penlose wußte, daß 
Hop Sing kam!“ 

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„Aber warum hätte Penrose ihm denn etwas antun sollen?“ 

stieß Hoss verzweifelt hervor. 

„Offenbar wollte er ihn umbringen“, meinte der Vater kalt. 
Der Chinese räkelte sich auf dem Bett. 
„Als Hop Sing Penlose sehen, fiel ihm etwas ein. Und Hop 

Sing sah, daß Penlose auch etwas einfiel.“ Er atmete ein 
paarmal schwer und fuhr dann fort: „Nicht lange, nachdem 
Penlose von Pondelosa weg, kam Hop Sing mit Wagen aus 
Stadt… Hinter einem Felsen sah Hop Sing dlei Männer… 
Einer war Penlose… Er ledete mit Mann, der jetzt tot auf 
Wagen liegt.“ 

Hoss sank in sich zusammen. 
„Und noch ein Mann“, fuhr der Koch fort. „Sahen wüst aus. 

Hop Sing fuhr schnell weg… Aber sie hatten Hop Sing 
gesehen.“ 

„Nun gibt es keine Zweifel mehr“, meinte der Vater. 

„Penrose wollte Hop Sing töten. Aber es sollte so aussehen, als 
sei es nur ein Unfall.“ 

Hoss schüttelte den Kopf. 
„Ich kann es mir nicht vorstellen, Vater.“ 
„Aber alles deutet doch darauf hin, Hoss“, sagte Cartwright. 

„Willst du es nur nicht glauben – oder hast du Gegenbeweise?“ 

Hoss schüttelte den Kopf. Noch als der Sheriff mit seinen 

Männern auf den Hof geritten kam, wehrte Hoss sich dagegen, 
das Augenscheinliche zu glauben. 

Roy Coffee schwang sich von seinem verschwitzten Pferd 

und hielt es am Zügel fest. Die Männer hinter ihm saßen bereit. 

„Wir haben einen der Räuber, die du suchst, gefunden, Roy!“ 

sagte Ben zum Sheriff und deutete auf den Wagen. 

Verblüfft schauten die Männer hinüber, und sogleich befahl 

der Sheriff, den Toten nach Virginia City zu bringen. 

„Außerdem möchten Hoss und ich dir etwas in unserer Süd-

Hütte zeigen.“ 

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Der Sheriff nickte. 
„Also wollen wir gleich reiten!“ 
Zaudernd kletterte Hoss in den Sattel, ihm war hundeelend 

zumute. Clymers Reiter schlossen sich den Männern des 
Sheriffs an. 

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Der Mörder 

 
 
 

Wie erstarrt stand Joe im Schein der Abendsonne. Der 
Revolver in Penroses Hand schwankte nicht. 

„Nun schießen Sie doch schon!“ knirschte der Junge. „Dann 

ist wenigstens alles vorbei!“ 

Penrose grinste verkniffen. 
„Du hast ein wenig draußen herumgesucht, nicht wahr?“ 

fragte er. „Tüchtiger Junge… Webber und Mixon haben auch 
gedacht, sie seien tüchtig… Sie haben mich ausgelacht. Sie 
ließen mich den Plan machen und meinten, dann könnten sie 
mich loswerden. Aber hier stehe ich – mit dem Geld!“ 

„Aber die ganze Beute haben Sie nicht.“ 
Penrose fuhr zusammen, als durchzucke ihn ein heftiger 

Schmerz. Aber es hatte nichts mit seiner Wunde zu tun. Er trat 
einen Schritt vor. 

„Das Gold fehlt!“ sagte Joe beißend. 
Penrose wurde puterrot, färbte sich aber sogleich wieder 

aschgrau. Noch immer hielt er den Revolver ruhig, aber 
innerlich war er aufgewühlt. 

Wie gebannt starrte Joe auf Penroses Daumen, der den 

Hammer der Waffe zurückzog. 

„Sind Sie zufrieden mit dem Geld in den Satteltaschen?“ 

fragte er ungerührt. „Wollen Sie wirklich nicht mehr haben?“ 

Langsam ließ Penrose die Hand mit dem Revolver sinken. 

Joe atmete auf. 

„Was weißt du von meinem Gold?“ 
„Von Ihrem Gold?“ Joes Augen wurden groß. „Sie wollten 

die Satteltaschen doch zurückgeben, nicht wahr? Sie wollten 
den Sheriff genauso hinters Licht führen wie Hoss und mich: 

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indem Sie das Papiergeld zurückgaben und aussagten, Webber 
sei mit dem Golde auf und davon!“ 

„Was weißt du von meinem Gold?“ ächzte Penrose. 
„Es befindet sich an einem sicheren Ort!“ erklärte Joe. 

„Allerdings nicht mehr da, wo Sie es hinterlegten. Ich habe es 
ein bißchen verlagert!“ 

„Du lügst!“ 
„Nein, Penrose, ich lüge nicht!“ rief Joe. „Gelogen haben Sie 

– aber es hat Ihnen nichts genützt. Sie werden am Galgen 
enden!“ 

Penrose hob erneut den Revolver. Seine Hand zitterte. 
„Wenn Sie abdrücken, finden Sie Ihr Gold niemals wieder!“ 

sagte Joe ruhig, obwohl er vor Angst schwitzte. „Mein Leben 
muß Ihnen im Augenblick überaus kostbar sein!“ 

Penrose wurde abwechselnd rot und blaß, und seine Augen 

schossen Blitze. Offenbar gelang es ihm nicht leicht, seine 
Mordlust niederzukämpfen. Sein Blick flackerte, er schaute 
über den Hof, die Koppel, die Weide und über Joe. 

Ein merkwürdiges Lächeln zuckte um seine Lippen. Es war, 

als schmecke er etwas, was zugleich bitter und süß sei. 

„Dreh dich um!“ Penrose unterstrich den Befehl durch eine 

herrische Gebärde mit dem Revolver. 

Langsam gehorchte Joe. Aber er wollte sofort herumfahren, 

wenn Penrose sich ihm näherte. Er würde ihn mit einem 
einzigen Schlag außer Gefecht setzen können. Vielleicht fand 
er Gelegenheit dazu. Gespannt lauerte Joe auf seine Chance. 
Dann glaubte er, der Augenblick sei gekommen. 

Aber ehe er halb herum war, traf Penrose ihn mit dem 

Revolverkolben hinter dem Ohr. Joe taumelte und brach, von 
einem zweiten Schlag getroffen, zusammen. Er verlor die 
Besinnung und spürte keinen Schmerz mehr. 

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Wieviel Zeit inzwischen vergangen war, wußte Joe nicht zu 

sagen, als er wieder zu Bewußtsein kam. Ihm war, als müsse 
seine Lunge bersten, und er rang nach Atem. 

Er konnte sich nicht bewegen, und bald merkte er, warum: Er 

saß auf einem Küchenstuhl und war ganz fest angebunden. Die 
Hände waren hinter der Lehne gefesselt und die Fußgelenke so 
fest zusammengeschnürt, daß überhaupt kein Blut mehr in die 
Zehen gelangte. 

Neben der Tür saß Penrose. 
Joe räkelte sich. Aber bei jeder Bewegung schnitten ihm die 

Fesseln schmerzhaft ins Fleisch. 

Plötzlich pochte sein Herz schneller. Er hörte mehrere Reiter 

herangaloppieren. Auch Penrose hatte es gehört. Vorsichtig 
schaute er aus der Tür, riß das Gewehr hoch und schoß ins 
Finstere. 

Sofort zügelten die Männer ihre Pferde. 
„Ich warne Sie, Sheriff!“ schrie Penrose. „Kommen Sie 

keinen Schritt näher!“ 

„In Ihrem eigenen Interesse empfehle ich Ihnen, sich zu 

ergeben, Penrose!“ rief Coffee zurück. 

„Ich denke nicht daran!“ war die Antwort. „Aber hören Sie: 

In der Hütte ist Joe Cartwright, ich habe ihn gefesselt, und 
wenn Sie mir etwas antun, wird niemand ihn lebend 
wiedersehen!“ 

Nach einer Weile ertönte Ben Cartwrights Stimme. 
„Penrose, ich warne Sie!“ 
„Nein, Cartwright, ich warne Sie!“ schrie Penrose zurück. 

„Wenn Sie den Sheriff nicht daran hindern Dummheiten zu 
machen, kostet es Ihrem Sohn das Leben!“ 

Wieder trat Stille ein. 
„Was wollen Sie damit eigentlich erreichen, Penrose?“ rief 

der Sheriff schließlich. 

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„Sie brauchen mich gar nicht durch Ihre Fragen abzulenken, 

während Ihre Männer die Hütte umzingeln!“ erwiderte Penrose 
verächtlich. „Von hier aus kann ich in alle Richtungen 
schauen… Und wenn die Lage für mich brenzlig wird, stirbt 
Joe Cartwright!“ 

„Was verlangen Sie, Penrose?“ fragte der Sheriff nach kurzer 

Pause. 

„Sie kommen zur Vernunft!“ rief Penrose. „Ich verlange, daß 

Sie mit Ihren Männern dorthin zurückreiten, woher Sie 
gekommen sind. Am Waldrand können Sie meinetwegen 
warten. Inzwischen reite ich fort und nehme Cartwright mit. 
Sobald Sie mich daran zu hindern suchen, stirbt der Junge! 
Auch wenn Sie mir nachkommen, muß er sterben! Wenn Sie 
mir Zeit lassen, in Sicherheit zu kommen, mag er am Leben 
bleiben. Ich schicke ihn zurück, sobald ich habe, was ich will, 
und in Sicherheit bin.“ 

„Sie wissen, daß ich mich auf solche Geschäfte nicht 

einlassen darf, Penrose!“ rief Coffee zurück. 

Ein Schuß knallte, Männer schrien auf, Pferde wieherten. 
„Ich habe diesmal nur auf den Boden gezielt!“ grölte Penrose 

und lachte wild. „Aber mehr Kugeln habe ich nicht zu 
verschwenden… Sie sind dran, Sheriff. Wenn Sie wollen, daß 
Joe Cartwright und auch noch der eine oder andere von Ihren 
Männern fällt, kommen Sie nur heran!“ 

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Wildes Feuer 

 
 
 

Totenstill wurde es draußen vor der Hütte. Nur der Wind hob 
zu neuem Brausen an, und über dem Gebirge grollte der 
Donner. 

Hoss fuhr sich mit der Hand über die Stirn. 
„Joe wollte mich warnen!“ knirschte er, zornig auf sich 

selbst. „Aber ich habe ihm nicht geglaubt!“ 

„Das konntest du nicht ahnen, Hoss“, tröstete Candy. „Er 

machte einen so netten Eindruck.“ 

„Das muß ich auch zugeben, Hoss“, sagte der Vater, aber 

seine Stimme klang schwer. 

Murrend verlangten einige der Männer, die Hütte zu stürmen. 
„Immer mit der Ruhe“, warnte der Sheriff. „Solange wir es 

verhindern können, soll niemand zu Schaden kommen.“ 

„Wollen Sie Penrose etwa laufenlassen?“ fuhr einer seiner 

Begleiter auf. 

„Wir ziehen uns zurück!“ befahl Coffee entschieden. „Wie 

Penrose verlangt hat: bis zum Waldrand. Und dann sehen wir 
weiter.“ 

Die Männer wendeten die Pferde, nur Hoss rührte sich nicht. 

Er schaute ihnen nach, wie sie davonritten und zwischen den 
Bäumen verschwanden. 

„Komm mit, Hoss!“ rief der Vater. 
„Ich bin schuld daran, daß Joes Leben am seidenen Faden 

hängt“, erwiderte Hoss verstockt. 

„Niemand ist schuld daran“, widersprach ihm der Vater. 
„Man hat einen der Spießgesellen von Penrose gefunden, 

Hoss“, berichtete Candy. „Er hatte drei Schüsse im Rücken. 
Du bist also nicht der einzige, der ihm vertraut hat.“ 

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„Du hast getan, was du für richtig hieltest, Hoss“, meinte der 

Vater ruhig. „Und darauf kommt es an. Jetzt müssen wir sehen, 
daß Joe nichts zustößt, ehe wir ihm wirklich helfen können.“ 

„Ich muß Joe aus der Patsche helfen“, murmelte Hoss, als 

spräche er mit sich selbst. 

„Komm doch, Hoss“, drängte auch Candy. „Laß uns reiten. 

Deinem Vater wird schon etwas einfallen.“ 

Nun waren alle Männer des Sheriffs im Walde. In den 

Schatten der Bäume verhielten sie abwartend. 

„Wir dürfen ihn nicht entkommen lassen, Sheriff“, meinte 

Cartwright. „Zieh doch mit deinen Männern einen weiten Ring 
um die Hütte – vielleicht können wir dann Penrose abfangen, 
ehe er Joe etwas antut.“ 

„Vorläufig wird er gar nichts unternehmen“, erklärte Coffee. 
„Bist du dessen so sicher?“ 
„Jawohl“, war die entschiedene Antwort. „Bestimmt hofft er, 

straffrei auszugehen, und er wird uns irgendeinen Handel 
vorschlagen. Ich kenne diese Typen. Wenn wir aber jetzt über 
ihn herfallen, wird er Joe umbringen. Und diesen Preis möchte 
ich nicht zahlen. Also laß uns noch warten.“ 

„Deshalb aber kannst du doch die Hütte umzingeln lassen“, 

beharrte Ben. „Dann haben wir Penrose wenigstens in der 
Falle.“ 

Der Sheriff nickte und sprach mit seinen Männern. Alle 

dreißig Meter sollte einer von ihnen Posten beziehen. Aber er 
schärfte ihnen ein, ja zwischen den Bäumen zu bleiben und 
sich nicht sehen zu lassen. 

„Und haltet euch außer Schußweite“, sagte er abschließend. 

„Wir haben mehr Zeit als er und können warten. Deshalb 
dürfen wir nicht die Nerven verlieren!“ 

Die Männer nickten und ritten davon. Candy und Hoss hatten 

sich mit einteilen lassen. Nicht weit vom Sheriff und Ben 

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Cartwright, die neben ihren müden Pferden am Boden saßen, 
hockten sie hinter einem Baum. 

„Wenn wir beide nun zur Hütte schlichen, einer von links, 

der andere von rechts?“ meinte Candy. „Einer von uns würde 
es vielleicht schaffen.“ 

Hoss spähte zur Hütte hinüber und schüttelte den Kopf. 
„Vorher würde Joe erschossen werden“, wandte er ein. „Ich 

habe inzwischen schon genug falsch gemacht. Wenn ich jetzt 
noch überhaupt etwas tue, muß es unbedingt richtig sein.“ 

Schweigend saßen sie eine Weile nebeneinander. Plötzlich 

hob Hoss den Kopf. 

„Vielleicht war dein Gedanke doch gar nicht so schlecht, 

Candy“, meinte er. „Vielleicht können wir beide etwas tun.“ 

Der Junge nickte begeistert, und eifrig steckten die beiden die 

Köpfe zusammen. 
 
 
Candy trat zwischen den Bäumen hervor. Sofort tönte ihm 
Penroses Stimme entgegen. 

„Bleib stehen, Kerl!“ brüllte er. „Zurück!“ 
„Geben Sie meinen Freund Joe heraus!“ schrie Candy böse. 

„Sonst passiert etwas!“ 

Penrose lachte hart auf. 
„Jawohl, es wird etwas passieren, Bursche – wenn du 

nämlich nicht auf der Stelle im Walde verschwindest.“ 

„Sie haben kein Recht, Joe einzusperren!“ schalt Candy. „Er 

hat Ihnen doch nichts getan.“ 

„Er hat mir nichts getan?“ krächzte Penrose. „Wenn du 

wüßtest, was er mir wirklich getan hat, Kerl! Und außerdem ist 
er jetzt meine einzige Garantie dafür, daß ihr mir nichts tut!“ 
Er lachte grob. „Oh, dein Freund ist mir sehr viel wert! Haha!“ 

Candy überlegte. Was sollte er noch sagen? Wie konnte er 

den Mann dort von der Hütte ablenken, daß er nicht merkte… 

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Plötzlich zuckte er zusammen. Dort, züngelte da nicht eine 

Flamme empor? Stieg nicht schwarzer Qualm vom Teerdach 
auf? War es Hoss gelungen, von hinten die Hütte 
anzuschleichen, während Candy Penrose durch seine 
herausfordernden Reden ablenkte? 

„Wir wollen doch mal sehen, wer morgen am lautesten lacht, 

Mr. Penrose!“ schrie der Junge, und seine Stimme klang 
triumphierend. „Es hat schon mancher gemeint, er sei schlau – 
und auf einmal kam alles anders!“ 

Penrose lachte überheblich. 
„Bei mir nicht, Kerl! Ich…“ Er verstummte, stutzte – und 

fuhr herum. 

Der Brand hatte sich schnell ausgebreitet, das ganze Dach 

stand in Flammen. Penrose verlor die Nerven und lief hinaus – 
und landete in den Armen von zwei Männern des Sheriffs, die 
hinter ein paar Büschen auf diesen Augenblick gewartet hatten. 
Es war geschafft! 

„Joe!“ schrie Hoss. „Komm doch heraus!“ 
Wo blieb Joe? Er hätte doch längst herauskommen müssen. 

Warum blieb er in der brennenden Hütte? 

Außer sich vor Angst stürmte Hoss nach der Hütte. Aber Ben 

Cartwright und Candy kamen ihm zuvor. Sie traten in die Tür 
– und erstarrten. 

Joe war gefesselt, aber mit dem Mute der Verzweiflung kroch 

er wie ein Wurm über den Boden. Soeben erst war es ihm 
gelungen, den Stuhl umzuwerfen, an den er gebunden war. 
Cartwright holte tief Luft, sprang in die brennende Hütte, 
bückte sich, hob den Sohn in die Arme und trug ihn auf den 
Hof hinaus. Dort wurde Joe von seinen Fesseln befreit, und 
unter dem Jubel der Männer fiel er dem Vater, dann Hoss und 
dann Candy in die Arme. 

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Alle rüsteten zum Aufbruch. Joe berichtete, wie er das Gold 

gefunden und wo er es versteckt hatte. Virginia City war 
gerettet, und Ponderosa würde nicht unter den Hammer 
kommen! 

„Fein gemacht, Hoss“, lachte Candy, der neben Hoss ritt. 

„Aber mit Buchhändlern würde ich mich doch nicht mehr 
einlassen.“ 

Hoss wischte sich den Schweiß von der Stirn. 
„Jedenfalls ist meine Moderne Bibliothek des nützlichen 

Wissens ganz prima“, beharrte er. „Ich kann dir ja mal einen 
Band leihen.“ 

Candy nickte. 
„Am besten den, in dem alles über schwarze Katzen 

nachzulesen ist“, meinte er. 
 
 
 

Ende 

 
 


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